Himmelsleiter, zweiter Teil

Predigt über 1. Mose 28,20-22 zum 14. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Die alt­testament­liche Lesung des heutigen Sonntags erzählt die Geschichte von Jakob und der Himmels­leiter: Das Mutter­söhnchen Jakob hat sich mit Un­aufrichtig­keit und Dummheit bei seinem Bruder Esau so unbeliebt gemacht, dass er nicht mehr zu Hause wohnen bleiben kann. Er flieht vor Esaus unbändigem Zorn; er will weit weg; er will für ein paar Jahre bei Verwandten im Ausland unterkommen. Die erste Nacht auf seiner Flucht muss Jakob im Freien schlafen. Da schickt Gott ihm einen merkwürdigen Traum: Jakob sieht Gott an der Spitze einer Leiter im Himmel; Engel steigen herab und hinauf; und Gott verspricht Jakob seinen Segen. Als Jakob aufwacht, wird ihm bewusst, dass diese Stelle durch Gottes Versprechen nun heilig ist, und er nennt sie Bethel, „Haus Gottes“. Zur Erinnerung daran macht er aus dem Stein, der ihm als Kopfkissen diente, ein Denkmal.

Die Geschichte mit der Himmels­leiter hat eine Fortsetzung, einen zweiten Teil; den haben wir eben als Predigttext gehört. In diesem zweiten Teil hören wir von allerlei frommen Vorsätzen des Flüchtlings Jakob. Er nimmt sich vor, bei seiner Rückkehr an dieser Stelle ein „Gotteshaus“ zu errichten, einen Opferplatz zur Ehre Gottes. Und er verspricht Gott, wenn er dann reich ist, zehn Prozent von seinem gesamten Einkommen zu opfern. Ein ernsthaftes und heiliges Versprechen legt Jakob da ab, ein Gelübde. Was für ein frommer Mann!

Gelübde werden auch heute noch abgelegt: Mönche und Nonnen weihen ihr ganzes Leben Gott, und Pastoren verpflichten sich bei der Ordination zum hingebungs­vollen Dienst der Wort­verkündi­gung. Auch das Konfirmations­versprechen ist ein Gelübde: ein Treuegelübde zum dreieinigen Gott und zu seiner Kirche. Vielleicht kennt ihr Menschen, die darüber hinaus wie Jakob ganz persönliche Gelübde in besonderen Lebens­situationen getan haben, oder vielleicht habt ihr das sogar selbst schon einmal gemacht. Solche ernsthaften und heiligen Versprechen stellen ganz besondere Dankopfer für Gott dar.

Nun lässt sich allerdings nicht übersehen, dass Jakob sein Gelübde an bestimmte Bedingungen geknüpft hat. Bevor er sein Versprechen ablegt, sagt er dreimal „wenn“: „Wenn Gott mit mir ist und mich auf diesem Weg, den ich ein­geschlagen habe, behütet, wenn er mir Brot zum Essen und Kleider zum Anziehen gibt, wenn ich wohlbehalten heimkehre in das Haus meines Vaters und der Herr sich mir als Gott erweist…“ Wir hören da Jakobs Herzens­anliegen heraus und seine Angst: Was, wenn unterwegs ein Unfall passiert, wenn Räuber ihn überfallen oder wilde Tiere? Was wenn er nach den satten Jahre daheim nun ständig Hunger leiden muss und sich nur mit Lumpen kleiden kann? Was, wenn ihn nun irgendwelche Umstände in der Fremde festhalten und er nie mehr sein Elternhaus zu Gesicht bekommt? Das sind die Dinge, die Jakob vorrangig beschäftigen – den Jakob, der gerade so wunderbar Gottes Segen verheißen bekommen hat! Da merken wir, dass der scheinbar so fromme Jakob in Wahrheit ein ziemlich an­gefochtener Mensch ist; eben ein Mensch wie du und ich.

