Buße tun und beten für das Volk

Predigt über Hesekiel 22,23-28 zum Buß- und Bettag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Zu Recht hat Martin Luther am Anfang seiner 95 Thesen fest­gestellt, dass nach Jesu Willen das ganze Christen­leben eine ständige Buße sein soll. Und der Apostel Paulus hat die Christen auf­gefordert, ohne Unterlass zu beten (1. Thess. 5,17). Warum gibt es dann einen speziellen Buß‑ und Bettag? Beim Buß‑ und Bettag geht es nicht um das tägliche Beten und Buße-Tun des einzelnen Christen für sich selbst, sondern es geht um das gemein­schaftliche Beten und Buße-Tun des ganzen Volkes. Regierende haben diesen Tag einst eingeführt und als Feiertag geschützt, damit die christliche Gemeinde Gott für das Unrecht des Volkes um Vergebung bitten und für sein Wohlergehen beten soll. Was das bedeutet, können wir vom Propheten Hesekiel lernen.

Es beginnt mit einer un­geschminkten Diagnose. Gott stellte damals durch seinen Propheten Hesekiel den führenden Politikern in Israel folgende Diagnose: „Die Fürsten in seiner Mitte sind wie brüllende Löwen, wenn sie rauben; sie fressen Menschen, reißen Gut und Geld an sich und machen viele zu Witwen im Lande… Die Oberen in deiner Mitte sind wie reißende Wölfe, Blut zu vergießen und Menschen umzubringen um ihrer Habgier willen.“ Diese Diagnose ist eine schrecklich Anklage an die Machthaber des Landes: Sie sind habgierig und blutgierig wie Löwen und Wölfe; sie gehen über Leichen. Dem ganzen Volk ging es damals schlecht, weil seine Regierung versagte. Unter so schlechten Politikern glich das Volk einem aus­getrockneten Land, über das kein Regen kommen will. Gott ließ das Volk durch Hesekiel wissen: „Du bist ein Land das nicht beregnet ist, das nicht benetzt wurde zur Zeit des Zorns.“ Wir hören dabei heraus: Gottes Zorn beschränkt sich nicht auf die Oberen, sondern erstreckt sich über das ganze Volk. Das ganze Volk hatte gesündigt; darum musste es unter Gottes Zorn leiden. Gottes Diagnose zielte darauf ab, dass alle Büger ihrer Mitschuld am beklagens­werten Zustand des Volkes erkennen und dann auch bekennen. Und letztlich zielte sie darauf ab, dass alle Bürger Gott um Vergebung bitten und Besserung geloben sollen. Denn Gott wartete ja nur darauf, seinem Volk wieder gnädig zu sein und ihm Gutes zu tun.

Solche schreck­lichen Zustände gab es damals nicht nur in Israel, sondern auch in vielen anderen antiken Völkern. Die Regierenden sahen den Staat als ihr Privat­eigentum an, mit dem sie machen konnten, was sie wollten. Habgierig saugten sie die Bevölkerung aus und achteten dabei ein Menschen­leben für nichts. Sie scheuten sich auch nicht, politische Rivalen einfach umzubringen. Leider war das nicht nur in der Antike so. Auch im Mittelalter und bis in unsere Gegenwart hinein gab und gibt es Leute in Regierungs­positionen, die nur an sich selbst denken und denen die anderen Menschen gleichgültig sind. Es gibt Machthaber, die führen gegen ihr eigenes Volk Krieg. Es gibt Machthaber, die lassen alle einsperren und foltern, die sie kritisieren. Es gibt Machthaber, die verramschen die Bodenschätze ihres Landes und stecken sich den Gewinn in die eigene Tasche. Es gibt Machthaber, denen scheint es völlig egal zu sein, dass Tausende von Bürgern aus dem Land fliehen und viele von ihnen auf der Flucht dann jämmerlich umkommen; sie tun nichts dagegen, und kein Wort des Bedauerns oder des Mitgefühls kommt über ihre Lippen.

