Die große Freude der guten neuen Mär

Predigt über Lukas 2,10 und das Lied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ zum 2. Weihnachtsfeiertag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Kurz vor dem Weihnachts­fest des Jahres 1534 gab es im Hause Luther eine besondere Freude: Das jüngste Kind Margarete wurde am 17. Dezember geboren. Außer dem Hausvater Martin freuten sich seine Frau Katharina und die älteren Geschwister Hans (acht Jahre alt), Magdalene (fünf Jahre alt) und Paul (ein Jahr alt). Martin Luther selbst aber war so außer sich vor Freude, dass er wohl gerade in diesen Tagen ein Weihnachts­lied für seine Familie dichtete – ein Weihnachts­lied, das man heute noch singt und das weltweit zu den be­liebtesten gehört: „Vom Himmel hoch, da komm ich her“. Dieses Lied möchte ich jetzt mit euch betrachten.

Bei der Vor­bereitung zu dieser Liedpredigt half mir ein altes Buch von Dr. Otto Schlisske aus Jever. Es heißt „Handbuch der Luther­lieder“. Ein Kapitel darin handelt von diesem Weihnachts­lied Martin Luthers. Manches ist in diesem Buch so schön formuliert, dass ich es euch einfach vorlesen will. Da können wir zum Beispiel lernen, dass das Lied sowohl auf weltliche Tanzspiele zurückgeht als auch auf kirchliche Krippen­spiele. Otto Schlisske schreibt: „Die erste Strophe knüpft im Wortlaut und das ganze Lied in Strophenbau und auch der ur­sprüng­lichen Melodie an ein altes Ringeltanz­lied an. Auf dem Festanger kamen die jungen Burschen und die kranz­geschmück­ten Mädchen zusammen. Ein Bursche trat in die Mitte des Kreises und sang: ‚Ich komm aus fremden Landen her / und bring euch viel der neuen Mär, / der neuen Mär bring ich so viel, / mehr denn ich euch hier sagen will.‘ Dann gab er einem Mädchen ein Rätsel auf. Konnte das Mädchen das Rätsel nicht lösen, so musste es seinen Kranz dem Burschen geben.“

Die andere Wurzel unseres Weihnachts­liedes ist das kirchliche Krippen­spiel im Mittel­alter. Es bestand haupt­sächlich aus der Tradition des Kindel­wiegens; darauf komme ich bei der 14. Strophe zurück. Luther setzt mit seinem Lied an einer anderen Stelle der Weihnachts­geschichte ein. Gottes Engel verkündet Bethlehems Hirten die Geburt des Heilands: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude…“ Fünf Strophen lang singt Gottes Engel in der Ich-Form: „1. Vom Himmel hoch, da komm ich her, / ich bring euch gute neue Mär; / der guten Mär bring ich so viel, / davon ich singn und sagen will. 2. Euch ist ein Kindlein heut geborn / von einer Jungfrau aus­erkorn, / ein Kindelein so zart und fein, / das soll eu‘r Freud und Wonne sein. 3. Es ist der Herr Christ, unser Gott, / der will euch führn aus aller Not, / er will eu‘r Heiland selber sein, / von allen Sünden machen rein. 4. Er bringt euch alle Seligkeit, / die Gott der Vater hat bereit‘, / dass ihr mit uns im Himmelreich / sollt leben nun und ewiglich. 5. So merket denn das Zeichen recht: / die Krippe, Windelein so schlecht, / da findet ihr das Kind gelegt, / das alle Welt erhält und trägt.“

Wir merken, dass uns Luthers Sprache nach fünf Jahr­hunderten doch teilweise etwas fremd ist. „Mär“ bedeutete damals nicht „Märchen“, sondern „Nach­richt“, „Bot­schaft“, „Kunde“. Die „gute neue Mär“ ist die frohe Botschaft von Gottes neuem Bund. Vom griechi­schen Wort her nennen wir sie auch „Evan­gelium“.

Das Wort „auserkorn“ ist vielen heute ebenfalls nicht geläufig. Es bedeutet „aus­erwählt“. Gott hat sich die schlichte junge Frau Maria als Mutter des Heilands ausgesucht. Sowohl diese Tatsache als auch die Umstände ihrer Schwanger­schaft und Geburt waren einzigartig und keineswegs einfach für sie, aber sie hat das demütig von Gott angenommen. Sie sagte: „Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast“ (Lukas 1,38). Darin ist Maria vorbild­lich. Gott gebe, dass wir ebenso selbst­verständ­lich und demütig ja sagen zu dem, wozu Gott einen jeden von uns „aus­erkoren“ hat – sei es Gewöhn­liches oder Un­gewöhn­liches, sei es Leichtes oder Schweres.

