Gottesfurcht und Gott­vertrauen

Predigt über Jesaja 63,15 – 64,3 zum 2. Advent

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wir leben im Wohlstand, ja im Überfluss. Es geht uns besser als den meisten anderen Menschen, die auf der Erde leben, ja, die je auf der Erde gelebt haben. Und doch herrscht in unserem Land zugleich ein großer Mangel – nämlich ein Mangel an Gottes­furcht. Ich halte dies für das größte Problem unserer Gesell­schaft: Die Mehrheit fürchtet Gott nicht mehr, ja, sie weiß nicht einmal, was das heißt: Gott fürchten.

Was heißt es denn? Es heißt: Gott für das Wichtigste halten, das es überhaupt gibt. Es heißt: Gott un­einge­schränkt ernst nehmen. Es heißt: In allen Dingen nach Gottes Willen fragen und den eigenen Willen dahinter zurück­stecken. Wer aber tut das schon ernsthaft? Wer fragt denn zum Beispiel: Gott, gefällt es dir, wofür ich mein Geld ausgebe? Gott, gefällt es dir, womit ich meine Freizeit verbringe? Gott, gefällt es dir, wie ich mit meinen Mitmenschen umgehe? Gott, gefällt es dir, mit wem ich befreundet bin und welchen Menschen ich lieber aus dem Weg gehe? Natürlich macht auch derjenige, der so fragt, viele Fehler, denn kein Mensch ist vollkommen, aber er hat doch wenigstens den richtigen Ansatz.

Nehmen wir mal ein aktuelles Beispiel: Gott, gefällt es dir, was ich über die Flüchtlinge in unserm Land denke und über die Flüchtlings­politik? Natürlich kann man da erwidern, und ich schließe mich selbst dem ausdrücklich an: Wir wissen nicht, wohin die Flüchtlings­krise führen wird, und wir wissen auch nicht genau, was jetzt wirklich das Beste wäre in der Flüchtlings­politik; da kann es auch unter Christen durchaus verschiedene Meinungen geben. Aber egal welche Meinung jeder im Einzelnen hat, sollten wir uns doch ehrlich prüfen: Ist meine Meinung wirklich auf Nächsten­liebe gegründet, also auf dem Grundsatz: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“? Oder lassen wir uns von unserer Angst leiten, oder von unserem Egoismus – sei es persönlicher oder nationaler Egoismus? Noch einmal: Es kommt nicht darauf an, dass wir für alle Fragen die richtigen Antworten haben, es kommt aber darauf an, dass wir uns in allen Fragen von der Gottesfurch leiten lassen.

Wenn ein Volk in großem Stil die Gottesfurcht aufgibt, dann bleibt das nicht folgenlos. Wenn ein Volk in großem Stil die Gottesfurcht aufgibt, dann wird Gott dieses Volk früher oder später spüren lassen, dass das unangenehme Folgen hat. Er tut es nicht aus Hass und Rachsucht, sondern aus Liebe, nämlich um die Menschen zur Umkehr zur bewegen. So war es auch beim Volk Israel – damals, zur Zeit des Alten Testaments. Immer wieder gab dieses Volk die Gottesfurcht auf, und immer wieder erinnerte Gott sie daran, dass er ihr Vater ist. Davon handelt auch der Abschnitt aus dem Buch des Propheten Jesaja, den wir als Predigttext gehört haben. Der Prophet musste mitleiden unter den Folgen der mangelnden Gottesfurcht in seinem Volk. Das brachte ihn dazu, so zu beten, wie es in diesen Versen überliefert ist. Da finden wir die Klage: „Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzig­keit hält sich hart gegen mich… Warum lässt du uns, Herr, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten?… Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde.“

