Das Offenbatorium

Predigt über Offenbarung 14,1-3 zum Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres und zum Kirchweihfest

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Im 19. Jahrhundert wurden in vielen Städten Sternwarten gebaut. Von dort aus beobachtete man mit großen Fernrohren den Nachthimmel und sammelte Erkenntnisse über das Universum. Und man staunte darüber, dass das Universum offenbar sehr viel größer ist, als es der Blick mit bloßem Auge vermuten lässt. Viele Wissen­schaftler meinten damals, das Weltall sei unendlich groß und unendlich alt; es gebe weder Anfang noch Ende. Sie sahen mitleidig auf die Christen herab, die an ein Ende der Welt am Jüngsten Tag glaubten. Die Theorie des unendlichen und ewigen Kosmos ist dann im Materialis­mus zur Ideologie geworden – und zu einem ver­meintlichen Beweis dafür, dass es außer der materiellen Welt nichts gibt, auch nicht Gott. Dann kam das 20. Jahrhundert, und mit ihm kamen noch größere Fernrohre und noch raffi­niertere Methoden, um das Weltall zu erforschen. Seitdem haben sich viele Wissen­schaftler von der Theorie des unendlich großen und ewigen Weltalls ver­abschiedet. Sie meinen nun, dass alles einmal mit einem winzig kleinen Kosmos angefangen hat, der sich seither explosions­artig ausdehnt; man nennt das die Urknall-Theorie. Auch halten viele Wissen­schaftler es für eine physi­kalische Not­wendigkeit, dass alles einmal ein Ende hat. Sie sind damit der Anschauung ein Stück näher gekommen, die wir Christen schon eh und je hatten: nämlich dass die Welt zeitlich begrenzt ist, dass sie einen Anfang hat und auch ein Ende. Nur glauben wir, dass alles nicht mit einem Knall angefangen hat, sondern mit einem Wort – dem Schöpferwort unseres Gottes, der sprach: „Es werde Licht.“ Ebenso glauben wir, dass Gott einmal sein letztes Wort über diese Welt sprechen wird, und dann wird alles zusammen­brechen.

Aber warum glauben wir das, was kein Fernrohr der Welt erkennen lässt und was man niemals in einem Observa­torium erblicken wird?

Eigentlich haben wir ja auch unser Observa­torium. Oder besser: unser Offenba­torium. Denn was wir vom Anfang und vom Ende der Welt wissen, können wir nicht naturwissen­schaftlich observieren, sondern wir können es uns nur von Gott zeigen lassen; nichts anderes meint das Wort „Offen­barung“. Unsere Kirche hier ist so ein Offenba­torium – und jede Kirche, wo Gottes Wort gemäß der Bibel gepredigt wird. Hier offenbart Gott uns Dinge, die kein menschliches Auge sehen, kein menschliches Ohr hören und kein menschliches Gehirn herleiten kann. Besonders das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes, zeigt uns Gottes Plan für die letzte Zeit und das Ende der Welt. Mit unserem Predigttext aus dem 14. Kapitel tun wir einen Blick durch das Teleskop des Heiligen Geistes und schauen mit dem Apostel Johannes, was sein wird, wenn unser Offenba­torium, unser Kirchgebäude hier samt allen Kirch­gebäuden, nicht mehr sein wird – nach dem Ende der Welt. Was wir da sehen, das können wir mit dem Satz zusammen­fassen: Für Christen geht es nach dem Ende erst richtig los!

Schauen wir genau hin. Es steht geschrieben: „Und ich sah, und siehe…“ Der Heilige Geist hat dem Apostel Johannes ganz besondere Dinge gezeigt, und nun leiht Johannes uns gewisser­maßen seine Augen, dass auch wir sie sehen dürfen.

Weiter heißt es: „Das Lamm stand auf dem Berg Zion.“ Das ist das Erste und Wichtigste: das Gotteslamm Jesus Christus, das die Sünden der Welt getragen hat. Ohne das Gotteslamm hätten wir keine Zukunft über unsern Tod und über das Ende der Welt hinaus, aber mit ihm kommt dann erst das Beste. Jesus ist auferstanden und lebt in Ewigkeit, darum werden wir dann das erleben, was wir jetzt schon von ihm glauben: Wir werden ihn als unsern Herrn und König sehen in all seiner Herrlich­keit. Der Berg Zion aber meint die heilige Stadt Jerusalem, und hier natürlich das himmlische Jerusalem, den heiligen Ort der ewigen Seligkeit. „Kein Aug hat je gespürt, / kein Ohr hat je gehört / solche Freude!“

Weiter heißt es: „Mit ihm Hundert­vierundvierzig­tausend.“ Auch das müssen wir deuten. Wer durch das Teleskop des Heiligen Geistes in Gottes Zukunft schaut, der muss sich das, was er da schaut, durch den Heiligen Geist deuten lassen, man kann es nicht einfach wörtlich und weltlich verstehen. Die Zahl hundert­vierund­vierzig­tausend ist natürlich eine symbolische Zahl, so wie alle Zahlen im Buch der Offenbarung eine symbolische Bedeutung haben. Sie ergibt sich aus zwölfmal zwölfmal tausend, wobei zwölf sowohl die Zahl der Stämme Israels als auch die Zahl der Apostel ist; tausend aber bedeutet „große Menge“. Gemeint ist die große Menge von Gottes altem und Gottes neuem Bundesvolk, die Heiligen aus Israel und den Heiden, gegründet auf den zwölf Stammvätern des Alten Testaments und auf den zwölf Aposteln des Neuen Testaments.

