Tobe, Welt, und springe, ich steh hier und singe

Predigt über Psalm 69,31-37 zum Sonntag Palmarum

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Folgendes habe ich oft miterlebt, und es wiederholt sich immer wieder: Ein Trauerzug begibt sich von der Friedhofs­kapelle zum Grab. Vorn gehen die Sargträger, dann kommen der Pfarrer und die nächsten Angehörigen, dahinter die Trauer­gemeinde. Alle sind dunkel gekleidet und zeigen ernste Gesichter. Einige weinen still vor sich hin. Am Grab wuchten die Träger den Sarg auf Balken über die offenen Grube, ergreifen die bereit­liegenden Seile, halten einen Momen inne und lassen ihn dann hinunter. Da beginnt die Gemeinde zu singen: „Christ ist erstanden von der Marter alle… Halleluja, halleluja, des solln wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein!“ Die Nicht­christen unter den Anwesenden wundern sich: Ist das jetzt wirklich der richtige Moment, um fröhlich Halleluja zu singen?

Ja, es ist der richtige Moment. „Tobe, Welt, und springe, ich steh hier und singe in gar sichrer Ruh.“ Es ist der richtige Moment, um zu singen – nicht nur Klagelieder, die langsam und leise den Herzschmerz bedienen, sondern vor allem Halleluja-Lieder, Lob‑ und Danklieder für Gott. Aber warum? Warum sollte man angesichts des Verlusts eines geliebten Menschen Gott fröhlich loben und danken? Und warum bringen Christen es angesichts des Todes fertig, das auch tatsächlich zu tun?

Der 69. Psalm gibt Antwort. Wir haben ihn in Ausschnitten als Eingangs­psalm gesungen. Dieser Psalm ist zu achtzig Prozent eine er­schütternde Klage. David wird von Feinden verfolgt und befindet sich in einem Zustand von Not und Todesangst. Einige seiner Leiden nehmen prophetisch die Leiden des Davidssohns Jesus vorweg. Da heißt es zum Beispiel: „Sie geben mir Galle zu essen und Essig zu trinken für meinen Durst.“ Aber dann kippt der Psalm unvermittelt um und wird in seinen restlichen zwanzig Prozent zu einem Loblieb; wir haben diese Verse eben als Predigttext gehört. Es ist das Dennoch des Glaubens, das alle Not und Traurigkeit überwindet – so wie der Halleluja-Choral am offenen Grab. „Tobe, Welt, und springe, ich steh hier und singe in gar sichrer Ruh!“ Und nun komme ich auf die Frage zurück: Warum ist das möglich? Warum kann David in großer Not und Todesgefahr ein Loblied singen? Und warum können Christen das auch tun, selbst wenn sie in tiefer Trauer stecken?

Die letzten sieben Verse des Psalms enthalten nicht nur ein Gotteslob, sondern auch eine Antwort auf diese Frage. Eigentlich sind es drei Antworten. Erstens: Es hilft uns und den Mitmenschen. Zweitens: Es entspricht unserm Lebenssinn. Drittens: Es zeigt unsere Hoffnung auf Gottes Hilfe.

Erstens: Das Gotteslob im Leid hilft uns und den Mitmenschen. Es heißt in unserm Psalmwort: „Die Elenden sehen es und freuen sich, und die Gott suchen, denen wird das Herz aufleben.“ Mit Jammern, Klagen und Trauern erfreuen wir niemanden, sondern wir ziehen uns und die anderen nur herunter. Jammern und Klagen verstärkt die Traurigkeit bei uns und bei anderen, wenn sich nicht das Gotteslob anschließt. Aber mit Lob und Dank trösten wir nicht nur uns selbst, sondern auch die anderen. Wir bezeugen ihnen damit, dass wir auch in großem Leid nicht verzagen, sondern uns bei Gott geborgen wissen. Wir bezeugen auch, dass wir auch unter großen Problemen und in ganz schwierigen Situationen immer noch viel Grund zum Fröhlichsein und Danken haben, denn Gottes Wort und Gottes Geist sind eine nie versiegende Quelle des Trostes und der Freude. Wir singen: „In dir ist Freude in allem Leide“, und andere hören es und können dadurch ebenfalls fröhlich werden. Ich erlebe zwar immer wieder, dass Nicht­christen sich über den getrosten Lobgesang von Christen bei Beerdigungen wundern, aber ich habe noch nie erlebt, dass sie sich darüber ärgern. Im Gegenteil: Es gibt ihnen zu denken, und vielleicht erwacht in ihnen der Wunsch: Das möchte ich auch lernen – im Angesicht des Todes getrost sein und Halleluja singen.

