Das Erntefest des Heiligen Geistes

Predigt über Apostelgeschichte 2,40-41 zum Pfingstsonntag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ursprünglich war das Pfingstfest ein Erntefest. Es wurde im alten Israel zum Abschluss der Getreide­ernte gefeiert. Der Beginn der Getreide­ernte fiel mit dem Passafest zusammen. Sieben Wochen oder fünfzig Tage später feierte man dann das Pfingstfest. Das Wort „Pfingsten“ kommt vom griechischen Wort „pente­koste“, das heißt „fünfzig­ster“.

Gott hat es so gefügt, dass diese beiden Feste mit Jesus und dem neuen Bund einen anderen Sinn bekamen: Das Passafest wurde zum Osterfest beziehungs­weise zum Auf­erstehungs­fest unser Herrn Jesus Christus, und das Pfingstfest wurde zum Fest der Ausgießung des Heiligen Geistes fünfzig Tage nach Ostern. Wenn wir die alte Bedeutung des Pfingst­festes berück­sichtigen, dann können wir es ein Erntefest des Heiligen Geistes nennen. Beim Pfingstfest der Apostel wurden dreitausend Menschen­seelen als Ernte für Gottes Reich eingebracht: dreitausend Leute kamen zum Glauben an Jesus Christus und ließen sich taufen. Nach einem Erntefest des Heiligen Geistes klingt auch der Vers aus dem Pfingstlied, das der Chor vorhin gesungen hat: „Güldner Himmels­regen, / schütte deinen Segen / auf das Kirchenfeld; / lasse Ströme fließen, / die das Land begießen, / wo dein Wort hinfällt, / und verleih, / dass es gedeih, / hundert­fältig Früchte bringe / und ihm stets gelinge.“

Eine gute Ernte kann es nur dann geben, wenn zuvor guter Same ausgestreut wurde. Bei der geistlichen Ernte ist der Same Gottes Wort; wir kennen das aus Jesu Gleichnis vom vierfachen Acker. Wie jedes Weizenkorn das Potenzial einer voll­ständigen Getreide­pflanze in sich trägt, so trägt das Evangelium von Jesus Christus das vollständige Potenzial des neuen, ewigen Lebens in sich. Weil Jesus selbst das Fleisch gewordene Wort Gottes ist, so ist er auch das Weizenkorn, das mit seinem Tod in die Erde gefallen und erstorben ist, mit seiner Auferstehung aber zu einer neuen Pflanze wurde. Diese Pflanze hat dann zu Pfingsten erste Früchte getragen. Da empfingen seine Jünger durch den Heiligen Geist den Mut und die richtigen Worte, um das Evangelium aus­zustreuen. In der Apostel­geschichte ist eine lange Predigt des Petrus doku­mentiert; darin hat der Apostel eindrucks­voll nach­gewiesen, dass Jesus der Christus ist, der lang erwartete Messias, und dass er die Macht des Todes überwunden hat. Aber diese lange Predigt war noch nicht alles. Wir hören: „Auch mit vielen andern Worten bezeugte er das und ermahnte sie“; die übrigen Jünger haben es ebenso gemacht. Bis heute ist jede rechte christliche Predigt guter Same des Heiligen Geistes, der ausgestreut wird, um Frucht zu bringen. Seine Kraft hängt nicht von der Menge ab: In einem Zentnersack voller Saatgetreide findet man grund­sätzlich nichts anderes als in einem einzigen Korn. So werden die vielen langen Predigten der Apostel am Pfingsttag vollständig mit diesem einen kurzen Satz zusammen­gefasst: „Lasst euch erretten aus diesem verkehrten Geschlecht!“

Das ist eine Aufforderung zum Glauben an Jesus – aber andererseits nicht direkt eine Auf­forderung. Eigentlich steht der Satz nämlich im Passiv: „Werdet errettet aus diesem verkehrten Geschlecht!“ Also nicht: Tut etwas, um gerettet zu werden!, sondern: Lasst es zu, dass Gott etwas bei euch tut, damit ihr gerettet werdet! Widersetzt euch nicht dem Heiligen Geist, der euch erneuern und fit machen will für ein gutes, echtes, Gott gefälliges, ewiges Leben! Das Wort des Evangelium ist also nicht einfach nur eine Auf­forderung, der man aktiv nachkommen muss, sondern es ist, wie gesagt, Saatgut, das in eine Menschen­seele fällt und dort von sich aus Frucht bringt, so denn der Mensch es nicht im Keim erstickt. „Werdet errettet“, das ist Gottes wirk­kräftiges Schöpfungs­wort – ebenso wie er am Anfang der Welt sagte: „Es werde Licht!“

