Gottes ewiges Reich

Predigt über Daniel 7 zum Himmelfahrtstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

„Eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg“, so heißt es im Bericht des Lukas von Christi Himmelfahrt (Apostelgesch. 1,9). Das bedeutet: Alles Weitere bleibt vor unseren Augen verborgen. Unsere Sinne und unser Verstand können nicht erfassen, dass Jesus dann zur Rechten des Vaters seinen Platz eingenommen hat, um dort für immer zu herrschen. Auch die Herrlich­keit seines Thronsaals und die Tausende von Engeln um ihn herum können wir nicht wahrnehmen; es ist dem natürlichen Menschen verborgen. Manche Leute meinen deswegen, das alles gebe es nicht oder über das alles könnten wir nichts Verläss­liches wissen. Das ist aber ein Irrtum. Denn Gott selbst hat uns manches von dem aufgedeckt, was unsern Sinnen und unserm Verstand verborgen bleibt. Dieses göttliche Aufdecken nennen wir „offen­baren“, auf Griechisch „apo­kalyptein“. Einige Teile der Bibel sind solche Offen­barungen aus Gottes verborgener Welt; Theologen nennen sie „apo­kalyptische Literatur“. Im Neuen Testament trifft das vor allem auf das Buch der Offenbarung zu, die sogenannte Apokalypse des Johannes. Im Alten Testament gehört der zweite Teil des Daniel­buches zur apo­kalypti­schen Literatur. Das siebente Kapitel, das wir hier betrachten, deckt uns auf dem Hintergrund der Welt­geschichte auf, wie Gott ewig regiert und welche Rolle Christus dabei spielt. Dieses Kapitel macht also offenbar, was die Himmel­fahrts­wolke vor mensch­lichen Blicken verhüllt hat: Gottes ewiges Reich.

Nun begegnet uns Gottes Offenbarung hier allerdings in einer doppelt fremden Sprache: Erstens hat der Prophet Daniel in Aramäisch auf­geschrie­ben, was Gott ihm gezeigt hat. Diese Sprach­barriere können wir leicht überwinden, weil wir eine deutsche Übersetzung haben. Zweitens aber kommt Gottes Botschaft in einer merk­würdigen Bilder­sprache zu uns; das ist oft so bei apo­kalypti­schen Texten. Da begegnet uns zum Beispiel ein „Feuer­strom“, der von Gottes Thron ausgeht. Er ver­anschau­licht Gottes Wort, das hochwirksam und energie­geladen ist wie Feuer. Und wie Feuer einerseits verzehren und zerstören, anderer­seits wärmen und Edelmetalle läutern kann, so ist auch die Wirkung von Gottes Wort eine doppelte: Sein Gesetz verurteilt den Sünder, sein Evangelium aber läutert ihn, reinigt ihn und schenkt ihm Gottes wärmende Liebe. Wenn wir hier im Gottes­dienst Worte der Heiligen Schrift hören und in der Predigt bedenken, dann geschieht dabei genau das, was Daniel beschrieb: Gottes Feuerstrahl des Heiligen Geistes erreicht unsere Herzen.

Bemerkens­wert sind die vier Tiere in dieser Vision. Ein Engel erklärte Daniel, was sie bedeuten. Er sagte: „Die vier großen Tiere sind vier Weltreiche, die nach­einander auftreten werden.“ Wer sich mit Wappen auskennt, der weiß: So stattliche Tiere wie Löwe, Bär, Panther und Drache sind Symbole für Machthaber und Reiche. Der Berliner Bär im Wappen unserer Hauptstadt zum Beispiel hängt mit Heinrich I. von Brandenburg zusammen, der auch „Heinrich der Bär“ genannt wurde. Den vier Weltreichen gegenüber­gestellt wird Gottes unsicht­bares, ewiges Reich. Daniels Vision beschreibt es wie den Thronsaal eines ehrwürdigen Herrschers. Der Engel erklärte dem Propheten: „Zuletzt wird das heilige Volk des höchsten Gottes die Herrschaft ergreifen und sie behalten bis in alle Ewigkeit.“

