Die Notwendigkeit der Buße

Predigt über Lukas 13,30 zum Buß‑ und Bettag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ende des 19. Jahr­hunderts gab es 24 ver­schiedene Buß‑ und Bettage in Deutsch­land. Jeder einzelne von ihnen war durch eine bestimmte Notlage entanden, etwa in Kriegs­zeiten oder bei Seuchen. Jedes Kind wusste damals: Wenn eine Not so groß ist, dass man sich nicht mehr zu helfen weiß, dann muss man beten. Und jeder Christ wusste damals: Wenn Gott eine Not zumutet, dann will er damit an unsere Sünden erinnern, und wir sollen Buße tun. Die 24 Buß‑ und Bettage wurden zunächst in Preußen und später in ganz Deutschland zu einem einzigen zusammen­gefasst. Seinen Termin legte man auf den Mittwoch vor dem Ewigkeits­sonntag fest. Heute allerdings sehen viele den Sinn auch dieses einen Buß- und Bettages nicht mehr ein. Es spricht für sich, dass er seit zehn Jahren in fast allen Bundes­ländern kein gesetz­licher Feiertag mehr ist. Da stellt sich die Frage: Haben wir denn keine Notlagen mehr, keine Kriege und Seuchen? Oder werden wir allein mit ihnen fertig, sodass wir deswegen nicht mehr gemein­schaft­lich beten müssten? Oder leuchtet uns der Zusammen­hang von Not und Schuld nicht mehr ein? Oder ist uns das Buße-Tun einfach zu unbequem?

In der Tat: Buße-Tun ist unbequem. Wer Buße tut, muss sich nämlich von drei Dingen trennen, die vielen ans Herz gewachsen sind: Vom Ehrgeiz, vom Stolz und vom Ruhekissen eines guten Gewissens. Es sind drei Dinge, die einzelne Menschen oder auch ein ganzes Volk glauben machen: Wir sind wer, wir leisten was, wir kommen klar mit den Herausforderungen des Lebens. Solche Hoch­stimmung herrschte Ende des 19. Jahr­hunderts in Deutsch­land, als man die 24 Buß‑ und Bettage auf einen einzigen reduzierte. Solche Hoch­stimmung herrschte auch genau hundert Jahre später, nämlich kurz nach der deutschen Wieder­vereini­gung, als man den Buß‑ und Bettag als allgemeinen Feiertag zugunsten der Pflege­versiche­rung aufgab. Und solche Hoch­stimmung herrscht offenbar noch heute bei vielen Menschen, denen es offenbar nicht wichtig ist, den Buß‑ und Bettag mit einem Gottes­dienst zu begehen, oder die nicht einmal mehr seine Bedeutung kennen. Ja, so sind die modernen Menschen, oder so möchten sie wenigstens sein – Menschen, die von sich behaupten: Wir sind wer, wir leisten was, wir kommen klar mit den Heraus­forderungen des Lebens.

Zu Jesu Zeiten gab es im Volk Israel viele, die ebenfalls geprägt waren von Ehrgeiz, von Stolz und vom Ruhekissen eines guten Gewissens. Im Unterschied zu heute lebten sie damals allerdings unter dem Schein der Frömmig­keit. Es war frommer Ehrgeiz, der Pharisäer und andere antrieb, sehr genau und spitzfindig auch noch die kleinsten Regeln einzu­halten, die man aus dem Gesetz des Mose ableitete. Und es war frommer Stolz, der sie sagen ließ: Das schaffen wir auch, und wir sind damit den Heiden­völkern und den Sündern im eigenen Volk weit überlegen. Und daraus ergab sich dann das Ruhekissen eines guten Gewissen: Wir sind Gottes Volk, wir sind Abrahams Kinder, wir halten Gottes Gebote, und darum muss Gott uns vor allen anderen Völkern segnen und belohnen.

Da kam Jesus und nahm ihnen dieses Ruhekissen weg. Auch zerstörte er ihren Stolz und machte ihnen klar, dass Heiden aus allen Himmels­richtungen in Gottes Reich strömen werden, die Juden aber draußen bleiben müssen – es sei denn, sie kehren um; es sei denn, sie tun Buße. Jesus lehrte Gottes Gesetz in einer Weise, dass jeder, der das auf sich bezog, feststellen musste: So lebe ich nicht; das schaffe ich nicht. Und dann sagte Jesus ihnen: „Siehe, es sind Letzte, die werden die Ersten sein, und sind Erste, die werden die Letzten sein.“ Damit nahm er drittens auch ihrem frommen Ehrgeiz allen Wind aus den Segeln.

