Mein Erlöser lebt und macht lebendig

Predigt über Hiob 19,25-27 zum Ostersonntag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Was meint ihr: Wie lange braucht ein Pfarrer, und eine Predigt vor­zubereiten? Zwei Stunden? Einen ganzen Tag? Oder gar eine Stunde pro Predigt­minute, wie ein Experte mal empfohlen hat? Ich werde euch sagen, wie lange ich brauche: So lange, bis ich fertig bin. Das kann unter­schiedlich lange dauern; es hängt auch nicht mit der Länge des Predigttexts oder der Predigt zusammen. Als ich mir meinen Oster-Predigttext vornahm, dachte ich: Damit werde ich schnell fertig sein; die Botschaft ist ja klar und einfach. Aber als ich mich dann an die Auslegung machte, begegneten mir einige knifflige Fragen. So habe ich mehr Zeit als üblich für die Vorbereitung dieser Predigt benötigt. Man kann es auch so ausdrücken: Gott schickte mich auf eine längere Entdeckungs­reise mit seinem Wort. Das gehört ja zu den Freuden meines Berufes dazu, dass ich immer wieder „Dienst­reisen“ durch die Bibel unternehmen darf. So möchte ich euch heute mit dieser Osterpredigt auf meine Reise durch die drei Verse aus dem Buch Hiob mitnehmen.

Wer ein Bibelwort verstehen will, muss auf seinen Zusammenhang achten. Darum habe ich mir bei meiner Vorbereitung die gesamte Rede Hiobs durch­gelesen, zu der unser Predigttext gehört. Dabei stellte ich fest: Der ganze Rest dieser Rede besteht nur aus Jammer, Klage und Anklage gegen Gott. Da ruft der leidgeprüfte Hiob: „Gott hat mir Unrecht getan!“‑ „Gott hat meinen Weg vermauert!“ – „Gott hat mir mein Ehrenkleid ausgezogen!“ – „Gott hat die Krone von meinem Haupt genommen!“ – „Gott hat mich zer­brochen!“‑ „Gott hat meine Hoffnung wie einen Baum aus­gerissen!“ Aber mittendrin steht wie ein Fremdkörper dieses Bekenntnis: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“ Da stellt sich die Frage: Woher hat Hiob plötzlich diese Gewissheit? Woher kommt diese Zuversicht, so völlig un­vorbreitet? Keines meiner klugen Bücher konnte mir diese Frage überzeugend beantworten. Sie kann letztlich auch nicht mit menschlicher Weisheit beantwortet werden, sondern nur aus dem Glauben,und so zwar so: Der Heilige Geist muss dem Hiob das eingegeben haben. Als Hiob in seiner tiefsten Verzweiflung steckte, machte Gott ihn zu seinem Propheten und ließ ihn vom Erlöser Jesus Christus weissagen – lange, bevor der ein Mensch wurde.

„Ich weiß“, bekennt Hiob in der Kraft des Heiligen Geistes. Das strahlt Zuversicht aus. Ich habe es mir bei meiner Predigt­vorbereitung gegönnt, die herrliche Arie aus dem Messias zu hören, die Georg Friedrich Händel zu diesem Bibelwort komponiert hat: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebet.“ Händels Musik unter­streicht die Glaubens­zuversicht des Satzes. Ach, dass wir uns doch alle so zu unserm lebendigen Erlöser bekennen würden! Es ist schade, dass manche Christen sich hier aus falscher Bescheiden­heit zurücknehmen und das Bekenntnis des Heiligen Geistes mit ihren menschlichen Zweifeln vermischen. Ich hoffe, sagen sie nur, oder: Ich vermute. Nehmen wir uns ein Beispiel am zutiefst ver­zweifelten Hiob, der trotz aller Anfechtung den Heiligen Geist nicht unter­drückte, sondern bekannte: Ich weiß.