Weiter heißt es: „Die hatten seinen Namen und den Namen des Vaters geschrieben auf ihrer Stirn.“ Es handelt sich also um diejenigen, die zu Gott dem Vater und zu seinem eingeborenen Sohn gehören, dem Gottessohn, und damit natürlich auch zum Heiligen Geist. Da merken wir: Wir selbst gehören dazu, denn wir sind ja auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft, wir sind nach seinem Namen genannt, wir sind durch die Taufe in dieses Volk hinein­geboren worden, wir sind Gottes Eigentum. Wenn man auf etwas seinen Namen schreibt, dann kennzeichnet man es als sein Eigentum. Genau das ist gemeint mit Gottes Namen auf unserer Stirn; die Taufe ist Gottes Eigentums­zeichen auf uns. Machen wir uns klar, was für eine gewaltige Sicht wir hier in Gottes Offenba­torium haben: Wir sehen uns selbst in der großen Schar der Erlösten, in der Zukunft der ewigen Seligkeit!

Weiter heißt es: „Ich hörte eine Stimme vom Himmel wie die Stimme eines großen Wassers und wie die Stimme eines großen Donners, und die Stimme, die ich hörte, war wie von Harfen­spielern, die auf ihren Harfen spielten.“ Nachdem Johannes etwas sah, hörte er etwas, und wir hören es mit ihm. Ja, mit dem Teleskop des Heiligen Geistes kann man nicht nur etwas sehen, sondern auch etwas hören! Wir hören laute und schöne Musik – so laut wie ein Wasserfall oder wie Donner­grollen, so schön wie ein Harfen-Orchester. Wir denken an König David und sein schönes Harfenspiel, und wir denken daran, wozu er auf seiner Harfe spielte: Er hat damit Gott gelobt, er hat damit seine wunberbaren Psalmgesänge begleitet. Das ist ja vielen Menschen vertraut, auch wenn sie nicht Christen sind: Sie haben davon gehört, dass man im Himmel immer Harfe spielt. Leider hat man auch unzählige Witze darüber gemacht, sodass manchem die schöne Harfenmusik schon verleidet ist, bevor sie überhaupt in den Himmel kommen. Aber wieder müssen wir das, was wir vom Geist hören, mit dem Geist deuten: Es geht ums Gotteslob – ein Gotteslob, das im Himmel so un­aussprech­lich schön und vielfältig sein wird, dass es hier auf Erden nichts Vergleich­bares gibt; das laute und schöne Harfen­orchester muss uns als Zeichen genügen. Der mächtigste Chor der Erde und die erhabenste Orgelmusik ist jämmerlich gegenüber der Zukunfts­musik des Himmels. Johann Sebastian Bach hat wohl die schönste Musik der Welt komponiert, und das Weihnachts­oratorium ist eines der schönsten Stücke davon. Aber was singt der Chor da an einer schönsten Stellen des Weihnachts­oratoriums? „Herrscher des Himmels, erhör unser Lallen, / lass dir die matten Gesänge gefallen.“ Auch Bach hatte offen­sichtlich durch das Teleskop des Heiligen Geistes hindurch­gesehen und hindurch­gehört, denn er stellte fest, dass auch die schönste Musik der Welt gegenüber dem Lob im Himmel nur „Lallen“ und „matter Gesang“ ist.

Weiter heißt es: „Sie sangen ein neues Lied vor dem Thron und vor den vier Gestalten und den Ältesten; und niemand konnte das Lied lernen außer den Hundert­vierundvierzig­tausend, die erkauft sind von der Erde.“ Zur Harfenmusik erklingt der Gesang der Erlösten, die durch Christi Blut erkauft sind. Ihr Lied wird ein „neues Lied“ genannt. Wieder müssen wir uns vom Geist deuten lassen, was uns der Geist zeigt beziehungs­weise hören lässt: Es ist damit nicht einfach ein Lied mit neuem Text oder neuer Melodie gemeint, sondern es ist damit das Lied vom neuen Bund gemeint, den Jesus durch sein Kreuzesopfer für uns gestiftet hat. Aus diesem neuen Bund ist das neue Gottesvolk hervor­gegangen, die Kirche. Dieses neue Gottesvolk ist durch die Taufe zu einem neuen Leben wieder­geboren worden. Dieses neue Leben aber vollendet sich in Gottes neuer Welt, dem neuen Jerusalem, dem neuen Himmel und der neuen Erde. Am Ende der Offenbarung sagt Gott mit lauter Stimme: „Siehe, ich mache alles neu“ (Offb. 21,5).

Gott sei Lob und Dank, dass wir hier in dieser alten Kirche wie in einem Observa­torium, oder eigentlich Offenba­torium, immer wieder diesen herrlichen Blick tun dürfen in Gottes neue Welt und in die wunderbare Zukunft, die auf uns wartet. Ja, für Christen geht es nach dem Ende erst richtig los! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2015.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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