Die Auferstehung sprengt die Grenzen der Vernunft

Predigt über Matthäus 22,23-33 zum Ewigkeitssonntag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Theologisch liberal nennt man diejenigen Christen, die sich mit großer innerer Freiheit über traditio­nelle Lehren hinwegsetzen und stattdessen dem Zeitgeist folgen. Viele von ihnen sind sehr klug. Manchmal versuchen sie nach­zuweisen, dass die traditio­nellen Lehren erst nach und nach entstanden sind und gar nicht bis zu den Wurzeln zurück­reichen. Dabei üben sie auch Bibelkritik und lassen nicht alles gelten, was in Gottes Wort steht. Ihr scharfer Verstand lässt sie allerlei Widersprüche und Ungereimt­heiten aufdecken bei dem, was die anderen lehren – diejenigen, die sie „Fundamentalisten“ nennen.

Der Konflikt zwischen Liberalen und Fundamentalisten ist nichts Neues. Schon bei den Juden und in der Zeit des Neuen Testaments gab es etwas Ähnliches. Die Liberalen hatten sich damals zum Orden der Sadduzäer zusammen­geschlossen und die Funda­mentalisten zum Orden der Pharisäer. Unter den Sadduzäern waren sehr kluge Leute. Sie folgten dem damaligen Zeitgeist, den man als „Helle­nismus“ bezeichnet. Das bedeutet: Die Sadduzäer waren fasziniert von griechischer Philosophie und Kultur. Mit vielen Philosophen stimmten sie darin überein, dass es keine Auferstehung der Toten gebe, sondern dass mit dem Tod alles aus sei. Heute ist diese Meinung wieder sehr verbreitet; wir kennen sie von vielen unserer Zeit­genossen. Mit dieser Einstellung blickten die Sadduzäer verächtlich auf die Pharisäer herab sowie auf andere Juden, die meinten, dass Gott die Toten auferwecken und richten werde. Die ent­sprechenden Bibelstellen des Alten Testaments ließen sie nicht gelten, denn sie behaupteten, nur die ältesten Schriften der Bibel seien Gottes Wort, die fünf Bücher Mose nämlich, und in denen stehe nichts von der Auferstehung der Toten. Wir sehen: Bereits bei den Sadduzäern gab es so etwas wie Bibelkritik.

Als nun eine Gruppe von Sadduzäern erfährt, dass auch der berühmte Wander­prediger Jesus von Nazareth die Auferstehung der Toten lehrt und damit großen Anklang findet beim Volk, beschließen sie, mit ihm über diese Frage zu diskutieren. Gründlich bereiten sie sich auf das Gespräch vor und überlegen, wie sie ihren Standpunkt überzeugend vertreten können. So kommen sie auf die Idee mit dem indirekten Beweis. Beim indirekten Beweis muss man so tun, als ob das stimmt, was man widerlegen will. Dann muss man zeigen, dass man mit dieser Annahme nicht weiterkommt – schon hat man bewiesen, dass sie Unsinn ist.

Nach diesem Muster steigen die Sadduzäer in die Diskussion mit Jesus ein. Dabei konstruieren sie einen ziemlich abwegigen Fall. Sie fangen mit einer Bestimmung aus dem Gesetz des Mose an, mit der sogenannten Schwager-Ehe. Schwager-Ehe bedeutet: Wenn ein Ehemann stirbt, soll sein Bruder die Witwe heiraten, damit sie weiter zur Familie gehört. Die Sadduzäer konstruieren nun den Fall, dass eine Frau sechsmal hinter­einander Witwe wird und immer noch ein weiterer Sohn ihrer Schwieger­eltern zur Verfügung steht, um sie zu heiraten. Am Ende stirbt auch der siebte Sohn, und schließlich stirbt die Frau selbst. Nun kommt der indirekte Beweis der Sadduzäer. Sie sagen: Mal angenommen, es gibt eine Auferstehung der Toten und ein Leben danach, mit wem von diesen sieben Brüdern soll die Frau dann im Himmel verheiratet sein? Dass ein Mann gleichzeitig sieben Frauen hat, das kam damals durchaus vor, aber dass eine Frau gleichzeitig sieben Männer hat, das war völlig undenkbar. Für die Sadduzäer ist damit der Beweis erbracht und die Frage logisch korrekt beantwortet: Eine Auferstehung der Toten kann es nicht geben, denn dann müsste eine Frau ja gleichzeitig mit mehreren Männern verheiratet sein können.

Bemerkens­wert ist nun, wie Jesus sich in dieser Diskussion verhält. Lasst uns genau auf ihn hören, denn da können wir eine Menge lernen. Zunächst einmal nehmen wir zur Kenntnis, dass Jesus sich ganz entspannt auf diese Diskussion einlässt. Ein Funda­mentalist würde solche ketzerischen Gedanken empört zurück­weisen, aber Jesus ist kein Funda­mentalist. Er ist jedoch auch kein Liberaler, dem Zeitgeist und Vernunft als höchste Maßstäbe gelten. Jesus leitet seinen Diskus­sionsbeitrag ein mit den Worten: „Ihr irrt, weil ihr weder die Schrift kennt noch die Kraft Gottes.“ Zwei Probleme deckt er mit diesen Worten auf bei der saddu­zäischen Argu­mentation: erstens kennen sie die Bibel nicht gut genug, und zweitens trauen sie Gott zu wenig zu.