Zweitens: Das Gotteslob im Leid entspricht unserm Lebenssinn. Was ist denn unser Lebenssinn? Ganz einfach: Dass wir den Schöpfer ehren. Alles hat Gott zu dem Zweck geschaffen, dass es ihn lobt und ehrt. Darum heißt es auch in unserm Psalmwort: „Es lobe ihn Himmel und Erde, die Meere mit allem, was sich darin regt.“ Wenn wir Gott in allen Lebenslagen loben, dann stimmen wir einfach ein in den großen Chor aller Geschöpfe des Universums. Ob es ein Vogel ist, der singt, ein Libelle, die in der Luft tanzt, ein Stein, der schöne Maserungen zeigt oder ein Stern, der am Himmel funkelt: Alle rufen sie auf ihre Weise „Halleluja“ – „Lasst uns den Herrn loben!“ Wir Menschen haben viele Weisen, um Gott zu ehren: mit Arbeit zum Beispiel und mit dem Genießen dessen, was Gott uns schenkt, mit Geld­spenden, mit Dank­opfern… Besonders gefällt es Gott, wenn wir ihn mit Herz und Mund loben, mit innigen Dank­gebeten und fröhlichen Liedern. Darum heißt es in unserm Psalmwort: „Ich will den Namen Gottes loben mit einem Lied und will ihn hoch ehren mit Dank. Das wird dem Herrn besser gefallen als ein Stier, der Hörner und Klauen hat.“

Drittens: Das Gotteslob im Leid zeigt unsere Hoffnung auf Gottes Hilfe. Es heißt in unserm Psalmwort: „Der Herr hört die Armen und verachtet seine Gefangenen nicht.“ Wer gefangen ist in Angst und Not, gefangen in einem Netz unzähliger Probleme, gefangen in Hass und Verfolgung unter Feinden, gefangen unter den Anfechtungen des Teufels, und er schreit dann zu Gott um Hilfe, der kann gewiss sein, dass Gott ihn hört und ihm zur rechten Zeit helfen wird. Und wenn er diese Gewissheit hat, kann er getrost und fröhlich das Dennoch des Glaubens sprechen: „Tobe, Welt, und springe, ich steh hier und singe in gar sichrer Ruh.“ Er kann Gott loben und danken, so als sei die Hilfe schon gekommen – denn sie wird kommen, so gewiss, als sei sie schon da. Das hat Gott ganz besonders durch seinen Sohn Jesus Christus offenbar gemacht. Sein Evangelium verkündet, was David einst in pro­phetischer Vorahnung so formuliert hat: „Gott wird Zion helfen und die Städte Judas bauen, dass man dort wohne und sie besitze. Und die Kinder seiner Knechte werden sie erben, und die seinen Namen lieben, werden darin bleiben.“ Dabei ist Zion, der heilige Tempelberg, ein pro­phetisches Bild der christlichen Kirche. Überall, wo das Evangelium von Jesus Christus verkündigt wird, haben die Gläubigen eine dauerhafte Zuflucht in allem Leid, was auch immer ihnen das Leben bringen mag. Ja, sie haben eine Zuflucht, die ihnen niemals mehr genommen wird; sie dürfen bleiben im Hause des Herrn immerdar.

„Tobe, Welt, und springe, ich steh hier und singe in gar sichrer Ruh.“ Weil wir vom Karfreitag und von Ostern herkommen, können wir es umgekehrt machen wie die Jünger, die damals mit Jesus nach Jerusalem einzogen: Am Sonntag jubelten sie mit Palmzweigen und riefen „Hosianna!“, am Freitag verkrochen sie sich vor lauter Angst und Traurigkeit. Wir aber kommen aus den Ängsten und Traurig­keiten heraus zu unserem lebendigen Herrn, sprechen das Dennoch des Glaubens, jubeln ihm zu als unserm König und werden ihn in alle Ewigkeit loben. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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