Herr-Herr-Sager

Predigt über Matthäus 7,21‑23 zum Aschermittwoch

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Es ist schon eine Weile her, da hörte ich, wie ein Pfarrer einen jungen Mann fragte: „Was wollen Sie denn mal werden?“ Der junge Mann antwortete: „Selig!“ Was für eine schöne Antwort! Sie war mir ganz aus dem Herzen gesprochen. Was gibt es Besseres und Wichtigeres im Leben, als mit Gott Frieden zu haben und selig zu werden? Wenn ein Mensch in Gottes Reich kommt und selig wird, dann wird damit früher oder später auch alles andere bei ihm heil, und der Tod hat keine Macht über ihn. Aber wie wird man selig? Die Antwort sollte uns nicht schwer fallen: Wer Jesus seinen Herrn nennt, der wird selig! Die Sätze Jesu aus der Berg­predigt, die wir eben als Predigttext gehört haben, scheinen das allerdings ein­zuschrän­ken. Jesus sagt: „Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen.“ Wen meint er damit? Wer sind diese Herr-Herr-Sager, die nicht selig werden? Und welche Herr-Herr-Sager werden selig?

Zunächst denken wir da an Heuchler, also an Leute, die ihr Christsein nicht ernst nehmen. Herr-Herr-Sager wären dann so etwas wie Ja-ja-Sager: Auch wenn der Heuchler zweimal „ja“ beziehungs­weise „Herr“ sagt, meint er es eigentlich nicht so. Leider gibt es viele solche Schein-Christen. Sie sind Kirch­glieder und zahlen Kirchen­steuern oder Beiträge, aber mit ihrem Verhalten machen sie deutlich: Ich selbst bin mein Herr, nicht Jesus; der ist nur eine Randfigur in meinem Leben. Aber eigentlich redet Jesus hier von anderen Leuten. Die Leute, von denen er spricht, sind nämlich keineswegs gleich­gültig, sondern fallen im Gegenteil durch ihre be­eindrucken­de Spiri­tualität auf. Auf diese Spiri­tualität, sagt Jesus, werden sie sich im Jüngsten Gericht auch berufen; mit der wollen sie selig werden. Dann werden sie nämlich sagen: „Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Haben wir nicht in deinem Namen böse Geister aus­getrieben? Haben wir nicht in deinem Namen Wunder getan?“ Nun ist ja eine be­eindrucken­de Spiri­tualität zweifellos besser als Heuchelei oder Gleich­gültigkeit. Trotzdem wird der Welten­richter ihnen bezeugen: „Ich habe euch noch nie gekannt; weicht von mir, ihr Übeltäter!“

So denken wir zweitens an Schwärmer, also an Leute, die gerade mit ihrer über­triebenen Spiri­tualität das Ziel von Gottes Reich verfehlen. Martin Luther hat sie „Schwarm­geister“ genannt und aus­drücklich vor ihrer Schwärmerei gewarnt. Was ist ihr Problem? Hören wir noch einmal genau auf den Satz, den Jesus gesagt hat: „Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel.“ Es kommt also nicht darauf an, ob jemand voller Eifer irgend­welche religiösen Dinge tut, sondern es kommt darauf an, dass er das Richtige tut – nämlich das, was Gottes Willen entspricht. Zu Jesu Zeiten bildeten sich die Schwärmer ein, sie seien Propheten, Geister­beschwörer oder Wunder­heiler, obwohl Gott sie überhaupt nicht dazu berufen hatte. Zu Luthers Zeiten standen Mönche und Nonnen in der Gefahr, sich auf ihre täglichen sieben Gottes­dienste etwas ein­zubilden, dazu auf strenges Fasten und auf andere selbst ausgedachte Werke der Frömmig­keit. Auch heute kommt es vor, dass jemand sich für besonders fromm hält – etwa, wenn er bei der Aktion „Sieben Wochen ohne“ mitmacht oder streng vegetarisch lebt oder sonst irgend­welche selbst ausgedachten Lebens­regeln konsequent einhält. Darüber hinaus gibt es auch in unseren Tagen Leute, die als Wunder­heiler oder erfolg­reiche Prediger berühmt werden und sogar im Fernsehen auftreten, die sich aber letztlich nicht an Gottes Willen halten, sondern ihre eigene Religion erfinden. Besser als eigene Spiri­tualität und Frömmigkeit ist es, auf den Willen des himmlischen Vaters zu achten und ihn zu tun. Genau das haben zu Jesu Zeiten viele Juden mit größter Sorgfalt versucht. Trotzdem scheiterten sie damit.