Ja, da erkennen wir unser Volk wieder – wie in einem Spiegel. Wo ist das Christliche vom Abendland geblieben? Kaum einer weiß noch etwas von Gottes­furcht, kaum einer will noch etwas davon wissen. Gottes Gerichts­handeln aber zeigt sich gerade darin, dass wir so wenig von Gottes Macht merken. In den meisten Menschen steckt ja noch wenigstens ein Rest von Sehnsucht nach Gottes Macht und Gottes Liebe, aber sie finden diese Liebe nicht mehr. Wo bleibt denn nun Gottes Macht in dieser verrückten Zeit? Warum merken wir so wenig von seiner Barmerzig­keit? „Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzig­keit hält sich hart gegen mich.“ Unter diesen Fragen werden immer mehr Menschen irre an Gott, verstocken ihr Herz und sagen sich von ihm los. „Warum lässt du uns, Herr, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten?“ Niemand kann sagen, ob das nicht vielleicht erst der Auftakt ist für schreckliche Dinge, die Gott in naher Zukunft tun wird, um die Menschen wieder dahin zu bringen, dass sie ihn fürchten.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, wenn wir mit Jesaja klagen, dann werden wie auch mit ihm bitten. Wir bitten Gott, dass er uns doch etwas von sich merken lässt. Auch wenn er wie ein Vater von undankbaren Kindern missachtet und verlassen wird, so hoffen wir doch, dass er seine Kinder lieb behält und ihnen seine Liebe wieder zeigt. „Bist du doch unser Vater“, so beten wir mit Jesaja. Und wie er sehnen wir uns nach einen klaren Zeichen vom Himmel – nach einem Fingerzeig, dass er uns nicht fallen lässt. Jesaja flehte: „So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung!… Kehr zurück!… Ach, dass du den Himmel zerrissest und führest herab!“

So geht es uns doch auch heute: Da lastet die mangelnde Gottesfurcht mit ihren unseligen Folgen über unserem Land wie der bleigraue Dezember­himmel. Da gibt es Tage, wo es überhaupt nicht hell werden will, sodass man Zweifel kriegen kann, ob es die Sonne überhaupt noch gibt. Und da wünscht man sich: Ach, dass doch dieser bleigraue Himmel aufrisse und ein heller Sonnenstrahl hinabführe, der die Herzen aller Menschen erwärmte! Ach dass wir doch ein Zeichen von Gott bekämen, mit dem er uns sagte: Ihr braucht euch nicht zu sorgen und ihr braucht nicht zu verzagen, denn eure Zukunft ist sicher in meiner Hand! Ach, dass doch Gott ein Wunder täte und ein deutliches Zeichen seiner Liebe gäbe! Ach, dass er doch etwas Außer­ordentliches geschehen ließe, etwas Einmaliges, etwas nie Dagewesenes! Jesaja betete: „…wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kund würde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müssten“ – damit sie Gott fürchten lernen.

Unser Gott ist groß und wunderbar, denn er hat dieses Zeichen bereits gegeben, um das Jesaja und viele Fromme ihn gebeten haben. Gott hat das große Licht geschickt, das die Finsternis dieser Welt hell macht. Gott hat den Himmel zerrissen und ist hinab­gefahren zu uns; er ist als Heiland zu uns gekommmen. Das, was für Jesaja noch in der Zukunft lag, ist nun geschehen, und wir können fröhlich und dankbar darauf zurück­blicken von der „Rückseite der Tage“ her, wie es bei den Propheten manchmal heißt. Nur eins ist dazu nötig: Dass wir aufblicken. Viele tun es nicht. Viele sind so beschäftigt mit den Dingen dieser Welt, dass sie immer nur nach unten schauen – auf ihre Arbeit, auf ihr Handy oder auf die überwiegend negativen Schlagzeilen in der Zeitung. Auch wer von Sorge und Traurigkeit überwältig ist, lässt den Kopf hängen und blickt nicht auf. Wer aber immer nur nach unten blickt, der sieht den offenen Himmel nicht und kennt seinen Heiland Jesus Christus nicht. Er merkt nicht, dass Gott seine Sehnsucht schon längst gestillt hat. Es ist ja schon längst Advent geworden, Jesus ist gekommen, und er wird wiederkommen mit Herrlich­keit.

Lasst uns aufschauen auf Jesus, dann blicken wir in den offenen Himmel, dann sehen wir Gottes Licht, dann offenbart sich Gottes Herz – ein Vaterherz voller Liebe und Barmherzig­keit. Wer Gott durch Jesus erkennt, der kann gar nicht anders als ihm zu vertrauen. Es ist dasselbe Vertrauen, das Jesaja in seinem Gebet so ausgedrückt hat: „Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren.“ Wer aber solches Vertrauen hat, der wird Gott auch fürchten. Der wird Gott für das Wichtigste halten, das es überhaupt gibt. Der wird Gott un­einge­schränkt ernst nehmen. Und der wird in allen Dingen nach Gottes Willen fragen und den eigenen Willen dahinter zurück­stecken. Denn Gott­vertrauen und Gottesfurcht schließen einander nicht aus, im Gegenteil: Sie sind wie die zwei Seiten ein und derselben Münze. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2015.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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