Warum kennen sie die Bibel nicht gut genug? Weil auch der von ihnen un­bestrittene Teil die Auferstehung von den Toten bezeugt. Nicht nur jüngere Schriften wie der Prediger Salomo oder der Prophet Daniel reden vom ewigen Leben, sondern auch die fünf Bücher Mose. Und wo tun sie das? Zum Beispiel in dem Satz, den Gott selbst am brennenden Busch zu Mose sagte: „Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.“ Zu diesem Zeitpunkt waren die drei Erzväter bereits 400 Jahre tot; nach liberaler Sadduzäer-Logik wären von ihnen bestenfalls noch ein paar Knochen übrig. Sollte nun Gott ein Gott der toten Knochen sein? Unmöglich, sagt Jesus, und fährt fort: „Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden.“ Merkt ihr, wie Jesus den Spieß umdreht und seinerseits einen schlagenden indirekten Beweis bringt? Er argumentiert so: Gäbe es keine Auferstehung der Toten, dann wäre Gott ein Gott der Toten. Weil das aber Unsinn ist, muss es eine Auferstehung der Toten geben. Ergänzend wäre noch anzufügen, wie das 1. Buch Mose von Abrahams Tod berichtet. Obwohl man ihn in einem Land und in einer Höhle bestattete, wo niemand von seinen Vorfahren begraben lag, bezeugt die Schrift: „Er wurde zu seinen Vätern versammelt“ (1. Mose 25,8). Was sollte diese Aussage für einen Sinn haben, wenn mit dem Tod alles aus ist? Wer das behauptet, kennt die Bibel nicht, oder er hält sie von vorn bis hinten für ein Märchenbuch, denn von der ersten bis zur letzten Schrift, vom 1. Buch Mose bis hin zur Offenbarung des Johannes, bezeugt die Bibel durchgehend die Auferstehung der Toten.

Jesus sagt den Sadduzäern: „Ihr irrt, weil ihr weder die Schrift kennt noch die Kraft Gottes.“ Das mit der Schrift ist nun geklärt; bleibt noch das mit der Kraft Gottes: Die Sadduzäer trauen Gott zu wenig zu. Genauer gesagt: Die Sadduzäer trauen Gott nicht mehr zu, als sie mit ihrem Verstand erfassen können. Das ist ein großes Problem für viele Leute, die sich zwar einerseits nach Gott sehnen, aber andererseits die menschliche Vernunft über alles setzen. Zwar ist die menschliche Vernunft eine wunderbare Gottesgabe, aber sie hat nur da einen Sinn, wo Menschen Zusammen­hänge erforschen und überschauen können. Bei Gott und Gottes Reich kommt die Vernunft an ihre Grenzen. Wie ist das zum Beispiel mit der Allmacht Gottes? Kann Gott einen Stein schaffen, der so groß ist, dass er nicht hinüber­springen kann? Die Vernunft sagt: Entweder er kann so einen Stein nicht schaffen, oder er kann nicht hinüber­springen, in jedem Fall müsste Gottes Macht hier überfordert sein. Der Glaube aber sagt: Gott könnte so einen Stein schaffen und dann auch hinüber­springen, wenn er das wollte, denn Gott ist nicht an die Grenzen unserer Vernunft gebunden. Ähnlich ist das mit dem Heiligen Abendmahl. Ulrich Zwingli war ein Vernunft-Mensch und argu­mentierte gegenüber Luther so: Jesus kann nicht leiblich in den Himmel aufgefahren sein und zugleich seinen Leib und sein Blut im Abendmahl austeilen. Luther aber erwiderte: Wenn Jesus sagt, dass wir im Abendmahl seinen Leib und sein Blut zu essen und zu trinken bekommen, dann will ich das einfach glauben und nicht darüber grübeln, wie man das logisch erfassen kann.

In dieser Weise antwortet Jesus auch den Sadduzäern. Im Hinblick auf ihren konstru­ierten Fall bezeugt er ihnen über die Ver­storbenen: „In der Auferstehung sind sie wie Engel im Himmel.“ Jesus will damit sagen: In der Ewigkeit werden Ehe und Familie keine Rolle mehr spielen, denn dort werden alle Heiligen zusammen mit Gott in der wunderbaren Gemeinschaft einer einzigen riesigen Familie leben, so wie es auch bei den Engeln der Fall ist. Wer sich den Himmel einfach als Fortsetzung unseres Erdenlebens vorstellt mit all seinen Strukturen und Be­schränkun­gen, der traut Gott zu wenig zu im Blick auf das ganz andere, atem­beraubend großartige und nie endende Leben im Himmel. Von dieser Aussage des Herrn kommt übrigens die Vorstellung her, Verstorbene würden als Engel im Himmel umherfliegen und sich zwischen­durch auf Wolken ausruhen. Aber auch diese naive Vorstellung unterschätzt Gottes Macht und Möglich­keiten. Wir müssen zugeben: Wie es in der Auferstehung und in der ewigen Seligkeit wirklich zugehen wird, das übersteigt alle menschliche Vernunft und Logik.

Die Menschen, die Jesus zugehört haben, sind überrascht und erschrocken von seinen Worten. Sie merken, dass hier nicht Menschen­weisheit, sondern Gottes Weisheit spricht. Sie sollen sich noch mehr wundern. Denn Jesus begnügt sich nicht damit, die Auferstehung von den Toten mit Worten göttlicher Weisheit zu bezeugen. Nein, er hat die Auferstehung von den Toten dann am eigenen Leib erwiesen: Er starb und wurde am dritten Tag wieder lebendig. Er starb, damit Sünder heilig werden, und er zeigte sich als Auf­erstandener, damit die so Geheiligten wissen, was sie selbst nach dem Tod erwartet. Darauf vertrauen wir schlicht, denn wir vertrauen Gottes Macht und seinen Worten in der Bibel – mehr als unserer Vernunft. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2015.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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