Wie man vor Gott erscheinen sollte

Predigt über Matthäus 21,12-14 zum Sonntag Septuagesimä

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Es ist Feiertag. Die Menschen haben ein Bad genommen und sich festlich gekleidet. Nun gehen sie zu Gottes Haus. Die Alltags­geschäfte ruhen, auch die kleinen und großen Gaunereien, die damit verbunden sind. Man braucht sich heute nicht um Notleidende zu kümmern oder über Fremde aufzuregen, man ist unter sich. Die festlich Gestimmten wollen jetzt allen Aberglauben beiseite lassen und einen schönen Gottesdienst erleben. Sie haben auch etwas für die Kollekte mitgebracht – das gehört sich so; Gott soll mit ihnen zufrieden sein. Wenn sie dann morgen ihr Alltagsleben fortsetzen, dann wird Gottes Segen mit ihnen gehen, so hoffen sie. Aber da treffen sie einen merkwüdigen Mann am Heiligtum. Mit lauter Stimme redet er zu den Gottesdienst­besuchern. Was er sagt, klingt wie Publikums­beschimp­fung: „Ihr seid Diebe, Mörder, Ehebrecher, Lügner, Götzen­diener! Denkt ihr, dass ihr hier Frieden und Gottes Segen findet, auch wenn manche euch das weismachen wollen? Irrt euch nicht! Ich verkündige euch im Namen Gottes: Ihr müsst umkehren und euch bessern. Haltet ihr Gottes Haus etwa für eine Räuber­höhle?“ Der so im Jerusalemer Tempel redete, war der Prophet Jeremia – sechshundert Jahre, bevor Jesus im Tempel auftrat (Jer. 7,1-11).

„Haltet ihr Gottes Haus etwa für eine Räuber­höhle?“ Diese Frage griff Jesus auf, als er in heiligem Zorn den Tempel reinigte. (Jedenfalls wird sein Handeln traditionell als „Tempel­reinigung“ bezeichnet, auch wenn im Text nichts von „reinigen“ steht.) Ähnlich wie Jeremia warf Jesus den Menschen im Tempel vor: „Mein Haus soll ein Bethaus heißen, ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus.“ Doch der Reihe nach! Ein paar Tage vorher war Jesus unter dem Jubel der Menge in Jerusalem eingezogen. Seitdem ging er täglich in den Tempel und predigte dort. Im Vorhof herrschte ein reger Geschäfts­betrieb: Geldwechsler saßen hinter Tischen voll goldener, silbener und kupferner Münzen. Hier konnte man alle gängigen Währungen in die Tempelmünzen umtauschen, die als Kollekten­geld akzeptiert wurden. Da kam es schon mal vor, dass Tempel­besucher mit den Devisen­händlern um günstige Wechselkurse feilschten. Auch Viehhändler hatten am Tempel ihre Stände, damit die auswärtigen Gäste ihre Opfertiere nicht von weit her mitbringen mussten. Der Evangelist Matthäus hat besonders die Tauben­händler erwähnt. Tauben waren als Opfertiere beliebt, denn sie waren am billigsten – ein richtiges Schnäppchen! Jesus war das alles ein Dorn im Auge. Irgendwann reichte es ihm: Er kippte den Geld­wechslern ihre Tische um, trat gegen die Stände der Viehhändler und vertrieb diese Geschäfte­macher aus der Nähe des Heiligtums. Das hat viele Menschen verstört – nicht nur damals, sondern bis zum heutigen Tag. Jesus als Randalierer, Jesus als gewalt­bereiter Demonstrant gegen das Jerusalemer Establish­ment – das passt nicht zu unserem sanftmütigen Jesusbild. Und es stimmt so auch nicht. Jesus hat niemanden verletzt, und auch der Sachschaden wird nur gering gewesen sein. Es ging Jesus nicht um Randale, sondern es ging ihm um eine Botschaft. Nach dem Vorbild alt­testament­licher Propheten hat er diese Botschaft mit einer Zeichen­handlung begleitet, die die Leute aufhorchen ließ. Denn wer zu schüchtern und zu unklar predigt, der wird nicht gehört. Das Wichtige sind hierbei nicht die Taten Jesu, sondern seine Worte. Und die lauteten, wie gesagt: „Es steht geschrieben: Mein Haus soll ein Bethaus heißen, ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus.“ Mit dem Einleitungs­satz „Es steht geschrieben“ stellte Jesus klar, dass es hier nicht um seine persönliche Meinung geht, sondern um eine Botschaft des himmlischen Vaters, der ebenso auch schon vor hunderten von Jahren durch seine Propheten geredet hatte.

