Von der Geduld

Predigt über Jakobus 5,9‑11 zum 2. Advent

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wer ein dickes Buch von der ersten bis zur letzten Seite durchlesen will, der braucht Geduld. Wer einer Predigt, die länger als 15 Minuten zu dauern verspricht, zuhört, der braucht Geduld. Und wer auf die Rückkehr von Jesus wartet, der braucht ebenfalls Geduld. Sprechen wir also von der Geduld!

Unser Bibelwort handelt dreifach von der Geduld: erstens von der Geduld mit unseren Mit­menschen, zweitens von der Geduld im Leiden und drittens vom Lohn der Geduld.

Erstens: die Geduld mit unseren Mit­menschen. In einem Mehr­familien­haus wohnt jemand, der ständig an seinen Nachbarn herum­nörgelt. Da sind ihm Kinder zu laut im Treppen­haus. Da treten sich die Mieter, die über ihm wohnen, nicht richtig die Schuhe ab und verteilen ihren Dreck auf der Treppe. Da stellen die Mieter unter ihm die Fahrräder so ungünstig ab, dass er kaum durchkommt. Da drehen die Mieter rechts neben ihm den Fernseher immer zu laut auf, und die Mieter links neben ihm gehen immer grußlos an ihm vorbei. Der arme Mann findet ständig eine Grund zu seufzen und zu klagen, und er tut es nicht nur still für sich: Wer mit ihm ins Gespräch kommt, der muss sich die lange Liste seiner Beschwerden anhören – ob er will oder nicht. Eines Tages klingelt es an seiner Wohnungs­tür, und da steht ein Bote, der keineswegs zu einem Schwatz gekommen ist. Vielmehr bringt dieser Bote einen amtlichen Brief, den der Mann persönlich quittieren muss. Dieser Brief enthält eine Kündigung. Weil der Mann trotz mehrfacher Mahnung die Miete schuldig geblieben ist, muss er nun ausziehen.

Diese Geschichte fiel mir ein, als ich das Wort des Apostels Jakobus las: „Seufzt nicht wider­einander, liebe Brüder, damit ihr nicht gerichtet werdet. Siehe, der Richter steht vor der Tür.“ Diese Geschichte ist ein Gleichnis für unser ganzes Leben: Wie schnell seufzen wir über die Fehler anderer – sei es, dass sie wirklich schlecht handeln, oder sei es auch nur, dass uns ihr Verhalten nicht gefällt. Wir seufzen besonders gern und laut, wenn andere uns zuhören, und wir freuen uns, wenn sie in das Klagelied einstimmen und unsere Empörung teilen. Wir vergessen dabei, was das achte der Zehn Gebote fordert und was Martin Luther so erklärt hat: „Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unsern Nächsten… ent­schuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren.“ Solch liebloses Verhalten wiegt bei Gott viel schwerer als die Ver­fehlungen unserer Mit­menschen, die wir beseufzen. Mit solch lieblosem Verhalten verletzen wir den „Miet­vertrag“ unseres Lebens, denn dazu hat Gott uns nicht in die Welt gesetzt. Und so droht uns am Ende ein hartes Urteil in Gottes letztem Gericht. „Siehe, der Richter steht vor der Tür.“ Wer seine Mitmenschen nicht nachsichtig und barmherzig beurteilt, der hat keinen Anspruch darauf, dass Gott am Ende ein nach­sichtiges und barm­herziges Urteil über ihn fällt.

Aber nun hat Gott Geduld und ermahnt uns deshalb immer wieder. Er tut es auch jetzt mit diesem Wort: „Seufzt nicht wider­einander, liebe Brüder, damit ihr nicht gerichtet werden.“ Liebevoll macht er uns klar, dass solches Seufzen, Klagen und Sich-Empören nicht zu unserem neuen Leben als erlöste Gottes­kinder passt. Er möchte, dass wir auch unserer­seits Geduld haben mit unseren Mit­menschen. Wenn wir uns über sie ärgern, dann sollen wir nicht seufzen und klagen, sondern sie persönlich liebevoll darauf hinweisen und dabei sorgfältig darauf achten, dass wir sie nicht kränken.

Zweitens: die Geduld im Leiden. Manche Menschen haben mehr zu leiden als andere. Dabei fällt auf, dass es oftmals die Frömmsten sind, die am meisten leiden. Diese Erfahrung deckt sich völlig mit dem Zeugnis der Bibel. Beispiels­weise mussten die Propheten, die großen Gottes­männer zur Zeit des Alten Testaments, besonders viel leiden. Denken wir an den Propheten Jeremia: Fast sein ganzes Leben lang hatte er den Auftrag, einem gottlosen Volk Gottes Gericht an­zukündigen. Das machte ihn sehr einsam; er wurde deswegen verachtet und verfolgt. So sehr litt Jeremia unter der Situation, dass sie ihn auch körperlich krank machte. Immer wieder klagte er Gott sein Leid, aber Gott nahm ihm seine Bürde nicht ab, sondern gab ihm lediglich die Zusage, an seiner Seite zu bleiben.

