An den einen wahren Gott glauben

Predigt über Rut 1,1-19a zum 3. Sonntag nach Epiphanias

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

In Berlin gibt es einen Stadtteil namens Moabit. Er war im 17. Jahrhundert als Hugenotten­siedlung entstanden. Hugenotten nennt man die evan­gelischen Christen in Frankreich, die unter dem katholischen König Ludwig XIV. grausam verfolgt wurden. Zu Hundert­tausenden mussten sie fliehen und fanden in anderen europäischen Ländern Zuflucht. Viele von ihnen kamen nach Preußen, und einige siedelten sich in jenem Dorf im Großraum Berlin an, das sie selbst „terre de moab“ nannten, „Moabiter­land“, kurz „Moabit“. Wie kamen sie darauf? Sie kannten ihre Bibel gut. Und so kannten sie auch die Geschichte, die ich eben als Predigttext vorgelesen habe. Da geht es ja ebenfalls um eine Flüchtlings­familie, die im Ausland Zuflucht findet, und zwar im Land der Moabiter, einem Volk, das östlich vom Toten Meer sein Land hatte. So wurde den Hugenotten das Wort „Moabiter­land“ zum Inbegriff einer Zuflucht und eines neuen Lebens nach der Flucht.

Damit sind wir schon mitten in der Geschichte von der Moabiterin Rut. Sie ist uralt: Zu der Zeit gab es noch keine Könige in Israel, sondern Israels Stämme wurden von Häuptlingen geführt, sogenannten „Richtern“. Es geht um eine Familie aus dem Stamm Juda. Der Vater hieß Elimelech, die Mutter Noomi, die beiden Söhne Machlon und Kiljon. Sie wohnten in Bethlehem – also in dem Städtchen, wo über tausend Jahre später unser Heiland geboren wurde. „Bethlehem“ bedeutet „Haus des Brotes“, und die Umgegend nannte man „Efrata“, auf deutsch „fruchtbar“. Diese Namen zeigen, dass man dort normaler­weise reichlich ernten und gut leben konnte. Aber damals kam eine Dürre über Efrata, und aus „Brothausen“ wurde „Hunger­hausen“. Elimelech und seine Familie kämpften ums Überleben, und als sie gar nichts mehr zu essen hatten, entschlossen sie sich zur Flucht. „Wirtschafts­flüchtlinge“ würde man heute abfällig sagen; aber es ging eigentlich ums nackte Überleben.

Im benachbarten Moabiterland herrschte kein Hunger; dort wurden sie aufgenommen und ließen sich nieder. Es war damals üblich, dass man in Not geratene Ausländer aufnahm, wenn sie in friedlicher Absicht kamen. Auch heute noch steht es einem reichen Land gut an, in Not geratene Ausländer bei sich wohnen und arbeiten zu lassen. Nur nationale Egoisten sagen: Hauptsache, unserm Volk geht es gut; sollen die andern doch zusehen, wo sie bleiben. Elimelech und seine Familie wurden also sesshaft bei den Moabitern. Ihre Integration gelang, und als die Söhne ins heirats­fähige Alter kamen, nahmen sie sich zwei Moabite­rinnen zur Frau, Orpa und Rut. Nur in einer Hinsicht passte sich Elimelechs Familie nicht an: Sie hielten sich vom Götzendienst der Moabiter fern und blieben ihrem Gott treu, dem Gott Israels – dem einzigen Gott, dem Schöpfer der ganzen Welt. Religion ist ja nur scheinbar eine Frage der Herkunft und Kultur, sie ist eigentlich eine Frage der Wahrheit: Wer ist der eine wahre Gott und wer sind die falschen, nur ein­gebildeten Götter? Da kann es nur eine Antwort geben: Es ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Vater unsers Herrn Jesus Christus. Wenn wir Menschen aus anderen Kulturen diesen Gott bekannt machen und sie zum Glauben an ihn einladen, dann geht es dabei nicht so sehr um die Vermittlung unserer christlich-abend­ländischen Kultur, sondern dann geht es darum, dass sie wahren Frieden beim wahren Gott finden und auf diese Weise selig werden. Deshalb ist Mission auch nicht ein Instrument des Imperialis­mus, sondern der Auftrag unsers Herrn, Menschen aus allen Völkern zu seinen Jüngern zu machen.

