Bei Gott zu Hause sein

Predigt über Psalm 100 zum Sonntag Miserikordias Domini

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Am Ende einer Reise nach Hause zu kommen ist schön. Manche Leute finden es zu Hause so schön, dass sie am liebsten gar nicht verreisen. Andere Leute leiden darunter, dass sie kein richtiges Zuhause haben: Obdachlose zum Beispiel, oder Gefangene, oder Flüchtlinge. Wir können Gott sehr dankbar sein für unser Zuhause. Aber besonders dankbar können wir sein für unser geistliches Zuhause: Das ist unsere Gemeinde und unsere Kirche hier, denn da sind wir beim himmlischen Vater zu Hause, zusammen mit unseren geistlichen Ge­schwistern.

In Verden an der Aller gibt es eine lutherische Kirche, die sieht wie ein Schafstall in der Lüneburger Heide aus. Man hat sie mit Absicht so gebaut. Bei Gott zu Hause sein bedeutet nämlich, zu seiner Schafherde zu gehören. Das ist natürlich nur ein Bild, ein Gleichnis: Wir sind ja Menschen, keine Schafe; und Gott ist unser lieber Vater, kein Schafbauer, der uns wegen der Wolle oder des Fleisches hält, oder damit wir einen Deich festtreten. Das Gleichnis sagt einfach: Wir sind bei Gott zu Hause. Wir sind sein Volk, seine Familie. Wir gehören zu ihm und er zu uns. wir stehen in einer besonderen Beziehung zu ihm. Das ist die Mitte unseres Glaubens, und das ist auch die Mitte des 100. Psalms. Da heißt es: „Wir sind sein Volk. Wir sind Schafe in seiner Hut.“

Warum sind wir das? Wir sind es aus einem doppelten Grund: durch Geburt und Wieder­geburt. Wenn man in einer Familie zu Hause ist, dann ist man das durch Geburt oder Adoption. So ähnlich ist das mit unserem geistlichen Zuhause bei Gott. Da ist einmal unsere natürliche Geburt: Gott hat mir Leib und Seele geschenkt, als ich im Leib meiner Mutter heranwuchs und dann zur Welt kam. Und da ist zweitens die Wieder­geburt, die neue Geburt aus Wasser und Geist durch Taufe und Glaube. Die Menschen hatten sich von Gottes Familie losgesagt, aber Gott möchte sie erneut zu seinen Kindern machen, möchte sie gewisser­maßen neu adoptieren und nach Hause bringen. Wohl dem, der das erkennt und annimmt! Im 100. Psalm heißt es darum: „Erkennt, dass der Herr Gott ist! Er hat uns gemacht und nicht wir selbst zu seinem Volk und zu Schafen seiner Weide.“

Ja, wir sind nun wieder zu Hause bei Gott. Jesus Christus hat uns in unser geistliches Zuhause zurück­gebracht. Gott hat uns neu zu seinen Kindern gemacht, zu seinem Volk, zu „Schafen seiner Weide“. Der Schafstall und der eingezäunte Bereich um den Stall herum bildet das Zuhause der Schafe. Zu alt­testament­lichen Zeiten war der Tempel mit seinen Vorhöfen das geistliche Zuhause für das Volk Israel, und noch früher die Stiftshütte am Berg Sinai, um die herum die Menschen in ihren Zelten wohnten. Man blieb dicht zusammen, um vor Feinden geschützt zu sein. Aus demselben Grund trieb ein Hirte abends seine Schafherde in das Gehege, denn dort konnte er sie besser beschützen. Und aus demselben Grund hatten bereits damals viele Städte eine Stadtmauer und Stadttore. Im Mittelalter wohnten viele Menschen im Umkreis einer Burg und standen unter dem Schutz des Burgherren; man nannte sie deshalb „Bürger“. Noch heute kann man in vielen Städten mittel­alterliche Stadtmauern und Stadttore besichtigen. Das alles zeigt uns, was es bedeutet, bei Gottt zu Hause zu sein. Gott ist unser Burgherr und unsere feste Burg, Gott ist der Tempel in unserer Mitte, Gott ist unser Hirte und unsere Zuflucht am Schafstall. Darum heißt es im 100. Psalm: „Gehet zu seinen Toren ein mit Danken, zu seinen Vorhöfen mit Loben!“

