Ich liebe Gottes Wohnungen

Predigt über Psalm 84 zum Sonntag Lätare

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Was würdet ihr denken, wenn ihr heute in der Kirche rosa Behänge sehen würdet? Einige würden denken: Was soll das – wir sind doch mitten in der Passions­zeit, da ist violett angesagt! Rosa – ist das überhaupt eine liturgische Farbe? Andere könnten vielleicht antworten: Ja, rosa ist in der Tat eine liturgische Farbe, aber nur wenige evangelische Gemeinden verwenden sie, und wenn, dann nur ein‑ oder zweimal im Jahr. Aber wenn überhaupt rosa verwendet wird, dann wird es heute verwendet, am Sonntag Lätare. Der Sonntag Lätare ist nämlich ein Freuden­tupfer mitten in der Passions­zeit. Die erste Hälfte der Passionszeit ist vorbei: Wer in der Passionszeit fastet, der kann jetzt Bergfest feiern. Das liebe Osterfest rückt zusehends näher mit seinen fröhlichen Chorälen, seiner jubelnden Liturgie und seinen weißen Behängen. Weiß und Violett mischen sich zu Rosa, und das ist tatsächlich der Sinn der besonderen liturgischen Farbe des heutigen Sonntags, wie sie in manchen Gemeinden üblich ist: das Violett der Fastenzeit, aufgehellt vom Weiß des näher rückenden Osterfestes. Der Sonntagsname Lätare bedeutet „Freut euch“ und ist, wie bei den anderen Sonntagen der Fastenzeit auch, der Anfang vom Introituts: „Freuet euch mit dem Volke Gottes und seid fröhlich alle, die ihr es lieb habt…“ Auf diese Antiphon folgen dann Verse aus dem 84. Psalm, den wir eben als Predigttext gehört haben. Da ist vom Unterwegs­sein die Rede, und von der Vorfreude auf das Ziel am Ende der Reise. Da heißt es: „Wenn sie durchs dürre Tal ziehen, wird es ihnen zum Quellgrund. Sie gehen von einer Kraft zur andern und schauen den wahren Gott in Zion.“ Wer in der Fastenzeit ernsthaft fastet und sich ernsthaft in das Leiden und Sterben unseres Heilands vertieft, für den kann diese vierzig­tägige Reise ganz schön beschwerlich sein, ein „dürres Tal“ gewisser­maßen. Wer sich dabei aber zugleich am auf­erstandenen Herrn freut und so den lebendigen, „wahren Gott in Zion“ schaut, dem wird dieses „dürre Tal“ der Passionszeit zum „Quell­grund“, und sein Glaube empfängt neue Kraft.

Der 84. Psalm ist ein Wallfahrts­psalm. In alt­testament­lichen Zeiten pflegten ihn Pilger zu singen, die unterwegs nach Jerusalem waren, um dort im Tempel anzubeten und heilige Feste zu feiern. Man ging zu Fuß, zumeist in Gruppen. Einige waren tagelang unterwegs. Die letzte Etappe war besonders anstrengend: Man musste das dürre, wüstenartige Bergland Judäas durchqueren. Aber angesichts des schönen Ziels war man dennoch wohlgemut und sang anbetend: „Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten und von Herzen dir nachwandeln! Wenn sie durchs dürre Tal ziehen, wird es ihnen zum Quellgrund, und Frühregen hüllt es in Segen. Sie gehen von einer Kraft zur andern und schauen den wahren Gott in Zion. Herr, Gott Zebaoth, höre mein Gebet; vernimm es, Gott Jakobs!“ Und dann sah man plötzlich vor sich den Berg Zion, und auf ihm thronend Gottes Tempel – herrlich mit Gold verziert, das in der Sonne funkelte. Dann brachen die Pilger in Jubel aus und sangen eine Liebes­erklärung auf Gottes Haus: „Wie lieb sind mir deine Wohnungen, Herr Zebaoth! Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn.“ Das eigentliche Tempel­gebäude war ein hochheiliges Haus, das nur die Priester betreten durften; und den aller­heiligsten Raum durfte sogar nur der Hohepriester betreten, und zwar nur einmal im Jahr, am großen Versöhnungs­tag. Auch der Platz unmittelbar um dieses Tempel­gebäude herum, wo der Brandopfer­altar stand, war den Priestern vorbehalten. Das gläubige Volk blieb in den Vorhöfen – aber das war schon mehr als genug an Freude! „Ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser als sonst tausend.“ Darum sangen die Pilger: „Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn; mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott.“ Jawohl, Leib und Seele – die Pilger spürten die Freude nicht nur in ihrer Seele, sondern am ganzen Körper, vom Kopf über die Magengrube bis hinein in die Zehen­spitzen: Wie wunderbar – jetzt sind wir bald da! Wir sehen schon Gottes Haus, die Wohnungen des Höchsten! Aber die Pilger waren sich auch bewusst, dass in Jerusalem ihr König wohnte. Gott hatte ihn für dieses Amt gesalbt, und er wachte über Gerechtig­keit und Frieden im Land. Darum fügten die Pilger eine Fürbitte für den König in ihren Lobgesang ein: „Gott, unser Schild, schaue doch; sieh doch an das Antlitz deines Gesalbten!“

