Jesus schimpft

Predigt über Matthäus 11,20-24 zum Aschermittwoch

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Die Lutherstadt Wittenberg steht dieses Jahr in hohem Ansehen. Zum 500. Reformations­jubiläum strömen viele Menschen aus aller Welt herbei, um den Lebens‑ und Wirkungs­bereich Martin Luthers zu besichtigen. Aber steht diese Stadt deswegen auch bei Gott in hohem Ansehen? Oder gibt es dort mehr Christen als anderswo? Oder leben die Menschen dort frömmer? Natürlich nicht. Es gibt viele Städte in Deutschland, wo sich ein höherer Prozentsatz der Bevölkerung zu Christus bekennt und christlich lebt.

Was von Wittenberg gilt, das galt noch viel mehr von Kapernaum. Dort hatte Jesus gewohnt. Zwar war Jesus in Bethlehem geboren und in Nazareth auf­gewachsen, aber als er groß war, zog er mit seiner Familie nach Kapernaum. Dort predigte er und tat viele Wunder – mehr als in anderen Teilen des Landes. Vielen Bürgern von Kapernaum wird zum Beispiel ihr Leben lang unvergessen geblieben sein, wie sie im Haus von Jesus eine Predigt hörten und plötzlich über ihnen das Dach geöffnet wurde. Da wurde ein Gelähmter auf einer Matte herunter­gelassen, direkt vor Jesu Füße. Jesus vergab ihm die Sünden und heilte ihn. Noch manches andere hatten die Bewohner von Kapernaum und den umliegenden Dörfern mit Jesus erlebt, und sie staunten darüber nicht schlecht. Aber in ihrer Beziehung zu Gott blieb dennoch alles beim Alten; die meisten hatten ihr sündhaftes Leben nicht geändert und sich nicht gebessert angesichts der großen Gottestaten, die bei ihnen geschahen.

Als Jesus im ganzen Land berühmt geworden war, schimpfte er mit den Leuten seiner Heimat. Jawohl, Jesus schimpfte, so steht es in unserem Predigttext. Zunächst wandte er sich an zwei Nachbar­dörfer, an Chorazin und Betsaida. Er warf ihnen vor, dass sie unter dem Eindruck der großen Gottestaten nicht in Sack und Asche gehen und Buße tun. Da seien ja die lasterhaften Hafenstädte Tyrus und Sidon frömmer als sie! Und dann steigerte Jesus sich noch und nannte direkt seine Heimatstadt Kapernaum mit Namen. Die Einwohner sollten sich nicht einbilden, dass sie durch ihren heiligen Mitbewohner nun selbst­verständlich alle in den Himmel erhoben würden. Nein, Gott würde sie verstoßen, und es würde der Stadt Sodom im Jüngsten Gericht erträglicher gehen als ihnen. Sodom ist ja nun wirklich der Inbegriff der Gott­losigkeit und Schlechtig­keit, und darum hatte Gott diese Stadt mit Feuer vom Himmel vernichtet. Aber dennoch waren die Bürger von Sodom nicht ganz verhärtet gewesen. Jesus bezeugte seinen Landsleuten in Kapernaum: Wenn damals in Sodom solche Wunder­zeichen geschehen wären wie bei ihnen, dann hätten viele Leute Buße getan, und die Stadt wäre nicht unter­gegangen. Wir dürfen annehmen, dass selbst unter dem harten Gottesurteil des Feuersturms noch etliche Bürger von Sodom Gott um Vergebung und Hilfe angefleht haben und dass sie deswegen eher auf Gnade in Gottes Gericht hoffen dürfen als die Bürger von Kapernaum. Ja, so schimpfte Jesus mit seinen eigenen Landsleuten, so eindringlich rief er sie zur Buße auf.

Und nun zu uns. Natürlich stehen diese Worte unsers Herrn nicht deshalb in der Bibel, damit wir empört oder schadenfroh auf Jesu Zeitgenossen herab­blicken. Vielmehr sollten wir überlegen, ob Jesus hier nicht auch mit uns schimpft und auch uns vor Gottes Strafe warnt. Ich weiß, das hört man heutzutage nicht gern und das wird oftmals auch in kirchlichen Kreisen ver­schwiegen; man möchte lieber nur Freuden‑ und Trost­botschaften hören. Nicht wenige Zeitgenossen haben ja eine Einstellung, die einem alten Karnevals­schlager ähnelt, in dem es heißt: „Wir kommen alle, alle, alle in den Himmel, weil wir so brav sind…“ Aber jetzt ist Schluss mit lustig, jetzt ist Ascher­mittwoch. Wir müssen Jesu ernste Worte ganz ernst nehmen – nicht nur deswegen, weil das jahres­zeitlich dran ist, sondern vor allem deswegen, weil das für unser Leben ganz wichtig ist.

