Lieben nach Gottes Vorbild

Predigt über Lukas 6,27-38 zum Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Das Reformations­jubiläum hat es uns wieder klar vor Augen geführt, und eigentlich ist es der Hauptinhalt jeder christlichen Predigt: Gott hat uns lieb, selbst wenn wir uns nicht so verhalten, wie er das gern hätte. Auch wenn Menschen auf Gott böse sind oder wenn sie vor ihm weglaufen, behält er sie lieb und sehnt sich nach ihrer Rückkehr – so wie der Vater vom Verlorenen Sohn. Gott liebt grenzenlos; seine Liebe unter­scheidet nicht zwischen Lieblingen und un­erwünschten Personen. Und nun sagt Jesus zu seinen Jüngern (und damit auch zu uns): Nehmt euch den himmlischen Vater zum Vorbild! Genauso, wie er liebt, sollt auch ihr lieben. Wenn ihr das tut, habt ihr großen Segen davon. Wörtlich sagt Jesus: „Liebt eure Feinde! … So wird euer Lohn groß sein, und ihr werdet Kinder des Aller­höchsten sein; denn er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen. Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ Was das im Einzelnen bedeutet, zeigen die sieben Beispiele, die Jesus in seiner Predigt anspricht. Wir dürfen sie allerdings nicht als Gesetze miss­verstehen, an die man sich sklavisch halten muss. Sie wollen einfach anschaulich machen, mit welcher inneren Einstellung wir leben sollen.

Jesus sagt erstens: „Tut wohl denen, die euch hassen.“ Etwas später heißt es aus­führlicher: „Wenn ihr euren Wohltätern wohltut, welchen Dank habt ihr davon? Denn die Sünder tun dasselbe auch.“ Nehmen wir an, du hast einen ekligen Nachbarn; immer hat er was zu meckern. Vielleicht bist du ihm zu laut oder zu un­ordentlich. Wenn du kein Jünger Jesu wärst, würdest du eine Mauer in deinem Kopf aufrichten und diesem Nachbarn aus dem Weg gehen. Als Jünger Jesu aber überlegst du dir, was du ihm Gutes tun kannst. Du könntest ihm zum Beispiel einen Blumenstrauß schenken oder irgend etwas anderes, worüber er sich freut. Oder du könntest ihn dafür loben, wie ordentlich er ist. Deine innere Einstellung ist geprägt von Jesu Satz: „Tut wohl denen, die euch hassen.“

Jesus sagt zweitens: „Segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen.“ Wer im September am jährlichen Schweige­marsch für das Leben in Berlin teilnimmt und sich dabei für das Lebensrecht aller Menschen einsetzt, dem werfen Gegen­demonstran­ten oft schlimme Flüche und Be­leidigungen an den Kopf. Wenn du kein Jünger Jesu wärst, dann würdest du am liebsten etwas Böses zurückrufen. Du kannst dir in dieser Situation auch gut vorstellen, wie es dazu kommt, dass Demon­stranten und Gegen­demonstran­ten übereinander herfallen. Als Jünger Jesu aber marschierst du schweigend weiter, ohne Groll und Bitterkeit in deinem Herzen. Stattdessen betest du still für die, die da fluchen, und bittest darum, dass Gott sie segnet und aus ihrer Verblendung erlöst. Deine innere Einnstellung ist geprägt von Jesu Satz: „Segnet, die euch verfluchen.“

Jesus sagt drittens: „Wer dich auf die eine Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.“ Wir müssen dabei beachten: Es geht hier nicht um eine Handlungs­anweisung, sondern um die innere Einstellung des Jüngers. Nun ein Beispiel, wie sich das im Alltag auswirken kann: Da gibt es an der Haltestelle ein großes Gedränge; jeder will noch einen guten Platz im Bus ergattern. Wenn du kein Jünger Jesu wärst, dann würdest du mitdrängeln. Als Jünger Jesu aber bleibst du gelassen und lässt anderen den Vortritt. Es ist dir wichtiger, niemandem wehzutun, als einen guten Platz zu bekommen. Übrigens beziehen sich Jesu Worte vom Gewalt­verzicht nur auf das persönliche Jüngerleben; sie sind kein Rezept dafür, wie man Ver­antwortung für andere wahrnehmen oder einen Staat regieren kann. Da müssen die Drängler und Ellenbogen­leute nämlich zurück­gewiesen und notfalls durch die Staatsgewalt bestraft werden, damit die Schwächeren vor ihnen geschützt sind. Ein Staat kann nicht völlig auf Gewalt verzichten, denn er muss un­einsichtige Böse in ihre Schranken weisen – aus Liebe und Ver­antwortung gegenüber denen, die er schützen soll. Für das Privatleben des Jüngers aber gilt der Grundsatz: Lebt gewaltlos!

Jesus sagt viertens: „Wer dir den Mantel nimmt, dem verweigere auch den Rock nicht. Wer dich bittet, dem gib; und wer dir das Deine nimmt, von dem fordere es nicht zurück.“ Das ist schwer zu begreifen. Soll man einem Dieb wirklich erlauben, dass er einen noch mehr ausplündert? Wieder gilt: Für die menschliche Gesellschaft insgesamt ist es wichtig, dass Diebe bestraft und am weiteren Stehlen gehindert werden. Das soll aber nicht aus persönlicher Habgier geschehen, und so kann der einzelne Jünger Jesu in bestimmten Fällen auch mal großzügig sein. Wenn zum Beispiel ein hungriger Mensch dir ein Brot aus deiner Einkaufs­tasche stiebitzt, musst du ihn nicht unbedingt anzeigen, sondern du kannst ihm gern auch noch den Käse dazu­schenken, damit er das Brot nicht trocken essen muss. Jesu Grundsatz lautet: Seid freigiebig!

