Der große Brückenbauer

Predigt über Hebräer 5,1-6 zum Sonntag Judika

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

In diesen Tagen wird wieder viel über einen EU-Beitritt der Türkei diskutiert. Manche Kritiker sagen: Die Türkei gehört überhaupt nicht zu Europa, sie gehört zu Asien. Das stimmt geografisch nicht ganz: Ein nord­westlicher Zipfel der Türkei liegt durchaus auf dem europäischen Kontinent. Zu diesem Zipfel gehört auch der westliche Teil der Weltstadt Istanbul. Europa und Asien sind an dieser Stelle von einer Meerenge getrennt, die man den Bosporus nennt. Hier kommen sich Europa und Asien auf fast einen Kilometer nahe. Seit 1973 verbindet eine Brücke die beiden Kontinente. Die ersten Vorentwürfe für diese Brücke fertigte der bekannte deutsche Architekt Paul Bonatz an. Er war ein heraus­ragender Brücken-Kon­strukteur. Welche Vorschläge er für den Bau einer Brücke über den Bosporus machte, kann man in seiner Biografie nachlesen. Sie trägt den Titel: „Pontifex Maximus“.

„Pontifex Maximus“ – was bedeuten diese lateinischen Worte? „Pontifex“ bedeutet wörtlich „Brücken­macher“, und „Maximus“ bedeutet „der größte“. „Der größte Brücken­bauer“ – das ist wirklich ein treffender Titel für die Biografie eines heraus­ragenden Brücken-Architekten. Man kann „Pontifex Maximus“ aber auch ganz anders übersetzen: mit „Hoher­priester“ nämlich. „Pontifex“ ist zugleich das lateinische Wort für „Priester“. Es erklärt aus sich selbst, was die Aufgabe eines Priester ist: Er soll Brücken schlagen – Brücken zwischen Gott und den Menschen. Er soll einerseits die Opfer und Gebets­anliegen der Menschen zu Gott bringen, und er soll andererseits Gottes Wort und Segen zu den Menschen bringen.

Der Hebräerbrief handelt ausführlich vom Amt des Hohen­priesters im Allgemeinen und von Jesus Christus als unserem Hohen­priester im Besonderen. Darum geht es auch in unserm Predigttext. Da ist zunächst die Rede von den Priestern und Hohen­priestern, die es von Anfang an in Israel gab. Der Hohepriester war das geistliche Oberhaupt in Israel; die anderen Priester übten unter seiner Aufsicht ihren Dienst aus mit Opfern, Segnen, Beten und Lehren. Sie wurden auch „Söhne Aarons“ genannt, denn in Israel durften nur leibliche Nachkommen von Aaron Priester werden. Aaron war der ältere Bruder von Mose. Im 2. Buch Mose kann man nachlesen, wie er und seine Söhne nach Gottes Anweisung zu Priestern geweiht wurden. In diesem Zusammenhang hatte Gott verfügt, dass auch künftige Priester in Israel von Aarons Nachkommen abstammen sollten. Darum heißt es in unserm Predigttext: „Niemand nimmt sich selbst die hohe­priesterliche Würde, sondern er wird von Gott berufen wie auch Aaron.“

Den Priestern und Hohen­priestern aus Aarons Nachkommen­schaft wird nun der Hohepriester Jesus Christus gegenüber­gestellt. Er stammt zwar nicht von Aaron ab, aber auf ihn zielt das gesamte Priestertum im Alten Testament hin. Das ist die Botschaft des Hebräer­briefes und die Botschaft des ganzen Neuen Testaments: Jesus ist der eine wahre Hohe­priester, der eine wahre „Pontifex Maximus“. Er hat eine Brücke zwischen Gott und der Menschheit gebaut, die ewig hält und Menschen aller Völker Zugang zu ihrem Schöpfer beschert. Unser Predigttext betont, dass das priester­liche Amt Christi ebenso wie das aaroniti­schen Priestertum vom himmlischen Vater legitmiert ist. Wenn Jesus auch nicht über Aaron und dessen Nachkommen dazu berufen wurde, so doch durch einen außer­ordentlichen göttlichen Ruf. Wir lesen: „So hat Christus sich nicht selbst die Ehre beigelegt, Hoher­priester zu werden, sondern der, der zu ihm gesagt hat: ‚Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt‘“. Das ist ein Zitat aus Psalm 2, einem pro­phetischen Psalm vom kommenden Erlöser und Gottessohn. Und eben dieselben Worte sind im Zusammenhang mit Jesu Taufe überliefert; die Anwesenden hörten eine Stimme vom Himmel, die das über Jesus verkündete (Matth. 3,17). Der Hebräerbrief ist ursprünglich für Juden­christen geschrieben worden. Er wollte sie auf diese Weise überzeugen, dass Jesus sein priester­liches Amt rechtmäßig vom himmlischen Vater empfangen hat, auch wenn er kein Nachkomme Aarons war.

