Der Leidensweg des Herrn

Predigt über Matthäus 26,1‑16 in einer Passionsandacht

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

„Seele, mach dich heilig auf, Jesus zu begleiten“, so haben wir eben gesungen. Das wollen auch tun – heute und in den Passions­andachten der vor uns liegenden Wochen. Wir wollen unsern Herrn in Gedanken begleiten auf seinem Leidensweg „gen Jerusalem hinauf“, in die Stadt seiner Ankläger und Mörder, im Bergland Judäa gelegen, und dann auch schließlich „gen Golgatha hinauf“, auf den Hügel, den man „Schädel­stätte“ genannt hat, an den Ort seiner Kreuzigung. Wir heutigen Jünger wollen uns im Geist unter die damaligen Jünger mischen, denen Jesus am Anfang seines Leidens­weges prophezeit hat: „Ihr wisst, dass in zwei Tagen Passa ist; und der Menschen­sohn wird über­antwortet werden, dass er gekreuzigt werde.“ Und wir wollen auf die Menschen achthaben, die den Leidensweg des Herrn gekreuzt haben oder ihn ein Stück weit mitgegangen sind: welche Ein­stellungen sie hatten, was sie dachten, was sie empfanden, was sie beab­sichtigten. Wir wollen uns dazu vom Jünger und Evange­listen Matthäus an die Hand nehmen lassen, dem ehemaligen Zöllner, den Jesus aus einem zweifel­haften Lebens­wandel heraus in seine Nachfolge gerufen hatte, der ein persön­licher Zeuge seiner Passion wurde und der dann alles unter dem Einfluss des Heiligen Geistes für uns auf­geschrieben hat.

„Ihr wisst, dass in zwei Tagen Passa ist; und der Menschen­sohn wird über­antwortet werden, dass er gekreuzigt werde“, sagte Jesus also. Sie konnten es in der Tat wissen, seine damaligen Jünger, denn Jesus hatte es schon vorher mehrmals an­gekündigt. Seine Ver­urteilung und Kreuzigung war weder für ihn selbst noch für seine Jünger etwas Un­erwartetes, kein Schicksals­schlag, kein Unfall. Auch wenn Jesus als Opfer für die Sünden aller Menschen ans Kreuz ging, war er doch kein Opfer in dem Sinne, wie wir heute von Opfern sprechen: Opfer von Anschlägen, Opfer von Unfällen, Opfer von Justiz­irrtümern. Weil Jesus es vorher­gesehen und vorher­gesagt hat, weil er wissentlich und willentlich diesen Leidensweg beschritt, darum sollten wir ihn eher als Herrn dieser Leiden ansehen, nicht als Opfer im heutigen Sinn. Ja, lasst uns Jesus so begleiten: nicht herab­lassend-mitleidig, sondern aufschauend-dankbar dafür, was er für uns gelitten hat. So bekennen wir es ja auch im Glaubens­bekenntnis: dass Jesus mein Herr ist, der mich „mit seinem heiligen, teuren Blut und mit seinem un­schuldigen Leiden und Sterben“ erlöst hat, wie Martin Luther es in der Erklärung zum zweiten Glaubens­artikel formu­lierte.

Die Vernunft der Welt kann mit diesem Herrenopfer allerdings nichts anfangen. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese weltliche Vernunft in ein religiöses Gewand gekleidet ist oder in ein gottloses: Das Wort vom Kreuz war den religiösen Juden eine Ärgernis und den philo­sophischen Griechen eine Torheit. Sogar das höchste geistliche Gremium der Juden, der hohe­priester­liche Rat in Jerusalem, konnte mit dem sanft­mütigen Rabbi Jesus, seinen Predigten und Heilungs­erfolgen nichts anfangen. Sie traten zu einer ver­traulichen Sitzung zusammen und berieten, wie sie diesen Mann möglichst geräuschlos beiseite schaffen konnten. Klug wollten sie sein und listig, damit unter den vielen Besuchern des Passafests in Jerusalem keine Unruhe entstehe. So tun es die Machthaber noch heute gern: Listig und ohne viel Aufsehen wollen sie alles beseitigen, was ihren eigenen Plänen im Weg steht. Wem seine eigenen Pläne am wichtigsten sind, der kann schnell den Eindruck gewinnen, dass Jesus ihm im Weg steht. Wer aber Jesu Jünger sein will, der muss seine eigenen Pläne hintenan stellen und sich vom Herrn mitnehmen lassen auf den Weg des Leidens.

In den Tagen vor seiner Gefangen­nahme pflegte Jesus mit seinen Jüngern in Betanien zu über­nachten, einem kleinen Vorort von Jerusalem. Dort hatte er liebe Freunde, die ihn gern aufnahmen: die drei Geschwister Lazarus, Maria und Martha. Sie hatten ihm viel zu verdanken; Lazarus sogar sein neu geschenktes Leben. Aber es gab noch jemand anderen in Betanien, der sich Jesus zu tiefem Dank ver­pflichtet fühlte: ein gewisser Simon, den Jesus vom Aussatz befreit hatte. Der lud den Heiland und seine Jünger eines Abends in sein Haus ein zu einem festlichen Essen.

