Der gute Hirte und die Schweine­herde

Predigt über Matthäus 8,28-34 zum Sonntag Miserikordias Domini

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Der gute Hirte hatte in Kapernaum gepredigt und viele Kranke gesund gemacht. So sorgte er sich um Gottes Herde im Volk Israel. Dann überquerte er zusammen mit seinen Jüngern den See Genezareth. Ein schwerer Sturm kam auf. Wieder kümmerte sich der gute Hirte um seine Schafe: Er stillte den Sturm und rettete ihnen das Leben. Danach legten sie am Südostufer an und machten sich zu Fuß auf den Weg zur Stadt Gadara. Sie kamen an die Stelle, wo der Fluss Jarmuk das Gebirge durch­schneidet. An dieser Stelle wurde es eng – und gefährlich. Die Gefahr bestand aus zwei wilden Männern, die niemanden durchlassen wollten. Es waren Heiden, denn Jesus befand sich hier im Heidenland, wo man den Gott Israels nicht kannte. Sie waren von bösen Geistern besessen und wohnten un­heimlicher­weise auf einem Friedhof. Genau hier wollte der gute Hirte mit seinen Jüngern durch. Was machte er da?

Was machen wir, wenn uns fremde, unheimliche und gefährliche Menschen über den Weg laufen? Die meisten werden einen großen Bogen um sie machen. Man will kein Risiko eingehen und möchte lieber nichts mit ihnen zu tun haben. Manche fragen sich dann: Sind das überhaupt Menschen, oder sind das wilde Bestien?

Der gute Hirte wusste, dass die beiden gefährlichen Männer letztlich einfach nur Menschen­schafe waren, selbst wenn sie in einem Wolfspelz steckten. Und er war nicht nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt, sondern sollte ebenso Schafe aus anderen Ställen zu seiner Herde sammeln. Er hatte auch diese beiden wilden Männer lieb und wollte ihnen helfen. Das können wir vom guten Hirten lernen: in jedem Menschen ein von Gott geliebtes Geschöpf erkennen, egal wie fremdartig, un­sympathisch oder furcht­einflößend er auf uns wirkt.

Die beiden wilden Männer schrien Jesus an: „Was willst du von uns, du Sohn Gottes? Bist du hergekommen, uns zu quälen, ehe es Zeit ist?“ Der Teufel ist nicht dumm, und die Menschen, die er in seiner Gewalt hat, sind es meistens auch nicht. Der Teufel weiß, dass Jesus Gottes Sohn ist und dass er alle Macht hat. Der Teufel und seine Gefolgschaft sind sich bewusst, dass ihre Tage gezählt sind: Wenn Gottes großer Gerichtstag kommt, werden sie nichts mehr zu melden haben. Die bösen Geister in den beiden Besessenen waren allerdings überrascht und erschrocken, dass der Sohn Gottes sie jetzt schon richten wollte, lange vor dem Jüngsten Tag. Sie wollten noch eine Galgenfrist heraus­schinden und bettelten: „Willst du uns austreiben, so lass uns in die Herde Säue fahren.“

An dieser Stelle wird die Geschichte schwierig – wenigstens für uns moderne Menschen, die wir kaum mehr etwas über böse Geister wissen. Aus der Bibel müssen wir zunächst einfach zur Kenntnis nehmen, dass es diese Feinde des lebendigen Gottes tatsächlich gibt – nicht nur als Denkmodelle, sondern als real existierende Wesen. Wer mit offenen Augen durchs Leben geht, kann das Böse in der Welt nicht einfach auf die menschliche Dummheit schieben oder auf schlechte Erziehung, sondern immer wieder blickt uns durch das unfassbare Verhalten mancher Leute die Fratze des Bösen an. Es ist nämlich so: Geistwesen können in unserer Welt nur dann etwas ausrichten, wenn sie irgendwie körperlich werden, wenn sie etwa von Menschen Besitz ergreifen. So war das bei den beiden Besessenen von Gadara der Fall. Ihre Dämonen hatten nun Angst, dass Jesus sie austreibt und dass sie dann keinen Lebensraum mehr in unserer Welt haben. Darum baten sie Jesus, dass sie wenigstens in Tierkörpern weiterleben dürfen – genauer: in ungefähr zweitausend Schweinen, die in der Nähe weideten. Wir sehen: Jesus war hier wirklich im tiefsten Heidenland, denn die Juden hielten keine Schweine; die galten ihnen als unrein.

Der gute Hirte ließ sich auf diese Bitte ein. Das ist merkwürdig. Ist es möglich, dass der Sohn Gottes Kompromisse mit dem Teufel schließt? Wohl kaum. Er hätte die bösen Geister auch ohne weiteres gleich ins Jenseits befördern können, bei ähnlichen Gelegen­heiten hat er das ja getan. Hier haben wir die größte Schwierig­keit der Geschichte: Warum erlaubt der gute Hirten den bösen Geistern, in die Schweine­herde zu fahren? Wollte er ihnen etwa einen Gefallen tun? Und taten ihm die Tiere denn kein bisschen leid?