Eine Brücke hat nur dort einen Sinn, wo etwas überbrückt werden muss. Bei der Bosporus-Brücke ist es die Wasser­straße, die Asien von Europa trennt. Bei Jesus Christus ist es der Sund der Sünde, die Absonderung von Gott, die die Menschheit von ihrem Schöpfer trennt. Der allmächtige und heilige Gott und der armselige sündhafte Menschen sind ja wirklich wie zwei verschiedene Kontinente, die nichts miteinander verbindet. Deshalb gehörte es in alt­testament­licher Zeit zu den wichtigsten Aufgaben eines Hohen­priesters, Opfer für die Sünden des Volkes darzubringen und mit dem Blut dieser Opfer in das Aller­heiligste zu gehen, also in den hintersten Raum des Tempels; er war durch einen Vorhang vom Rest des Heilgtums abgetrennt. der Hohepriester tat das einmal im Jahr am großen Versöhnungs­tag, dem Jom Kippur. Der Hebräerbrief führt breit aus, dass dieses Ritual freilich nur ein „Schatten“ war, den das einmalige Sündopfer des Hohen­priesters Jesus Christus vorauswarf. In diesem Zusammenhang ist es sehr bemerkens­wert, dass der Vorhang vor dem Aller­heiligsten im Tempel genau zu der Stunde zerriss, als Jesus am Kreuz sein Leben aushauchte.

Der Hebräerbrief nennt eine wichtige Eigenschaft, die ein Priester für seinen Dienst mitbringen muss. Wir lesen: „Er kann mitfühlen mit denen, die unwissend sind und irren, weil er auch selber Schwachheit an sich trägt.“ Mit anderen Worten: Er ist nicht nur bei Gott zu Hause, sondern er ist auch bei den ganzen normalen Menschen zu Hause mit all ihrer Schuld und all ihrem Leid. Wer eine Brücke bauen will, der muss ja beide Uferseiten gut kennen, sonst gelingt das Bauwerk nicht. Und wer ein rechter Pontifex oder Priester sein will, der sollte nicht nur Wissen über Gott haben, sondern auch ein Verständnis für die Menschen. Hier haben wir einen ent­scheidenden Grund, warum Gottes Sohn Mensch geworden ist: Er sollte menschliche Schwachheit und alles Menschliche am eigenen Leibe erfahren, ehe er seinen Priester­dienst ausübte. Er ist sogar vom Teufel versucht worden, wie wir. So kann er wirklich mitfühlen; so hat er Verständnis für uns; so weiß er, wie uns zumute ist. Wir aber wissen uns bei ihm geborgen und von ihm an die Hand genommen, wenn er uns über seine Brücke zum himmlischen Vater führt.

An dieser Stelle müssen wir allerdings einen wichtigen Unterschied zwischen Jesus und den anderen Priestern der Bibel feststellen. Der Hebräerbrief schreibt vom aaroni­tischen Hohen­priester: „Er muss wie für das Volk so auch für sich selbst opfern für die Sünden.“ Aber Jesus ist kein Sünder, das unter­scheidet ihn von allen anderen Priestern und von allen anderen Menschen. Er nahm eine Sonder­stellung ein. Diese Sonder­stellung ist bereits im 110. Psalm geweissagt, der ebenfalls in unserm Predigttext zitiert wird: „Du bist ein Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchi­sedeks“. Wer war Melchisedek? Er lebte zu Abrahams Zeit, lange vor Mose und Aaron. Auch er war ein Brücken­bauer: Er nahm Abrahams Dankopfer für Gott entgegen, und er brachte Gottes Segen zu Abraham. Im 1. Buch Mose heißt es ausdrücklich von ihm: „Er war ein Priester Gottes des Höchsten.“ Wir sehen am Beispiel Melchi­sedeks, dass Gott auch Priester mit Sonder­stellung eingesetzt hat, außerhalb des aaroniti­schen Priester­tums.

So nötig der Mensch Brücken hat, so nötig hat er auch Brücken­bauer; das gilt bis zum heutigen Tag. Und so nötig der Mensch Gott hat, so nötig hat er auch Brückenbauer zu Gott; auch das gilt bis zum heutigen Tag. Einen Hohen­priester aber gibt es, der ein für alle Mal eine Brücke zu Gott geschlagen hat: Jesus Christus, sein eingeborener Sohn. Er hat kein Tier geopfert und hat nicht mit fremdem Blut den Graben der Sünde überbrückt, sondern er hat sich selbst als Opferlamm dahingegeben und hat uns mit seinem eigenen Blut erlöst. Über diese Brücke können wir nun täglich gehen. Wir können nun jederzeit selbst unsere Gebete und Dankopfer zu Gott bringen. Wir können jederzeit Gottes Wort hören und seinen Segen empfangen. Mit dieser herrlichen Brücke unseres Hohen­priesters Jesus Christus werden wir also selbst zu Priestern beziehungs­weise Brücken­bauern, wie es in der Bibel heißt: „Ihr seid die königliche Priester­schaft, das heilige Volk“ (1. Petrus 2,9).

Die Bosporus-Brücke in Istanbul ist ein beeindruckendes Bauwerk, ein Meisterwerk der Ingenierkunst. Sie überbrückt mehr als einen Kilometer und verbindet zwei Kontinente. Die Brücke, die der Pontifex Maximus Jesus Christus gebaut hat, ist eine schlichte Holzbrücke, ein grober Balken nur. Aber diese schlichte Brücke des Kreuzes reicht unendlich viel weiter: Sie verbindet uns Sünden-verfallene Menschen und den heiligen Gott in Zeit und Ewigkeit. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2016.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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