Gottes Liebeslied

Predigt über Hoheslied 2,8-13 zum 2. Advent

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wenn ich irgendeinen Radiosender einschalte, dann höre ich meistens Musik. Und wenn diese Musik einen Text hat, dann handelt sie sehr oft von Liebe. Meistens ist es ein richtiges Liebeslied, also eine gesungene Liebes­erklärung. Das war vor fünfzig Jahren ebenso, auch wenn die Musik etwas anders klang: Die meisten Schlager, die man damals im Radio hörte, waren Liebes­lieder. Vor hundert oder zweihundert Jahren gab es zwar noch keinen Rundfunk, aber auf den Opernbühnen, in den Konzert­häusern und auch in den Volksliedern der einfachen Leute ging es ebenfalls oft um die Liebe. Schon im frühen Mittelalter sangen berühmte Liedermacher wie Walther von der Vogelweide vorzugsweise Liebes­lieder. Und so können wir immer weiter zurückgehen in der Geschichte: Stets treffen wir auf Liebes­lieder, auf gesungene Liebes­erklärungen.

Auch die Bibel enthält eine Sammlung von Liebes­liedern. Diese Sammlung heißt „Das Hohelied Salomos“, denn diese Sammlung geht auf König Salomo zurück. Eines dieser Liebeslieder haben wir eben als Predigttext gehört. Vorsingen kann ich es euch aber nicht, denn man schrieb damals noch keine Melodien auf; nur die Worte sind überliefert. Das Lied schildert, wie ein Freund zu seiner Freundin kommt, beziehungs­weise ein Bräutigam zu seiner Braut.

Dieses Lied und alle biblischen Liebeslieder haben eine geistliche Tiefen­dimension: Sie zeigen uns nicht nur, dass die Liebe zwischen Mann und Frau eine herrliche Erfindung des Schöpfers ist, sondern sie zeigen auch etwas von der Liebe des Schöpfers selbst zu uns Menschen, denn in der Liebe zwischen Mann und Frau bildet sich die Liebe zwischen Gott und Mensch ab. Wenn wir uns gleich die Worte dieses Liebesliedes näher anschauen, werden wir feststellen: Tatsächlich, das ist ja eigentlich ein Adventslied, ein Lied von Gottes Kommen zu uns Menschen sowie eine göttliche Liebes­erklärung an uns!

Drei Dinge können uns da besonders auffallen: Gott kommt, Gott sieht, Gott spricht.

Erstens: Gott kommt. Aus Sicht der Geliebten heißt es: „Siehe, er kommt und hüpft über die Berge und springt über die Hügel. Mein Freund gleicht einer Gazelle oder einem jungen Hirsch.“ Ja, so kommt Gott zu uns, so ist Christus zu uns gekommen. Er kam nicht mit einem Klagelied; er kam nicht müde mit schleppendem Gang; er kam nicht voll Widerwillen, das aufgetragene Erlösungs­werk zu vollbringen. Christus kam auch nicht mit Marschmusik wie ein Feldherr mit seinem Heer, um uns aus der Unter­drückung des Teufels zu befreien. Nein, Christus kam mit einem Liebeslied, gewisser­maßen hüpfte und sprang er wie ein Hirsch – oder auch wie ein junger Mann, der so richtig verliebt ist. Christus kam voller Liebe und Freude zu uns, um uns zu erlösen. „Nichts, nichts hat dich getrieben zu mir vom Himmelszelt, als das geliebte Lieben, damit du alle Welt in ihren tausend Plagen und großen Jammerlast, die kein Mund kann aussagen, so fest umfangen hast.“