Wenn wir uns das hier und heute in Deutschland klar machen, dann müssten wir eigentlich erstmal einen großen Lob‑ und Danktag abhalten, weil es uns hier viel besser geht. Gott sei Dank haben wir viele ver­antwortliche Politiker, die sich ehrlich für das Wohl des ganzen Volkes einsetzen. Gott sei Dank gibt es bei uns kein will­kürliches Ausplündern und Morden, sondern wir leben in einem Rechtsstaat mit weitgehend unabhängiger Justiz. Dennoch haben wir Grund, den Buß‑ und Bettag zu feiern – selbst wo die Regierenden ihn nicht mehr anordnen, ja nicht einmal mehr als gesetz­lichen Feiertag schützen, und wo sich die Staatsbürger mehrheitlich nicht mehr als christliches Volk empfinden, dem es wohl ansteht, wenigstens einmal im Jahr gemeinschaft­lich Buße zu tun und für das Land zu beten. Denn Gottes Diagnose über unser Land fällt zwar anders aus als zu Hesekiels Zeiten, aber sie ist keineswegs nur positiv.

Unsere Politiker sind zwar keine Löwen und Wölfe, aber doch tolerieren und schützen sie Gesetze, die es möglich machen, dass wehrlose ungeborene Menschen einfach getötet werden, nur weil sie unerwünscht sind. Unsere Politiker fühlen sich zwar dem Grundgesetzt ver­pflichtet, das unter anderem die Ehe und die Familie besonders schützt, aber sie verwässern dann doch Gottes gute Ordnung der Ehe, indem sie andere Lebens­gemein­schaften gleichrangig behandeln und indem sie von Ehepartnern keine lebenslange Treue mehr erwarten. Unsere Politiker nennen es familien­freundlich, wenn Familien im Alltag auseinander­gerissen werden – der Vater an einem Arbeits­platz, die Mutter an einem anderen Arbeitsplatz und das Kind möglichst früh in der Kita. Unsere Politiker höhlen die Feiertags­heiligung aus, indem sie durch allerlei gesetzliche Ausnahmen den Sonntag zum Arbeits‑ und Shopping-Tag werden lassen.

So haben wir auch gemeinschaft­lich als Christen in Deutschland viel Grund, Buße zu tun und zu beten. Es kann auch bei uns – wie in Israel damals – schnell dazu kommen, dass Gott unser Volk spüren lässt, wohin die allgemeine Gott­vergessen­heit führt. Und wir können uns nicht herausreden, dass uns das Fehl­verhalten von Politikern nichts angeht. Wir können es sogar noch weniger als die Menschen der Antike, denn in einer Demokratie sind letztlich wir alle ja die Machthaber; jeder trägt ein Stückchen Ver­antwortung für die herrschende Politik. Da sind wir gefordert, unsern Mund aufzumachen, wenn Unrecht geschieht, ver­antwortlich zu wählen und vor allen Dingen fleißig zu beten. Lasst uns heute also Buße tun im Blick auf unser Volk und alles, was darin nicht in Ordnung ist, und lasst uns Gottes Segen erbitten, dass er uns verschont und die verdiente Strafe nicht kommen lässt.

Hesekiels Diagnose beschränkte sich nicht auf die politischen Machthaber in Israel, sondern sie betraf auch die geistlichen Führer. Er verkündete im Namen Gottes: „Die Priester tun meinem Gesetz Gewalt an und entweihen, was mir heilig ist; sie machen zwischen heilig und unheilig keinen Unterschied und lehren nicht, was rein oder unrein ist, und vor meinen Sabbaten schließen sie die Augen; so werde ich unter ihnen ent­heiligt… Die Propheten streichen ihnen mit Tünche darüber, haben Truggesichte und wahrsagen ihnen Lüge; sie sagen: ‚So spricht Gott der Herr‘, wo doch der Herr gar nicht geredet hat.“ Hesekiel selbst, der im Exil lebende Prophet, war da eine rühmliche Ausnahme; wir erkennen das an der Einleitung seines Propheten­worts. Da bezeugt er nämlich aus­drücklich, dass er nichts anderes weitergibt, als was er vom Herrn empfangen hat. Er beteuerte: „Des Herrn Wort geschah zu mir: Du Menschen­kind, sprich zu ihnen…“