Ob die Windeln wirklich „schlecht“ waren, lässt das Lied eigentlich offen. Das Wort „schlecht“ bedeutete zu Luthers Zeiten nämlich „schlicht“, „einfach“, gewöhn­lich“. Damit werden die Windeln nicht nur zu einem Zeichen für die Hirten, dass sie das Kind finden, sondern vor allem zu einem Zeichen, dass der Heiland und Herr aus der Davidsstadt in ganz schlichten, ja ärmlichen Verhält­nissen zur Welt kommt. Der, dem die ganze Welt gehört, wird uns zugute arm.

Außer der alten Sprache fällt auf, dass Luther in diesem Lied die Worte des Engels sehr frei und erweitert wiedergegeben hat. Es ging ihm nämlich nicht um eine wortgetreue Fassung in gereimter Form (die hören wir ja sowieso beim Vorlesen der Bibel), sondern es ging ihm um eine Auslegung. Die ersten fünf Strophen sind gewisser­maßen eine gereimte Predigt über die Botschaft des Engels. Der Zielgedanke dabei ist: Gott schickt den Heiland, damit wir Menschen in den Himmel kommen. So lässt Luther den Engel sagen: „…dass ihr mit uns im Himmel­reich / sollt leben nun und ewiglich“– ihr Menschen mit uns Engeln.

Mit der sechtsen Strophe antwortet die Gemeinde auf die Predigt des Engels und versetzt sich dabei gedanklich in die Rolle der Hirten: „6. Des lasst uns alle fröhlich sein / und mit den Hirten gehn hinein, / zu sehn, was Gott uns hat beschert, / mit seinem lieben Sohn verehrt.“ Mit diesem Übergang wird einer von Luthers Lieblings­gedanken deutlich, zugleich einer der wichtigsten Inhalte unseres Glaubens: Was Gott Großartiges tut, das tut er nicht einfach nur so, sondern das tut er uns Menschen zugute. „Ich bring euch gute neue Mär…, dass ihr mit uns im Himmelreich sollt leben nun und ewiglich.“ Der Glaube nimmt dieses „Für euch“ dankbar an und macht ein „Wir“ daraus: „Des lasst uns alle fröhlich sein…“

Aus dem fröhlichen Hirten‑ und Gemeinde-Wir der sechsten Strophe wird in den folgenden Strophen das Ich der einzelnen erlösten Seele. Nach Art der Psalmen redet der Glaubende zu sich selbst, redet seine eigene Seele beziehungsweise sein eigenes Herz an: „7. Merk auf, mein Herz, und sieh dorthin; / was liegt doch in dem Krippelein? / Wes ist das schöne Kindelein? / Es ist das liebe Jesulein. 8. Sei mir willkommen, edler Gast! / Den Sünder nicht verschmähet hast / und kommst ins Elend her zu mir: / Wie soll ich immer danken dir? 9. Ach Herr, du Schöpfer aller Ding, / wie bist du worden so gering, / dass du da liegst auf dürrem Gras, / davon ein Rind und Esel aß! 10. Und wär die Welt vielmal so weit, / von Edelstein und Gold bereit‘, / so wär sie doch dir viel zu klein, / zu sein ein enges Wiegelein. 11. Der Sammet und die Seiden dein, / das ist grob Heu und Windelein, / darauf du König groß und reich / herprangst, als wär‘s dein Himmelreich 12. Das hat also gefallen dir, / die Wahrheit anzuzeigen mir, / wie aller Welt Macht, Ehr und Gut / vor dir nichts gilt, nichts hilft noch tut.“

Wir können an diesen Strophen sehen, wie Luther mit der Bibel lebte, denn er bringt hier eine Reihe von biblischen Worten und Lehren mit der Weihnachts­geschichte in Verbindung. Die Worte „Merk auf, mein Herz“ nehmen Jesu berühmten Predigt-Schlusssatz auf: „Wer Ohren hat zu hören, der höre.“ Rind und Esel werden in den Evangelien nicht erwähnt, sondern sind vom Propheten Jesaja in die Krippen­spiel-Tradition gekommen. Da heißt es: „Ein Ochse kennt seinen Herrn, und ein Esel die Krippe seines Herrn“ (Jesaja 1,3). Die „Wahrheit“, von der die 12. Strophe handelt, ist keine philo­sophische Wahrheit, sondern die Wahrheit, die untrennbar mit Jesus verbunden ist, wie er später selbst bezeugte: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh. 14,6). Es ist die Wahrheit der „großen Freude“ des Evan­geliums, die Wahrheit der „guten neuen Mär“. Es ist diese erstaun­liche Wahrheit, dass der Herr aller Herren sich für unsere Erlösung klein, arm, elend und hilflos gemacht hat.