Ihr habt vielleicht gemerkt: Wir schauen uns diesen Psalm von der Mitte her an. Dieser Satz steht in der Mitte und ist auch inhaltlich die Mitte: „Wir sind Gottes Volk. Wir sind Schafe in seiner Hut.“ Davor steht die Auf­forderung, glaubend zu erkennen: Gott der Herr hat uns dazu gemacht. Und dahinter steht die Auf­forderung, immer wieder dahin zu gehen, wo unser Zuhause ist – nicht gezwungener­maßen und mürrisch, sondern fröhlich, mit Lob und Dank. Um diesen Psalmkern herum gruppieren sich dann noch zwei Teile, die diese Worte aufnehmen und vertiefen. Der Anfangsteil vertieft den Aufruf zum Gotteslob: „Jauchzet dem Herrn, alle Welt! Dienet dem Herrn mit Freuden, kommt vor sein Angesicht mit Frohlocken!“ Der Schlussteil aber vertieft den Aufruf zur erkennen, was wir für einen wunderbaren Gott haben: „Denn der Herr ist freundlich, und seine Gnade währet ewig und seine Wahrheit für und für.“ Beide Teile hängen über den Psalmkern zusammen; sie bilden gewisser­maßen einen Rahmen oder eine Klammer. Das Gemeinsame dieser beiden Teile können wir mit den Wörtern „Ruhm“ und „Ehre“ beschreiben.

Es ist einmal des Herrn Ruhm und Ehre, dass er so freundlich ist. Er ist nicht nachtragend, sondern vergibt uns unsere Schuld und nimmt uns liebevoll auf, wenn wir zu ihm heimkehren. Wir brauchen uns diese Freundlich­keit nicht zu verdienen, denn bei Gott gilt nicht das Leistungs­prinzip, das bei uns Menschen eine große Rolle spielt. Gott ist gnädig und handelt nicht mit uns nach unseren Werken, sondern nach seiner Liebe, die in Jesus offenbar geworden ist. Er tut es nicht nur heute, sondern er bleibt für immer dabei – sogar über das Ende unseres Erdenlebens hinaus! Ja, „seine Gnade währet ewig und seine Wahrheit für und für.“ Statt Ruhm und Ehre können wir in heutigem Deutsch auch „Marken­zeichen“ sagen: Un­vergängliche Freundlich­keit, Güte und Gnade sind Gottes Marken­zeichen.

Aber Ruhm und Ehre bezeichnen zugleich auch unser Gotteslob. Wir rühmen den Herrn und wir ehren ihn; zumindest sollten wir das tun. Und wir sollten es nicht zu leise tun: „Jauchzen“ heißt laut rufen! Und wir können die Kraft der Stimmbänder dann auch noch mit Orgel­pfeifen, Trompeten und anderen Musik­instrumenten verstärken. Das ist der Dienst der „Leiturgia“, der Liturgie; er gefällt unserm Herrn genauso wie der Dienst der „Diakonia“, der Nächsten­liebe. Darum heißt es: „Jauchzet dem Herrn, alle Welt! Dienet dem Herrn mit Freuden!“

Wir sehen nun, woraus diese Klammer, dieser Rahmen des 100. Psalms, besteht: Gottes Ruhm und unser Rühmen. Beides gehört un­zertrennlich zusammen – so wie wir un­zertrennlich zu Gott gehören, zum himmlischen Vater, zu seinem Haushalt, zu seinem Reich, zu seinem Volk, zu seiner Schafherde. Wenn wir im Glauben erkennen, wer der Herr ist und wie er zu uns steht, dann ergibt sich daraus zwangsläufig das Bekennen. So bekennen wir in jedem Gottesdienst ausdrücklich unsern Glauben – auch das ist ein Gotteslob. Manche Leute haben etwas gegen Dogmen, also gegen Glaubens­lehren, weil sie die für trocken und tot halten. Sie würden ihre Meinung ändern, wenn sie wüssten, dass die griechischen Wörter „Dogma“ und „Doxa“ eng verwandt sind: „Dogma“ heißt „Lehre“, „Doxa“ heißt „Ehre“! Glaubens­lehren sind also nicht dazu da, einfach nur wie mathe­matische Formeln gelernt zu werden, sondern sie sind zugleich Jauchzer zu Gottes Ehre. Das hat dann noch den wunderbaren Neben-Effekt, dass wir uns durch lautes Bekennen des Glaubens gegenseitig in diesem Glauben bestärken und auch vor anderen Menschen bezeugen, was für einen wunderbaren Gott wir haben.

Wie Gott nie aufhört, uns zu lieben, so lasst uns nie aufhören, ihn zu loben! Er hat uns geschaffen und neu geschaffen; er hat uns geboren und neu geboren; er hat uns ein irdisches Zuhause geschenkt und ein geistliches Zuhause. Und einst wird er uns ein ewiges Zuhause schenken, wie Jesus verheißen hat: „In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen“ (Joh. 14,2). Darum: „Gehet zu seinen Toren ein mit Danken!“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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