Zur Nachfolge berufen

Predigt über 1. Könige 19,19‑21 zum Sonntag Okuli

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Die „guten alten Zeiten“, nach denen sich mancher zurück­sehnt, waren zwar alt, aber nicht gut – jedenfalls nicht wesentlich besser als die heutige Zeit. Wir haben ja manchmal den Eindruck, dass heute alles viel schlimmer ist als früher: die soziale Un­gerechtig­keit, die Krimi­nalität, der Stress der Berufs­tätigen, die mangelnde Disziplin der Jugend, die Sitten­losig­keit, der Aberglaube und nicht zuletzt auch die Gott­losig­keit. Wer sich aber in der Welt­geschichte auskennt, der weiß, dass es solche Klagen schon immer gegeben hat. Vor allem die Älteren klagten schon immer über die gegen­wärtigen schlechten Zeiten und lobten die früheren, vermeint­lich besseren.

Auch im alten Israel sah es vor knapp 3000 Jahren nicht besser aus. Auch in Gottes aus­erwähltem Volk herrschten soziale Un­gerechtig­keit, Krimi­nalität, Sitten­losig­keit und Gott­losig­keit. Es war sogar schlimmer Götzen­dienst ein­gerissen: Man verehrte den Götzen Baal und verfolgte die Diener des Herrn, des einen wahren Gottes. Da berief Gott Propheten, um sein Volk zur Umkehr zu bewegen. Einer der be­rühmtes­ten von ihnen hieß Elia. Hatte Elia aber Erfolg mit seinem Predigen? Mitnichten. Vielmehr war er nach vielen Dienst­jahren vollkommen nieder­geschlagen, denn er musste fest­stellen, dass er nichts erreicht hatte. Die Menschen hatten nicht auf ihn beziehungs­weise auf Gott gehört; sie hatten sich nicht gebessert. Elia wollte am liebsten seinen Propheten­mantel an den Nagel hängen und sterben. Gott aber ließ sich nicht entmutigen und wollte sein Volk trotz aller Ent­täuschung nicht fallen lassen. Darum tröstete er seinen Propheten und gab ihm einen letzten Auftrag: Elia sollte einen Nachfolger berufen, der sich zunächst als sein Jünger auf diesen Dienst vor­bereitete und dann an seine Stelle trat. Dieser Nachfolger hieß Elisa. Unser Predigttext berichtet davon, wie Elia diesen seinen letzten Auftrag ausführte und Elisa zu seinem Propheten­jünger berief.

Begeben wir uns in Gedanken nach Israel zum Dorf Abel Mehola im neunten Jahrhundert vor Christus. Es ist Frühling. Die Sonne scheint auf das Land, das nach dem winter­lichen Regen weich und fruchtbar daliegt. Jetzt ist es Zeit, dass die Bauern ihre Ochsen anspannen und den Acker umpflügen für die Frühjahrs­bestellung. Der reiche Schafat schickt dazu seinen Sohn Elisa mit einigen Knechten aufs Feld. Sie sind gerade kräftig bei der Arbeit, als der Prophet Elia auftaucht. Dem bietet sich ein stattliches Bild: Zwölf Paare Ochsen ziehen mit zwölf Pflügen tiefe Furchen in den Acker, jedes Gespann geführt von einem Mann. Elisa führt den letzten Pflug und be­aufsichtigt zugleich die Arbeit der Knechte vor ihm.

Und nun geschieht etwas Merk­würdiges: Elia schließt sich dem Zug der Pflüger an, nähert sich Elisa von hinten und wirft ihm seinen Propheten­mantel über den Kopf. Dabei sagt er vielleicht: Folge mir nach! Die meisten Menschen hätten an Elisas Stelle unwirsch reagiert: Was soll diese Störung, was soll diese Behinderung bei der Ausübung meiner beruflichen Tätigkeit? Der Mann hat hier nichts zu suchen, der soll mich gefälligst in Ruhe arbeiten lassen! Schließlich bestellt sich das Feld nicht von allein, sondern man muss etwas tun für seinen Broterwerb! Aber so reagiert Elisa nicht. Er merkt, dass hier eine wichtigere Arbeit auf ihn wartet. Gott hat eine andere Aufgabe für ihn. Und wenn Gott ruft, dann darf man sich nicht sträuben, dann muss man gehorchen. So verlässt Elisa Pflug und Rinder und geht mit Elia mit. Nur eins bittet er sich aus: dass er noch mit seinen Eltern und seiner ganzen Familie Abschied feiern darf. Elia gewährt ihm diese Bitte. Diesen Abschied nutzt der reiche Bauernsohn, um seinen Angehörigen deutlich zu machen, dass sein Entschluss fest steht: Er will, er muss jetzt Gottes Prophet werden. Elisa schlachtet die beiden Rinder, mit denen er eben noch gepflügt hat. Dann macht er Kleinholz aus den hölzernen Bestand­teilen seines Pfluges und zündet sie an. Auf diesem Kochfeuer bereitet er denen, die viele Jahre mit ihm zusammen gelebt und gearbeitet haben, eine letzte Mahlzeit. Danach sagt er Lebewohl und zieht mit Elia fort, um sich als dessen Jünger auf Gottes großen Auftrag vor­zubereiten.

