Jesu Vollmacht

Predigt über Matthäus 7,28-29 zum Epiphaniasfest

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Was ist der Unterschied zwischen Weihnachten und Epiphanias? Zu Weihnachten liegt der Schwerpunkt auf der Botschaft, dass Gottes Herrlichkeit im Menschenkind Jesus verborgen ist; zu Epiphanias dagegen liegt der Schwerpunkt auf der Botschaft, dass Gottes Herrlichkeit im Leben des Jesus von Nazareth offenbar wird: „Und wir sahen seinen Herrlich­keit“ (Joh. 1,14). Dieser zweite Schwerpunkt wird zum roten Faden für die Sonntage nach Epiphanias und ihren Evangeliums-Lesungen: am ersten Sonntag Jesu Taufe mit dem Heiligen Geist in Tauben­gestalt und der göttlichen Stimme vom Himmel; am zweiten Sonntag das Weinwunder bei der Hochzeit zu Kana; am dritten Sonntag die Heilung eines Mannes in Kapernaum.

Aber nicht nur mit Wundern hat Jesus etwas von seiner göttlichen Herrlichkeit offenbar gemacht, sondern auch mit Predigen. Darum richten wir jetzt unsern Blick auf die Bergpredigt – genauer: auf die Reaktion, die diese gewaltige Predigt unsers Herrn bei den Hörern auslöste. Da heißt es: „Und es begab sich, als Jesus diese Rede vollendet hatte, dass sich das Volk entsetzte über seine Lehre; denn er lehrte sie mit Vollmacht und nicht wie ihre Schrift­gelehrten.“

Üblicher­weise reicht bei Predigt­hörern das Spektrum von wohl­wollendem Interesse über Skepsis und Ablehnung bis hin zu gähnender Langeweile. Bei der Bergpredigt war das anders: Das Volk „entsetzte sich“. Die Leute waren verstört, schockiert, überwältigt, fassungslos, außer sich. Es ging ihnen so, wie es in unseren Tagen vielen Menschen nach einem Terror­anschlag geht oder nach einem anderen un­menschlichen Verbrechen. Politiker und andere Prominente betonen bei solchen Gelegen­heiten immer wieder, wie entsetzt und fassungslos sie sind. Aber was ist schon eine Predigt im Vergleich zu einem Terror­anschlag? Was hat Jesus denn da so Besonderes gesagt in der Bergpredigt? Zunächst hat er die Loser der Gesellschaft selig gepriesen, die geistlich Armen zum Beispiel und die Trauernden und die Verfolgten. Dann hat er gewarnt, man solle sich lieber ein Auge ausreißen oder eine Hand abhacken als Gefahr laufen, das Himmelreich zu verlieren. Dann hat er empfohlen, im Falle einer Ohrfeige auf die rechte Backe auch noch die linke hinzuhalten, damit der andere mit seiner rechten Hand um so kräftiger zuschlagen kann. Dann hat er gesagt, dass sexuelle Phantasien bereits Ehebruch sind, und dass man auf keinen Fall schwören soll. Und immer wieder hat Jesus den frommen Juden unter seinen Zuhörern dabei den Satz zugemutet: „Ihr habt gehört, dass dies und jenes zu den Alten gesagt ist; ich aber sage euch…“ Es war damals ein un­geschriebe­nes Gesetz, dass sich ein Rabbi beim Lehren stets auf Worte früherer Autoritäten berufen und ihre Worte zustimmend zitieren musste. Wenn sich Jesus nun hinstellt aus eigener Autorität behauptet: „Ich aber sage euch“, ist das völlig un­gewöhnlich, ja, scho­ckierend. Nicht zuletzt darum heißt es zum Abschluss: „Das Volk entsetzte sich über seine Lehre, denn er lehrte sie mit Vollmacht und nicht wie ihre Schrift­gelehrten.“

Wir verwenden das Wort „entsetzen“ fast immer im Sinne des Erschreckens über etwas Negatives. Das lässt sich vom Entsetzen der Zeitgenossen Jesu und der Bergpredigt-Hörer nicht unbedingt sagen. Zumindest die Jünger waren von den Worten ihres Meisters im positiven Sinne überwältigt. Wir wissen: Irgendwann waren sie sogar bereit, mit ihm zu sterben – während andere Hörer, im negativen Sinne entsetzt, ihn am liebsten getötet hätten. Es lässt sich nicht leugnen: In gewisser Hinsicht polarisiert die Lehre Jesu; die einen macht sie zu seinen Feinden, die anderen zu seinen Anhängern.