So denken wir drittens an die Pharisäer, also an Leute, die mit großem Eifer und bis in die kleinsten Einzel­heiten hinein Gottes Gesetz erfüllen wollen. Es gibt durchaus christliche „Phari­säer“, auch heute noch. Sie wissen ganz genau, was Gott geboten hat, und reiben es auch ständig ihren Mitmenschen unter die Nase. Sie meinen es sehr ernst mit Gottes Gesetz und geben sich große Mühe, aber sie tun es verbissen und ohne Freude. Wenn sie ehrlich mit sich wären, müssten sie fest­stellen, dass sie trotz ihrer großen Mühe immer wieder Gottes Willen verfehlen. Jesus sagte seinen Jüngern ebenfalls in der Berg­predigt: „Wenn eure Gerechtig­keit nicht besser ist als die der Schrift­gelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen“ (Matth. 5,20). Wenn die Pharisäer ehrlich mit sich wären, müssten sie zugeben: Wir sind auch nur solche Herr-Herr-Sager, denen es nicht wirklich gelingt, den Willen des Vaters im Himmel zu tun. Woran liegt das? Was fehlt ihnen zur Seligkeit? Mir fällt dazu die Epistel des vergangenen Sonntags ein, das sogenannte „Hohelied der Liebe“ im 1. Ko­rinther­brief: „Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen und hätte die Liebe nicht, so wäre mir‘s nichts nütze“ (1. Kor. 13,3). Weil Pharisäer Gottes Willen lieblos und selbst­gerecht erfüllen wollen, darum verfehlen sie ihn. Denn Liebe ist besser als Dienst nach Vorschrift, als sture Gebots-Einhaltung.

So denken wir viertens an die Liebenden – nicht an Liebespaare und Verliebte, sondern an Leute, die Jesus Christus von ganzem Herzen lieb haben und die darum auch ihre Mitmenschen lieben wie sich selbst. Nur die Liebe ist in der Lage, Gottes Willen zu tun. Jesus hat als größtes und wichtigstes Gebot gelehrt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften… Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Markus 12,30‑31). Und der Apostel Paulus schrieb im Römerbrief: „So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung“ (Römer 13,10). Wie solches Leben voller Liebe aussieht, das hat Jesus in seiner Bergpredigt ausführlich entfaltet. Er hat darin echte Liebe gefordert, Bruderliebe und Feindes­liebe, vergebende Liebe und barmherzige Liebe – letztlich vollkommene Liebe, so wie der himmlische Vater selbst vollkommen liebt. Nur wer so vollkommen liebt, handelt nach Gottes Willen. Und gegen Ende eben dieser Bergpredigt hat Jesus dann den Satz gesagt, den wir gerade bedenken: „Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel.“ Da werde ich traurig, denn ich merke: So lebe ich nicht, solche Liebe habe ich nicht. Heißt das, dass ich mit meiner kleinen und un­vollkomme­nen Liebe auch zu denjenigen Herr-Herr-Sagern gehöre, die den Willen des Vaters verfehlen und deswegen nicht ins Himmelreich gehören? Ich gestehe: Um selig zu werden, bräuchte es eine bessere Liebe und Gerechtig­keit, als ich sie aufbringen kann. Und vielen anderen geht es ebenso.

So denken wir schließlich an die Kapitu­lierenden, also an Leute, die im Hinblick auf ihre eigene Gerechtig­keit Insolvenz anmelden müssen bei Gott. Wir verfehlen Gottes Gebote, und es mangelt uns an der nötigen Liebe. Ja, eine bessere Gerechtig­keit muss her – besser als die der Heuchler, besser als die der Schwärmer, besser als die der Pharisäer, besser sogar noch als die der un­vollkommen Liebenden. Gott sei Lob und Dank: Es gibt diese bessere Gerechtig­keit! Das ist freilich nicht unsere eigene Gerechtig­keit, sondern es ist die Gerechtig­keit unsers Herrn Jesus Christus. Er hat Gottes Gesetz bis zum letzten Tüpfelchen erfüllt, denn er liebt vollkommen. Mit diesem Gehorsam und mit dieser Liebe hat er sich auf jenen Weg gemacht, an den wir in den nächsten Wochen wieder besonders denken: seinen Leidensweg, den Weg ans Kreuz. Er hat es getan, damit gerade wir selig werden, die Kapitu­lierenden. Weil wir und alle anderen Herr-Herr-Sager es nicht schaffen, Gottes Willen selber zu erfüllen, hat er ihn stell­vertretend für uns erfüllt. Noch in der Nacht vor seinem Sterbetag hat er in Todesangst gebetet: „Nicht wie ich will, sondern wie du willst!“ (Matth. 26,39). Lieber Bruder, liebe Schwester, wenn du Gewissheit suchst, ob du zum Himmelreich gehörst und selig wirst, dann geht das nicht mit deiner eigenen Gerechtig­keit, sondern dann geht das nur mit der Gerechtig­keit und Liebe Christi. Es geht nur so, dass du im Blick auf deine eigene Gerechtig­keit kapitu­lierst und sagst: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ (Lukas 18,13) Mit anderen Worten: Herr, Herr, erbarme dich über mich und rette mich! Wer so vor Gott kapitu­liert, ist ein Herr-Herr-Sager, dem Jesus das Himmelreich nicht verweigert, sondern dem er es im Gegenteil fest verspricht. Wer so vor Gott kapitu­liert, der hat den rechten christ­lichen Glauben. Wer so vor Gott kapitu­liert, der erfüllt damit den Willen des himmlischen Vaters vollkommen. Denn Jesus hat auch gesagt: „Das ist der Wille meines Vaters, dass, wer den Sohn sieht und glaubt an ihn, das ewige Leben habe; und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage“ (Joh. 6,40). Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2015.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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