Gott schenkt Leben

Predigt über Jesaja 38,1-8 zum 19. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wer eine Uhr mit richtigem Zifferblatt hat, der kann sie leicht ein paar Stunden zurück­stellen, er muss nur an dem ent­sprechenden Rädchen drehen. Bei einer Digitaluhr ist das etwas schwieriger, aber mithilfe der Gebrauchs­anweisung kann auch das gelingen. Unmöglich ist es jedoch, eine Sonnenuhr ein paar Stunden zurück­zustellen, denn dazu müsste man ja den Lauf der Sonne be­einflussen. Wir wissen aber: Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich. Gott hat die Sonne geschaffen und die Erde; ihr Lauf untersteht seinem Plan und Willen. Darum kann Gott, wenn er will, auch Sonnenuhren ein paar Stunden zurückgehen lassen. Normaler­weise will er das nicht, denn seine Naturgesetze sind gut und verlässlich. Einmal aber hat er so ein Wunder getan; wir haben im Predigttext davon gehört: Für den frommen König Hiskia stellte Gott einmal die Sonnenuhr im Jerusalemer Palast um ein paar Stunden zurück und gab ihm damit ein Zeichen, dass er seine Bitte um Genesung erhört hatte.

Wie Gott ein Herr über den Lauf der Sonne ist, so ist er auch ein Herr über jeden Lebenslauf. Mancher von euch kennt vielleicht die Ballade von Carl Loewe, in der das Menschen­leben mit einem Uhrwerk verglichen wird. Wie jede mechanische Uhr einmal stehen bleibt, so hört unser Leben normaler­weise zu einem von Gott bestimmten Zeitpunkt auf; es ist unmöglich, auch nur eine Minute hinzu­zufügen. Aber unsere biblische Geschichte lehrt uns auch in diesem Fall: Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich. Gott kann auch hier Ausnahmen machen, und er hat für den frommen König Hiskia tatsächlich eine Ausnahme gemacht.

Hiskia, ein Nachkomme Davids, war mit 25 Jahren König der Juden geworden. Mit großem Eifer hatte er dafür gesorgt, dass sein Volk Gott dem Herrn mit neuer Treue diente und allen ein­gerissenen Götzendienst unterließ. Zu diesem Zweck hatte er sogar etwas getan, über das sich alle Museums­freunde ärgern könnten: Er ließ die Bronze­schlange zerstören, die einst Mose in der Wüste angefertigt hatte und die dann jahrhunderte­lang im Tempel aufbewahrt worden war. Hiskia tat das, weil man begonnen hatte, diese „eherne Schlange“ wie ein Götzenbild zu verehren. Wenn man in unserer Gemeinde anfangen würde, das Altarbild anzubeten oder das Kruzifix, dann wäre es auch besser, diese Gegenstände zu zerstören und sich wieder an das erste Gebot zu halten. Der Verlust von wertvollen alten Gegenständen ist ja das kleinere Übel im Vergleich zum Götzen­dienst. Aber diese Gefahr besteht bei uns nicht, liebe Brüder und Schwestern: Unser Altarbild und unser Kruzifix sind nur äußere Hilfen zur Sammlung, um den einen wahren Gott so anzubeten, wie er angebetet sein will, nämlich durch seinen Sohn Jesus Christus. Darum freuen wir uns über diese heiligen Gegenstände und behandeln sie sorgfältig.

Zurück zu Hiskia: Er war also ein guter und frommer König; Gott hatte an seinem Regieren nichts auszusetzen. Trotzdem mutete ihm Gott allerhand Schweres zu. Die politische Lage im Nahen Osten war zu Hisikias Zeit mindestens ebenso bedrohlich, wie sie es heute ist. Die assyrische Armee war auf dem Vormarsch nach Palästina und eroberte eine Stadt nach der anderen. Dieses politische Problem trat für Hiskia allerdings in dem Moment in den Hintergrund, als der damals Vierzig­jährige schwer erkrankte. Das ist ja immer so: Bei einer richtig schlimmen Krankheit merkt man erst, wie unbedeutend eigentlich all die vielen Probleme sind, die einen im gesunden Zustand so sehr belasten. Hiskia musste sich fragen, ob er wohl je wieder gesund würde. Da schickte Gott den Propheten Jesaja zu ihm. Der hatte eine nieder­schmetternde Botschaft für den König. Er sagte zum ihm: „Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben und nicht leben.“ Ja, das mutete Gott dem frommen Hiskia zu, und das mutet er auch in unserer Zeit vielen Menschen zu, frommen wie unfrommen. Denn wenn ein Arzt die Diagnose „Krebs im Endstadium“ stellt, dann weiß jeder Betroffene, dass er nicht mehr lange zu leben hat.

Manche wollen es am liebsten gar nicht wissen. Viele wünschen sich, einmal ganz ohne Vorwarnung zu sterben, damit sie sich vorher nicht so lange zu ängstigen brauchen. Aber aus der Bibel können wir lernen, dass es durchaus sinnvoll ist, sich auf sein Ende vor­zubereiten. Die Angst muss uns dabei nicht über­wältigen, denn wir haben ja das Vertrauen: Jesus hat uns von der Macht des Todes erlöst. „Wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn“, heißt es im Römberbrief (Römer 14,8). Wer bewusst auf sein Sterben zugeht, der kann all das in Ordnung bringen, was noch bearbeitet werden muss, zum Beispiel sich mit bestimmten Menschen versöhnen, ein Testament machen, Wünsche zur Bestattung und Trauerfeier äußern, Papiere in Ordnung bringen und anderes mehr. Seit alters nennt man solche Tätigkeiten „sein Haus bestellen“, und genau diese Worte verwendete der Prophet Jesaja gegenüber Hiskia. Es war ein Zeichen von Gottes Liebe, dass er dem König Gelegenheit gab, alles Wichtige in seiner Familie und in seinem Reich zu regeln, das vor seinem Tod geregelt werden musste.