Auf meinen Entdeckungs­reisen bei der Auslegung von Bibeltexten halte ich immer wieder an, um einzelne Wörter besonders unter die Lupe zu nehmen. So habe ich es auch mit dem Wort „Erlöser“ gemacht. Man kann dieses Wort auch mit „Rechts­beistand“ oder „Anwalt“ übersetzen. Wohlbemerkt: Es geht hier nicht um irgendeinen Rechts­beistand oder irgendeinen Awalt, sondern um meinen Rechts­beistand – also um den Anwalt, der sich meiner Rechtssache annimmt. Aber es steckt noch mehr in diesem Wort drin. „Erlöser“ bezeichnet ebenso eine Person, die den Rechts­frieden wieder­herstellt und eine Sache damit in Ordnung bringt. Das konnte in alten Zeiten zum Beispiel jemand sein, der einen Sklaven freikaufte. All das finden wir bei unserem auf­erstandenen Herrn Jesus Christus wieder. Er hat mich freigekauft aus der Sklaverei der Sünde; er hat mit seinem Blut teuer dafür bezahlt. Und nun lebt er wieder und vertritt mich bei seinem himmlischen Vater gegen den großen Ankläger, den Teufel. Christus hat den Rechts­frieden zwischen Gott und dem Sünder wieder­hergestellt, indem er die Strafe für alle Sünde auf sich nahm. Martin Luther hatte beim Bibelstudium die herrliche Erkenntnis, dass genau dies gemeint ist, wenn die Bibel von Gottes „Gerechtig­keit“ spricht; das war die Geburts­stunde der Reformation. Es geht dabei nicht um eine Gerechtig­keit, die Gott von uns fordert oder auf die wir bei Gott Anspruch hätten, sondern es geht um diejenige Gerechtig­keit, die Gott uns durch seinen Erlöser schenkt. „Ich weiß, dass mein Erlöser, mein Rechts­beistand, mein Heiland, lebt.“

Danach wird es allerdings knifflig. In der neusten Revision der Lutherbibel heißt es: „Als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen.“ Das hört sich völlig anders an, als was Luther selbst ursprünglich übersetzt hat: „Er wird mich hernach aus der Erden aufwecken, und werde danach mit dieser meiner Haut umgeben werden und werde in meinem Fleisch Gott sehen.“ Wie denn nun: Wird er sich selbst erheben, oder werde ich auferweckt? Mit zer­schlagener Haut oder mit neuer Haut? Ohne mein Fleisch oder in meinem Fleisch? Ich muss gestehen: Ich war auf meiner Entdeckungs­reise an dieser Stelle so ratlos, dass ich erstmal zwei Tage Pause einlegte und etwas anderes machte. (Das kann man sich natürlich nur leisten, wenn man rechtzeitig mit der Predigt­vorbereitung anfängt.) Dann aber bin ich mit frischer Kraft wieder an die Arbeit gegangen und habe Folgendes heraus­gefunden: Der frisch revidierte Luthertext gibt den hebräischen Wortlaut grammatisch richtig wieder, der ur­sprüngliche Luthertext aber nimmt die ältesten Über­setzungen auf sowie auch die Auslegungen der alten Kirchen­väter. Das bedeutet nun nicht, dass die alle falsch übersetzt haben. Vielmehr haben sie den tieferen theo­logischen Sinne erfasst, den die wörtliche Übersetzung nicht hergibt. Das wird sofort klar, wenn wir die Oster­botschaft auf diese Worte beziehen. Der Erlöser wird sich „über dem Staub erheben“, heißt es wörtlich. Staub ist das, was übrig bleib, wenn der Leib eines Sünders im Tod verwest. In der Sündenfall-Geschichte sagt Gott zu Adam: „Du bist Erde und sollst zu Erde werden“ (1. Mose 3,19); für „Erde“ steht da dasselbe hebräische Wort, das wir bei Hiob für „Staub“ finden. Der Auf­erstandene erhebt sich also über dem Staub des todgeweihten Sünders – und zwar im doppelten Sinne: erstens durch seine eigene Auferstehung von den Toten, zweitens aber, indem er den Sünder dem Verhängnis des Todes entreißt, ihn mitzieht in seine Auferstehung und ihn ewig mit sich leben lässt. Das macht die alte Übersetzung des Hiobwortes deutlich, Luthers ur­sprüngliche Übersetzung: „Er wird mich hernach aus der Erde auf­erwecken.“ Aber wie? Als körperlosen Geist, wie die alten Griechen sich das vorstellten? Oder als wieder­belebte Leiche, so wie Lazarus oder die Tochter des Jairus? Ja, wie werden denn die Toten auferstehen am Jüngsten Tag? Das fragten sich auch die ersten Christen in Korinth. Der Apostel Paulus gab ihnen unter Verweis auf Christi Auferstehung eine wundervolle Antwort: „Es wird gesät verweslich und wird auferstehen un­verwes­lich… Es wird gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geistlicher Leib.“ (1. Kor. 15,43-44) Der auf­erstandene Herr Jesus Christus ist kein körperloser Geist, sondern er hat einen Leib und wurde auch leiblich wahrgenommen von den Zeugen seiner Auf­erstehung. Aber dieser Leib war doch ganz anders als unser irdischer, verweslicher Leib. So werden auch unsere Auferstehungs­leiber sein am Jüngsten Tag. Genau das ist es, was Hiob weissagte: Seine kranke Haut und sein verwesliches Fleisch werden vergehen, aber zugleich wird sein Erlöser ihm in der Auferstehung eine neue Haut und und einen herrlichen Auferstehungs­leib schenken. So bekennen wir es ja auch im Glaubens­bekenntnis, wenn wir von der „Auf­erstehung des Fleisches“ sprechen. Da sehen wir, dass die beiden ver­schiedenen Über­setzungen sich nicht wider­sprechen, sondern ergänzen: Die alte Haut ist zerschlagen, aber der Erlöser schenkt am Ende eine neue. Das alte Fleisch ist abgelegt und verwest, aber ein neues Fleisch wird auferstehen.