Schon immer standen Bibel­ausleger in der Versuchung heraus­zufinden, welche Reiche der Welt­geschichte denn mit den einzelnen Tieren gemeint sind: Löwe, Bär, Panther und Drache. Und wer sind die zehn Hörner des Drachen? Und wer ist das kleine Horn, das zusätzlich aus einem Kopf des Drachen wächst, drei andere Hörner vernichtet und schrecklich prahlt? Es liegt nahe, die vier Tiere mit den vier Großreichen gleich­zusetzen, die seit Daniels Zeit einander bei der Welt­herrschaft abgelöst haben. Der Löwe ist dann das babylo­nische Großreich, der Bär das Reich der Meder und Perser, der Panther das Reich Alexanders des Großen sowie seiner Nachfolger und der Drache das römische Imperium, das alle vorherigen Weltreiche an Größe und Macht in den Schatten stellte. Schwieriger ist es, die Sache mit den Hörnern zu deuten. Martin Luther hat das kleine nach­wachsende Horn mit dem Islam in Verbindung gebracht, genauer: mit dem osmanischen Türken­reich, das brutal wie heute der sogenannte Islamische Staat ein Gebiet nach dem anderen mit Feuer und Schwert eroberte. Heute ist mancher versucht, die Hörner mit neuzeit­lichen Machthabern und Großreichen in Verbindung zu bringen, vielleicht mit Hitler oder Stalin oder dem Imperialis­mus – sei er ameri­kanisch oder russisch.

So interessant solche Speku­lationen auch sein mögen, sie helfen uns beim Verständnis von Gottes Wort nicht wirklich weiter. Wir sollten lieber genau auf die Bildsprache achten. Da heißt es gleich zu Anfang: „Ich sah, wie aus den vier Himmels­richtungen die Winde bliesen und das große Meer auf­wühlten.“ Die vier Himmels­richtungen stehen für die ganze Welt – Ost und West, Nord und Süd. Und das „große Meer“ meint die sogenannte Urflut der Schöpfung, aus der Gott alle Länder und Lebewesen geschaffen hat. Daran wird klar, dass es hier nicht so sehr um einzelne bestimmte Reiche der Welt­geschichte geht, sondern ganz allgemein um Machthaber, die kommen und gehen. Das war schon zu biblischen Zeiten so, und das ist bis zum heutigen Tag nicht anders: Sie treten aggressiv auf wie Raubtiere, führen Kriege und fügen den Menschen viel Leid zu. Manche dieser Machthaber setzen sich selbst­herrlich in Szene, verfolgen Gottes Volk und wollen selbst wie Götter verehrt werden. Das war zu Daniels Zeiten bei König Darius so, das war bei Nero und anderen römischen Kaisern so, das war bei Hitler und Stalin so, das ist heute in Nordkorea und beim „Islami­schen Staat“ so. Diese offensicht­lichen Feinde Gottes entsprechen dem kleinen Horn, das sich gegen ein paar größere Hörner behauptet und damit furchtbar angibt. Daniel schrieb: „Ich hatte beobachtet, wie dieses Horn mit dem heiligen Volk Gottes Krieg führte und es unterwarf.“ Wie wir in den vier Tieren den Inbegriff aller Großmächte der Welt sehen können, so können wir in dem kleinen Horn den Inbegriff aller Christen­verfolger sehen. Sie sind be­ängstigend mächtig, und Gott scheint nichts gegen sie zu unternehmen – so kommt es zumindest denen vor, die unter solchen Machthabern leiden. Auch Daniel selbst war ganz durch­einander von dieser Erkenntnis. Er schrieb: „Ich war wie betäubt von dem, was ich sah… Ich war so er­schrocken, dass alle Farbe aus meinem Gesicht wich.“

Ja, auch wir sind heute er­schrocken, wenn wir von grausamen Christen­verfolgun­gen hören, von islamisti­schem Terror und von rücksichts­losen Macht­habern. Unsere jüngere Geschichte und unsere Gegenwart bieten mehr Beispiele dafür, als uns lieb ist. Wir sind irritiert, wenn auf der anderen Seite Gottes Reich in unserer Welt dem äußeren Anschein nach kümmerlich und schwach ist. Wer Gottes Reich allein nach dem äußeren Zustand der Christen­heit beurteilt, kann darüber leicht den Glauben verlieren. Genau deswegen fährt der Feuerstrahl von Gottes Wort aus seiner Ewigkeit zu uns und offenbart uns das, was wir auf natürliche Weise nicht wahrnehmen können: Gott ist in Wahrheit mächtiger als alle Machthaber dieser Welt, und sein Reich ist dauerhafter als alle Reiche dieser Welt. Lasst uns auch das aus der Bildsprache von Daniels Vision heraus­lesen.

Vom gottes­feindlichen Horn hat Daniel ge­schrieben: „Ein Jahr und zwei Jahre und ein halbes Jahr wird das Volk Gottes in seine Gewalt gegeben.“ Das sind zusammen­gerechnet dreieinhalb Jahre – genau die Hälfte von sieben. Die Zahl sieben aber steht für Gottes Vollkommen­heit und Ewigkeit, denn in sieben Tagen hat er Himmel und Erde geschaffen. Wenn die Zeit von Gottes mächtigsten Wider­sachern nur halb so lange dauert, dann bedeutet dies, dass ihre Macht begrenzt und befristet ist.

