Verstehen oder verstockt sein

Predigt über Matthäus 13,10-17.34-35 zum 9. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Unser Glaube lebt nicht davon, dass wir eine Kerze anzünden und uns warme Gedanken machen, sondern er lebt von Gottes Wort. Wahrer Glaube kann sich nicht auf menschliche Gedanken und Hoffnungen stützen, denn die sind so vergänglich und un­zuverlässig wie der Mensch selbst. Mit Gottes Wort aber findet der Glaube einen ewigen und verläss­lichen Halt. Gottes Wort vermittelt uns Dinge, zu denen kein Mensch von sich aus Zugang hat; sie liegen jenseits von Zeit und Raum in Gottes Ewigkeit. Jesus nennt diese Dinge „Geheimnisse des Himmel­reichs“.

Als Jesus diese „Geheimnisse des Himmel­reichs“ offenbar machte, hat er das sehr oft mit Gleichnissen und Bildworten getan. Seine Jünger wunderten sich darüber und fragten ihn einmal: „Warum redest du in Gleich­nissen?“ Was meint ihr, liebe Brüder und Schwestern: Warum hat Jesus nicht Klartext geredet, sondern mit Beispiel­geschichten gepredigt? Wollte er die Menge auf diese Weise unterhalten und sich dadurch beliebt machen? Heute ist das ja so: Wer unter­haltsam redet und dabei allerlei Geschichten erzählt, der gewinnt das Wohlwollen seiner Zuhörer leichter als derjenige, der einfach sagt, was Sache ist. Oder war die Sache mit den Gleichnissen eine geschickte Unterrichts­methode, damit sich die Zuhörer leichter merken konnten, was Jesus lehrte?

Man kann sich allerhand Gründe vorstellen, warum Jesus vorzugsweise in Gleichnissen sprach. Aber wir tun gut daran zu beachten, wie Gottes Wort selbst das erklärt. Zum einen erfüllte Jesus damit eine alt­testament­liche Weissagung. Im 78. Psalm heißt es: „Ich will meinen Mund auftun in Gleichnissen und will Sinnsprüche verkünden über den Ursprung.“ Der Ursprung aller Dinge aber ist der lebendige Gott und sein Reich. Dass Gott uns Menschen von Anfang an geliebt und die ganze Welt­geschichte daraufhin ausgerichtet hat, ist der grundlegende Inhalt von Gottes Wort, das grundlegende „Geheimnis des Himmel­reichs“. Wir Menschen können es mit unserer begrenzten und zeit­gebundenen Vernunft nur dann verstehen, wenn es uns in vertraute Bilder und Gleichnisse übersetzt wird. Eben das hat der 78. Psalm von Jesus geweissagt, und eben das hat Jesus auch getan.

Aber wir finden noch einen weitere Begründung dafür, dass Jesus vorwiegend bildlich gepredigt hat. Jesus selbst hat es seinen Jüngern so erklärt: „Euch ist’s gegeben, die Geheimnisse des Himmelreichs zu verstehen, diesen aber ist’s nicht gegeben. Denn wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat. Darum rede ich zu ihnen in Gleich­nissen.“ Jesus sagte damit, dass sein Reden in Gleichnissen selbst ein Gleichnis ist. Es ist ein Gleichnis für die ver­schiedenen Weisen, wie die Menschen auf Gottes Wort reagieren. Wenn Jesus zum Beispiel vom Landmann spricht, der Getreide­samen ausstreut, dann denken die einen an Gottes Reich, die anderen aber nur an Land­wirtschaft. Die Jünger verstehen das Gleichnis richtig und erkennen darin Gottes Geheimnisse, das übrige Volk aber versteht nur Bahnhof. Und je mehr Gleichnisse die Jünger hören, desto besser verstehen sie Gottes Reich; je mehr Gleichnisse aber das übrige Volk hört, desto verwirrter ist es. Hören wir noch einmal Jesu Erklärung: „Denn wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.“