Dass es tatsächlich so gemeint ist, macht der folgende Satz klar: „Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder.“ Hiob bekennt, dass er am Ende den Erlöser mit eigenen Augen sehen wird. Wenn er aber eigene Augen haben wird, dann muss er auch wieder einen eigenen Leib haben. Der Heilige Geist hat es ihm alles ganz wunderbar gezeigt und in den Mund gelegt. Er hat es nicht zuletzt auch für uns getan, damit wir die Zuversicht gewinnen: Mein Erlöser lebt! Hiobs Weissagung bekräftigt die Oster­botschaft, und die Oster­botschaft legt Hiobs Weissagung aus.

Am Ende finden wir noch einen Stoßseufzer des viel­geplagten Hiob: „Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.“ So jedenfalls steht es im revidierten Luthertext. Diesmal ist der Original-Luthertext wörtlicher, denn da heißt es: „Meine Nieren sind verzehret in meinem Schoß.“ Mit Leib und Seele sehnt sich der kranke Hiob nach seinem Erlöser und nach dem herrlichen Auf­erstehungs­leib, den der ihm schenken wird. Nicht nur durch sein Bekenntnis, sondern auch durch diese seine Sehnsucht wird er uns zum Vorbild. Der Apostel Jakobus meint dazu: „Von der Geduld Hiobs habt ihr gehört und habt gesehen, zu welchem Ende es der Herr geführt hat; denn der Herr ist barmherzig und ein Erbarmer“ (Jak. 5,11). So dürfen, so sollen auch wir uns nach unserem auf­erstandenen Erlöser sehnen und geduldig warten auf den Tag, an dem wir selbst auferstehen und mit einem neuen Leib in die ewige Seligkeit eingehen werden.

Falls aber einer von euch inzwischen Sehnsucht bekommen hat nach dem Ende dieser langen Entdeckungs­reise eines Bibel-Auslegers, dann gebe ich ihm diese gute Nachricht bekannt: Sie ist zuende; wir sind am Ziel. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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