Gemeinsam beten

Predigt über Matthäus 18,19-20 zum Sonntag Rogate

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Beten ist das Atmen des Glaubens. Genauer gesagt: das Ausatmen des Glaubens. Geistliches Einatmen bedeutet auf Gottes Wort hören, die Vergebung der Sünden und das Heilige Abendmahl empfangen. Geistliches Ausatmen dagegen heißt Gott ansprechen, zu ihm beten, ihn um Hilfe bitten.

Als Jesus in der Bergpredigt seine Jünger beten lehrte, sprach er zunächst vom Beten im „stillen Kämmerlein“. Er wollte damit sagen: Niemand soll aus seinem Beten eine Show machen, und niemand soll seine Worte als Gebet tarnen, wenn er in Wahrheit anderen Menschen etwas mitteilen möchte. Es gibt Gebets­anliegen, die gehen nur Gott und mich etwas an, da brauchen andere nichts von zu wissen, und die gehören in’s „stille Kämmerlein“. Aber nach seinen Ausführungen über das einsame Beten lehrte Jesus seine Jünger das gemeinsame Beten, nämlich das Vaterunser. Da sehen wir schon in der Anrede, dass es dabei um das gemeinsame Beten geht – schließlich beginnt das Vaterunser mit „Vater unser“, nicht mit „Vater mein“. Damit sind wir beim Thema des Sonntags Rogate. „Rogate“ ist eine Aufforderung in der Mehrzahl und heißt auf Deutsch „bittet“ oder „betet“. Hiermit werden Jesu Jünger zum gemeinsamen Beten auf­gefordert, denn sonst müsste da die Einzahl „roga“ stehen, auf Deutsch „bitte“ oder „bete“.

Um das gemeinsame Beten geht es auch in unserem Predigttext. Jesus gibt seinen Worten besonderes Gewicht mit der Einleitung: „Wahrlich, ich sage euch…“; oder wörtlich übersetzt: „Amen, ich sage euch…“ Während wir das Amen meistens ans Ende unserer Gebete stellen, hat Jesus sein Amen immer an den Anfang seiner Worte gesetzt: Amen, wahrlich, das gilt, das ist verlässlich, was ich ich euch jetzt sage.

Und dann fuhr Jesus fort: „Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, worum sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel. Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ Jesus gibt den gemeinsam Betenden hier eine doppelte Verheißung: Erstens, sagt er, wird der himmlische Vater eure Gebete erhören, und zweitens werde ich selbst bei eurem Beten gegenwärtig sein. Jesus will damit keineswegs in Frage stellen, dass das auch für den einsamen Beter im „stillen Kämmerlein“ zutrifft. Auch der einsame Beter hat die Verheißung, dass der Vater ihn hört und dass Jesus ihm nahe ist. Aber die christliche Gemeinschaft empfängt noch eine besondere Verheißung des Herrn. Es liegt ein besonderer Segen darauf, wenn wir zum Beten und zum Gottesdienst­feiern zusammen­kommen.

Jesus will uns damit motivieren, dass wir es auch wirklich tun. So wichtig das einsame Gebet des einzelnen Christen ist, niemand sollte sich damit genügen lassen. Niemand sollte denken, dass der christliche Glaube eine reine Privatsache ist, der man nur im stillen Kämmerlein und in seinem Herzen nachzugehen braucht. Darum hat Gott auch den Feiertag geheiligt und uns ans Herz gelegt, dass wir die christlichen Ver­sammlungen nicht ver­nachlässigen sollen. Und darum ist es auch wichtig, denen die christliche Gemeinschaft ins Haus zu bringen, die nicht mehr in die Kirche kommen können. Eine Gottesdienst­übertragung im Fernsehen mag tröstlich und erbaulich sein, ein Ersatz für den Gemeinde­gottesdienst ist sie nicht. Das merken wir besonders bei der Feier des Heiligen Abendmahls, wo sich Christi Verheißung in ganz besonderer Weise erfüllt: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“

Worin liegt nun aber der besondere Wert des gemeinsamen Betens, dass Jesus es uns so ausdrücklich ans Herz legt? Ich möchte das anhand einiger Beispiele erläutern.

