Geborgen in Gottes Burg

Predigt über Psalm 46 zum Reformationstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Zehn Jahre nach dem Thesen­anschlag ging es Martin Luther schlecht. Die kirchlichen Vorgesetzten hatten sich auf seine theo­logischen Erkenntnisse und seinen Reform­vorschläge nicht einlassen wollen. Mehr noch: Der Papst hatte ihn aus der katholischen Kirche aus­geschlossen, und der Kaiser hatte ihn wie einen Schwer­verbrecher geächtet. Dann hatte es in Wittenberg Ärger mit den radikalen Bilder­stürmern gegeben, und danach waren die Bauernkriege aus­gebrochen. Einer der wenigen Lichtblicke war die Hochzeit mit Katharina von Bora. Ansonsten ging es Luther auch persönlich schlecht: Zum erstenmal meldeten sich seine Nierensteine mit heftigen Schmerz-Attacken, die im Jahre 1527 besonders schlimm wurden. Der Reformator bekam Todesangst, er fühlte sich auch seelisch schwach und angreifbar. Im August erreicht ihn aus Schärding am Inn die Nachricht, dass einer seiner treuen Anhänger für sein Bekenntnis zum Evan­gelium auf dem Scheiter­haufen verbrannt wurde; das trifft ihn tief. Im Oktober kommt die Pest nach Wittenberg; Luther bangt um das Leben seiner Familie. Zwar ist die Pest-Gefahr Anfang 1528 gebannt, aber sie hat Spuren in Luthers Seele hinter­lassen. Er schreibt zu diesem Zeitpunkt an einen Freund: „Satan hängt sich an mich mit mächtigen Stricken, um mich in die Tiefe zu ziehen, aber der schwache Christus überwindet noch immer durch neue Gebete und streitet wenigstens tapfer.“

In dieser Zeit entstand das gewaltige Lied, das bei keinem Reformations­fest fehlen darf: „Ein feste Burg ist unser Gott.“ Darin beschreibt Luther die Angriffe des Teufels so: „Der alt böse Feind mit Ernst ers jetzt meint; groß Macht und viel List sein grausam Rüstung ist; auf Erd ist nicht seins­gleichen…“ Und: „Wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar ver­schlin­gen…“ Und: „Der Fürst dieser Welt, wie sauer er sich stellt.“ Luther hat dieses Lied mit einer Überschrift versehen, die lautet: „Psalm 46“. So steht es auch noch heute in unserem Gesangbuch. Psalm 46 – das ist der Psalm, den wir eben als Predigttext hörten und den wir vorhin in Auszügen als Introitus sangen. Viele Leute haben sich über diese Überschrift gewundert, denn das Lied ist keineswegs eine Nachdichtung dieses Psalms; es ist also kein Psalmlied. Warum hat Luther trotzdem „Psalm 46“ darüber geschrieben? Psalm 46 wurde von der Kirche des Mittelalters in schweren Zeiten als Notgebet gesungen. Es handelt sich um einen Psalm des Gott­vertrauens in schwerer Zeit. Im Kehrvers heißt es zu­versicht­lich: „Der Herr Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz.“ Luther hat nun im Sinne dieses Psalms sein eigenes Notgebet gedichtet, auch er steckte ja in vielen Schwierig­keiten. Darin kommt dasselbe Gott­vertrau­en zum Ausdruck, das wir im 46. Psalm finden. Wer ist es nämlich, der für uns streitet? „…der Herr Zebaoth, und ist kein andrer Gott, das Feld muss er behalten.“ Luther hat den 46. Psalms nicht einfach in Reime gebracht, sondern er hat seinen eigenen Psalm, sein eigenes geistliches Lied mit derselben Grundhaltung gedichtet.