Daniels Vision prophezeit auch Gottes endgültiges Gericht, bei dem alle Feinde entmachtet werden. Dies geschieht mit dem herrlichen Blick in den himmlischen Thronsaal. Da wird uns gewisser­maßen die Fortsetzung von Christi Himmelfahrt offenbart – also das, was die Wolke vor den leiblichen Augen der Jünger verbarg. Daniel sah, dass Throne aufgestellt werden, erhöhte Sitz­gelegen­heiten, die dem König vorbehalten sind und denen, die mit ihm zusammen regieren. Gott ist dieser König. Daniel sah ihn wie einen „uralten“, das heißt ewig lebenden Mann. Sein Gewand und seine Haare strahlten helles Licht aus, denn Gott ist das Licht, er ist vollkommen rein und heilig. Sein feuriger Thron hat Räder, die zeigen uns: Gott ist nicht fest­gewurzelt, sondern mobil; auch wenn er ewig im Himmel thront, so ist er doch zugleich all­gegen­wärtig bei uns in Raum und Zeit. Dass Daniel in seinem Gesicht aber nicht nur einen Thron gesehen hat, offenbart uns auch etwas vom Geheimnis der heiligen Drei­einigkeit: Nicht nur der himmlische Vater ist unser Herr und König, sondern auch sein ein­geborener Sohn. Er ist zurück­gekehrt von seiner Erden­mission in den himmlischen Thronsaal. Dies wird uns in Daniels Bildsprache so vor Augen gestellt: „Danach sah ich in meiner Vision einen, der aussah wie ein Mensch. Er kam mit den Wolken heran und wurde vor den Thron des Uralten geführt. Der verlieh ihm Macht, Ehre und Herrschaft, und die Menschen aller Nationen, Völker und Sprachen unterwarfen sich ihm. Seine Macht ist ewig und un­vergäng­lich, niemand wird ihm je die Herrschaft entreißen.“ Der Evangelist Markus berichtete davon kurz und bündig so: „Der Herr Jesus… wurde aufgehoben gen Himmel und setzte sich zur Rechten Gottes“ (Markus 16,19). Zurück in der Herrlich­keit des Vaters, glänzt er in demselben göttlichen Licht wie der Vater. Johannes hat Christus in der Offenbarung ebenso beschrieben wie Daniel hier den Vater. Der Heilige Geist aber erscheint, wie wir schon gesehen haben, in dem feurige Strahl, der von Gottes Thron ausgeht.

Und schließlich hat Gott uns durch Daniel sein endgültiges Gericht über alle Menschen und Mächte prophezeit. Herrschen ist nach biblischem Verständnis dasselbe wie Richten; darum wurden die ersten Herrscher im sesshaft gewordenen Volk Israel „Richter“ genannt. Daniel hat geschaut, wie Millionen dienst­bereiter Engel um Gottes Throne stehen und Milliarden von Menschen vor ihm versammelt werden. Auch hat er gesehen, wie „Bücher“ aufgetan wurden, Schrift­rollen nach Art antiker Königs-Annalen, in denen die Taten der Menschen proto­kolliert sind. Keiner kann sich dann vor Gottes Urteil drücken, auch die Mächtigsten werden dann ihr Urteil empfangen: Darius und Alexander, Caesar und Augustus, Karl der Große und Kaiser Wilhelm, Hitler und Stalin und Nixon und Putin, alle Päpste und alle Pastoren, sie alle werden zusammen mit den anderen Menschen Gottes Urteil hören. Dann wird sich heraus­stellen, wer von ihnen durch Christi Blut erlöst ist, wer von ihnen ewig bei Gott leben und in Christi Reich mit­herrschen darf. Der Engel hat es Daniel mit folgenden Worten erklärt, und Daniel hat es genau auf­geschrie­ben: „Dessen Reich soll alle anderen Reiche ablösen und ihre Macht und Größe in sich vereinen. Gott aber behält die Herrschaft in alle Ewig­keit…“ Wie Gott es einst Daniel zeigte und wie Gottes Engel es ihm erklärte, so haben es zwei Engel dann den Jüngern am Tag der Himmelfahrt bezeugt, und damit auch uns: „Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wieder­kommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen“ (Apostel­gesch. 1,11). An dem Tag wird alle menschliche Macht zuende und alle Macht des Teufels gebrochen sein; wir aber dürfen dann für immer ganz nah bei unserm Herrn sein, in ewiger Freude. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2015.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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