Rettung bedeutet nicht nur, etwas Neues und Gutes geschenkt zu bekommen, sondern auch, aus etwas Altem und Schlechtem heraus­gerettet zu werden. Darum heißt es in der zusammen­gefassten Pfingst­botschaft auch: „Lasst euch erretten aus diesem verkehrten Geschlecht!“ So jedenfalls steht es in der revidierten Lutherbibel. Luther selbst übersetzte ursprünglich anders: „Lasst euch erretten von diesen unartigen Leuten!“ Was das bedeutet, bringt die Volxbibel ziemlich gut auf den Punkt: „Diese Gesellschaft ist auf einem total verkehrten Weg! Lasst euch da rausretten!“ Das gilt heute noch genauso wie vor 2000 Jahren. Unsere Gesellschaft ist geprägt von Gott­losigkeit, Egoismus, Habgier und Lüge. Da müssen wir ganz nüchtern feststellen, auch wenn diese Wahrheit unangenehm ist: Wenn uns nicht der Heilige Geist aus diesen Unarten herausrettet und durch Jesus Vergebung schenkt, dann bleiben wir so in ihnen verstrickt, dass wir daran zugrunde gehen. Nur Jesus kann uns heraus­helfen, nur das Wort des Evangeliums!

Dieses Wort kommt zu uns nicht nur in der Bibel gedruckt und in der Predigt verkündigt, sondern auch verbunden mit heiligen Zeichen, die Jesus selbst gestiftet hat. Da ist an erster Stelle die Taufe zu nennen. Jesus hat sie seinen Jüngern anvertraut mit den Worten: „Macht zu Jüngern alle Völker; tauft sie!“ (Matth. 28,19) Das haben die Apostel dann beim Pfingstfest auch fleißig getan. Wir lesen: „Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen…“ Auch hier steht im Urtext eigentlich das Passiv: Sie wurden getauft. Die heilige Taufe ist gewisser­maßen ein Rettungs­ring, den Jesus einem Menschen zuwirft; der Glaube bedeutet dabei, ihn anzunehmen und sich daran fest­zuklammern. In der Taufe handeln eigentlich nicht Menschen, sondern Gott, und rettet so Menschen vor dem Untergang. Gott hat die Taufe für den Anfang eines Christen­lebens eingesetzt, und darum ist es nicht ver­wunderlich, dass gleich beim ersten christlichen Pfingstfest so viele Menschen getauft wurden. Im weiteren Verlauf der Apostel­geschichte hören wir immer wieder davon, dass Leute sofort getauft wurden, als sie das Evangelium hörten und annahmen. Oft haben sie ihre Angehörigen gleich mit taufen lassen ein­schließlich ihrer Kinder, damit auch diese Gottes Rettungsring in ihrem Leben vorfinden.

Beim ersten Pfingstfest wurden etwa dreitausend Menschen getauft. Von da an gehörten sie zur Jüngerschar, zur christlichen Kirche und Gemeinde. Was für eine gewaltige Zahl! Ich glaube, wenn an einem einzigen Tag dreitausend Menschen bei uns getauft werden wollten, dann hätten wir enorme praktische Probleme. Dreitausend Menschen würden ja nicht einmal in den Fürsten­walder Dom passen, geschweige denn all die Angehörigen, die sie eventuell mitbringen. Vielleicht müssten wir für so eine Massentaufe die Freichlicht­bühne im Stadtpark mieten. Aber ich bin überzeugt: Wenn es so kommen würde, dann würde uns der Heilige Geist schon Lösungen zeigen, dass wir das auch bewältigen könnten. Ich frage mich aber: Warum waren es damals gerade dreitausend Leute, und warum ist diese Zahl wichtig genug, um in der Bibel überliefert zu werden? Ich habe eine Vermutung. Als Jesus das Gleichnis vom vierfachen Acker erzählte, da meinte er zum Schluss: „Und einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und brachte Frucht, und einiges trug dreißigfach und einiges sechzigfach und einiges hundert­fach“ (Markus 4,8). Dreißigfach steht also für den Anfang von Gottes Ernte; aus einem Saatkorn werden da dreißig Erntekörner. Die Jüngerschar, die nach Christi Himmelfahrt in Jerusalem auf den Heiligen Geist wartete, bestand aus gut hundert Personen; so ist es in der Apostel­geschichte überliefert. Als zu Pfingsten etwa dreitausend weitere Personen hinzukamen, hat sich die Gemeinde dadurch ungefähr verdreißig­facht. Da begann die Ernte des Heiligen Geistes, da begann das Wachstum des Gottes­reiches, wie Jesus es auch mit anderen Gleichnissen vorhergesagt hatte: Ein Senfkorn wird zur großen Staude, und ein bisschen Sauerteig durchsäuert eine große Menge Teig. Auch wenn bei uns und in unserer Zeit die Kirche nicht so rasant wächst wie damals, wächst sie doch stetig immer weiter – mit jedem einzelnen Menschen der zum Glauben kommt und getauft wird.

Im Alten Israel war das Pfingstfest ein Erntefest. Aber auch für uns, das neue Israel, ist Pfingsten ein Erntefest: das Erntefest des Heiligen Geistes. Wir können Gott nicht genug rühmen und danken dafür, dass wir zu Gottes Ernte gehören, hervor­gegangen aus dem Samen des Evangeliums, heraus­gerettet aus einer in Sünde verstrickten Menschheit, gereinigt durch die heilige Taufe, erlöst zum ewigen Leben und berufen mitzuhelfen, dass Gottes guter Same weiter ausgestreut wird und Gottes Erntefest weitergeht. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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