Dies Botschaft ist heute noch aktuell, und sie gilt auch uns. Es geht dabei nicht in erster Linie um Tempel, Kirchen oder andere heilige Stätten, auch nicht um kirchennahe Geschäfts­betriebe, sondern es geht dabei um die Frage: Mit welcher Einstellung kommen wir zu Gott? Kommen wir wie Händler oder gar wie Räuber zu ihm? Oder kommen wir als Beter und Hilfs­bedürftige?

Noch heute kommen viele Menschen wie Händler und Räuber zu Gott. Da hat sich seit Jeremias Zeit nicht viel geändert. Der Begriff „Räuber“ steht hier stell­vertretend für alle, die Böses tun: Diebe, Mörder, Ehebrecher, Lügner, Götzen­diener. Erinnern wir uns daran, wie Jesus diese Bezeich­nungen in der Bergpredigt verwendet hat! Da wird bereits jemand, der seinen Mitmenschen bösartig beschipft, ein Mörder genannt, und ein Mann, der lüsterne Blicke auf eine attraktive Frau wirft, ein Ehebrecher (Matth. 5,21-28). Letztlich muss auch der frömmste Mensch ein bisschen Räubertum in seinem Herzen entdecken, wenn er selbst­kritisch und ehrlich ist. Wir könnten also sagen: Jesus, es geht gar nicht anders, wir müssen als Sünder zum Heiligtum kommen und vor Gott treten, wir leben leider nicht wie Heilige! Und Jesus könnte antworten: Das weiß ich, aber deswegen braucht ihr nicht fern­zubleiben. Was ich kritisiere, ist etwas anderes. Ich kritisiere eine Einstellung, die Gottes Haus für eine Räuberhöhle hält, als für eine Zuflucht, ein Versteck, wo sich Räuber mit ihrer Räuberei sicher wähnen. Im griechischen Urtext steht für „Höhle“ das Wort „spälaion“, davon ist das deutsche Wort „Spelunke“ abgeleitet. Gemeint sind hier also Sünder, die nicht die Absicht haben sich zu bessern, sondern die bei Gott einfach eine religiöse Rück­versicherung für ihr Sündertum suchen. Sie denken: Wenn ich am Feiertag brav in Gottes Haus gehe, Dankopfer bringe und Geld spende, dann wird Gott mir schon nicht allzu böse sein und mich auch weiterhin beschützen. So dachten viele Leute zu Jeremias Zeiten, so dachten viele Leute zu Jesu Zeiten und so denken auch viele Leute zu unsern Zeiten. Es ist das typische Miss­verständnis des durch­schnittlich religiösen Menschen: Ich zeige Gott meinen guten Willen, und er gibt mir dafür seinen Segen, sodass ich mein Leben weiterführen kann wie bisher. Solche „Räuber“, die nicht zur Umkehr bereit sind, rauben letztlich Gott die Ehre, die ihm gebührt. Sie erweisen sich mit diesem Verhalten zugleich als Händler und Wechsler, denn sie wollen mit Gott ein Tausch­geschäft machen: Ich gebe dir etwas von meinem Besitz, und du gibst mir deinen Segen! Wie clevere Geschäfts­leute feilschen sie mit Gott und rechnen sich dabei genau aus, wieviel ihnen der Beistand von oben wert ist. Wenn es nach Moses Gesetz auch ein paar Tauben tun anstelle einer Ziege oder gar eines Rindes, warum soll man sich übermäßig in Unkosten stürzen? Aber Gott lässt nicht mit sich handeln und er lässt sich schon gar nicht bestechen. Solches Verhalten erregt vielmehr seinen heiligen Zorn. Genau dieser heilige Zorn ist es, der Jesus damals zu seinen Worten und Taten bei der Tempel­reinigung veranlasste. Kurz: Niemand sollte meinen, er darf als Händler und Räuber vor Gott treten – also als reueloser Sünder, der sich lediglich gut versichern will bei Gott.