Aus der Betrachtung der gläubigen Seele fließen in der 13. und 14. Strophe die Anbetung und der Lobpreis: „13. Ach mein herzliebes Jesulein, / mach dir ein rein sanft Bettelein, / zu ruhen in meins Herzens Schrein, / dass ich nimmer vergesse dein. 14. Davon ich allzeit fröhlich sei, / zu springen, singen immer frei / das rechte Susaninne schön, / mit Herzenslust den süßen Ton.“

Der herrliche Gedanke, dass mein Herz eine Krippe für Jesus sein soll, taucht seitdem immer wieder in der christ­lichen Anbetung auf. Zum Beispiel dichtete Paul Gerhardt: „So lass mich doch dein Kripplein sein; / komm, komm und lege bei mir ein / dich und all deine Freuden.“ Und Gene­rationen von christ­lichen Kindern haben jeden Abend vor dem Einschlafen gebetet: „Ich bin klein. Mein Herz mach rein. Soll niemand drin wohnen als Jesus allein.“

Die 14. Strophe nimmt am deut­lichsten die Tradition der kirchlichen Krippen­spiele des Mittel­alters auf. In Otto Schlisskes Buch steht darüber: „So wurde zuerst vor dem Altar eine Krippe, die jedoch bald mit einer Wiege vertauscht wurde, auf­gestellt, neben der die Personen der Weihnachts­geschichte, ins­besondere Maria und Joseph, ihren Platz fanden. Zwischen diesen beiden erhob sich dann zunächst ein Wechsel­gesang, das Kindel­wiegen. (Maria sang): ‚Joseph, lieber Vetter mein, hilf mir wiegen mein Kinde­lein…‘ – (Und Josef ant­wortete:) ‚Gerne, liebe Muhme mein, ich helfe dir wiegen dein Kinde­lein…‘ Mit dem Kindel­wiegen stand dann später ein Umtanzen der in der Kirche auf­gestellten Krippe in enger Verbindung. Es wurde von der Jugend geübt, während ältere Leute dazu sangen… In dieses Umfeld der alt­kirchlichen volks­tümlichen Weihnachts­feier versetzt uns nun auch Luthers Kinderlied. An die Reigen­tänze, die in der Heiligen Nacht ausgeführt wurden, wecken die Worte ‚springen, singen‘ der 14. Strophe die Erinnerung, und ganz deutlich spielt dieselbe Strophe auf das Kindel­wiegen als ganz Bekanntes an.“ Das Wort „Susaninne“ meint wörtliche „Wiegen des Kindes“ und bezeichnet ein Wiegenlied.

Otto Schlisske weist darauf hin, dass Luther mit diesem Lied zwar an alte Traditionen anknüpfte, dabei aber einen ganz neuen Akzent gesetzt hat. Er schreibt: „Es hat aber scheinbar noch niemand recht beachtet, dass Luther bei aller dramatischen Darstellung des Weihnachts­geschehens hier doch völlig mit dem alten Spiel bricht. Hier finden wir nicht das gefühls­mäßige Singen der glück­seligen Eltern, das die mittel­alterlichen Dar­stellungen be­herrschte, sondern der Engel verkündet seine Botschaft. Und das Wort Gottes, verkündet durch die Engel, führt zur Anbetung durch die Gemeinde. Das ist kein dar­stellendes Spiel mehr, sondern es geht um Deine Anbetung. Auch ‚Vom Himmel hoch…‘ ist ein echtes luthe­risches Bekenntnis­lied.“

Ich ergänze: Wie viele „echte lutherische Bekenntnis­lieder“ schließt auch dieses mit einer herrlichen Lobpreis­strophe. Sie zeigt uns nebenbei, dass zu Luthers Zeiten mit dem Weihnachts­fest und seiner „guten neuen Mär“ zugleich auch immer der Beginn eines neuen Jahres gefeiert wurde, nicht erst am 1. Januar. So lasst uns nun auch diese Betrachtung lobpreisend abschließen und singen: „15. Lob, Ehr sei Gott im höchsten Thron, / der uns schenkt seinen ein‘gen Sohn. / Des freuet sich der Engel Schar / und singet uns solch neues Jahr.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2014.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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