Elisa wurde ebenso wie Elia ein berühmter Prophet: Gott ließ ihn sein Wort verkündigen und wirkte Wunder durch ihn. Aber die meisten Menschen in Israel besserten sich immer noch nicht. Gott ließ nicht locker und schickte weitere Propheten: Amos und Micha und Jesaja und Jeremia und Hesekiel und Sacharia, aber die Menschen besserten sich nicht. Gott schickte schließlich seinen ein­geborenen Sohn, um die Menschen aus der Gefangen­schaft der Sünde zu erlösen. Auch der rief Jünger in seine Nachfolge, so wie es einst Elia tat – Menschen, die seine Zeugen werden sollten. In der heutigen Evan­geliums­lesung haben wir davon gehört. Einer der Berufenen bat Jesus dasselbe, was einst Elisa den Elia gebeten hatte: „Erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Hause sind“ (Lukas 9, 61). Aber anders als Elia erlaubte Jesus das nicht. Das mag uns hart und un­verständ­lich erscheinen, aber vielleicht wollte Jesus damit zum Ausdruck bringen: Dieser Nachfolge-Ruf ist noch wichtiger und dringender als damals der Ruf in die Nachfolge des Elia; er duldet keinen Aufschub. Aber auch zu Jesu Zeiten besserten sich die meisten Menschen nicht, und einige schlugen ihn sogar ans Kreuz. Immer noch ließ Gott nicht locker und schenkte Jesu Jüngern den Heiligen Geist, damit sie die Evangeliums-Botschaft von Jesus mit Vollmacht in die Welt hinaus­tragen. Wieder hörten die meisten Menschen nicht darauf, sondern verfolgten die Apostel und brachten sie und viele andere Christen auf grausame Weise um. Und wenn auch das Christentum sich später über die ganze Welt ausbreitete und äußerlich weithin anerkannt wurde, so blieben doch die Herzen vieler verhärtet: Es gab immer noch soziale Un­gerechtig­keit, Krimi­nalität, Disziplin­losig­keit, Aberglaube und Gott­losig­keit; wahrer Glaube und wahre Liebe hatten noch immer Seltenheits­wert. Und doch ließ Gott weiterhin nicht locker, schickte große Heilige und große Prediger, schickte Martin Luther und die Re­formation.

Auch heute lässt Gott nicht locker, in diesen unseren schweren Zeiten. Immer noch schickt er seine Boten aus, die das Evangelium von Jesus Christus predigen und die Menschen durch ihn zu Gottes Frieden einladen und zum ewigen Leben. Gott lässt nicht locker, um doch wenigstens noch den Einen oder Anderen für sein Reich zu gewinnen. Immer noch lässt er gewisser­maßen Propheten­mäntel über junge Männer werfen, die sich dann ausbilden und in den Pfarrdienst senden lassen, oder in missio­narische Dienste.

Aber auch wer nicht Pfarrer wird und haupt­beruflich verkündigt, ist in die Nachfolge des Herrn Jesus Christus gerufen. In jeder Taufe wirft er gewisser­maßen seinen Mantel über einen Menschen: den Mantel seiner Barmherzig­keit und seiner vergebenden Liebe. Wir wissen: Nur wenn wir Sünder in diesen Mantel eingehüllt sind, können wir vor Gottes Gericht bestehen. Aber zugleich ruft der Herr uns mit seiner Taufe auch zu: Folge mir nach! Denn wie heißt es in seinem Taufbefehl? „Macht zu Jüngern alle Völker…“ (Matth. 28,19).

Nun ist es freilich nicht so, dass wir wie Elisa unsern bürger­lichen Beruf aufgeben und unsere Familie verlassen müssen; das erwartet Gott nicht von uns heutigen Jüngern. Stattdessen erwartet er von uns, dass wir ihm gerade in unserm Alltag nachfolgen und seine Zeugen sind – ein jeder an dem Platz, wo er steht, und mit den Möglich­keiten, die ihm gegeben sind. Jeder Christ kann auf die eine oder andere Weise dazu beitragen, dass Gottes Wort und die Einladung zum Glauben auch heute nicht verstummt, in dieser bösen Zeit. Noch einmal: Gott lässt auch heute noch nicht locker und will, dass seine Botschaft überall gehört wird. Erkennen wir doch, wie wichtig das ist, auch wenn die Nachfolge bei uns nicht so ein­schneidende Kon­sequenzen zu haben braucht wie bei Elisa. Und lassen wir uns nicht entmutigen wie Elia, auch wenn es oft so scheint, als sei unser christ­liches Zeugnis vergeblich, als bliebe das Wort des Herrn ungehört. Für einen Jünger des Herrn ist es nicht ent­scheidend, wieviel sichtbaren Erfolg er hat; wichtig ist allein, dass er seinem Herrn treu bleibt. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2015.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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