Vielmehr sollen wir als Beter und Hilfs­bedürftige zu Gott kommen. Gott sagt: „Mein Haus soll ein Bethaus heißen.“ Jesus zitierte dieses Wort ausdrücklich aus der Heiligen Schrift, aus dem Propheten­buch Jesaja. Die frommen Juden wussten genau, in welchem Zusammenhang das steht: Gott der Herr verheißt allen Völkern der Welt sein Heil durch den kommenden Erlöser (Jes. 56,1-8). Alle Menschen, die zum Herrn kommen und ihn um Hilfe bitten, werden auch Hilfe erfahren – nicht nur für den Augenblick und nicht nur für ihr Erdenleben, sondern in Ewigkeit. Gott hat durch Jesaja verheißen: „Einen ewigen Namen will ich ihnen geben, der nicht vergehen soll.“ Und wenig später heißt es dann: „Ich will sie zu meinem heiligen Berg bringen und will sie erfreuen in meinem Bethaus.“ Jeder, der bei Gott wirklich Hilfe sucht, wird diese Hilfe finden – das ist Gottes herrliche Zusage auch für uns. Sie ist verbunden mit dem Tempel – aber nun nicht mehr mit dem alten Tempel in Jerusalem, denn der steht ja nicht mehr. Vielmehr ist es derjenige Tempel, den man wenige Tage nach dem Ereignis der Tempel­reinigung abgebrochen hat und den Gott nach drei Tagen wieder auferbaute: der Tempel des Leibes Jesu. Dieser Tempel ist noch heute überall da zu finden, wo sich Menschen im Namen Jesu versammeln – gleich ob in einem Gotteshaus oder in einer Privat­wohnung oder in einer armseligen Hütte oder im Freien. Jesus Christus heißt der Ort, wo wir Gott bitten und die Gewissheit haben: Er wird uns gnädig erhören. Frei und umsonst schenkt er uns den Segen durch seinen Sohn; wir brauchen nicht mit ihm zu feilschen und zu handeln. So finden wir mitten in diesem Abschnitt über Christi heiligen Zorn sein wunderbares Evangelium; es steckt in dem Wort „Bethaus“ drin. Wenn wir aber als Bittsteller und Beter zu Gott kommen, dann wollen wir es mit ehrlichem Herzen tun; wir wollen uns nichts vormachen über unseren Zustand: Wir sind Hilfs­bedürftige – Menschen, die sich nicht selbst zur Seligkeit helfen können, sondern die ganz auf Gottes Hilfe angewiesen sind. Wir sind Sünder, die sich nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf der Sünde herausziehen können. Wir sind „Räuber“, die allerdings keine Freude am Räubersein haben, sondern die darin ihr größtes Elend erkennen und es lieber heute als morgen ablegen wollen. Was für ein großer Segen, dass wir so zu Gott kommen dürfen: Als Beter und Hilfs­bedürftige, denen Jesus fest verspricht, dass ihnen auch wirklich geholfen wird.

Das Ende der Geschichte macht das besonders deutlich. Auf den ersten Blick scheint es gar nicht mehr zur Tempel­reinigung dazu­zugehören, aber auf den zweiten Blick um so mehr. Da begegnen uns nämlich bestimmte Hilfs­bedürftige im Tempel, „Blinde und Lahme“. Schon seit Davids Zeiten wurden Behinderte und Hilfs­bedürftige in dieser kurzen Formel zusammen­gefasst: „Blinde und Lahme“ (2. Sam. 5,6). An ihnen wird äußerlich sichtbar, was eigentlich das Problem aller Menschen ist: Wir sind zu blind, um Gottes Willen zu erkennen, und zu lahm, um unseren Lebensweg entsprechend zu gehen. Diese Blinden und Lahmen werden uns nun zu Vorbildern. Und so gilt das, was der letzte Satz der Geschichte schlicht erzählt, eigentlich für uns alle: „Es gingen zu Jesus Blinde umd Lahme im Tempel, und er heilte sie.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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