Um welche Nöte geht es da? Von Luthers äußeren Nöten und inneren Anfechtungen habe ich bereits gesprochen. Der 46. Psalm seinerseits schildert zunächst eine Situation, die an ein Erdbeben mit Tsunami erinnert: „…wenn­gleich die Berge mitten ins Meer sänken, wenngleich das Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen.“ Dann redet der Psalm auch von der Bedrohung durch mächtige Feinde im Krieg. Vom Neuen Testament her wissen wir, dass dies auch im übertragenen Sinn gilt: Nicht nur aggressive Heere und Terroristen bringen Angst und Schrecken über die Welt, sondern auch die unsichtbaren Feinde, nämlich der Teufel und sein Heer. Während der Psalm einfach von Kriegs­mächten redet, nennt Luther in seinem Lied den einen Feind hinter allen Feinden beim Namen: „Der alt böse Feind, mit Ernst ers jetzt meint.“

Im Psalm klingt es so, als ob der Psalmbeter unter allen Bedräng­nissen angstfrei und entspannt ist: „Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unter­ginge…“ Und Luther dichtete ähnlich: „Und wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar ver­schlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es soll uns doch gelingen.“ Waren Luther und der Psalmbeter tatsächlich solche Glaubens­giganten, dass sie vor nichts Angst hatten? Keineswegs, es waren Menschen wie du und ich. Von Luther wissen wir, dass er sich manchmal sehr gefürchtet hat. Wenn er trotzdem von Furcht­losigkeit singt, dann ist das im Grunde genommen ein Gebet, also eine Bitte darum, dass Gott ihm beisteht und die Furcht abnimmt. Es ist sozusagen die Bitte, dass das zu­versicht­liche Glaubens-Ich über das ängstliche Menschen-Ich triumphieren möge. Daraus nehmen wir für uns den guten Rat mit: Gerade wenn wir große Angst haben, wenn wir vor Not und Sorgen nicht mehr weiter wissen, dann sollten wir ein Notgebet wie den 46. Psalm sprechen: „Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben.“ Oder wir sollten ein Trostlied singen, wie Luthers großes Refor­mationslied eigentlich eins ist: „Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen. Er hilft uns frei aus aller Not, die uns jetzt hat betroffen.“ Ja, Gott ist unser Schutz, unsere Zuflucht, unsere Burg. Dabei will uns das Wort „Burg“ nicht so sehr an trutzigen und stolzen Widerstand erinnern, sondern daran, dass wir uns hinter ihren dicken Mauern ganz sicher fühlen können. Das Wort „Burg“ kommt von „bergen“ und „verbergen“, das hat mit „Geborgen­heit“ zu tun. Der Herr Zebaoth ist wie eine dicke Mauer, hinter der wir uns vor den Angriffen des Teufels verbergen können und wo wir in allen Nöten geborgen sind. Von dort aus können wir dann den Teufel furchtlos auslachen, so wie Luther es mit seiner Original-Melodie in der ersten Strophe tut: „der a-ha-halt bö--se Feind…“

Beides, der 46. Psalm und Luthers Refor­mationslied, sind also Vertrauens­lieder gegen die Angst, die in Not und Anfechtung aufkommen will. Das mag für manche wie das Pfeifen im Dunkeln klingen – also wie eine psycho­logische Methode, mit der man seine Furcht in den Griff bekommen kann. So ist es aber keineswegs gemeint. Denn sowohl der Psalm als auch Luthers Lied nennen ausdrücklich den Grund, warum unsere Furcht wirklich überflüssig ist. Der Psalm sagt das vor allem mit seinem Kehrvers aus: „Der Herr Zebaoth ist mit uns.“ „Zebaoth“ heißt „Heer­scharen“, damit sind die mächtigen Engelheere gemeint, die Gott zu Diensten stehen. Und weil Gott uns lieb hat, setzt er sie Tag und Nacht ein, um uns vor dem Teufel und allen anderen Gefahren zu beschützen. Das hört sich gewaltig und trutzig an. Aber um es richtig zu verstehen, müssen wir auf das Wörtlein achten, das auf „Herr Zebaoth“ folgt: Da steht „mit uns“. In der hebräischen Sprache ist es tatsächlich nur ein einziges Wörtlein: „immanu“. Hört ihr heraus, was dieses Wörtlein eigentlich sagt und wer sich darin verbirgt? „Immanu“, „Immanuel“, „Gott ist mit uns“. Es ist der Name, den der Prophet Jesaja für den Messias vorausgesagt hat. Und dieser Messias, dieser Christus ist dann gekommen, dass er die Werke des Teufels zerstöre. Dieses eine Wörtlein kann den Teufel fällen. „Fragst du, wer der ist? Er heißt Jesus Christ, der Herr Zebaoth, und ist kein andrer Gott, das Feld muss er behalten.“

