Jesus heilt und macht lebendig

Predigt über Matthäus 9,18-26 zum 19. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Zwei Dinge will der Mensch: leben und gesund sein. Und diese zwei Dinge schenkt Gott durch Jesus: leben und gesund sein. Das ist auch die Botschaft des Berichts aus dem Matthäus-Evangelium, den wir eben gehört haben. Das Besondere daran: Es handelt sich um einen Doppel­bericht. Jesus erweckt ein totes Mädchen zum Leben und heilt bei derselben Gelegenheit eine kranke Frau. Beide Ereignisse, die Heilung und die Erweckung, sind ineinander ver­schachtelt. Da ist zum einen die Frau, die nach zwölf Jahren mit krankhaften Blutungen Hilfe findet. Und da ist zum andern das Mädchen, das mit zwölf Jahren stirbt, danach aber wieder lebendig wird. Da ist auf der einen Seite die Frau, die aus einer Mischung von Glaube und Verzweiflung Jesu Kleidung berührt und dabei hofft, gesund zu werden. Und da ist auf der anderen Seite der Vater des Mädchens, der aus einer Mischung von Glaube und Verzweiflung die Hoffnung nicht aufgeben will, obwohl seine Tochter bereits gestorben ist. Jesus hilft allen dreien: der Frau, dem Vater und dem Mädchen. Denn Jesus ist gekommen, um gesund und lebendig zu machen – das ist nicht nur die Botschaft dieser Doppel­geschichte, sondern das ist die Haupt­botschaft der ganzen Bibel. Leben und gesund sein will der Mensch, und beides kann er bei Jesus finden. So einfach ist das, so klar ist die gute Nachricht des Evangeliums. Sie braucht nur im Glauben ergriffen zu werden.

Aber der Glaube ist bedroht. Schauen wir uns mal genau an, was das denn für ein Glaube war, den die Frau mit den krankhaften Blutungen hatte. Es war ein sehr verschämter Glaube. Sie traute sich nicht, offen vor Jesus hinzutreten und zu sagen: Herr, hilf mir! Und sie scheute sich offenbar auch, ihr Problem vor all den Leute beim Namen zu nennen. Frauen wie sie galten damals als unrein. Nur heimlich von hinten wagte sie es, an Jesus heran­zutreten. Am liebsten wollte sie seine heilende Kraft auf eine Art und Weise abrufen, bei der niemand etwas merkt. Ein fröhlich bekennender Glaube sieht anders aus. Aber jedenfalls hoffte sie darauf, bei Jesus Hilfe zu finden.

Auch bei uns ist der Glaube bedroht. Auch uns kann es passieren, dass wir Jesus nicht offen und zu­versichtlich um Hilfe bitten, sondern eher verschämt und zweifelnd. Wir scheuen uns, unsere Not und Hilfe­bedürftig­keit ein­zugestehen. Auf der anderen Seite möchten wir aber doch gern Jesu Kraft in unserem Leben erfahren. Wir möchten, dass er uns hilft und, wenn wir krank sind, wieder gesund macht. Wie bei der Frau damals ist unser Glaube oft keine sieges­gewisse Zuversicht, sondern nur eine zögernde Hoffnung. Da kann es dann geschehen, dass auch wir mit unseren Anliegen gewisser­maßen nur verschämt am äußersten Zipfel seines Gewandes zupfen.

Auch von außen ist der Glaube bedroht, und zwar durch das Verhalten der Mitmenschen. Der Vater des toten Mädchens hat das erlebt. Während er Hilfe bei Jesus suchte, kam schon der ganze Bestattungs­apparat in Gang, wie es damals üblich war. Die professio­nellen Klagemusiker erfüllten das Trauerhaus mit Geheul und Flöten­melodien. Die Nachbarn drängten herein, um ihr Beileid zu bekunden. Die Totenbahre stand schon bereit. Das funktioniert heute zwar alles etwas anders, aber nicht weniger professio­nell: Wenn der Bestatter erst einmal informiert ist, läuft eine gut geölte Begräbnis-Maschinerie ab. Als Jesus kam und die Trauer­gesellschaft wegschicken wollte, lachte man ihn aus. Man dachte so, wie auch heute viele denken: Der Tod ist das endgültige Aus.

Ja, auch heute lachen viele über diejenigen, die an die Auferstehung der Toten glauben. Sie spotten darüber, wenn Christen die leibliche Auferstehung Jesu von den Toten bekennen, und sie streiten ab, dass die Gläubigen nicht wirklich sterben, sondern nur einschlafen, um am Jüngsten Tag zur ewigen Seligkeit zu erwachen. Wir leben in einer Zeit, wo aller Lebenshunger und alle Lebens­hoffnung auf das Diesseits gerichtet sind. Der Glaube, dass der Tod bei allen, die zu Jesus gehören, keine Macht hat, ist stark bedroht.

Aber Jesus weist den bedrohten und an­gefochtenen Glauben nicht zurück, sondern er beschenkt ihn mit Heil und Leben. Auch das lehrt der wunderbare Doppel­bericht unseres Predigt­textes. Unser Glaube ist nämlich nicht nur bedroht, sondern er wird auch beschenkt.