Es gibt nur eine Erklärung: Der gute Hirte wollte seine Jünger auf diese Weise etwas lehren – nicht nur seine Jünger damals, sondern auch uns heutige Jünger, denn sonst stünde die Geschichte nicht in der Bibel. Und was lernen wir daraus? Zuerst lernen wir, dass er auch den beiden heidnischen Männern helfen und sie von der Macht des Bösen befreien wollte. Der gute Hirte will alle befreien, ohne Ansehen der Person. Zweitens lernen wir, dass ihm dafür kein Preis zu hoch ist. Zwei Menschen­seelen sind in jedem Fall wertvoller als eine riesige Schweine­herde. Das muss man betonen in einer Zeit, wo sogenannte Tierrechtler ab­sonderliche Vor­stellungen entwickeln und manchen Tieren fast denselben Wert beimessen wie einem Menschen. Der gute Hirte wusste natürlich, dass die Schweine bei der Aktion draufgehen, aber er ist kein Schweine­hirt, sondern ein Menschen­hirt. Später hat er dann einen noch viel höheren Preis bezahlt für die Erlösung aller Menschen: Sein eigenes Leben hat er drangegeben.

Und noch etwas Drittes können wir lernen. Dazu müssen wir genau Acht geben, was nach der Austreibung geschah. Die bösen Geister „fuhren aus und fuhren in die Säue; und siehe, die ganze Herde stürmte den Abhang hinunter in den See, und sie ersoffen im Wasser.“ Ja, genau so steht es da: „Die ganze Herde (Einzahl!) stürmte den Abhang hinunter in den See, und sie (Mehrzahl!) ersoffen im Wasser.“ „Sie“ – nämlich die bösen Geister! Sie wollten weiterhin Lebewesen in unserer Welt beherrschen, und Jesus erlaubte es ihnen, aber was taten sie dann? Sie richteten sich selbst zugrunde! Die bösen Geister trieben die Schweine­herde, die bis dahin friedlich weidete, in die Raserei und bewirkten damit den Untergang – sowohl für die Herde als auch für sich selbst. Das ist das Dritte, was der gute Hirte uns zeichenhaft mit diesem Ereignis lehrt: Böse Mächte richten sich früher oder später selbst zugrunde samt denen, die sie in ihrer Gewalt haben. Das ist ein Prinzip, das wir auch durchgängig in der Welt­geschichte beobachten können. Denkt an das Dritte Reich und seine bösen Mächte, auch die haben sich selbst in den Untergang getrieben und Unzählige mitgerissen. Es ist immer so, es muss so sein: Böse Mächte richten sich früher oder später selbst zugrunde. Auch die Zukunft wird das zeigen: Die bösen Mächte, die wir heute in der Welt am Werk sehen, werden sich morgen selbst zugrunde richten. Der Teufel und die bösen Geister sprechen sich mit ihrer Feindschaft gegen den lebendigen Gott selbst das Urteil, das schließlich am Jünsten Tag der ganzen Welt offenbar werden wird. Darin zeigt sich das Wesen von Gottes Gericht: Böse Geister und böse Menschen schneiden sich selbst vom guten ewigen Leben ab, wenn sie sich von der Quelle des Lebens abwenden.

Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Als die Schweine­hirten sahen, was mit ihrer Herde geschehen war, rannten sie in ihr Dorf und erstatteten Bericht. Sie sagten: Die beiden Verrückten sind geheilt, aber dafür sind alle Schweine ertrunken. Daraufhin zogen die Dorfbewohner los, um sich an Ort Stelle ein Bild von der Lage zu machen. Sie fanden Jesus mit seinen Jünger sowie die beiden Geheilten. Sie begegneten dem Herrn durchaus respektvoll, denn sie spürten etwas von seiner göttlichen Macht. Aber zugleich war ihnen diese Macht zu unheimlich. Letztlich war ihnen wichtiger, weiterhin Schweine­braten zu essen als Gottes Macht unter sich zu erleben. Darum baten sie den guten Hirten höflich, ihr Gebiet zu verlassen und sie künftig in Ruhe zu lassen.

Zuletzt treten wir selbst in Gedanken in diese Geschichte ein und begegnen dem guten Hirten. Als seine Jünger erleben wird staunend, wie er für seine Schafe sorgt: Er hilft, er heilt, er lehrt, er schützt. Wir lernen, dass er alle Menschen liebt und dass es für ihn keine hoffnungs­losen Fälle gibt. Auch solche Menschen, die ganz schlimm in den Fängen böser Mächte stecken und deswegen selbst unheimlich böse und aggressiv handeln, will und kann der gute Hirte befreien. Aber er zwingt niemanden dazu, sich helfen zu lassen. Wer ihm feindlich gegenüber­tritt, den treibt er fort, und der wird dann an seiner eigenen Gottes­feindschaft zugrunde gehen. Und wer ihn höflich fortschickt, dem drängt er sich nicht auf. Wer aber treu bei ihm bleibt und sich gern von ihm weiden lässt, der findet durch ihn das ewige Leben.

Darum lasst es uns so machen, wie es seine Jünger damals gemacht haben und die Jünger aller Zeiten: treu am guten Hirten bleiben, seine Hilfe in Anspruch nehmen und von ihm lernen. Allen bösen Mächten aber wollen wir eine Absage erteilen. Jesus hat uns ja von ihnen befreit, so wie er einst die beiden Besessenen befreit hat. In der heiligen Taufe hat er das getan. Darum tun wir gut daran, immer wieder so zu beten, wie man bei der Taufe bekennt: „Ich entsage dem Teufel und all seinem Werk und Wesen und ergebe mich dir, du dreieiniger Gott, Vater, Sohn, und Heiliger Geist im Glauben und Gehorsam dir treu zu sein bis an mein Ende.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2016.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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