Nicht mit stolzer und trutziger Macht, auch nicht mit Geld und Intelligenz hat Jesus den Teufel besiegt, sondern durch Erniedrigung und scheinbares Unterliegen, durch Schwachheit und Kreuz. Wie kaum ein anderer zuvor hat Luther diese sogenannte „Kreuzes­theologie“ erfasst und bezeugt: Kein starker Kriegsheld besiegt den größten, den altbösen Feind, sondern nur ein Wort, ja sogar ein „Wörtlein“: Jesus Christus mit seinem Opfer am Kreuz. Darum hat Luther in seinem oben erwähnten Brief aus dem Jahr 1528 auch vom „schwachen Christus“ geschrieben, der „noch immer überwindet“.

Von uns aus, also mit unserer eigenen Macht und Anstrengung, können wir dem nichts hinzufügen, und das brauchen wir auch nicht. Jesus hat ja für uns alles in Ordnung gebracht, was in Ordnung zu bringen war. Luther gibt es ganz offen zu, und das gehört zur Grund­erkenntnis der Reformation: „Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren.“ Dasselbe drücken die ersten Zeilen der letzten Strophe etwas kom­plizierter aus: „Das Wort sie sollen lassen stahn und kein Dank dazu haben.“ Das Wort ist Jesus selbst, und das Wort ist zugleich sein Evangelium, das seit der Zeit der Apostel verkündigt wird. „…und kein Dank dazu haben“ bedeutet: Unsere Erlösung ist hundert­prozentig Christi Werk; kein Mensch kann sich rühmen, dazu etwas beizutragen, was gerühmt oder belohnt werden müsste beziehungs­weise wofür Gott oder Menschen ihm dankbar sein müssten. Diese geschenkt Erlösung ist bis heute unter uns gegenwärtig, vor allem in jedem Gottesdienst mit Wort und Sakrament. Hier ist unser Jerusalem, hier ist unser geistlicher Tempel, und hier sind die schönen „Brünnlein“, aus denen Gottes lebens­spendende Gnade quillt.

Luthers Refor­mationslied „Ein feste Burg ist unser Gott“ ist, wie gesagt, keine Nachdichtung des 46. Psalms, sondern ein Lied des Gott­vertrauens und der Glaubens­zuversicht in schweren Zeiten, gedichtet als Notgebet im Sinne des 46. Psalms. Dass Luther den Sinn des 46. Psalms dennoch genau erfasst hat, geht aus einem anderen seiner Texte hervor. In seinen „Summarien über die Psalmen“ hat der Reformator eine wunderbare Zusammen­fassung des 46. Psalms gegeben. Sie soll auch uns jetzt, am Ende der Predigt, noch einmal die Quintessenz des Psalms nahebringen. Luther schrieb: „Der Psalm nennt das Wesen der Stadt Jerusalem ein Brünnlein, als ein kleines Wässerlein, das nicht versiegen soll gegen die großen Wasser, Seen und Meere der Heiden, das ist, gegen große Königreiche, Fürstentümer und Herr­schaften, die versiegen und vergehen mussten. Wir aber singen ihn Gott zu Lobe, dass er bei uns ist und sein Wort und die Christenheit wunder­barlich erhält wider die höllischen Pforten, wider das Wüten aller Teufel, der Rotten­geister, der Welt, des Fleisches, der Sünde, des Todes usw., und dass unser Brünnlein auch bleibt eine lebendige Quelle, wo jener Sümpfe und Tümpel faul und stinkend werden und versiegen müssen.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2015.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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