Das Ziel unserer Erlösung

Predigt über Hosea 6,1-3 zum Ewigkeitssonntag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wir wollen nicht drum herumreden: Gott mutet uns so Einiges zu in dieser Welt. Wir leiden am Leib, wir leiden an der Seele, wir leiden an zwischen­menschlichen Problemen, wir leiden mit anderer Menschen mit. Und wir wissen: Das Leid hat die Menschheit von Anfang an begleitet. So kann es uns auch nicht wundern, wenn weite Teile der Bibel vom Leid handeln. Der Prophet Hosea gibt seinen leidenden Zeitgenosse eine Stimme und klagt mit ihnen: „Der Herr hat uns zerrissen, er hat uns geschlagen.“ Ja, Gott mutet uns so Einiges zu in dieser Welt. Dabei sollte uns klar sein: Letztlich muten es sich die Menschen selbst zu, denn Leid ist die Folge menschlichen Fehl­verhaltens – entweder direkt als Auswirkung von Habsucht, Hass und Krieg oder indirekt als göttlich verhängtes Straf­gericht.

Viele Menschen lehnen Gott ab, weil er so viel Leid zulässt. Sei es, dass sie persönlich viel Schweres durchgemacht haben, oder sei es, dass sie allgemein unter all dem Elend in der Welt leiden: Sie können nicht glauben, dass Gott bei alledem uns Menschen lieb hat oder dass es ihn überhaupt gibt. Ihr Problem ist aber eigentlich nicht Gott, sondern ihre Vorstellung von Gott beziehungs­weise ihre Erwartung an Gott. Sie meinen, ein liebender Gott müsse unsere menschlichen Erwartungen von glücklichem Leben erfüllen und er müsse unsere Gebete so erhören, wie Dienstboten die Anweisungen ihrer Vorgesetzten erfüllen. Aber wie gesagt: So ist Gott nicht, sondern er mutet uns Einiges zu – mutet uns zu, dass wir die Folgen der Sünde immer wieder leidvoll erfahren.

Die Bibel zeigt uns nicht nur, dass wir leiden müssen, sondern auch, wie wir richtig damit umgehen können; auch das finden wir beim Propheten Hosea. Er zeigt uns: Die Zeit­genossen, die richtig mit ihrem Leid umgehen, wenden sich nicht von Gott ab, sondern im Gegenteil: Sie wenden sich Gott zu. Sie sagen: „Kommt, wir wollen wieder zum Herrn; der hat uns zerrissen, er wird uns auch heilen, er hat uns geschlagen, er wird uns auch verbinden.“ Sie sind nicht sauer auf Gott, sie verlassen ihn nicht und verleugnen ihn auch nicht, sondern sie hoffen vertrauens­voll darauf, dass er ihnen gnädig ist und aus ihrem selbst­verschulde­ten Leid heraushilft. Sie hoffen nicht vergeblich.

Die ganze Bibel steckt voller Geschichten, wo Menschen in Not Gottes Hilfe erfahren. Die Sintflut­geschichte ist zwar die Geschichte einer Flut­katastrophe, aber sie ist vor allem eine Rettungs­geschichte: Gott rettete Noah und seine Familie und damit das ganze nachfolgende Menschen­geschlecht. Die Geschichte von Sodom und Gomorrha ist zwar eine Untergangs­geschichte, aber ebenfalls vor allem eine Rettungs­geschichte: Gott rettete Lot und seine Familie aus der brennenden Stadt. Die Geschichte der Hebräer in Ägpyten und in der Wüste ist eine Geschichte von Unter­drückung und Elend, aber auch sie ist in erster Linie eine Rettungs­geschichte: Gott befreite sein Volk aus der Sklaverei und führte es in ein herrliches Land. Die Geschichte von Hiob handelt von kaum erträglichen Schicksals­schlägen und schreck­licher Krankheit, aber sie zeigt am Ende, wie Gott dem Hiob gnädig ist und ihm zu neuem Lebensglück verhilft. Die Geschichte der Babylo­nischen Gefangen­schaft berichtet von der Zerstörung Jerusalems, von einer grausamen Ver­schleppung und von jahrzehnte­langem Leid über Gottes Volk, aber sie endet mit der Rückkehr nach Jerusalem und dem Wieder­aufbau. Die Geschichte vom Verlorenen Sohn erzählt den jähen sozialen Absturz eines jungen Mannes, aber das Ent­scheidende ist: Sie endet damit, dass der Vater sein reumütig heim­gekehrtes Kind in die Arme schließt. Und das Wichtigste: Die ganze Welt­geschichte ist eine Geschichte von Schuld und Leid, unentwirrbar ineinander verflochten, aber Gott schickt den Heiland und erlöst alle, die ihm vertrauen. „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ (Joh. 3,16) – das ist die Haupt­botschaft der Bibel, das ist das Ziel von Gottes Handeln mit der Welt, und so macht Gott die ganze Welt­geschichte letztlich zu seiner Rettungs­geschichte.

Nun ist diese Rettungs­geschichte allerdings noch nicht zuende, sondern wir stecken mitten drin. Unter dem Ab und Auf von menschlicher Schuld, menschlicher Not, menschlicher Hilferufe und göttlicher Gnaden­erweise ist unsere Erlösung noch nicht vollendet, sondern geht ihrer Vollendung erst entgegen. Wir müssen noch leiden, müssen noch sterben, sind noch nicht im Himmel. Wir kämpfen noch mit unserer Sünde und flehen noch um Hilfe, genauso wie Gottes Kinder zu Hoseas Zeiten und zu allen Zeiten: „Kommt, wir wollen wieder zum Herrn; denn er hat uns zerrissen, er wird uns auch heilen, er hat uns geschlagen, er wird uns auch verbinden.“ Dass dieses Flehen nicht vergeblich ist und dass Gott uns am Ende wirklich vom Bösen erlösen wird, das hat er uns aber fest versprochen. Wir haben dieses Versprechen oft gehört, auch heute wieder, in der Epistel-Lesung: „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein“ (Offb. 21,4). Weil Christus uns schon erlöst hat, weil er für uns gestorben und nach drei Tagen wieder auferstanden ist, können wir unsern Lebensweg zu­versichtlich gehen, auch wenn Gott uns dabei so Einiges zumutet. Wir gleichen einem schwer Kranken, der sich auf dem Weg der Besserung befindet: Es geht ihm zwar noch nicht gut, aber er ist voller Freude und Zuversicht, weil er merkt, dass die Heilung Fortschritte macht.