Da geschah es, dass eine Frau Jesus mit einer besonderen Handlung ehrte: Sie salbte ihn mit kostbarem Öl. Der Evangelist Johannes hat uns ihren Namen verraten: Es war Maria, die Schwester des Lazarus, eine Nachbarin des Gastgebers also. Die Jünger und alle anderen Anwesenden merkten: dieses kosmetische Produkt ist wirklich sehr, sehr teuer! Wer heute das teuerste Parfüm der Welt kaufen will, der kann für ein Fläschchen unter Umständen mehrere tausend Euro loswerden. In dieser Größen­ordnung bewegte sich der Preis für das kostbare Öl, mit dem Jesus in Betanien gesalbt wurde. Und wir reden hier nicht von einem Tröpfchen: Maria hat die ganze Flasche über Jesus aus­gegossen! Da können wir verstehen, dass die Jünger unwirsch reagierten und von Ver­schwendung sprachen. Sie lebten mit Jesus in ziemlich ärmlichen Verhält­nissen; an manchen Tagen hatten sie nichts zu essen und kein Dach über dem Kopf. Und wieviele Arme in Land lebten in noch viel größerem Elend! Die Jünger dachten sehr vernünftig und sozial ver­antwort­lich, als sie sagten: „Es hätte teuer verkauft und das Geld den Armen gegeben werden können.“ Aber Jesus verteidigte Marias Tat mit den Worten: „Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn Arme habt ihr allezeit bei euch, mich aber habt ihr nicht allezeit. Dass sie das Öl auf meinen Leib gegossen hat, das hat sie für mein Begräbnis getan.“

Erinnern wir uns wieder daran: Jesus geht seinen Leidensweg als Herr und König, um uns zu erlösen. Mögen andere ihm das auch nicht ansehen – wer von ihm Hilfe und Heil erfahren hat, der weiß das genau. Und er wird wird ihn dann nach Kräften auch wie einen König ehren: Simon mit einem herrlichen Festmahl, Maria mit kostbarer Salbe. Und auf diese Weise nahm Maria das vorweg, was die Frauen am Ostermorgen auch tun wollten, was dann aber nicht mehr möglich noch nötig war: Jesu Leib die eine letzte große Ehre zuteil werden zu lassen und ihn wie den Leichnam eines hohen Herrn mit kostbarsten Ölen ein­zubalsa­mieren.

Uns hat Jesus von der Sünde geheilt wie den Simon vom Aussatz; uns hat Jesus von der Macht des Todes errettet wie den Lazarus; uns hat Jesus sein froh­machendes Evangelium geschenkt wie der Maria von Betanien. So ist es nur natürlich, wenn wir ihn auch heute an seinem Leib königlich ehren. Wir können es zum Beispiel tun, wenn wir immer wieder gern und mit größter Andacht das Heilige Abendmahl feiern; da haben wir ja seinen heiligen Leib unter der Gestalt des Brotes. Und wir können es auch tun, wenn wir seinen Leib der Kirche ehren und den Gliedern dieses Leibes mit Liebe und Ehr­erbietung begegnen – unsern Mit-Gliedern. Und wir können es heute auch tun, wenn wir die Armen nicht vergessen, die wir ja „allezeit haben“, wie Jesus fest­stellte: Wenn wir ihnen großzügig Gutes tun, dann ist das so, als würden wir es unserm Herrn selbst tun. Er hat ja gesagt: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“ (Matthäus 25,40).

An Jesus scheiden sich die Geister – das war schon damals so. Die einen planen listig, ihn aus dem Weg zu räumen, die andern ehren ihn liebevoll und dankbar als ihren Herrn. Sogar unter den Jüngern scheiden sich die Geister: Während die einen bei ihm bleiben, wenn auch verwirrt und voller Zweifel im Hinblick auf den bevor­stehenden Leidensweg, so reißt sich einer von ihnen los und schlägt sich auf die Seite seiner Feinde: Judas Iskariot. Und in dem Maße, wie er sich von Jesus lossagt, wird er zur Beute des Teufels. Sünde und Habsucht siegen, und er ist sich nicht zu schade, für den Verrat an Jesus dreißig Silber­stücke zu kassieren. Das war der übliche Preis für einen Sklaven – ein Bruchteils des Wertes von dem kostbaren Öl. Als Jesus dann am Abend vor seinem Tod mit den Jüngern beim festlichen Passamahl beisammen war, da gesellte Judas sich wieder schein­heilig zu ihm. Bis heute ist es so geblieben, dass auch immer wieder Schein­heilige sich in Christi Gemeinde aufhalten, Schein-Jünger, die in Wahrheit ganz anderes im Sinn haben, als den Herrn zu ehren. Wir halten das in Liebe aus, wie Jesus es damals ausgehalten hat.

Über dieses denkwürdige Mahl will ich nun aber ausführlich erst am Grün­donnerstag predigen. Für heute will ich im Blick auf Jesu Leidensweg dankbar wie Simon und Maria schließen mit den Worten: „Tausend-, tausendmal sei dir, / liebster Jesu, Dank dafür.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2015.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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