Jakobus rät uns nun: „Nehmt, liebe Brüder, zum Vorbild des Leidens und der Geduld die Propheten, die geredet haben in dem Namen des Herrn.“ Da möchten wir natürlich zurück­fragen: Lieber Jakobus, was nützt uns denn dieses Vorbild; dadurch wird unser persön­liches Leid doch auch nicht leichter. Aber wenn wir ein bisschen darüber nachdenken, dann können wir uns selbst antworten und sagen: Wenn sogar die heiligsten Gottes­männer viel leiden mussten, dann kann Leid nicht bedeuten, dass der betreffende Mensch von Gott gestraft oder verlassen ist. Im Gegenteil: Den Jeremia trieb seine Not ins Gebet, und er erlebte dabei Gottes Nähe besonders intensiv. Für den Apostel Paulus wurde ein chronisches Leiden zum Zeichen dafür, dass er sich gänzlich an Gottes Gnade genügen lassen und nichts von seiner eigenen Kraft erwarten soll. Seit Christus für uns gelitten hat, ist das Leiden der Christen zu ihrem Kennzeichen geworden, zum Kreuz der Nachfolge nämlich; es bestätigt uns, dass wir hinter Christus her durch irdisches Leiden hindurch unterwegs sind zur herrlichen Auf­erstehung. Wenn wir das im Glauben erkennen und akzep­tieren, dann können wir geduldig mit allem Leid umgehen; es wird uns viel leichter durch die Erkenntnis: Im Leid ist Gott uns besonders nahe und hilft uns tragen.

Drittens: der Lohn der Geduld. Das ist die schönste und wichtigste Lektion: Christliche Geduld geht stets mit der Hoffnung einher, dass sie nicht vergeblich ist, sondern am Ende belohnt wird. Solch geduldiges Hoffen ist kein unsicheres Wünschen, sondern es handelt sich um eine gewissen Zuversicht, die sich auf Gottes Zusage verlässt. Im Blick auf diejenigen, die das Ziel der christ­lichen Hoffnung schon erreicht haben, schreibt Jakobus: „Siehe, wir preisen selig, die erduldet haben.“ Als Beispiel führt er Hiob an und fährt fort: „Von der Geduld Hiobs habt ihr gehört und habt gesehen, zu welchem Ende es der Herr geführt hat; denn der Herr ist barmherzig und ein Erbarmer.“

Es lohnt sich, dieses Beispiel Hiobs näher anzusehen. Freilich kann ich hier nur sehr verkürzt auf das eingehen, was uns die 42 Kapitel des Hiob-Buches berichten. Über den frommen und wohl­habenden Mann bricht plötzlich alles Leid herein, das man sich nur vorstellen kann. Erst berichten ihm die sprich­wörtlich gewordenen Hiobsboten über den Verlust seines Besitzes und den Tod seiner Kinder, dann erkrankt er auch noch an ekligen Geschwüren, und er wird seinen Mitmenschen fremd. Erträgt Hiob das nun alles so geduldig wie ein Prophet? Zunächst einmal ja. Demütig äußert er: „Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“ (Hiob 2,10). Als sein Leiden dann aber lange anhält und ihm obendrein noch ein paar Freunde vorwerfen, er habe es mit seiner Sünde wohl selbst ver­schuldet, da platzt ihm der Kragen: Er tadelt seine Freunde, und er rechtet mit Gott. Hiob findet es nicht fair, was Gott ihm da zumutet. Das klingt nun freilich nicht gerade sehr vorbild­lich. Vorbildlich ist daran eigentlich nur, dass er sich nicht von Gott abwendet, sondern mit ihm im Gespräch bleibt. Aber Jakobus bezieht sich aus einem anderen Grund auf Hiobs Vorbild, schreibt er doch: „Ihr habt gesehen, zu welchem Ende es der Herr geführt hat.“ Wir müssen besonders auf das „Ende“ achten, also darauf, wie die Geschichte mit Hiob ausgegangen ist: Am Ende machte Gott dem Hiob und seinen Freunden sehr eindrucks­voll deutlich, dass er, der Schöpfer, weit über den Geschöpfen steht mit seiner Weisheit. Deshalb darf sich niemand anmaßen, Gottes Tun beurteilen zu wollen. Wir können nur demütig abwarten, worauf es hinaus­läuft. Im letzten Kapitel des Hiob-Buches erfahren wir dann, dass Gott den Hiob bald darauf gesund machte und auch alles andere wieder in Ordnung brachte. Hiobs Ende ist also bereits in seinem Erdenleben ein seliges. Wenn wir uns das zum Vorbild nehmen, dann können wir geduldig darauf hoffen, dass Gott auch uns zum ver­sprochenen seligen Ende führt, selbst wenn es zwischen­durch mal raben­schwarz aussieht. Kurz: Nicht Hiobs Frömmigkeit und Glaubens­stärke werden uns hier als Vorbild hin­gestellt, sondern Gottes gnädiges Handeln an Hiob. Darum schreibt Jakobus ab­schließend: „Denn der Herr ist barmherzig und ein Erbarmer.“

Liebe Brüder und Schwestern in Christus: Wir brauchen Geduld, und Gott schenkt uns Geduld. Er tut es, indem er uns erkennen lässt: Gott hat Geduld mit unserer Sünde, Gottes Sohn hat geduldig für uns gelitten, und Gott belohnt gnädig alles geduldige Glauben und Leiden. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2014.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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