Das gefährliche Vakuum

Predigt über Matthäus 12,43-45 zum 14. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Das ist eine merkwürdige Geschichte, die Jesus da erzählt hat: die Geschichte vom zurück­kehrenden bösen Geist. Obwohl: Wenn wir die Geschichte in unsere Zeit übertragen, ist sie gar nicht mehr so merkwürdig. Versuchen wir’s!

Eine Frau verliert ihren Ehemann. Sie ist sehr traurig. Kinder hat sie nicht, auch sonst keine Angehörigen, die sie trösten könnten. Der böse Geist der Traurigkeit beherrscht bald ihr ganzes Leben und ihre ganze Wohnung: Sie räumt nicht mehr auf, sie macht nicht mehr sauber, sie achtet nicht mehr auf ihre Kleidung und ihre Frisur, sie lässt sich in jeder Hinsicht gehen. Das schmutzige Geschirr stapelt sich in der Küche, auf den Schränken liegt eine deutlich sichtbare Staub­schicht, und alle Blumen lassen ihre Köpfe hängen. Die Witwe schlägt ihre Zeit mit Fernsehen und dem Lesen von Illustrier­ten tot. Da entdeckt sie eines Tages einen Artikel, der gerade für sie geschrieben zu sein scheint. Der Verfasser rät allen Nieder­geschlage­nen, sich nicht gehen zu lassen, sondern äußerlich alles sauber, schön und ordentlich zu halten; das werde sich dann positiv auf das Seelenleben auswirken. Die Witwe schöpft Hoffnung und macht sich ans Werk: Sie kümmert sich um den Abwasch, bis keine einzige schmutzige Tasse mehr übrig ist. Sie wischt und saugt und putzt und schrubbt, bis alles blitzt und blinkt – auch im hintersten Winkel. Sie besorgt frische Blumen für ihre Vasen und neue Bilder für ihre Wände. Sie kauft sich ein neues Kleid und neue Schuhe. Sie geht zum Friseur. Es funktio­niert: Der böse Geist der Traurigkeit ver­schwindet; mit jeder Aktivität fühlt sich die Frau besser. Am Ende ist sie frei vom bösen Geist; Wohnung und Leben sind sauber, ordentlich und schön geschmückt. Aber was nun? Es gibt jetzt nichts weiter zu tun. So kehrt sie zu ihren alten Gewohnheiten zurück: Fernsehen und Illustrier­te. Da passiert es: Der böse Geist der Traurigkeit kehrt zurück. Und er kommt nicht allein, sondern er bringt andere böse Geister mit: die Langeweile, die innere Leere und die Einsamkeit. Am Ende ist die Frau mit der neuen Frisur noch un­glücklicher als vorher.

Wo liegt das Problem? Die Frau ist zwar zunächst frei geworden von dem bösen Geist, aber diese Freiheit war eigentlich eine Leere, ein Vakuum. So ein Vakuum ist gefährlich, denn es bewirkt einen großen Druck von außen und will sich wieder füllen. Die Frau hätte es nicht zu dieser Leere kommen lassen sollen, sondern die Freiheit vom bösen Geist als Freiheit dafür nutzen sollen, dass sie es mit etwas Gutem füllt. Zum Beispiel hätte sie andere Menschen in ihre schön geschmückte Wohnung einladen und sie liebevoll bewirten können, dann wäre der gute Geist der Freude eingezogen – sowohl für diese Menschen als auch für sie selbst. Oder sie hätte sich eine sinnvolle Tätigkeit suchen können, die ihr Freude macht und anderen Nutzen bringt.

Nun ist diese Geschichte freilich nur ein Gleichnis – sowohl das, was Jesus damals erzählte, als auch das, was ich eben daraus gemacht habe. Es geht ja eigentlich nicht um Wohnungen, sondern um Menschen­herzen. Und es geht darum, wer in diesen Menschen­herzen wohnt und da das Sagen hat. Darum möchte ich die Geschichte noch einmal anders erzählen.

Ein Mann wird zum Alkoholiker. Erst ist es nur das regelmäßige Bierchen jeden Abend; dann ist es der tägliche Schnaps; dann werden daraus drei, vier, fünf Schnäpse; und schließlich braucht der Mann schon am Morgen sein Quantum Alkohol, um sich wohl zu fühlen. Eine Zeit lang meint er noch, er könne jederzeit aufhören, wenn er nur wolle. Aber als er es dann wirklich versucht, fängt er an zu zittern und kann sich auf nichts mehr konzen­trieren. Er merkt: Der böse Geist der Sucht hat ihn voll ihm Griff. – Liebe Brüder und Schwestern, wenn ich hier vom bösen Geist der Sucht rede, dann meine ich das nicht bildlich, sondern dann meine ich das wörtlich: Jede Sucht und besonders die Alkoholsucht ist ein Agent des Teufels, ausgesandt um Menschen zu versklaven, zu quälen und schließlich kaputt zu machen. Es gibt leider viele traurige Beispiele dafür, dass ihm das auch gelingen kann. – Unser Mann spürte die Gefahr und wollte sich nicht kampflos dem bösen Geist der Sucht unterwerfen. Er wandte sich an eine Beratungs­stelle, unterzog sich einer Entgiftung, machte eine Therapie und war daraufhin wieder frei – so frei, wie man als Alkoholiker eben frei sein kann: Er brauchte keinen Alkohol mehr, um normal zu leben, aber er wusste auch: Er durfte nicht mehr trinken, wenn er keinen Rückfall riskieren wollte. Was durch den Alkhohol in Unordnung geraten war in seinem Leben, das kam nun alles wieder in Ordnung. Eine Zeit lang ging es ganz gut. Das Problem war nur ein Vakuum im Herzen, eine innere Leere. In dieser inneren Leere hörte er überdeutlich die Stimme des Versuchers: Du bist doch ein freier Mensch und kannst ruhig mal wieder ein Bier trinken, wenn du Lust hast; das machen doch fast alle – dann brauchst du auch nicht mehr so herum­zudrucksen, wenn deine Freunde dich einladen. Weil die Seele des Mannes leer war, geschah es, dass der böse Geist der Sucht eines Tages zurück­kehrte. Und er brachte andere böse Geister mit: den Geist der Mut­losigkeit, den Geist der Selbst­aufgabe, den Geist der Ver­zweiflung. Am Ende trank der Alkoholiker mehr als vor seiner Therapie und verlor nach und nach Arbeit, Besitz, Familie und Wohnung.

