Der königliche Hohepriester

Predigt über Hebräer 5,10 zum Sonntag Judika

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Einmal stellte Jesus den Pharisäern eine knifflige Frage. Das heißt, eigentlich begann er mit einer ganz einfachen Frage; die lautete: „Was denkt ihr von dem Christus? Wessen Sohn ist er?“ Also: Von wem stammt der Messias ab, der Erlöserkönig, den die Propheten verheißen haben und auf den man damals sehn­süchtig wartete? Klar, dass die Pharisäer ant­worteten: „David!“ Die Worte der alten Propheten lassen nämlich keinen Zweifel daran, dass der Messias aus der Familie des großen Königs David kommt. Schon dem David selbst wurde verheißen, dass einer seiner Nachkommen ewig regieren werde, dass er Gottes Volk beschützen und recht richten werde. Auf die einfache Frage aber folgte dann die knifflige. Jesus sagte: „Wie kann ihn dann David durch den Geist ‚Herr‘ nennen, wenn er sagt: ‚Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde unter deine Füße lege‘? Wenn nun David ihn ‚Herr‘ nennt, wie ist er dann sein Sohn?“ (Matth. 22,41‑45) Der zitierte Satz ist der Anfang des 110. Psalms, eines Psalms von David. David hat unter dem Einfluss des Heiligen Geistes also gesagt: „Gott der Herr redete mit meinem Herrn“, und der, den David hier „mein Herr“ nennt, ist niemand anders als der ver­sprochene Erlöser, der zur Rechten Gottes regieren wird. Mit anderen Worten: David nennt seinen zu­künftigen Sohn, den ver­heißenen Davids­sohn, in diesem Psalm seinen Herrn. Wie reimt sich das zusammen: Ist er nun Davids Sohn oder Davids Herr? Keiner von den Pharisäern konnte damals diese knifflige Frage Jesus be­antworten, und er selbst hat sie auch nicht be­antwortet. Erst als Jesus dann gen Himmel gefahren war und sich zur Rechten Gottes gesetzt hatte, wurde diese Frage aus­drücklich be­antwortet: Petrus verkündete in seiner Pfingst­predigt, dass der auf­erstandene Jesus dieser Herr ist, von dem David im 110. Psalm geweissagt hatte. Jesus ist nicht nur der Davids­sohn, sondern zugleich auch Gottes Sohn, und deswegen nannte König David ihn pro­phetisch seinen Herrn.

Mehrere andere Stellen im Neuen Testament greifen dieses Psalmwort auf und be­antworten die knifflige Frage Jesu ebenso, unter anderem auch der Hebräer­brief. Im fünften Kapitel beginnt ein langer Satz mit Psalm­zitaten, und das Ende dieses langen Satzes ist unser Predigt­text: „…genannt von Gott ein Hoher­priester nach der Ordnung Melchi­sedeks.“ Darin klingt ein Wort an, das ebenfalls im 110. Psalm steht und in dem ebenfalls Gott der Herr den Messias anredet, den Gottessohn und Davids­sohn. Voll­ständig heißt dieser Satz im Psalm so: „Der Herr hat ge­schworen, und es wird ihn nicht gereuen: ‚Du bist ein Priester ewiglich nach der Weise Melchi­sedeks.‘“ (Psalm 110,4). Da haben wir die nächste knifflige Frage: Wer war Melchi­sedek, und wieso wird Christus ein Priester nach der „Weise“ oder „Ordnung“ Melchisedeks genannt?

Um diese Frage zu be­antworten, müssen wir weit in die Vergangen­heit zurück­gehen – 4000 Jahre zurück, in die Zeit Abrahams. Da lebte ein be­deutender Mann genau an dem Ort, wo David später König war: in Jerusalem. Dieser Mann war dort ein König, und er war zugleich ein Priester. Melchi­sedek hieß er, auf Deutsch: „König der Gerechtig­keit“. Niemand kann sagen, woher er stammte und zu welchem Volk er gehörte; er war einfach da: Er beschützte sein Volk, er richtete, er betete und er opferte. So eine Personal­union von König und Priester hat es später im Volk Israel nie gegeben: David und die meisten Könige gehörten zum Stamm Juda, aber alle Priester waren nach Gottes Willen Nachkommen von Aaron aus dem Stamm Levi. Israel hatte in seiner Königszeit also stets eine Doppel­spitze: Da gab es einmal den König, der das Volk beschützte und richtete, und da gab es auf der anderen Seite den Hohen­priester, der für Israel betete und opferte. Und nun kommen wir auf unsere geheimnis­volle Weissagung zurück: „Du bist ein Priester ewiglich nach der Weise Melchi­sedeks.“ Was kann damit anderes gemeint sein, als dass der verheißene Erlöser König und Priester in Personal­union ist – eben wie dieser sagenhafte Priester­könig zu Abrahams Zeit? Als König und Mensch ist er Davids Sohn wie alle Könige der Juden, aber als Priester und Gottessohn hat er keine irdische Herkunft, sondern kommt von seinem himmlischen Vater her. Er steht deshalb auch nicht in der Tradition der alt­testament­lichen Priester, die alle von Aaron ab­stammten; vielmehr hat mit ihm eine ganz neue Art von Priester­tum begonnen: Gottes neuer Bund.

