Vorsicht, Einsicht, Zuversicht

Predigt über Matthäus 7,15-20 zum Buß- und Bettag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Martin Luther mochte das Gleichnis vom Baum und den Früchten sehr, er hat immer wieder darauf Bezug genommen. Zum Beispiel schrieb er: „Nachdem ein Mensch durch den Glauben gerecht­fertigt ist und Christum im Glauben besitzt, wird er als ein guter Baum auch gute Früchte bringen.“ Wo guter Wein reift, da ist kein Dornstrauch, sondern ein guter Weinstock. Wo gute Feigen reifen, da ist kein Gestrüpp, sondern ein guter Feigenbaum. Wo Wahrhaftig­keit reift, da ist kein Sünder, sondern ein Mensch, der durch die Glaubens­wahrheit des Evangeliums gerecht geworden ist. Wo Liebe reift, da ist kein von Gott entfremdeter Mensch, sondern einer, der von Gottes Liebe in Jesus Christus ergriffen wurde. Wer aufrichtig liebt und wer liebevoll die Wahrheit bezeugt, der zeigt damit, dass er ein Christ ist. Jesus sagte: „Ein guter Baum kann nicht schlechte Früchte bringen, und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen.“ Er warnte dabei: „Jeder Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.“

Was lehrt uns diese Erkenntnis? Sie lehrt uns drei Dinge: erstens Vorsicht, zweitens Einsicht, drittens Zuversicht.

Mit dem Gleichnis vom Baum und seinen Früchten will Jesus uns erstens Vorsicht lehren. Der Rede­abschnitt am Ende der Bergpredigt, den wir hier bedenken, beginnt mit der Warnung: „Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafs­kleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe.“ Wie sollen wir aber die reißenden Wölfe und falschen Propheten erkennen, wenn sie sich doch mit Schafs­kleidern tarnen, wenn sie fromm und vernünftig reden, wenn sie freundlich und hilfsbereit tun? Darauf antwortet Jesus, und er tut es gleich zweimal: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ Also: Hört genau hin und achtet auf ihr Tun! Sind sie authentisch, ehrlich, wahrhaftig? Entspricht das, was sie als Wahrheit ausgeben, der Wahrheit, die Jesus Christus heißt, und der Wahrheit der Heiligen Schrift? Sind sie bei aller Nettigkeit auch wirklich liebevoll – so liebevoll, wie Jesus es war: mit Hingabe, mit Demut und mit geduldigem Vergeben? Das sind nämlich die Früchte, an denen man erkennen kann, ob jemand aus Gott neu geboren ist. Ja, „an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“

Wir müssen uns dabei nun aber vor einem Miss­verständnis hüten: Wir dürfen Glaubens­früchte nicht mit Erfolg verwechseln. Es geht nicht darum, wieviel äußeren Erfolg jemand hat, wieviele andere Menschen er anzieht und begeistert, wieviele Spenden­gelder er einwirbt, oder gar, was für spektakuläre Heilungs­wunder er bewirkt. Was den äußeren Erfolg angeht, da können falsche Propheten die wahren Christen durchaus in den Schatten stellen, und das passiert auch immer wieder. Es geht bei den Glaubens­früchten nicht um äußeren Erfolg, sondern allein darum, ob ein Menschen wahrhaftig und liebevoll lebt in Wort und Tat. Bei einem Verkündiger zeigt sich das vor allem daran, was er denn letztlich verkündigt, und darüber hinaus auch an dem Vorbild seines Lebens­wandels. Luther lehrte: „Die rechte Frucht eines rechten Propheten oder Predigers ist, dass man… den Leuten vortrage, dass Gott gnädig sei um seines lieben Sohnes willen.“

Nach der Vorsicht vor falschen Propheten lernen wir zweitens Einsicht. Wir richten damit den Blick weg von den anderen, hin zu uns selbst. Mit dieser Einsicht meine ich die Selbst­erkenntnis. Wir sollen kritisch prüfen, wie es um unsere eigenen Glauens­früchte steht. Bin ich wahrhaftig und liebevoll? Sind meine Früchte so beschaffen, dass ich sagen kann: Ich bin ein guter Baum – ganz so, wie mein himmlischer Vater mich haben will? Die Einsicht, die wir dann aus ehrlicher Selbst­erkenntnis gewinnen, wird uns zur Buße leiten. Damit sind wir beim Thema des Buß‑ und Bettags, zumindest bei seinem ersten Teil. Johannes der Täufer, der große Bußprediger, rief den Menschen zu: „Bringt recht­schaffene Früchte der Buße“ (Lukas 3,8). Bei ehrlicher Selbst­prüfung müssen wir das auf uns beziehen und bereit sein, uns zu ändern, zu bessern.