Elimelechs Familie wurde nach der Hungersnot von weiteren Schicksals­schlägen getroffen. Nach und nach starben alle männlichen Familien­mitglieder: Erst Elimelech selbst, dann die beiden Söhne Machlon und Kiljon. Zurück blieben drei Witwen, nämlich Noomi mit ihren Schwieger­töchtern Orpa und Rut. Ein solcher Drei-Frauen-Haushalt hatte damals weder eine rechtliche noch eine wirtschaft­liche Grundlage, denn eine Frau musste stets einem männlichen Familien­oberhaupt zugeordnet sein, entweder ihrem Vater oder ihrem Ehemann. Was sollten die drei jetzt tun? Noomi als die Älteste ergriff die Initiative. Sie hatte erfahren, dass es in ihrer Heimat wieder genug zu essen gab, und wollte dorthin zurück­kehren. Orpa und Rut begleiteten sie. An der Grenze zwischen dem Moabiterland und Juda redete Noomi ihnen ins Gewissen. Sie wollte nicht, dass die beiden jungen Frauen bei ihr blieben und mit ihr ein unsicheres, kümmerliches Witwenleben in Bethlehem teilten. So ver­abschiedete sie sich von ihnen und sagte: Ihr seid jung genug, um in eurem Land wieder einen Mann zu finden. Ich kann euch keine Männer mehr zu Welt bringen, und selbst wenn ich es könnte, müsstet ihr viel zu lange warten, bis sie groß sind. Geht nur wieder in eure Elternhäuser zurück!

Noomi handelte aus echter Nächsten­liebe. Sie selbst hatte keinen Vorteil davon, wenn ihre Schwieger­töchter sie verließen, sondern nur Nachteile. Aber sie wollte Orpas und Ruts Glück nicht im Weg stehen. Die beiden jungen Frauen protes­tierten und wollten sie nicht allein lassen, aber Noomi blieb hartnäckig. Da kehrte Orpa schließlich um. Rut aber begleitete Noomi weiter und sagte ihr die später berühmt gewordenen Worte: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ Wir sehen: Noomi und ihre Familie waren im Moabiterland offen­sichtlich missio­narisch tätig gewesen und hatten Rut für den Glauben an den einen wahren Gott gewinnen können. So bekannte sie sich nun zu Noomis Gott, dem Gott Israels. Und sie zeigte mit ihrem Verhalten, dass dies kein bloßes Lippen­bekenntnis war: Sie handelte aus un­eigen­nütziger Nächsten­liebe; sie wollte ihre Schwieger­mutter auf keinen Fall im Stich lassen. Man kann sagen: Rut bekannte ihren Glauben und zeigte durch ihr Verhalten, dass dieser Glaube gute Frucht brachte.

Solcher Glaube ist vorbildlich. Ich wünschte, jeder hätte solchen Glauben, egal aus welchem Volk er stammt. Man sollte annehmen, dass solcher Glaube vor allem da zu Hause ist, wo er schon seit vielen Jahr­hunderten verkündigt und gelebt wird – zum Beispiel in Europa, im sogenannten christlichen Abendland. Man sollte annehmen, dass er ganz besonders da zu Hause ist, wo Martin Luther und die anderen Reformatoren ihn vor 500 Jahren mit wunderbarer Klarheit lehrten und unters Volk brachten, bei uns in Deutschland nämlich. Aber wir wissen, dass unsere Gesellschaft heute anders aussieht. So geschieht es, dass christliche Ausländer zu uns kommen, die oft viel brennender glauben und diesen Glauben viel ent­schiedener leben als der Durch­schnitts-Deutsche – Iraner zum Beispiel, die Hals über Kopf aus ihrer Heimat fliehen mussten, weil man eine Bibel bei ihnen fand und sie ihres Lebens nicht mehr sicher waren. Die wundern sich nun, warum es in Deutschland so wenig Christen gibt und warum man sie teilweise sogar wieder in das Land ihrer Verfolger abschieben will.

Wer die Bibel und die Kirchen­geschichte kennt, braucht sich nicht zu wundern. Immer wieder begegnen uns da Beispiele, wie Ausländer mit ihrem Glauben diejenigen Völker beschämen, in denen dieser Glaube eigentlich zuhause sein sollte. Eines dieser Beispiele haben wir heute in der Evangeliums­lesung gehört: Der ausländische Hauptmann von Kapernaum bewies Jesus gegenüber mehr Gott­vertrauen als die Juden, die sich selbst für fromm hielten. Jesus urteilte über den Hauptmann: „Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden!“ (Matth. 8,10) Ähnlich hätte Jesus auch mehr als tausend Jahre vorher über die Moabiterin Rut urteilen können.

Findet Jesus bei uns solchen Glauben? Bei mir und bei dir? Vertrauen und bekennen wir wie Rut, und lieben wir so un­eigen­nützig wie sie? Wir können uns solchen Glauben nicht erarbeiten, wir können ihn uns nur schenken lassen. Das wollen wir immer wieder tun: Wir wollen den um seinen Heiligen Geist bitten, der uns solchen Glauben schenken und erhalten kann. Nach seiner menschlichen Natur ist er übrigens ein Nachkomme von Rut: Rut heiratete in Bethlehem einen Juden namens Boas und bekam mit ihm einen Sohn, der der Großvater von König David wurde. Dessen Nachkomme aber, Jesus Christus, der Sohn Davids, wurde geboren in eben dieser Stadt Bethlehem, dem „Haus des Brotes“, das dadurch für uns und alle Menschen zum „Haus des Lebens­brotes“ geworden ist. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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