Diese Zuversicht hat der Prophet Hosea mit mehreren Bildern ausgedrückt. So vergleicht er den Weg zum Himmel mit der Morgen­dämmerung – ein Bild, das uns auch noch an anderen Stellen der Bibel begegnet. Er sagt: „Lasst uns darauf achthaben und danach trachten, den Herrn zu erkennen; denn er wird hervor­brechen wie die schöne Morgenröte.“ Viel zu selten erleben wir dieses herrliche Natur­schauspiel, aber wer es schon einmal erlebt hat, der weiß, wie herrlich es ist: Im frühen Morgengrauen zeigt sich im Osten ein Schimmer von zartem Rosa; dann erscheint plötzlich eine kleine, leuchtend orange Sichel über dem Horizont, wird größer und größer, wächst zu einem mächtigen Feuerball und erhebt sich zusehends in den Himmel. Das Dunkel der Nacht ist vergangen und vergessen; ein neuer Tag ist geboren. Was für ein bewegendes Erlebnis, was für ein erhabenes Gefühl! Ebenso können wir dem Wiederkommen Christi und der ewigen Seligkeit entgegen­sehen.

Hosea vergleicht unsern Weg zum Himmel auch mit dem Frühling; dieses Bild begegnet uns ebenfalls mehrmals in der Bibel. Er sagt: „Er wird zu uns kommen wie ein Regen, wie ein Spätregen, der das Land feuchtet.“ Damit wir dieses Bild richtig in uns aufnehmen können, müssen wir uns den klimatischen und land­wirtschaft­lichen Jahreslauf im Heiligen Land vor Augen führen. Ende Oktober, Anfang November beginnt mit den ersten Regenfällen die nasskalte Jahreszeit. Dieser Frühregen ist wichtig, damit der Boden umgepflügt werden und die neue Saat aufnehmen kann. Es folgen mehrere Monate Winter mit Regenfällen und Durchschnitts­temperaturen von unter zehn Grad. Im Februar wird es langsam wieder wärmer, und am Feigenbaum zeigen sich die ersten Knospen. Jesus sagte: „An dem Feigenbaum lernt ein Gleichnis: Wenn seine Zweige jetzt saftig werden und Blätter treiben, so wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. Ebenso auch: Wenn ihr das alles seht, so wisst, dass er nahe vor der Tür ist.“ (Matth. 24,32-33) Angesichts des bevor­stehenden warmen Halbjahrs erwacht die Natur, und die letzten Regenfälle kommen. Dieser Spätregen hilft zusammen mit dem stärker werdenden Sonnen­schein, dass Getreide, Obst, Oliven und Wein heranreifen. Dann wissen die Menschen: Jetzt brauchen wir nicht mehr zu frieren, jetzt kommt der Sommer, jetzt kommt die Erntezeit, jetzt haben wir wieder reichlich Nahrung und können uns an frischem Obst erfreuen! Ein bisschen können wir uns da hinein­denken, wenn wir uns in unsern Breiten auf den nächsten Frühling freuen. Dann werden die Bäume ausschlagen und blühen, dann werden wir wieder kurzärmlig im Sonnenschein spazieren­gehen, dann wird es abends wieder hell sein, dann werden wir uns an Blumen und frischen Erdbeeren erfreuen. Was für eine ein schöner Gedanke, was für eine herrliche Vorfreude! So können wir dem Wiederkommen Christi und der ewigen Seligkeit entgegen­sehen.

Hosea vergleicht unsern Weg zum Himmel auch mit einer Toten­auf­erweckung, so wie Jesus in seinen Erdentagen Tote auferweckt hat und wie er selbst am dritten Tag vom Tod auferstanden ist. Hosea sagt: „Er macht uns lebendig nach zwei Tagen, er wird uns am dritten Tage aufrichten, dass wir vor ihm leben werden.“ Eigentlich ist es mehr als ein Vergleich, denn es geht ja um die Sache selbst: Gott wird uns am Jüngsten Tag aus dem Tod auferwecken und uns für immer bei sich leben lassen, und dann wird unsere Erlösung vollendet sein. Dabei spielt es keine Rolle, was dann noch von unseren Erdenleibern übrig ist: Ob sie ganz zu Asche und Erde geworden sind, ob es noch ein paar Knochenreste gibt, ob die Leiche gut erhalten ist oder ob wir womöglich noch am Leben sind: Gott wird uns neue Körper schenken, die zur Herrlichkeit seiner neuen Welt passen. Sie können nicht mehr krank werden oder sterben, sie werden auch nicht weinen oder von Traurigkeit gebeugt sein. Ja, lasst uns mit solcher Vorfreude dem Wiederkommen Christi und der Ewigkeit entgegen­sehen – auch und gerade dann, wenn Gott uns jetzt noch so Einiges zumutet.

„Kommt, wir wollen wieder zum Herrn; denn er hat uns zerrissen, er wird uns auch heilen, er hat uns geschlagen, er wird uns auch verbinden.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2016.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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