Auch an dieser Stelle möchte ich ein Miss­verständnis abwehren. Wir würden Jesus miss­verstehen, wenn wir resignierend sagen würden: Ich bin und bleibe nun mal ein schlechter Baum, denn meine Früchte sind schlecht; da ist immer noch so viel Sünde. Wir brauchen nicht an uns zu verzweifeln und zu meinen, Gottes Gnade wäre bei uns vergeblich gewesen. Es kommt nämlich nicht darauf an, wie groß und glänzend unsere Glaubens­früchte sind, davon redet auch Jesus nicht. Vielmehr ist es doch so: Früchte brauchen Zeit zum Reifen und sind alle zunächst einmal klein, grün, bitter und sauer, auch wenn es an sich gute Früchte eines guten Baums sind. Kein Christ kann völlig ausgereifte Glaubens­früchte vorweisen, solange er in dieser Welt lebt, denn das ganze Christen­leben auf Erden ist ein Wachsen und Reifen auf die Ewigkeit hin. Aber wer sich von Gottes Wort immer wieder zur Buße rufen lässt und zum Umkehren bereit ist, bei dem werden die guten Glaubens­früchte immer reifer werden. Luther lehrte: „Die Früchte des Geistes… werden niemals vollkommen sein, weil wir immer Fleisch und Blut haben. Deshalb ist fort und fort reinigen vonnöten.“

Nach der Vorsicht und nach der Einsicht lernen wir drittens Zuversicht. Sie ist das Vertrauen, dass Gott uns mit seiner Forderung nach „recht­schaffenen Früchten der Buße“ nicht allein lässt. Oft wird Buße ja in dieser Weise falsch verstanden, so als müssten wir uns mehr Mühe geben, uns zusammen­reißen und mehr Selbst­disziplin aufbringen. Martin Luther hat in seiner Mönchszeit die bittere Erfahrung gemacht, dass das alles nichts nützt – jedenfalls nicht, wenn man Gott erstklassige Glaubens­früchte vorweisen will. Und jeder ernsthafte Christ kann nach­vollziehen, was selbst ein so heiliger Mann wie der Apostel Paulus von sich sagte: „Das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich“ (Römer 7,19). Auch hier hilft das Gleichnis vom guten Baum und seinen guten Früchten weiter, denn es zeigt: Die Früchte können nur besser werden, wenn der Baum besser wird! Ein Sünder kann sich noch so viel Mühe geben, er wird von sich aus und mit Selbst­disziplin keine guten Werke zustande bringen. An dieser Stelle kommen wir zum zweiten Teil vom Thema des Buß‑ und Bettags, zum Beten nämlich. Unsere wichtigste und grundlegende Bitte an Gott muss sein, dass Gott uns Sündern gnädig ist, dass er also das Wunder tut und aus schlechten Bäume gute Bäume macht. Dieses Wunder tut Gott dann auch – hat es schon getan durch die Erlösung, für die sein eingeborener Sohn ein Mensch geworden ist. Wenn wir Gott bitten, dann werden durch Christus aus Dornen Weinstöcke, aus Disteln Feigenbäume und aus Sündern Heilige. Dann schenkt Gott uns die Voraus­setzung dazu, dass wir gute Früchte bringen können – Glaubens­früchte. Es geht nicht ohne Vertrauen in dieses Wunder, und es geht auch nicht von heute auf morgen, aber es geht!

Geht es wirklich? Sind denn unsere Glaubens­früchte nicht auch noch nach Jahrzehnten des Christseins kümmerlich und un­ansehnlich? Machen wir denn überhaupt Fortschritte mit einem Lebenswandel in aufrichtiger Liebe? Viele Christen sehen nichts davon, sie erkennen keinen Reifungs­prozess. Zum dritten Mal müssen wir ein Miss­verständnis abwehren: das Miss­verständnis nämlich, als müssten wir unsere eigenen Glaubens­früchte stets deutlich erkennen. Jesus sagte: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ (die anderen nämlich), und nicht: „An euren Früchten sollt ihr euch selbst erkennen.“ Und als er ein anderes Mal sein Gleichnis vom Weltgericht erzählte, da lässt er die Gläubigen erstaunt fragen: „Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen, oder nackt und haben dich gekleidet? Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?“ (Matth. 25,37‑39). Dann erst wird der Welten­richter ihnen die Augen öffnen für ihre Glaubens­frucht. Lasst uns also vor allen Dingen danach trachten, ein guter Baum zu werden, und lasst uns Gott immer wieder von Herzen genau um das bitten, dann werden die guten Früchte schon kommen – egal ob wir es merken oder nicht. Denn es ist tatsächlich so, wie Luther lehrte: „Es ist wahr, dass der Glaube gerecht und selig macht ohne Werke, aber er ist nicht ein faul, taub und erstorben Ding, sondern ein lebendiger, fruchtbarer Baum, der mit Früchten hervor­bricht.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2015.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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