Neben dem Vaterunser gibt es einige andere Gebete und Gebetsrufe, die schon sei ältesten Zeiten in der christlichen Gemeinde zu Hause sind. Dazu gehört der Ruf: „Kyrie eleison!“ – „Herr, erbarme dich!“ Dieser Gebetsruf bedeutet dasselbe wie das noch ältere hebräische „Hosianna“. Er ist nicht nur eine Bitte um Gottes unverdiente Hilfe, sondern er ist zugleich eine Huldigung und ein Lobpreis der göttlichen Barmherzig­keit. Mit diesem Ruf pflegten antike Völker ihren Herrschern zu huldigen. Dabei spielte das Wir-Gefühl eine wichtige Rolle: Wir, das Volk, sind darauf angewiesen, dass du, unser Herrscher, dich über uns erbarmst; dabei vertrauen wir dir, dass du uns wirklich helfen kannst uns willst. Man kennt das auch noch heute, dass eine Menschen­menge gemeinsam jubelt oder gemeinsam etwas ruft und dabei die Gemeinschaft besonders intensiv empfindet. So ist das mit dem Kyrie-Ruf im Gottes­dienst: Wenn wir immer wieder so beten und singen, empfinden wir uns als Gottes Volk, das seinen Herrn und König grüßt. Jesus antwortet uns mit dem verläss­lichen Versprechen: „Es soll euch widerfahren von meinem Vater im Himmel.“ Mit anderen Worten: Ja, Gott erbarmt sich euer; er kann euch helfen und er will euch auch helfen; er tut es jetzt auch in diesem Gottesdienst durch sein Wort und Sakrament.

Nicht nur im Gottes­dienst, sondern auch bei anderen Zusammen­künften der Gemeinde wird gemeinsam gebetet: in Bibel­stunden, im Kirchen­vorstand, bei der Singchor­probe und besonders bei unserem wöchent­lichen Gebetskreis. Manchmal ist es nur das Vaterunser, manchmal sind es andere vor­formulierte Gebete, manchmal kommen aber auch ganz konkrete Bitten zu Sprache, über die man sich zuvor verständigt hat. Es ist so, wie Jesus sagte: „Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, worum sie bitten wollen…“ Das ist wichtig für das gemeinsame Beten: Man soll sich darüber ver­ständigen, wofür gebetet wird. Die Gebets­anliegen sollen wirklich gemeinsame Anliegen sein; andernfalls gehören sie ins „stille Kämmerlein“. Dieses Austauschen und dann Einswerden im Gebet hat einen Wert an sich. Im griechischen Urtext findet man dafür das Wort „symfonein“ – das kling nach „Sinfonie“, und damit hat es auch tatsächlich zu tun. Bei einer Sinfonie klingen nämlich die Stimmen ver­schiedener Musik­instrumente zusammen und bilden dabei eine klangliche Einheit. So sollen sich auch unsere Stimmen vor Gottes Ohren zu einer Gebets-Sinfonie vereinen. Wir selbst aber, die wir uns über unsere Gebets­anliegen austauschen, wachsen dabei als Leib Christi zusammen, wo einer des andern Last trägt und wo einer an den Sorgen und Freuden des anderen Anteil nimmt. Dabei kann dann auch einer den anderen darauf aufmerksam machen, wie wunderbar Gott unsere Gebete erhört, und wir können ihm dann gemeinsam dafür danken.

Immer wieder geschieht es, dass Christen ver­schiedener Kirchen und Konfessionen zusammen­kommen und dabei gemeinsam beten. Das ist zum Beispiel bei der jährlichen Allianz-Gebetswoche im Januar der Fall. Nun ist es ja so, dass wir von Christen anderer Konfessionen leider durch bestimmte Bekenntnis-Unterschiede getrennt sind. Die Unterschiede in den Gottesdienst­formen und Traditionen sind gar nicht so ent­scheidend; es geht vielmehr um Unterschiede im Verständnis der christlichen Lehre. Wir dürfen sie nicht auf die leichte Schulter nehmen und auch nicht unter den Teppich kehren, denn es geht ja nicht um unsere Lehre, sondern um die Lehre des Herrn Jesus Christus, der seinen Jüngern aufgetragen hat: „Lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe“ (Matthäus 28,20). Aus diesem Grund können wir zum Beispiel nicht mit denjenigen zusammen das Heilige Abendmahl feiern, die die leibliche Gegenwart des Herrn in Brot und Wein abstreiten. Aber gemeinsam beten, das können wir, und das tun wir auch. Dabei wird die Bitte um geistliche Einheit einen Schwerpunkt bilden – die Bitte, dass der Heilige Geist uns helfen möge, die Wahrheit zu erkennen und alles Trennende zu überwinden.

Es ließen sich noch viel mehr Beispiele finden für den Segen des gemeinsamen Betens. Da ist zum Beispiel das gemeinsame Tischgebet in der christlichen Familie und die Hausandacht. Oder da gibt es spontane Gebets­gemeinschaf­ten in besonderen Notlagen. Oder da gibt es das Beten mit kleinen Kindern oder mit dementen Alten, wo die Münder einiger das vor Gott aussprechen, was die Münder der anderen nicht aussprechen können. In jedem Fall gilt die wunderbare Verheißung unsers Herrn: „Wahrlich, ich sage euch: Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, worum sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel. Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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