Trotz allem: So ein Todesurteil aus dem Mund eines Arztes oder Propheten ist er­schütternd. Auch der fromme Hiskia war schwer erschüttert. Nun reagieren Menschen unter­schiedlich auf solche persönlichen Er­schütte­rungen: Manche schreien und toben, manche betrinken sich, manche ziehen sich völlig zurück. Zu dieser letzten Gruppe gehörte Hiskia. Wir lesen: „Da wandte Hiskia sein Angesicht zur Wand.“ Er verkroch sich in sein Bettzeug; er wollte niemanden mehr sehen. Von einem anderen König in Israel berichtet uns die Bibel übrigens dasselbe: von Ahab, als der ganz nieder­geschlagen war, weil er auf einem Grundstück neben seinem Palast keinen Gemüsegarten anlegen konnte. Von Ahab lesen wir: „Er legte sich auf sein Bett und wandte sein Antlitz ab und aß nicht“ (1. Könige 21,4). Allerdings war Ahab ein gottloser König, Hiskia dagegen ein frommer.

Wie kommt es, dass sich die Er­schütterung beim Gottlosen ebenso auswirkt wie beim Frommen? Das wird verständ­lich, wenn wir weiterlesen. Als Ahab sich auf seinem Bett zur Wand drehte, pflegte er nur sein Selbst­mitleid und ließ sich danach von seiner Frau zu einem gemeinen Plan verführen. Als dagegen Hiskia sich auf seinem Bett zur Wand drehte, suchte er Gottes Nähe und betete. Er weinte und flehte zu Gott, dass er ihn doch wieder gesund machen und ihm ein paar weitere Lebensjahre schenken möchte. Darin ist Hiskia allen frommen Menschen ein Vorbild geworden: Wenn etwas ganz Schweres über uns kommt und wir keinen Ausweg sehen, dann sollten wir nicht in Selbst­mitleid zerfließen und nicht verzweifeln, sondern dann sollten wir alle unsere Sorge auf den Herrn werfen. Wir können das auch in der größten Not ganz zu­versichtlich tun, denn durch Jesus haben wir die Zusage: „Er sorgt für euch“ (1. Petrus 5,7).

Und das Unfassbare geschah: Gott änderte seinen Plan aufgrund des Gebets. Gott ließ Hiskias Lebensuhr länger laufen, als sie normaler­weise hätte laufen sollen. Gott ließ den König gesund werden und schenkte ihm weitere 15 Jahre. 15 Jahre lang war Hiskia bereits König in Jerusalem, und noch einmal 15 Jahre lang sollte er nun das Volk der Juden regieren. Außerdem beschützte Gott den frommen König und sein Volk vor den assyrischen Angreifern, sodass sie die Stadt Davids nicht erobern konnten. All das ließ Gott Hiskia auf seinem Krankenbett ausrichten, und zwar wiederum durch den Propheten Jesaja. Und dann schenkte er dem König zur Bestätigung noch ein Wunder­zeichen: Wie Gott an Hiskias Lebensuhr drehte, so drehte er auch an seiner Sonnenuhr, und ihr Schatten ging zehn Striche zurück. Es war so ähnlich wie bei dem Gelähmten, den man durch ein Dach vor Jesu Füße herabließ (wir haben in der heutigen Evangeliums­lesung davon gehört): Jesus schenkte ihm ewiges Heil und ewiges Leben, indem er ihm seine Sünden vergab. Damit aber alle wissen, dass das auch stimmt und er die Vollmacht dafür hat, schenkte er ihnen darüber hinaus ein Wunder­zeichen und machte den Gelähmten sofort auch körperlich gesund: Er ließ ihn aufstehen, seine Matte zusammen­rollen und nach Hause gehen.

Normaler­weise tut Gott keine spektaku­lären Wunder, um uns sein Heil zu bekräftigen. Normaler­weise lässt Gott seine Naturgesetze in Geltung, und normaler­weise verlängert er unsere Lebenszeit auf Erden nicht nach Wunsch. Wenn er es tun würde, wären seine Wunder ja auch keine Wunder mehr, sondern der Normalfall. Dennoch dürfen wir wie Hiskia wissen, dass Gott auch uns gesund macht, vor unseren Feinden beschützt und sein Todesurteil aufhebt. Er hat es durch seinen Sohn Jesus Christus getan: Dessen Blut macht uns rein von aller Sünde; dessen Heil schützt uns vor dem Teufel; dessen Auferstehung lässt uns ewig leben. Ja, die Auferstehung unsers Herrn Jesus Christus ist das eine große Wunder, mit dem wir Glaubens­gewissheit bekommen. Wir brauchen keine rückwärts gehenden Sonnenuhren und keine Privat­prophezeiun­gen wie Hiskia, denn wir sind durch die Taufe hinein­genommen in den Sieg und die Auferstehung unsers Herrn Jesus Christus. Darum können wir uns auch ohne spektakuläre Wunder­zeichen die Worte zu eigen machen, die Hiskia danach in seinem Dankgebet gesprochen hat: „Siehe, um Trost war mir sehr bange. Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen, dass sie nicht verdürbe; denn du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2015.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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