Rechter und schlechter Stolz

Predigt über Philipper 3,4b-7 zum 9. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Worauf können Menschen stolz sein? Können wir stolz darauf sein, dass wir Christen sind? Kann man überhaupt auf seine Religion stolz sein? Wäre das nicht überheblich? Und wie steht es mit der Herkunft? Hört es sich nicht irgendwie bedenklich an, wenn jemand sagt: Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein? Oder ein Amerikaner? Oder ein Russe? Schon eher würde man es akzeptieren, wenn jemand auf seine Bildung stolz ist, zum Beispiel auf die Einsen im Abgangs­zeugnis, auf die bestandene Fahrprüfung oder auf den frisch erworbenen Doktortitel. Wieder andere sind stolz auf ihr soziales oder politisches Engagement, auf ihren Einsatz für bedürftige Menschen oder für den Tierschutz. Und mancher brave Bürger ist stolz darauf, dass er noch nie in seinem Leben mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist: Noch nie hat er etwas gestohlen, noch nie jemanden grob beleidigt, noch nie Steuern hinterzogen, noch nie die Verkehrs­regeln missachtet. Verdient das nicht wirklich Anerkennung? Kann man darauf nicht mit Recht stolz sein? Oder darf man als Christ überhaupt nicht stolz sein?

Der Apostel Paulus kannte viele Leute, die auf alles Mögliche in ihrem Leben stolz waren und sich entsprechend rühmten: auf ihre Religion, auf ihre Herkunft, auf ihre Bildung, auf ihr gesellschaft­liches Engagement und auf ihre Gesetzes­treue. Es ist nun interessant sich damit zu be­schäfti­gen, wie Paulus darauf reagierte. So schrieb er den Christen zu Philippi im Hinblick auf die stolzen Leute: Auch ich könnte in meinem Leben auf alles Mögliche stolz sein. Ich könnte auf meine Religion stolz sein, auf meine Zugehörig­keit zum Judentum: Wie es sich für einen rechten jüdischen Mann gehört, bin ich bereits im zarten Alter von acht Tagen beschnitten worden. Und ich könnte auf meine hebräische Herkunft stolz sein, sagt Paulus: Ich gehöre zum Volk Israel, zum Stamm Benjamin. Auch auf meine Bildung könnte ich stolz sein: Als Pharisäer habe ich ein anspruchs­volles theo­logisches Studium absolviert. Ebenso auf seinen Eifer für Gott könnte Paulus stolz sein, wiewohl er zugeben muss, dass er lange Zeit in die falsche Richtung geeiefert hat: Bis Jesus persönlich in sein Leben trat, hielt er die Christen für eine gefährliche Sekte und bekämpfte sie deshalb mit aller Entschieden­heit. Und schließlich könnte Paulus auf seine äußerliche Gesetzes­treue stolz sein. Er schreibt: „Ich bin nach der Gerechtig­keit, die das Gesetz fordert, untadelig gewesen.“

Darf man so reden? Darf man als Christ stolz sein, oder ist das Sünde?

Ich möchte mal so antworten: Es kommt darauf an, was wir unter „Stolz“ verstehen. Wenn wir darunter Hochmut verstehen, dann ist Stolz natürlich Sünde. Der Hochmütige freut sich darüber, andere auszustechen und über ihnen zu stehen. Der Hochmütige sieht daher in jedem, der ihm das Wasser reichen kann, einen Kon­kurrenten. Der Hochmütige möchte am liebsten auf einem Denkmal­sockel hoch über alle anderen erhaben sein. Wir alle wissen: Das ist falsch, das ist böse, das ist Sünde. Aber man kann unter Stolz ja auch etwas anderes verstehen: dankbare Freude nämlich. Warum sollte jemand nicht dankbare Freude darüber empfinden, dass er ein Christ ist, dass er die deutsche Staats­bürgerschaft besitzt, dass er eine Ausbildung erfolgreich ab­geschlossen hat, dass er sich für andere einsetzen kann und dass er ein anständiger Mensch ist? Solche dankbare Freude sieht nicht auf andere herab, sondern im Gegenteil, sie freut sich auch mit anderen mit, die dasselbe haben. Solche dankbare Freude weiß zugleich, dass man den Grund fürs Stolz-Sein letztlich Gott zu verdanken hat, dem Geber aller guten Gaben. Wenn man solche dankbare Freude als Stolz bezeichnet, dann ist dagegen nichts einzuwenden.

