Wie begegnest du Gott?

Predigt über Hiob 23 zum 11. Sonntag nach Trinitatis

Lieber Bruder, liebe Schwester in Christus!

Du glaubst an Gott. Das bedeutet: Du denkst nicht nur über Gott an sich nach, sondern du denkst vor allem darüber nach, wie du vor Gott dastehst und wie er dir begegnet. Und du redest nicht nur über Gott, sondern du redest vor allem mit Gott. Wenn du schon viele Jahre lang glaubst, dann hast du wahr­scheinlich die Erfahrung gemacht: Deine Haltung zu Gott und dein Reden mit Gott sind nicht immer gleich, sie sind vielmehr Schwankungen unterworfen. Darum ist es gut, wenn du dir hin und wieder Rechenschaft gibst über die Fragen: Mit welcher Haltung trete ich vor Gott? Und wie begegnet Gott mir?

Ja, mit welcher Haltung trittst du denn vor Gott? Wenn dir die Bibel vertraut ist sowie auch unsere Art, Gottes­dienste zu feiern, dann weißt du: Nur eine demütige Haltung ist angemessen. Der aktuelle Wochenspruch bringt es auf den Punkt: „Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade“ (1. Petrus 5,5b). Aus diesem Grund beginnen wir den Gottesdienst oft mit einer Beichte. Auch in vielen Liedern und Gebeten outen wir uns als Sünder. Zwar schlägst du dann nicht unbedingt reumütig an deine Brust wie der Zöllner im heutigen Evangelium, aber du senkst immerhin deinen Kopf und faltest die Hände, so wie es in alten Zeiten Krieger taten, wenn sie sich ergaben und als Kriegs­gefangene fesseln ließen. Kurz: Du begegnest Gott als leidender Sünder. Deine Haltung zeigt, dass du unter deinen Verfehlungen beziehungs­weise Versäum­nissen leidest und sie bereust.

Aber entspricht diese äußere Haltung wirklich deiner inneren Haltung? Es mag Zeiten geben, wo du innerlich anders empfindest. Wenn du dann betest: „Ich armer, elender, sündiger Mensch“, kommst du dir möglicher­weise wie ein Schauspieler vor oder wie ein Heuchler. Vielleicht bist du ja eigentlich rundum zufrieden mit deinem Leben und würdest das am liebsten auch so vor Gott zum Ausdruck bringen. Du gibst dir Mühe, als Christ zu leben, und du findest, dass es dir auch ziemlich gut gelingt. Du weißt genau: Die Menschen, die sich nicht nach Gottes Geboten richten, handeln sich damit einen ganzen Haufen Probleme ein, die du nicht hast. Lehrt nicht die Bibel an vielen Stellen diesen Tun-Ergehen-Zusammen­hang, dass es dem Gottes­fürchtigen gut geht, dem Gottlosen aber schlecht? Das Einzige, was dich in dieser Haltung irritieren mag, ist dies: Du rückst damit in die Nähe des Pharisäers aus dem heutigen Evangelium. Er hat nicht den Kopf und gesenkt und nicht reumütig an seine Brust geschlagen, sondern er hat den Blick sowie auch die Hände gen Himmel und erhoben und Gott fröhlich für seine Frömmigkeit gedankt. Kurz: Du begegnest Gott als zufriedener Gerechter, hast dabei aber zugleich das ungute Gefühl: Vielleicht bin ich ja nur ein selbst­zufriedener Selbst­gerechter?

Elifas war so ein selbst­zufriedener Selbst­grechter, Hiobs Freund. Zusammen mit zwei weiteren Freunden besuchte er den schwer leidenden Hiob und setzte sich zu ihm auf den Fußboden. Elifas bildete sich ein, dass Hiob sich seine Leiden mit irgend­welchen schlimmen Sünden selbst eingebrockt hat. Er hielt Hiob unter anderem vor: „Ist deine Bosheit nicht zu groß, und sind deine Missetaten nicht ohne Ende?“ (Hiob 22,5) Vom biblischen Tun-Ergehen-Zusammenhang her war das vollkommen logisch gedacht. Allerdings halfen diese Worte dem ver­zweifelten Hiob kein bisschen weiter, im Gegenteil: Sie stellten eine zusätzliche Belastung dar. Vielleicht hast du so etwas auch schon mal erlebt: Du steckst tief in der Tinte, und jemand anders will dir erklären, was du falsch gemacht hast. Das 23. Kapitel des Hiob-Buches enthält Hiobs Antwort an Elifas. Eigentlich ist es gar nicht direkt eine Antwort, sondern ein Zwischending aus Antwort, Gebet, Selbst­gespräch und Klagelied. Das Gute daran ist: Hiob ist nicht fertig mit Gott. Er wendet ihm nicht den Rücken zu und erklärt ihn auch nicht zur Märchen­figur. Im Gegenteil, er ruft aus: „Ach dass ich wüsste, wie ich ihn finden und zu seinem Thron kommen könnte! So würde ich ihm das Recht darlegen und meinen Mund mit Beweisen füllen und erfahren die Reden, die er mir antworten, und vernehmen, was er mir sagen würde.“ Hiob sehnt sich nach einer Art Gerichts­verhandlung vor Gott, denn er möchte Gott seine Unschuld beweisen; er fühlt sich zu Unrecht von Gott geschlagen. Mit vielen Worten beteuert er: Ich lebe wie ein Gerechter, aber ich leide wie ein Sünder! Das geht doch nicht, das widerspricht doch dem Tun-Ergehen-Zusammen­hang! Hiob möchte, dass Gott ihm Recht verschafft, sein untadeliges Leben anerkennt und ihn in Ruhe lässt – oder dass er ihm wenigstens sagt, warum er ihn so leiden lässt.