Jesus sagte zu der kranken Frau: „Sei getrost, meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen.“ Er meinte damit nicht, dass die Frau sich durch ihre eigene Glaubens­kraft selbst geholfen hat, denn ihr Glaube war ja unscheinbar und angefochten. Geholfen hat ihr vielmehr, dass sie sich mit ihrem schwachen Glauben an die richtige Adresse gewandt hat, an Jesus nämlich. Sie hat sich ja nicht von seinem Gewand Heilung erwartet wie von einem magischen Gegenstand, sondern von Jesus selbst. Jesus war es dann auch, der ihr diese Heilung zusagte, und in dem Moment wurde sie gesund. Die Frau hat sich von Jesus Hilfe erhofft, und diese Hoffnung wurde nicht enttäuscht. Ja, der kleine Glaube der Frau wurde reich beschenkt.

Auch heute beschenkt Jesus unsern Glauben, ganz gleich, wie stark oder schwach er ist. Entscheidend ist nämlich nicht die Kraft unseres Glaubens, sondern entscheidend ist die Kraft desjenigen, an den wir glauben: Jesus. Und wie er zu der Frau damals redete und Heilung zusagte, so spricht er noch heute zu uns durch sein Wort und vermittelt uns auf diesem Weg sein Heil. Das Wort seiner guten Nachricht hat er mit äußeren Zeichen verbunden, mit den sogenannten Sakramenten. Das Wasser der Taufe und die damit verbundene Zusage des Herrn machen, dass ein Mensch von Sünden gereinigt und ein Kind Gottes wird. Das Brot und der Wein im Abendmahl werden unter den Einsetzungs­worten zum Leib und Blut des Herrn, die uns Heil schenken und auf dem Weg zur ewigen Seligkeit stärken. Wasser, Brot und Wein können wir mit dem Gewand Jesu vergleichen, das die Frau anrührte: Nicht das Gewand an sich machte sie heil, sondern Jesus durch sein Wort; aber das Gewand war eine Hilfe für ihren schwachen Glauben. So wurde deutlich, dass sie mit Jesus und seiner heilenden Kraft in Verbindung kam. Und so können und sollen wir auch die Sakramente ansehen: Wir denken an unsere Taufe und wir empfangen das Heilige Abendmahl in dem Bewusstsein, dass wir mit diesen Zeichen Zugang zum Herrn Jesus Christus haben und dass er uns hilft, heilt, und ewig leben lässt.

Entscheidend für Heil und Leben ist also letztlich nicht die menschliche Hand, die nach dem Gewandzipfel Jesu greift wie nach dem sprich­wört­lichen Strohhalm, sondern entscheidend für Heil und Leben ist die göttliche Hand des Erlösers, die eingreift und uns aus dem Rachen des Todes zieht. Ganz typisch zeigt sich der rechte Glaube an dem Satz des Vaters: „Meine Tochter ist eben gestorben, aber komm und lege deine Hand auf sie, so wird sie lebendig.“ Entsprechend ist dann die Auferweckung so beschrieben: „Als aber das Volk hinaus­getrieben war, ging er hinein und ergriff sie bei der Hand. Da stand das Mädchen auf.“ Jesu Kraft wird bei uns nicht deswegen wirksam, weil wir ihn ergreifen, sondern weil er uns ergreift! Wenn es nicht so wäre, dann hätte es gar keine Toten­auferweckung geben können. Denn eigentlich hatte nicht der glaubende Vater Hilfe nötig, sondern das Mädchen, das gar nicht mehr glauben konnte, weil es bereits tot war. Aber Jesu Hand und Schöpfer­macht holten es wieder ins Leben zurück.

Das gibt uns Zuversicht auch für viele Mitmenschen, die zwar körperlich noch leben, aber geistlich tot sind. Wir dürfen bitten, hoffen und glauben, dass Jesus sie zur rechten Zeit anrührt und zum Glauben erweckt, damit sie zur Fülle des Lebens und zum ewigen Leben gelangen. Denn der Glaube ist keine menschliche Vorleistung für Jesu Gnade, sondern er selbst ist Gottes Geschenk. Wenn ein Mensch zum Glauben kommt, dann ist das so, wie wenn Jesus ihn anrührt, heilt und zum ewigen Leben erweckt. Martin Luther hat darum im Kleinen Katechismus den dritten Glaubens­artikel so erklärt: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten…“ So ist der rechte Glaube selbst ein Geschenk. Er ist also nicht nur ein beschenkter Glaube, sondern er ist zugleich ein geschenkter Glaube. Darum: Wenn der Glaube bedroht und angefochten ist, hilft keine menschliche Willens­anstrengung, sondern da hilft nur die demütige Bitte: „Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben!“

Leben und gesund sein will der Mensch. Beides kann er bei Jesus finden – so einfach ist das, so klar ist die gute Nachricht des Evangeliums. Warum aber muss unser Leib dann noch Krankheiten ertragen und schließlich sterben? Warum musste die Frau zwölf Jahre unter krankhaften Blutungen leiden? Warum hat Gott dem Vater zugemutet, seine Tochter sterben zu sehen? Warum spannt Jesus uns immer wieder auf die Folter, bevor er uns hilft? Er tut es, damit wir Geduld lernen, dazu Beten und Hoffen. Er tut es, damit wir an unseren menschlichen Möglich­keiten verzweifeln und uns nach seiner Hilfe sehnen. Und er tut es, um uns über diese Welt hinaus­zuweisen auf die neue Welt, wo dann auch die schlimmste Krankheit endgültig geheilt sein wird: unsere Sünde – mit all dem, was sie nach sich zieht. Darauf zu vertrauen, das ist im tiefsten und eigentlichen Sinn der Glaube, von dem Jesus gesagt hat: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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