Aber wir müssen noch tiefer in Gottes Wort und die Gedanken des Paulus eintauchen. Es geht Paulus hier eigentlich gar nicht darum, eine ethische Frage zu entscheiden; es geht ihm nicht darum zu klären, inwiefern ein Christ stolz sein darf und inwiefern nicht. Es geht Paulus hier und immer wieder letztlich nur um Eines: um das Verhältnis zu Jesus Christus. Darum beschließt er seine Liste mit Gründen fürs Stolz-Sein mit folgender Fest­stellung: „Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet.“ Mit anderen Worten: Worauf ich in meinem Leben durchaus stolz sein könnte (auch im rechten Sinne einer dankbaren Freude), darauf kann ich vor Gottes Angesicht keineswegs stolz sein, im Gegenteil.

Wie sollen wir das verstehen, Paulus?

Wir stellen uns vor, dass Paulus eine Bilanz über sein Leben zieht, so wie ein Buchhalter nach Abschluss des Geschäfts­jahres eine Bilanz über die finanzielle Situation eines Unternehmens erstellt. Diese Bilanz enthält viele positive Einträge; das ist das, worauf Paulus stolz sein kann: seine Religion, sein Herkunft, seine Bildung, sein Eifer, seine Gesetztes­treue. Aber natürlich gibt es da auch Negatives – etwa die Tatsache, dass er lange Zeit in die falsche Richtung geeifert hat, oder auch seine Schwachheit, von der er an anderer Stelle schreibt. Nun stellt Paulus diese Bilanz ins Licht des Evangeliums von Jesus Christus. Da geschieht etwas Erstaun­liches: Die Bilanz verändert sich vollständig, sie wird quasi auf den Kopf gestellt. Wenn es sich um Zahlen handelte, könnten wir sagen: Jesus multi­pliziert alle Werte mit minus Eins, sodass aus positiven Zahlen negative werden und aus negativen positive; aus Gewinnen werden Verluste, und aus Schulden wird Gewinn. Hören wir noch einmal den bedeutungs­schweren Schlusssatz: „Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet.“

All das, worauf Menschen im Leben stolz sein können (und es im Sinne dankbarer Freude auch sein dürfen), das ist im Licht des Evangeliums etwas Negatives, denn es kann dem Glauben gefährlich werden. Je mehr ein Mensch darstellt, hat und kann, desto weniger sieht er ein, dass er völlig auf Gottes Hilfe angewiesen ist. Darum ist es auch so schwer, dass ein Reicher ins Reich Gottes kommt: Er muss nämlich erst mal erkennen lernen, dass er vor Gott bettelarm dasteht. Er muss sagen lernen: „Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet.“ Ebenso kann einem klugen Menschen seine Klugheit im Wege stehen, einem anständigen Menschen seine Selbs­tgerechtig­keit und einem religiösen Menschen seine Frömmigkeit. In der Tat: Sogar Beten und Geld-Spenden und Zur-Kirche-Gehen kann dem Glauben gefährlich werden, nämlich immer dann, wenn Menschen sich darauf etwas einbilden und meinen, sie hätten hier etwas in der Hand, das sie vor Gott annehmbar macht. In Wahrheit ist das alles jedoch gefährlich und schädlich, wenn es zu solchem Stolz führt, denn in Wahrheit macht uns nur eins vor Gott annehmbar: das Opfer Jesu am Kreuz – sein Blut und seine Gerechtig­keit, die wir wie Bettler nur einfach annehmen können. Alles, worauf wir im Leben stolz sind, ist vor Gott keinen Cent wert.

Wenn wir vor Gott allen Stolz fahren lassen, dann werden wir merken, dass sich unsere Bilanz auch am anderen Ende ins Gegenteil verkehrt. Im Lichte Christi wird dann nämlich all das wertvoll, was wir lieber verschämt verstecken wollen: Unsere Schwachheit, unsere Verzagtheit, unsere Fehler, unser Unvermögen, unsere Krankheiten, unser Leid. Denn dadurch merken wir: Christus wirkt an mir und durch mich; seine Kraft ist in mir Schwachen mächtig. So gilt nicht nur der Satz, den Paulus den Philippern geschrieben hat: „Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet.“ Nein, es gilt umgekehrt auch der Satz, den er den Korinthern geschrieben habe: „Ich will mich am aller­liebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne“ (2. Kor. 12,9). Also: Wenn Paulus in seinem Leben auch auf vieles stolz sein könnte, im Angesichte Gottes will er nur auf Eines stolz sein: auf seine Schwachheit, weil sich gerade an ihr Christi Macht erweist. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2015.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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