Nun erkennen wir, wie sich alles wunderbar zusammen­fügt und wie sich die kniffligen Fragen einfach auflösen. „…ge­nannt von Gott ein Hoher­priester nach der Ordnung Melchi­sedeks“, heißt es in unserem Predigt­text. Man kann auch über­setzen: „begrüßt oder ausgerufen von Gott“. Im ur­sprüngli­chen Psalmtext heißt es sogar: „Der Herr hat ge­schworen, und es wird ihn nicht gereuen…“ Mit einem ewig un­vergäng­lichen Eid hat Gott seinen Gesalbten als den Priester und den König aus­gerufen. Jesus Christus betet und opfert als großer Hoher­priester des neuen Bundes. Er bittet: „Vater, vergib ihnen!“, und er bringt sich selbst als Sündopfer dar. Zugleich beschützt und richtet er als der ewige König in Gottes Reich: Er beschützt uns vor der Macht des Teufels, und er richtet uns nach seiner Gerechtig­keit.

Diese letzte Aussage müssen wir ganz dick unter­streichen: Er richtet uns nach seiner Gerechtig­keit. Christus ist ein Melchi­sedek im wahrsten Sinne des Wortes, ein „König der Gerechtig­keit“. Aber was ist das für eine Gerechtig­keit? Ist es die Art von Gerechtig­keit, die der 110. Psalm so be­schreibt: „Der Herr zu deiner Rechten wird zer­schmettern die Könige am Tages seines Zorns; er wird richten unter den Heiden, wird viele er­schlagen, wird Häupter zer­schmettern auf auf weitem Gefilde“ (Psalm 110,5‑6)? Das ist in der Tat die Gerechtig­keit des Davids­sohns, die seine Feinde zu spüren bekommen werden; sie werden im Jüngsten Gericht ein schreck­liches Urteil hören. Was aber ist dann mit uns? Benehmen wir uns mit unserer Sünde nicht auch immer wieder feindlich gegenüber Gott? Übertreten wir nicht immer wieder die Gesetze des höchsten Königs?

Da kommt nun eine andere Art von Gerechtig­keit in den Blick, eine größere Gerechtig­keit: die priester­liche Gerechtig­keit, die barm­herzige Gerechtig­keit des Hohen­priesters Jesus Christus. Von ihr redet der Vers un­mittel­bar vor unserem Predigt­text. Da heißt es: „Als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden.“ Wer Glaubens­gehorsam hat, wer ihm also vertraut, der findet Heil bei ihm. Dieses Heil ist Gottes ganz besondere Gerechtig­keit – eine Gerechtig­keit, die anders ist als die Gerechtig­keit der Welt. Unser Hoher­priester opfert sich selbst für unsere Schuld und bringt damit alles in Ordnung, was uns vor unserem König anklagt. Er selbst trägt die Strafe, die er verhängt hat, und nimmt sie damit uns ab, die wir sie eigentlich verdient haben. Dies ist die eigent­liche und tiefe Bedeutung von Gottes Gerechtig­keit in der Bibel. Es ist keine Gerechtig­keit, die wir uns selbst verdienen können; wir können sie nur geschenkt bekommen. Es ist eine Gerechtig­keit, die man anziehen kann wie einen Mantel, der einem gegeben wird, und die man anlegen kann wie wertvollen Schmuck, den man sich nie leisten könnte. Darum heißt es im 110. Psalm auch vom Messias: „Wenn du dein Heer auf­bietest, wird dir dein Volk willig folgen in heiligem Schmuck.“ Und die Kirche singt: „Christi Blut und Gerechtig­keit, / das ist mein Schmuck und Ehren­kleid. / Damit will ich vor Gott bestehn, / wenn ich zum Himmel werd eingehn.“ Ja, so ist Christus unser König und unser Hoher­priester zugleich: Er beschützt und richtet uns, er betet für uns und hat sich für uns auf­geopfert. Ja, er ist ein rechter Melchi­sedek, unser „König der Gerechtig­keit“, in alle Ewigkeit. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2015.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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