Auch wenn wir jetzt im Zeitalter des neuen Bundes leben und der Jerusalemer Tempel nicht mehr steht, stimme ich gern ein in die Liebes­erklärung des 84. Psalms: „Wie lieb sind mir deine Wohnungen, Herr Zebaoth! Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn.“ Alle Wohnungen des Herrn sind mir lieb, alle Orte, wo ich mit Brüdern und Schwestern im Glauben Gottes­dienste feiern kann. Das sind im Laufe meines Lebens so viele geworden, dass ich sie gar nicht mehr zählen kann. Wie lieb ist mir zum Beispiel der Gemeindesaal hier, unsere sogenannte Winter­kirche! Auch wenn wir nur eine kleine Gottes­dienst­gemeinde sind, können wir uns hier gegenseitig gut hören beim Singen und beim Bekennen des Glaubens. Dankbar denke ich auch daran, dass nicht wenige Gemeinde­glieder auf die eine oder andere Weise zur würdigen Aus­gestaltung dieses Gottesdienst­raums beigetragen haben. Aber wie lieb ist mir auch die große Kirche! Ich freue mich schon darauf, wenn da die Orgel bald wieder festlich den Osterchoral intoniert und wir einstimmen: „Christ ist erstanden!“ Und wie lieb ist mir die große, stattliche Kirche in Berlin-Wilmersdorf, wo ich viele Vertretungs­gottes­dienste gehalten habe! Wie lieb sind mir die Predigtorte Wriezen und Biesenthal, Fredersdorf und Angermünde! Und was für liebe Erinnerungen habe ich an die Orte, wo ich in Afrika Gottes­dienste mitfeiern und halten konnte! Da ist zum Beispiel die Kirche in Mokatako, eigentlich nur ein Blech­schuppen, ganz primitiv eingerichtet – und doch auch ein Haus, wo Gottes Gemeinde sich zum Hören und Loben versammelt und wo das Kostbarste zu Hause ist, was es auf dieser Welt gibt: der Leib und das Blut unsers Herrn Jesus Christus im Abendmahl. Ja, wie lieb ist mir diese Blechkirche in Mokatako geworden! Und wie lieb ist mir die Erinnerung an die Kirche auf einem Viehposten in der Kalahari-Wüste bei den Busch­männern! Als ich dort ankam, um Gottesdienst zu halten, war da eigentlich gar keine Kirche, sondern nur Wüstensand. Eine Mutter wusch gerade ihren Säugling in einer grünen Plastik­schüssel. Als sie merkte, dass der Pastor da ist, gab sie den Mitchristen Bescheid, leerte die Plastik­schüssel aus und drehte sie um; da wurde sie uns zum Altar, zum Tisch des Herrn. „Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen – deine Altäre, Herr Zebaoth, mein König und mein Gott.“ Wie lieb ist mir diese Freiluft-Kirche in der Kalahari-Wüste geworden, die absolut keine Ähnlichkeit hat mit dem Jerusalemer Tempel oder mit den Kirch­gebäuden in Deutschland! Ja, wie lieb sind mir Gottes Wohnungen an all den unzähligen Orten, wo ich sie gefunden habe – in erhabenen Kirchbauten und in Kranken­häusern, in privaten Wohnzimmern und im Wüstensand! Lieb habe ich sie deshalb, weil ich den liebe, der mir darin begegnet. Das war schon zu alt­testament­licher Zeit so, und das ist bis heute so: Gotteshäuser sind Orte, wo Gott Menschen begegnet. Es sind Orte, wo man zu Gottes Lob singt und wo man ihn in allen Nöten bittet, vor allem in der großen Seelennot unserer Sünde. Es sind Stätten, wo Gott gnädig antwortet und uns seine Liebe erweist durch sein Wort und durch heilige Zeichen, die er selbst uns zugut eingesetzt hat. Er tut es durch seinen ewigen König, den Gesalbten, den Davidssohn Jesus Christus. Ja, hier will Gott uns seine Barmherzig­keit erweisen und uns segnen. „Wohl denen, die in deinem Hause wohnen, die loben dich immerdar! Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten und von Herzen dir nach­wandeln!“ Ich bin froh, dass ich Türhüter in Gottes Haus sein darf, obwohl ich nicht würdig bin. Ich bete gern die Worte: „Ich will lieber die Tür hüten in meines Gottes Hause als wohnen in der Gottlosen Hütten!“ Denn ein Türhüter in Gottes Haus ist kein Kontrolleur oder Raus­schmeißer so wie ein Türhüter in einer zweifel­haften Bar, sondern ein Türhüter in Gottes Haus ist ein Einlader. Er sagt allen, die an der Tür vorbei­kommen: Tretet ein in Gottes Reich; kommt in Gottes Haus; er will hier alle reich beschenken.

Unsere Reise durch die Passionszeit führt uns zum herrlichen Fest der Auferstehung Jesu Christi. Die Reise der alten Jerusalem-Pilger führte sie zum herrlichen Tempel auf dem Berg Zion, der Wohnung Gottes inmitten seines auserwählten Volkes. Unsere Lebensreise führt uns immer wieder zu Gottes herrlichen Wohnungen, wo Gläubige sich um Gottes Wort und Sakrament versammeln. Und unsere Lebensreise wird uns am Ende zu Gottes ewigem Haus führen, zu unserem herrlichen Ziel im Himmel. Ach, wie lieb sind mir diese ewigen Wohnungen des Herrn, die mich der Heilige Geist schon voller Vorfreude schauen lässt! „Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn.“ Da wird dann kein Unterschied mehr sein zwischen dem Haus und seinem Herrn: Im Himmel wird es keinen Tempel und kein Gotteshaus mehr geben, lehrt das Buch der Offenbarung, denn der allmächtige Gott selbst und das Gotteslamm Jesus Christus werden dort unser Tempel sein. Dort wird sich dann vollkommen erfüllen, was alle gläubigen Pilger vertrauens­voll bekennen: „Gott der Herr ist Sonne und Schild; der Herr gibt Gnade und Ehre. Er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen. Herr Zebaoth, wohl dem Menschen, der sich auf dich verlässt!“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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