Aber dieses dreifache Wenn zeigt uns noch mehr. Es zeigt: Jakob war ein religiöser Mensch – „religiös“ im ur­sprünglichen Sinne des Wortes: Jakob suchte eine Rückbindung, eine Rück­versicherung bei Gott. Verkürzen wir Jakobs Gelübde auf das Wesentliche, dann kommt Folgendes dabei heraus: Gott, wenn du mir Gutes tust, dann will ich dir auch Gutes tun. Das ist das Wesen jeder Religion – wenn wir „Religion“ im ur­sprünglichen Sinne des Wortes verstehen. Da sagt ein religiöser Mensch: Gott, wenn du mich von der bevor­stehenden Reise heil heimkehren lässt, dann zünde ich dir in der Kirche eine dicke Kerze an. Da sagt ein zweiter religiöser Mensch: Gott, wenn du mich von dieser schweren Krankheit wieder gesund werden lässt, dann will ich nie mehr über kleine Un­pässlich­keiten jammern. Da sagt ein dritter religiöser Mensch: Gott, wenn du mein totkrankes Kind am Leben erhältst, dann will ich sonntags immer in die Kirche gehen! Vielleicht ist dieser dritte Mensch aber auch so verzweifelt, dass er dem Allmächtigen droht: Gott, wenn du mein totkrankes Kind nicht am Leben erhältst, dann will ich nichts mehr mit dir zu tun haben.

Das Problem der Religion im ursprüng­lichen Wortsinn liegt darin, dass der Mensch mit Gott zu handeln versucht, dass er einen Deal mit ihm möchte: Gott, wenn du mir Gutes tust, dann werde ich dir auch Gutes tun; Gott, wenn du mich hart schlägst, dann werde ich mich von dir abwenden. Aber Gott ist nun mal nicht unser Geschäfts­partner; er hat es gar nicht nötig, dass wir ihm Gutes tun. Andererseits hat Gott uns so lieb, dass er seinerseits uns viel Gutes tut, auch wenn wir es ihm nicht danken. Jesus lehrte in der Bergpredigt: „Er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“ (Matth. 5,45). Und Martin Luther lehrt im Kleinen Katechismus: „Gott gibt das tägliche Brot auch ohne unsere Bitte allen bösen Menschen.“ Ein guter Vater handelt nicht mit seinen Kindern und feilscht nicht mit ihnen, darum sollten es umgekehrt gute Kinder auch nicht mit ihrem Vater versuchen. Sie sollten sich lieber fröhlich von ihm beschenken lassen und sich dann bei ihm bedanken. Und sie sollten ihrem Vater auch dann dienen und ihm gehorchen, wenn er ihnen nicht alles gibt, was sie von ihm erwarten.

Das Wenn des Jakob und aller im ursprüng­lichen Sinne religiösen Menschen ist also völlig un­angemessen. Jakob ist darin kein gutes Vorbild. Wir können nicht mit Gott handeln, wir sollen es auch nicht und – Gott sei Dank! – wir brauchen es auch nicht. Wir heutigen Gläubigen haben den großen Vorzug vor Jakob, dass wir das ganz deutlich erkennen können: Inzwischen ist ja Gottes Sohn Jesus Christus in die Welt gekommen und hat uns gezeigt, dass wir ohne eigene Werke und Verdienste gerecht werden – allein, indem wir ihm vertrauen. Alle, die zu Jesus Christus gehören, brauchen deshalb nicht mehr „wenn“ zu sagen, wenn sie Gott etwas geloben. Sie können vielmehr sagen: Lieber Vater im Himmel, du schenkst mir jeden Tag so viel Gutes; du hast mir durch Christus vergeben und das ewige Leben geschenkt; nimm dafür mein Lob und mein Leben als kleinen, kümmerlichen Dank in Gnaden an! Wer so gesinnt ist, der denkt nicht mehr religiös, sondern der denkt wahrhaft christlich.

Die Geschichte mit der Himmels­leiter hat noch einen dritten Teil. Nach Jakobs dreifachem Wenn nimmt Gott nichts von seinem verheißenen Segen zurück und wendet sich auch nicht enttäuscht von ihm ab, aber er nimmt Jakob in seine strenge Schule: Zwanzig Jahre lang muss Jakob unter harter Arbeit und manchen Ent­täuschungen vom Mutter­söhnchen zum Mann heranreifen; dann erst lässt Gott ihn wieder heimkehren. Mit Weib, Kind und großem Besitz gesegnet, kommt er nach Bethel zurück, an die heilige Stätte seines Traums. Dort baut er einen Altar, bringt Gott Opfer dar und erfüllt sein Gelübde.

Es ist für jeden Gläubigen gut, Gott Dankopfer zu bringen und unter Umständen solche auch für die Zukunft zu geloben. Das leidige Wenn jedoch, das sollten wir weglassen, denn man kann nicht handeln mit Gott, man kann sich von ihm nur beschenken lassen. Lasst uns also Gott ohne Wenn und Aber dienen – es sei denn das eine besondere Wenn, das uns der Psalmbeter in den Mund legt: „Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele ver­schmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.“ (Psalm 73,25‑26). Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2016.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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