Jesus sagt fünftens: „Wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch.“ Das ist ein ganz berühmter Satz; er wird die Goldene Regel genannt. Ein deutsches Sprichwort drückt es so aus: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“ Du wirst nicht gern zu später Abendstunde angerufen, wenn du schon im Bett liegst? Dann überlege dir selbst bei deinen Anrufen, ob die Zeit für den anderen günstig ist. Oder es stört dich in der Bahn, wenn andere sich lautstark unterhalten? Dann denke daran, wenn du das nächste Mal mit Freunden unterwegs bist, und beschränke dich auf Zimmer­lautstärke. Als Jünger Jesu versuchst du stets, dich in andere Menschen hinein­zuversetzen und ihre Bedürfnisse zu erkennen. Du fragst: Was würde ich an der Stelle des anderen jetzt brauchen, und was würde mich stören?, und dann verhältst du dich ent­sprechend. Du lebst nach dem Grundsatz: Behandelt andere Menschen so, wie ihr selbst behandelt werden wollt!

Jesus sagt sechstens: „Wenn ihr die liebt, die euch lieben, welchen Dank habt ihr davon? Denn auch die Sünder lieben ihre Freunde. Und wenn ihr euren Wohltätern wohltut, welchen Dank habt ihr davon? Denn die Sünder tun dasselbe auch.“ Wieder erinnert Jesus daran, dass unsere Liebe so grenzenlos sein soll wie Gottes Liebe. Da hat dir jemand zum Geburtstag gratuliert und etwas geschenkt; nun fühlst du dich ver­pflichtet, ihm auch etwas zu schenken. Das ist zwar nett von dir, aber das zeichnet dich noch nicht als Jünger Jesu aus, denn fast alle machen es so. Als Jünger Jesu könntest du stattdessen der aus­ländischen Familie etwas schenken, die kürzlich neben dir eingezogen ist, als Willkommens­geschenk sozusagen. Wie gesagt: Die Liebe, die du bei Gott kennen­lernst, endet nicht an deinem Gartenzaun oder an der Mauer in deinem Kopf. Sie hat auch keine Hinter­gedanken, sondern meint wirklich nur den anderen. Wenn du das beherzigst, ist deine innere Einstellung geprägt von dem Grundsatz: Tut nicht nur denen Gutes, die euch Gutes tun!

Jesus sagt siebentens: „Wenn ihr denen leiht, von denen ihr etwas zu bekommen hofft, welchen Dank habt ihr davon? Auch die Sünder leihen den Sündern, damit sie das Gleiche bekommen.“ Wenn jemand einem andern Geld leiht, dann muss er eine Zeit lang auf diesen Betrag verzichten, und er hat dadurch einen Nachteil. Viele Leute meinen: Dieser Nachteil muss ausgeglichen werden, sonst hat man ja nichts davon; deshalb nehmen sie Zinsen fürs Geld­verleihen. Aber schon im Alten Testament hat Gott verfügt, dass man keine Zinsen nehmen, sondern dem hilfs­bedürftigen Menschen aus reiner Nächsten­liebe Geld leihen soll. Das ist natürlich kein allgemeiner Grundsatz für die moderne Wirtschaft, denn es ist ja klar: Wenn jemand einem andern Geld leiht, damit der ein Geschäft aufbauen und Geld verdienen kann, dann soll er auch etwas von diesem Gewinn abbekommen. Aber noch einmal: Jesus geht es bei seinen Worten nicht um Fragen der Wirtschafts‑ und Gesellschafts­ordnung, sondern ihm geht es um unsere innere Einstellung. Und da gilt der Grundsatz: Verleiht auch dann etwas, wenn es sich nicht für euch lohnt!

Nun wissen wir also Bescheid, welche innere Einstellung ein Jünger Jesu haben soll. Er soll seine Mitmenschen grenzenlos lieben – ohne Mauer im Kopf und ohne danach zu fragen, ob es sich für ihn lohnt. Er soll sich dabei an der grenzenlosen Liebe seines himmlischen Vaters orientieren. Es stellt sich die Frage: Gelingt uns das auch? Haben wir diese Einstellung, und lassen und wir uns immer von ihr leiten? Jesu Worte dienen uns auch dazu, dass wir erkennen: Wir sind noch weit davon entfernt. Auch wenn wir gern so liebevoll wie Jesus sein möchten, es gelingt uns oft nicht; der Egoismus und die Vorbehalte gegenüber schwierigen oder fremden Menschen kommen uns immer wieder in die Quere. Jesu Worte sind wie ein Spiegel, in dem wir erkennen: Wir sind noch nicht so, wie Gott uns haben will; wir haben Erlösung nötig: eben die Erlösung, die und das Reformations­jubiläum wieder klar vor Augen geführt hat und die der Hauptinhalt jeder christlichen Predigt ist. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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