Hesekiels Diagnose über geistliche Führungs­personen gilt auch hier und heute bei uns; sie sollte uns Anlass zum Buße-Tun geben und ins Gebet treiben. Wir haben klar und eindeutig Gottes Wort zwischen den beiden Buchdeckeln der Bibel; da steht nichts anderes drin, als was Gottes Propheten und Apostel vom Heiligen Geist empfangen haben. Was aber tun viele Theologen unserer Zeit sowie auch viele geistliche Würden­träger? Sie manipulieren die Aussagen der Heiligen Schrift, stellen manches davon kritisch in Frage und geben andererseits menschliche Weisheit sowie Zeitgeist-Meinungen als Gottes Wort aus. Da wird die Gültigkeit von Gottes Geboten relativiert; „sie machen zwischen heilig und unheilig keinen Unter­schied“. Vieles von dem aber, was in unserem Staat schief läuft und was ich oben erwähnt habe, wird von Theologen gut geheißen und gerecht­fertigt – so als würde man einen schwarzen Stein weiß anpinseln und behaupten, er sei ein weißer Stein. „Die Propheten streichen ihnen mit Tünche darüber, haben Truggesichte und wahrsagen ihnen Lüge.“

Zu diesen Lügen unserer Zeit gehört der sogenannte Genderismus: Da soll den Leuten weisgemacht werden, dass Gott die Menschen gar nicht klar unter­scheidbar männlich oder weiblich schaffe und dass das Geschlecht einer Person letztlich unbedeutend und beliebig veränderbar sei. Auf dieser Linie liegen auch die Beschlüsse mehrerer evan­gelischer Kirchen in Deutschland, die Segnung gleich­geschlecht­licher Paare einer kirchlichen Trauung gleich­zustellen. Was sind das für geistliche Amtsträger, die öffentlich segnen, was Gott in seinem Wort als Gräuel bezeichnet? Am schlimmsten ist es jedoch, wenn das Sühnopfer des Herrn Jesus Christus geleugnet oder seine Gottheit in Frage gestellt wird, ja, wenn Christus aus dem Zentrum des Glaubens an den Rand gedrängt wird, wenn er nur noch Vorbild und Gesetzes­lehrer sein soll, nicht mehr der universale Erlöser, ohne den niemand den himmlischen Vater finden kann.

Auch bei diesem Teil der Diagnose können wir uns nicht zurück­ziehen, selbst wenn wir Gott sei Dank zu einer Kirche gehören, in der das Bekenntnis zu Gottes Wahrheit der Heiligen Schrift sehr ernst genommen wird. Denn auch wir sind ja als Christen in diesem Land aufgerufen, Licht der Welt und Salz der Erde zu sein – auch über unsere engen Kirchgrenzen hinaus. Nutzen wir alle Gelegen­heiten, für die bedingungs­lose Geltung der Heiligen Schrift einzutreten? Nennen wir Sünde und falsche Lehre beim Namen – auch auf die Gefahr hin, dass die Harmonie der netten Gefühls-Ökumene in unserem Land dadurch einen Knacks bekommen könnte? Haben wir denn aus der Geschichte unseres Volkes immer noch nicht gelernt, dass man für die Wahrheit den Mund aufmachen sollte – notfalls auch gegen den Trend des Zeitgeistes und gegen die Verkündigung kirchlicher Führungs­personen, die dem Zeitgeist nach dem Mund reden? Und sind wir bereit, um unserer kleinen, armen und an­gefochtenen Bekenntnis­kirche willen Opfer auf uns zu nehmen, damit wenigstens hier verlässlich Gottes Wort verkündigt wird und die Heiligen Sakramente weiterhin so heilig gehalten werden, wie es ihnen zusteht?

Lasst uns Buße tun. Lasst uns Gott um Vergebung bitten – für uns selbst, für unser Volk und für die Fehl­entwick­lungen in Politik und Kirche, für die auch wir mit­verantwort­lich sind, sei es direkt oder indirekt. Lasst uns dafür beten, dass die wohl­verdiente Strafe ausbleibt und Gott uns noch eine Chance gibt. Lasst uns ihn anflehen, dass er seinen Geist sendet und die Menschen in unserem Volk erweckt – sowohl die Mächtigen als auch die einfachen Leute. Lasst uns schließlich darauf vertrauen, dass Gott diese Gebete erhört. Denn Gott möchte uns ja am liebsten gnädig sein und Gutes tun. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2016.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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