Wir wissen, wo das Problem des Mannes lag: Zwar war er frei geworden vom Alkohol, aber diese Freiheit war eigentlich eine Leere, ein Vakuum. So ein Vakuum ist gefährlich, denn es bewirkt einen großen Druck von außen und will sich wieder füllen. Wenn dieser Mann Jesus Christus gekannt oder ihn während der Therapie kennen­gelernt hätte, dann hätte Gottes Geist das Herz dieses Menschen füllen und sein Leben leiten können. Wo Gottes Geist herrscht, da wagt es kein böser Geist einzutreten. Der Teufel wird zwar auch dann noch versuchen und locken, aber Gottes Geist ist stärker und ruft: Hebe dich hinweg, Satan! Das ist nicht nur ein frommer Wunsch, sondern das ist eine Tatsache. Ich kenne Alkoholiker, die eindrucks­voll bezeugen können, wie ihnen der Glaube an Jesus geholfen hat. Es gibt sogar Statistiken, die das belegen: Wenn Alkoholiker sich im Vertrauen auf Gottes Hilfe therapieren lassen, dann werden sie viel seltener rückfällig als Nicht­christen. Die Freiheit vom Geist der Sucht ist dann nämlich kein Vakuum, sondern die Freiheit der Gottes­kindschaft, die Freiheit für ein Leben in der Nachfolge des Herrn Jesus Christus.

Am Ende der merkwürdigen Geschichte sagte Jesus noch einen merkwürdigen Satz: „So wird’s auch diesem bösen Geschlecht ergehen.“ Vom Zusammenhang her meinte er damit diejenigen aus dem Volk Israel, die ihn als Herrn und Erlöser ablehnten. Da merken wir: Das Gleichnis gilt nicht nur für einzelne Menschen, sondern unter Umständen auch für Völker beziehungs­weise Teile davon. Das lässt sich ebenfalls in die heutige Zeit übertragen.

Unser deutsches Volk hatte in seiner jüngeren Vergangen­heit auch seinen bösen Geist – mindestens einen. Dieser böse Geist setzte sich über alle Lebens­bereiche und versuchte, seinen Einfluss ins Maßlose auszuweiten. Er log, er stahl, er mordete millionen­fach. Er ließ sich dienen und verehren wie ein Gott, und wenn man ihm genau zuhörte, konnte man feststellen: Er hielt sich selbst für so etwas wie Gott. Aber der himmlische Vater sorgt schon dafür, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen. So kam, was früher oder später kommen musste: Der böse Geist wurde hinweg­gefegt, sein Reich brach zusammen. Danach schenkte Gott unserm deutschen Volk, dass es sich überraschend schnell erholte: Frieden und Wohlstand zogen ein, schließlich auch Einigkeit, Recht und Freiheit für das gesamte Volk. Unser Haus ist nun geordnet, gefegt und geschmückt.

Aber welcher Geist wohnt und herrscht jetzt in diesem Haus? Ein guter? Oder vielleicht gar keiner? Ist Deutschland ein geistliches Vakuum? Ist Deutschland, was Gott anbetrifft, neutral, distanziert und überwiegend gleich­gültig? Wir können jubeln und danken, dass der böse Geist von einst weitgehend verschwunden ist. Aber wenn nichts anderes geblieben ist als eine Freiheit von ihm, nicht für irgendetwas, dann leben wir in einem gefährlichen Vakuum. Und dann kann es geschehen, dass der böse Geist zusammen mit sieben weiteren zurückkehrt und es unserm Land am Ende noch schlimmer ergeht.

Liebe Brüder und Schwestern, die christliche Freiheit besteht nicht aus Autonomie und Toleranz, nicht aus Selbst­bestimmung und Beliebig­keit. Christliche Freiheit bedeutet, dass Jesus Christus uns von der Schuld unserer Sünde befreit hat, damit wir das herrliche Leben der Gotteskinder führen können – ein Leben in Liebe, Respekt und Hilfs­bereit­schaft. Wie schön wäre es, wenn Gottes Geist in unserem Volk auf diese Weise herrschen würde! Wie schön wäre es, wenn er wirklich die Vor­herrschaft hätte und die Mehrheit der Bürger prägte! Denn nur dort, wo Menschen sich nicht selbst vergöttern, sondern in aller Bescheiden­heit als Kinder des himmlischen Vaters leben, sind wir sicher vor der Rückkehr der bösen Geister. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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