Traditionell nehmen viele Christen vom Ascher­mittwochs­gottesdienst ein Aschekreuz auf der Stirn mit – zum Zeichen dafür, dass sie zur Buße bereit sind. Schon zu Jesus Zeiten streute man sich Asche aufs Haupt, wenn man Buße tat, und vertauschte außerdem die Alltags­kleidung mit einem schäbigen Sack. Wichtiger als solche Rituale ist allerdings, dass wir genau hinhören. Jesus sagte: „Wären solche Taten in Tyrus und Sidon geschehen, wie sie bei euch geschehen sind, sie hätten längst in Sack und Asche Buße getan.“ Für „Taten“ benutzte Jesus ein Wort, das man auch mit „Kraft-Taten“ übersetzen kann. Es geht um die erstaun­lichen Wunder­zeichen, mit denen Jesus seine göttliche Kraft und Vollmacht unter Beweis gestellt hat. Wenn wir genau hinhören, merken wir: Jesus wollte mit diesen Taten nicht nur bewirken, dass Kranke gesund werden und die Zuschauer staunen, sondern er wollte vor allem, dass die Menschen zur Buße bewegt werden. Sie sollten erkennen: Jetzt kommt Gottes Reich zu uns, deshalb müssen wir uns von allem lossagen, was dem im Wege steht. Auch zu uns kommt Gottes Reich durch sein Wort, auch wir erleben Jesu Wunder­zeichen auf diesem Wege. Und auch wir sollten uns deshalb überlegen, was denn bei uns dem Reich Gottes im Weg steht. Unser Stolz? Unser Kleinglaube? Unser Sorgegeist? Unsere Abhängigkeit von den Freuden dieser Welt? Unsere Ungeduld? Unser Jähzorn? Unsere Faulheit? Aber das macht erst die eine Hälfte der Buße aus. Die andere Hälfte besteht darin, dass wir Hilfe und Erneuerung bei Gott suchen, nicht bei uns selbst oder bei anderen Menschen. Denn nur so können wir das Ziel erreichen, auf das alles Tun und Reden unsers Herrn abzielt und das auch in unserem Predigttext deutlich wird: das Ziel, am Ende einen gnädigen Urteils­spruch von Gott zu hören und die ewige Seligkeit im Himmel zu erlangen.

Jesus hat hier nicht mit Einzel­personen geschimpft, sondern mit ganzen Städten. Das haben Gottes Propheten zur Zeit des Alten Testaments oft ebenso gemacht. Natürlich wird es bei Gottes Gericht am Ende um jede einzelne Menschen­seele gehen. Gott fällt keine Pauschal­urteile. Aber indem Jesus ganze Städte anredete, macht er klar: Kein Mensch ist eine Insel, sondern wir hängen alle zusammen in Familien, Nachbar­schaften, Milieus und Völkern. Die Meinungen und Gepflogen­heiten der Gesellschaft färben auf jeden Einzelnen ab, sowohl die guten als auch die schlechten. Ich selbst merke bei mir immer wieder, wie sehr ich von den Ansichten und Werten meiner Generation geprägt bin, obwohl diese Ansichten und Werte oftmals nicht mit Gottes Wort überein­stimmen. Buße tun schließt ein, dass man sich, wo es nötig ist, vom Strom der Mehrheit distanziert und mit Gottes Wort genau darauf achtet, was wirklich gut und wertvoll ist. In diesem Sinne mahnte König Salomo: „Mein Sohn, wenn dich die bösen Buben locken, so folge nicht“ (Sprüche 1,10). Un im ersten Psalm heißt es: „Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen noch tritt auf den Weg der Sünder noch sitzt, wo die Spötter sitzen, sondern hat Lust am Gesetz des Herrn und sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht!“ Wenn eine Stadt oder ein Volk sich mehrheitlich von Gott und seinen Wegen entfernt hat, dann bedeutet Buße, einsame Wege zu gehen beziehungs­weise gegen den Strom zu schwimmen. Dazu sind wir in der heutigen Zeit heraus­gefordert.

Aber wie schön, dass wir überhaupt die Chance der Buße haben! Wie schön, dass Jesus uns mit seinem Opfer am Kreuz den Weg der Buße eröffnet hat! Und wie schön, dass Gottes Wort uns immer wieder zur Buße ruft – und zur Buße befähigt! Genau dies will auch das Wort unsers Herrn Jesus Christus tun, das wir eben gehört haben. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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