Diese Aussage kann uns irritieren, denn sie hört sich unangenehm kapi­talistisch an: Die Reichen werden immer reicher, aber den Armen wird das letzte Bisschen weggenommen, das sie noch haben. Jesus will mit diesen Worten natürlich nicht aus­beuterisches Verhalten gutheißen; wir wissen ja, dass er die Menschen immer zum Abgeben und Teilen ermahnt hat. Jesus beschreibt hier vielmehr etwas, das uns in der Natur ganz selbst­verständlich ist: Pflanzen, die gut gedeihen, vermehren sich schnell und breiten sich aus, aber Pflanzen, die schlecht gedeihen, gehen irgendwann völlig ein. So, sagt Jesus, ist es auch mit dem Verstehen von Gottes Wort: Seine Jünger nehmen Gottes Wort willig auf und bekommen mit der Zeit einen immer besseren Einblick in die Geheimnisse des Himmel­reichs; wer aber Gottes Wort skeptisch und flüchtig hört, der wird am Ende gar nichts verstehen. „Wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.“

Was lernen wir daraus? Wir lernen erstens, dass wir Gottes Wort an uns heranlassen und dranbleiben sollen. Wir sollen es „gerne hören und lernen“, wie Martin Luther es formulierte. Wir sollen dazu die Gelegen­heiten nutzen, die wir haben: in Gottes­diensten, bei Bibel­stunden, in der persönlichen Andacht beim Bibellesen und wo immer uns Gottes Wort begegnet. Wir sollen das nicht routinemäßig und lustlos tun, sondern mit wiss­begierigem Eifer. Wir werden dabei zunächst die Erfahrung machen, dass wir vieles nicht verstehen, aber nach und nach werden uns die Zusammen­hänge immer klarer werden.

Der fort­geschrittene Jünger findet in Jesu Satz Gottes Handeln beschrieben. Wenn Jesus predigte, hat er nämlich oft Gottes Tun mit typischen passiven Sätzen zum Ausdruck gebracht, wie zum Beispiel „dem wird gegeben“ und „dem wird genommen“. Das bedeutet: Gott ist es, der gibt, und Gott ist es, der nimmt. Gott, der das Samenkorn auf gutem Boden wachsen und hundertfach Frucht bringen lässt, der ist es auch, der sein Wort bei den Jüngern wachsen und Frucht bringen lässt. Sie verstehen die Geheimnisse des Himmelreichs immer besser, werden im Glauben gestärkt und lernen dabei, nach Gottes Vorbild Liebe zu üben. Der Heilige Geist schenkt allen, die willig Gottes Wort hören, immer größeres Verstehen. Aber er handelt auch an den Menschen, die sein Wort ablehnen: Er nimmt ihnen am Ende die Möglichkeit, es überhaupt verstehen zu können; er „verstockt“ sie, wie die Bibel es nennt.

Solche Verstockung begegnet uns bereits im Alten Testament, und zwar beim Verhalten der Mehrheit Israels den Propheten gegenüber. So ließ Gott den Propheten Jesaja bereits bei dessen Berufung wissen, dass seine Botschaft auf felsigen Boden und in steinige Herzen fallen wird: „Verstocke das Herz dieses Volks und lass ihre Ohren taub sein und ihre Augen blind, dass sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren und genesen“ (Jesaja 6,10). Jesus zitiert den Jüngern dieses Schriftwort und macht ihnen klar, dass es sich auch in seiner Zeit bewahr­heitet: Viele strömen zwar herbei, um seine Gleichnisse zu hören und darüber zu staunen, aber die Geheimnisse des Himmelreich verstehen sie nicht. Die Jünger aber, die das Wort willig und demütig aufnehmen, die preist er selig: „Selig sind eure Augen, dass sie sehen, und eure Ohren, dass sie hören.“

Was lernen wir daraus? Wir lernen zweitens, dass wir uns das rechte Verständnis von Gottes Wort erbitten müssen. Von Gott kommt ja beides, das Verstehen und das Verstockt­sein. Lasst uns deshalb immer wieder um offene Augen und Ohren bitten – und zwar um offene Augen des Glaubens und um offene Ohren des Herzens! Nur so können wir Gottes Wort richtig verstehen, nur mit solcher Demut, als Jünger des Herrn. Das Dranbleiben an Gottes Wort ist zwar wichtig, aber es nützt nichts, wenn wir nicht zugleich drunter bleiben unter Gottes Wort. Wir müssen volles Vertrauen mitbringen, die Bibel als Gottes unfehlbares Wort hoch in Ehren halten und auf alles Herum­kritisieren verzichten.