Zweitens: Gott sieht. Es heißt nämlich weiter vom Geliebten: „Siehe, er steht hinter unsrer Wand und sieht durchs Fenster und blickt durchs Gitter.“ Der Geliebte ist bei dem Haus angekommen, wo die Geliebte mit ihrer Familie wohnt; nun sieht er durchs Fenster. Glasscheiben gab es zu biblischen Zeiten noch nicht, sondern die Fenster­öffnungen waren oft mit einem hölzernen Gitter versehen. Der Geliebte tritt dicht an das Fenster­gitter heran und hofft, drinnen die Geliebte zu sehen. Und wirklich: Da sieht er sie im Halbdunkel sitzen und freut sich über ihren Anblick. So wie hier vom Geliebten heißt es in der Bibel oft von Gott, dass er uns sieht. Natürlich sieht Gott sowieso alles, und manchmal blickt er Menschen auch im Zorn an. Aber am aller­liebsten sieht er uns Menschen liebevoll an und freut sich über uns. Als Saras ägyptische Magd Hagar in schwerer Zeit Gottes Hilfe erfuhr, sagte sie zu ihm: „Du bist ein Gott, der mich sieht“ (1. Mose 16,13). Und als Maria mit Jesus schwanger war, sagte sie von Gott: „Er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen“ (Lukas 1,48). Dieser Jesus, den Maria dann zur Welt brachte, hat in seinen Erdentagen immer wieder Menschen liebevoll angesehen und ihnen geholfen. Liebe Brüder und Schwestern, wenn ihr mal unsicher seid, wie Gott zu euch steht, dann stellt euch Jesus vor, wie er euch mit seinen lieben Augen ansieht, und denkt daran, dass er gekommen ist, um euch zu erlösen.

Drittens: Gott spricht. Der Geliebte ist gekommen, schaut durchs Fenster, sieht die Geliebte in der Stube sitzen und spricht zu ihr. Er sagt: „Steh auf, meine Freundin, meine Schöne, und komm her! Denn siehe, der Winter ist vergangen, der Regen ist vorbei und dahin. Die Blumen sind aufgegangen im Lande, der Lenz ist herbei­gekommen, und die Turteltaube lässt sich hören in unserm Lande. Der Feigenbaum hat Knoten gewonnen, und die Reben duften mit ihren Blüten. Steh auf, meine Freundin, und komm, meine Schöne, komm her!“ Das ist Werbung – Werbung im ur­sprüng­lichen Sinn des Wortes: Der Geliebte wirbt um seine Freundin. Er möchte dass sie bei ihm ist und zusammen mit ihm den herrlichen Frühling genießt. Er möchte, dass sie seine Braut wird. Er möchte, dass sie immer bei ihm bleibt. So wirbt Gott um uns Menschen. Er erklärt uns seine Liebe, er singt für uns sein Liebeslied. Gott wirbt um uns – um Leute die ihn immer wieder enttäuscht haben. Trotz allem sucht Gott die Gemeinschaft mit uns, und darum spricht er uns an: Komm, meine geliebte Braut, komm zu mir! Jesus ruft: Folgt mir nach! Werdet mein Jünger! Haltet euch zu mir! Er sagt es durch die Bibel, er sagt es in der Predigt, er sagt sagt es mit dem Heiligen Abendmahl: Kommt, denn es ist alles bereit! Wenn wir uns diesem Ruf nicht ver­schließen, dann werden wir mit ihm den Frühling von Gottes Liebe erleben. Und wenn wir ihm treu bleiben, dann werden wir mit ihm auch zum Sommer der ewigen Seligkeit durch­dringen.

Gott kommt, Gott sieht, Gott spricht – das ist der Inhalt des Liebes­liedes. Wie schon gesagt: Eigentlich ist es ein Liebeslied der Freundin, die von ihrem Freund erzählt. So ist auch Gottes Liebeslied an die Menschen eigentlich ein Lied, das er Menschen in den Mund gelegt hat und immer wieder neu legt: Das Lied der Propheten und Apostel sowie das Lied aller Gottes­kinder, denen der Mund übergeht, weil ihnen das Herz voll ist. Dieses Liebeslied ist auch ein Lied der Sehnsucht: Die Geliebte wartet sehnsüchtig auf ihren Geliebten und stellt sich vor, wie schön es werden wird, wenn er endlich kommt, sie anschaut und mit ihr spricht. Diese Sehnsucht nach Gott ist stark, stärker noch als die Sehnsucht im Winter nach dem Frühling und Sommer.

Liebe Brüder und Schwestern, lassen wird diese sehnsüchtige Liebe nach unserm Gott und Heiland nur nicht erkalten! Lassen wir sie uns immer wieder neu entfachen durch die Stimme des Bräutigams! Lassen wir es zwischen uns und Jesus nicht so werden wie bei einem alten Ehepaar, bei dem Gewohnheit und Pflicht an die Stelle der Liebe getreten sind! Lasst uns das Liebeslied des Herrn erwidern und sagen: „Komm, Jesu, meiner Seele Teil, ach komm, ich liebe dich. Ja, komm, Herr Jesu, komm, mein Heil, mach ewig selig mich.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2016.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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