Was für die Bergpredigt gilt, das gilt eigentlich für die ganze Bibel. Sie ist ja das Wort des lebendigen Gottes und damit auch Christi Wort. Wer die Bibel aufmerksam liest, findet eine ganze Menge Scho­ckierendes und Anstößiges in ihr. Gerade auch dem heutigen Hörer oder Leser wird da manches zugemutet, was modernen Wert­vorstellun­gen oder wissen­schaftlichen Erkennt­nissen wider­spricht. Und ebenso wie die Bergpredigt redet die ganze Heilige Schrift nicht in Anlehnung an vorgeordnete Autoritäten, sondern aus eigener göttlicher Autorität. Wenn wir genau zuhören und wenn wir durch langjährige Gewohnheit nicht abgestumpft sind, dann müssten auch wir durch Gottes Wort entsetzt, verstört, schockiert, überwältigt, fassungslos und außer uns sein.

Die Gewöhnung an das Außer­ordentliche hat allerdings schon früh in der Geschichte der Christenheit eingesetzt. Einerseits ist die Gewöhnung an Gottes Wort etwas Gutes, denn sie hilft uns, mit unserm Glauben Wurzeln zu schlagen und auf diese Weise krisenfest zu werden. Andererseits kann sich aber auch eine schläfrige Gewohnheit ein­schleichen, ein laues Christentum ohne Über­wältigung und Be­geisterung. Jesus hat vor solcher Lauheit ausdrücklich gewarnt. Johannes zitiert im Buch der Offenbarung folgende Botschaft des Herrn an eine christliche Gemeinde: „Ach, dass du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.“ Mit anderen Worten: Jesus findet laues Christsein zum Kotzen. Dann schon lieber eine ehrliche kalte Feindschaft – noch besser aber eine ehrliche heiße Liebe zum Herrn, überwältigt von seiner heißen Liebe! Vielleicht ist die ungute Gewöhnung an Jesu Lehre und die daraus folgende Lauheit eines der größten Probleme der heutigen Menschen. Wenn sie die Worte der Bibel an sich heranlassen würden, dann wären sie entweder glühende Anhänger oder erbitterte Feinde des Herrn; sie würden am Sonntag­vormittag scharenweise entweder in die Kirche strömen oder vor der Kirche gegen das Christentum de­monstrie­ren. Tatsächlich aber liegt Gleich­gültigkeit wie eine schwere Decke über unserm Volk, ein­schließlich vieler getaufter und konfir­mierter Menschen, und die große Mehrheit verbringt den Sonntag­vormittag irgendwo anders, nur nicht in der Nähe der Kirche.

Da heißt es aufwachen! Lassen wir die Botschaft neu an uns heran! Lassen wir uns neu von ihr überwältigen – von Christi Lehre, von Christi Wundern und vor allem von Christi Erlösung. Ja, vor allem sein Opfertod am Kreuz ist etwas, worüber man entsetzt sein kann, verstört, schockiert, überwältigt, fassungslos und außer sich. Aber während einige davon so abgestoßen sind, dass sie das Wort vom Kreuz lächerlich oder ärgerlich finden, ist es für uns der Schlüssel zum Frieden mit Gott und den Menschen sowie die Quelle des ewigen Lebens.

Noch einmal zurück zum Ende der Bergpredigt: „Das Volk entsetzte sich über seine Lehre; denn er lehrte sie mit Vollmacht.“ Für „Vollmacht“ steht im Urtext dasselbe Wort, das wir am Ende des Matthäus-Evangeliums mit „Gewalt“ übersetzt finden: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“, lehrte da der auf­erstandene Christus in eigener Sache. Auch dieser Satz polarisiert, auch dieser Satz müsste uns entsetzen oder über­wältigen. Denn da wird der Anspruch von Jesus und von der ganzen Heiligen Schrift deutlich, ein Herrschafts­anspruch über Himmel und Erde. Wenn man diesen Anspruch an sich heranlässt, muss man ihn entweder als großen Schwindel ablehnen – oder man muss sich ihm unterwerfen. Wir, liebe Brüder und Schwestern in Christus, haben erkannt, dass dieser Anspruch der Wahrheit entspricht. Jesus lehrte die Wahrheit mit Vollmacht; Jesus herrscht in Wahrheit über Himmel und Erde; ja, Jesus ist die Wahrheit in Person. Wir glauben und bekennen, dass Jesus der Herr ist, und wir beten ihn als den einen universalen König an. Diese Tatsache kann uns immer wieder neu in Erstaunen setzen und über­wältigen. Vor allen Dingen aber gibt uns Christi Vollmacht und Herrschaft angesichts so vieler ent­setzlicher Dinge in der Welt Gelassen­heit, Geborgen­heit, Hoffnung und eine herrliche Zukunft ohne Ende. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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