Es gab mal einen Theologie­professor, der hat sich so intensiv mit dem Neuen Testament beschäftigt wie kaum ein anderer. Er wusste bestimmt zehnmal mehr über die Bibel als wir alle zusammen. Und doch saß er am Ende wie ein Häufchen Elend zwischen seinen gelehrten theo­logischen Kommentaren und verstand nicht mehr, was Jesus denn eigentlich sagen wollte. Warum? Er ging historisch-kritisch an die Bibel heran, das heißt, er legte sie nicht anders aus als jedes andere Buch. Das ist die Tragik einer weit verbreiteten theo­logischen Haltung bis zur heutigen Zeit: Man fragt nicht danach, was Gott selbst durch die Bibel offenbart, sondern man fragt danach, wie sich die Autoren der Bibel Gott vorgestellt haben und was sie über ihn gedacht haben, und oftmals steht man dem dann kritisch gegenüber. Das ist ein großer Fehler. Denn wer selbst entscheiden will, was in der Bibel Gottes Botschaft ist und was nicht, der kann zur Glaubens­stärkung auch gleich eine Kerze anzünden und sich warme Gedanken machen.

Ich komme noch einmal auf die Selig­preisung zurück, die Jesus seinen Jüngern gesagt hat: „Selig sind eure Augen, dass sie sehen, und eure Ohren, dass sie hören. Wahrlich, ich sage euch: Viele Propheten und Gerechte haben begehrt zu sehen, was ihr seht, und haben’s nicht gesehen, und zu hören, was ihr hört, und haben’s nicht gehört.“ Offen­sichtlich geht es hier nicht nur um Jesu Gleichnisse und darum, dass die Jünger deren Sinn richtig verstehen. Offen­sichtlich geht es hier auch darum, dass die Apostel Jesus persönlich gekannt haben – den Messias, den viele Propheten in den Jahr­hunderten vorher nur aus der Ferne geschaut und angekündigt hatten. Das bedeutet: Die „Geheimnisse des Himmel­reichs“ erfüllen sich in Jesus Christus persönlich, in dem lange herbei­gesehnten Erlöser. Er hat nicht nur Gottes Wort verkündigt mit mancherlei Gleichnissen und Bildworten, sondern er hat Gottes Wort mit seinem Lebensweg auch zur Vollendung gebracht, vor allem mit seinem Sterben und Auferstehen. Auch der 78. Psalm, der Jesu Gleichnisse und Gottes­geheimnisse weissagt, mündet in der Ankündigung des Davidssohns aus dem Stamm Juda.

Was lernen wir daraus? Wir lernen drittens, dass wir Gottes Wort nur dann richtig verstehen, wenn wir es auf Jesus beziehen. Er ist ja das Fleisch gewordene Wort, er ist die Wahrheit in Person, er ist der Anfänger und Vollender des Glaubens. Nur wer Jesus vertraut als Heiland und als eingeborenen Sohn des Vaters, kann die Bibel richtig verstehen. Und wie die Geheimnisse des Himmelreichs vom Ursprung aller Dinge her zu uns gelangen durch Gottes Wort, so führen sie uns auch hin zum Ziel aller Ding, nämlich zum ewigen Reich des Herrn Jesus Christus.

Lasst uns also drei Dinge mitnehmen: Erstens, dass wir Gottes Wort an uns heranlassen und dranbleiben. Zweitens, dass wir uns das rechte Verständnis von Gottes Wort erbitten. Und drittens, dass wir Gottes Wort stets auf unsern Herrn und Heiland Jesus Christus beziehen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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