Es mag Zeiten geben, in denen du dich wie Hiob fühlst. Du sitzt gewisser­maßen auf dem Fußboden; du bist am Boden zerstört und lässt den Kopf hängen. Das kann zum Beispiel geschehen, wenn du einen sehr lieben Menschen verloren hast. Oder das kann geschehen, wenn du unheilbar erkrankst. Oder das kann auch geschehen, wenn dir das unsäglich große Leid vieler Menschen bewusst wird; die täglichen Neuigkeiten sind ja manchmal eine einzige gemeinsame Hiobsklage unserer krisen­geschüttel­ten Welt. Ja, es mag Zeiten geben, in denen du dich wie Hiob fühlst und mit einer ent­sprechenden Haltung vor Gott trittst. Hiobs Beispiel zeigt: Das darfst du auch. Du darfst wie Hiob vor Gott treten, ihm dein Leid klagen, dich sogar aufbäumen und zu ihm schreien: Warum lässt du mich so leiden – ausgerechnet mich, der ich mich doch immer bemüht habe, fromm zu leben? So ehrlich mit Gott zu reden ist besser als zu heucheln. Du brauchst nicht so tun, als seist du ein leidender Sünder wie der Zöllner im Gleichnis oder ein zufriedener Gerechter wie der Pharisäer. So ehrlich mit Gott zu reden ist tausendmal besser als überhaupt nicht mit Gott zu reden. Denn der Schöpfer erwartet ja von seinen Menschen­geschöpfen, dass sie mit ihm sprechen. Und wenn er dich mit irgend­welchen Leiden aus einem gleich­förmigen Leben aufrüttelt, dann erwartet er, dass du ihm Rückmeldung gibst, dass du ihm antwortest. Daher kommt das Wort „Ver­antwortung“: Wir sind Gott Antwort schuldig.

Ja, es mag sein, dass du mit wechselnder Haltung Gott gegenüber­trittst: mal als leidender Sünder wie der Zöllner, mal als zufriedener Gerechter wie der Pharisäer, mal als leidender Gerechter wie Hiob. Wir sind wankelmütige Menschen, Gott aber ist beständig und ewig. Darum wenden wir uns jetzt der zweiten Frage zu: Wie begegnet denn Gott dir? Was hält er von dir, wenn du dich mal so und mal so vor ihm zeigst? Wie reagiert er darauf? Wie lautet sein Urteils­spruch?

Hiob wusste es nicht, und auch darunter litt er. Gott erschien ihm stumm, dunkel, verborgen. Das Klagelied im 23. Kapitel des Buchs Hiob zeigt keinen Ausweg; der zeigt sich erst am Ende des Buchs. Da bricht Gott endlich sein Schweigen, begegnet Hiob in einem gewaltigen Gewitter und macht ihm klar, wie begrenzt der Mensch in seinem Denken und Handeln ist. Hiob merkt, dass er trotz seines untadeligen Lebens­wandels und trotz seiner Frömmigkeit dennoch ein Sünder ist, dass er nämlich wie alle Menschen ein trotziges und böses Herz hat. In Gottes Augen ist er also gar kein leidender Gerechter, sondern ein leidender Sünder. Daraufhin bekennt Hiob sich schuldig vor Gott, erfährt Gottes Vergebung und bekommt danach die ganze Fülle von Gottes Gnade neu geschenkt: Er wird gesund, und auch seine anderen Leiden finden ein Ende.

Das Buch Hiob muss prophetisch verstanden werden, und zwar prophetisch auf Christus hin. Nicht Hiob, sondern Jesus Christus ist der Eine, der wie ein Gerechter lebte und wie ein Sünder litt. Er tat es, damit Sünder gerecht und selig werden – Sünder wie Hiob und Elifas, Sünder wie du und ich. Es mag sein, dass du nur wenig von deiner Sünde merkst – sei es als zufriedener Schein-Gerechter wie der Pharisäer oder sei es als leidender Schein-Gerechter wie Hiob. Aber vor Gottes Thron zählt nicht, wie gut du gerade drauf bist und was du selbst von dir hältst, sondern vor Gottes Thron zählt allein, ob du Gottes An­forderungen gerecht wirst. Wenn du es schon nicht in deinem Herzen und Gewissen spürst, dann glaube es doch wenigstens dem göttlichen Urteil: Vor Gott „ist kein Lebendiger gerecht“ (Psalm 143,2). Aber jeder Lebendige kann gerecht werden vor ihm! Denn weil der eine Gerechte Jesus Christus wie ein Sünder gelitten hat, werden alle Sünder, die an Jesus glauben, gerecht gesprochen. Martin Luther hat es „den fröhlichen Wechsel“ genannt: Der Gerechte leidet und stirbt wie ein Sünder, und so empfängt der Sünder den Lohn eines Gerechten. So stiftet Gott selbst Frieden zwischen sich und dir. Und so macht Gott aus dem leidenden Sünder einen zufriedenen Gerechten – aber keinen selbst­zufriedenen Selbst­gerechten, sondern einen in Gott zufriedenen Gerecht­fertigten. Denn „Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade“.

Bei Glauben geht es nicht um Gott an sich, sondern darum, wie du vor Gott dastehst und wie Gott dir begegnet. In Jesus Christus bleibt Gott nicht stumm und dunkel, sondern schenkt dir seine vergebende Liebe und stellt dich in sein ewiges Licht. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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