Liebe Brüder und Schwestern, wir müssen hier gut unter­scheiden zwischen den Gesetz­mäßig­keiten unserer Welt und den Gesetz­mäßig­keiten von Gottes Reich. In den Verhält­nissen unserer Welt gilt: Die Ersten werden die Ersten sein, und wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Wer beim Wettlauf als erster über die Ziellinie kommt, der ist Sieger und wird ent­sprechend geehrt. Sein erfolg­reicher Ehrgeiz wird belohnt; er kann stolz sein auf den Erfolg. Dasselbe gilt für den, der in der Schule gute Zensuren bekommt und Prüfungen besteht. Auch zwischen Bundes­ländern und ganzen Staaten gibt es solche Wettläufe, solches ehrgeizige Streben nach Erfolg: Wer hat das größte Wirtschafts­wachstum und die wenigsten Arbeits­losen? Wer kriegt den Friedens­nobelpreis? Und wer schneidet in der Pisa-Studie am besten ab? Dies alles sind Fragen, die den Ehrgeiz anstacheln, im Erfolgsfall stolz machen und schließlich zum Ruhekissen eines guten Gewissens führen: Wir haben offenbar alles richtig gemacht.

Nun geht es mir gar nicht darum, diese Gesetz­mäßig­keit hier grund­sätzlich zu beurteilen. Sie hat in den Verhält­nissen unserer Welt durchaus ihren Sinn und Wert – aber auch ihre Grenzen. Beim Einnehmen einer Mahlzeit zum Beispiel kann es sehr un­bekömm­lich sein, möglichst schnell fertig und Erster werden zu wollen. Und beim Gesell­schafts­spiel „Hase und Igel“ kann es leicht passieren, dass derjenige, der sich am Anfang ehrgeizig auf den ersten Platz kata­pultiert, am Ende Letzter wird. Was aber in den Verhält­nissen der Welt unter bestimmten Umständen durchaus sinnvoll sein kann, das ist im Reich Gottes in jedem Fall fehl am Platz: Ehrgeiz, Stolz und das Ruhekissen eines guten Gewissens. Denn selbst wenn jemand Gott so ehrgeizig dient wie zur Zeit Jesu die Pharisäer, wird er es nicht schaffen, den Anspruch von Gottes Gesetz zu erfüllen. Jesus sagte: „Wenn eure Gerechtig­keit nicht besser ist als die der Schrift­gelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen“ (Matth. 5,20). Wem das klar wird, der muss allen Stolz fahren lassen und vor Gott ganz klein und demütig werden. Die Bibel lehrt: „Gott widersteht den Hoch­mütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade“ (1. Petrus 5,5). Wer sich unter Gottes Wort stellt, wird sein Versagen erkennen sowie auch sein Unvermögen, es Gott recht zu machen. So verliert er das Ruhekissen eines guten Gewissens und muss stattdessen bekennen: „Gott, sei mir Sünder gnädig“ (Lukas 18,13). Wer aber dahin kommt, dass er so spricht, der begeht einen rechten Buß‑ und Bettag: Mit dem Bekenntnis zu seinem Sünder-Sein tut er Buße, und mit dem Ruf „Gott, sei mir gnädig“ bittet er um Hilfe in seiner großen Not. Wer so spricht, der bekennt damit, dass er zu den Letzten gehört, die einen Anspruch auf Gottes Reich haben.

Aber wenn er das bekennt, dann merkt er staunend, dass er ja Jesu Verheißung auf sich beziehen kann: „Siehe, es sind Letzte, die werden die Ersten sein, und sind Erste, die werden die Letzten sein.“ Gottes Gnade und Jesu Erlösung machen aus Letzten Erste, aus Sündern Heilige, aus Tod­geweihten ewig Lebende. Dem, der Buße tut, öffnet sich damit ein Tor in die wunderbare Welt von Gottes Reich. Er muss zwar in Gottes Angesicht allen Ehrgeiz, allen Stolz und das Ruhekissen eines gutes Gewissens abgeben, aber er gewinnt ein neues gutes Gewissen, ein wahrhaft gutes Gewissen, das da spricht: Christus hat alle meine Sünden­schuld getragen; nun weiß ich, dass ich Gottes geliebtes Kind bin.

Ja, so wollen wir den Buß‑ und Bettag begehen. Ver­abschieden wir uns von dem Ehrgeiz, durch fromme Leistungen Gott be­eindrucken zu wollen, und richten wir unseren Ehrgeiz besser darauf, Gott und unsere Mitmenschen von Herzen zu lieben. Ver­abschieden wir uns von allem Stolz: Bilden wir uns nichts darauf ein, was wir sind oder haben. Wenn du in eine christliche Familie hinein­geboren bist, dann hast du damit ebensowenig eine Vorsprung vor anderen wie die Juden mit ihrer Abrahams-Kindschaft. Wenn du dich schon viele Jahre lang darum bemühst, ein guter Christ zu sein, dann bist du deswegen nicht besser als einer, der gerade erst damit angefangen hat. Dass wir im christ­lichen Abendland leben, macht uns Gott nicht sym­pathischer, als wenn wir in einem atheisti­schen Land oder einer muslimi­schem Kultur leben würden. Und die Tatsache, dass Luther gerade in unserem Land vor 500 Jahren die Gerechtig­keit des Glaubens neu entdeckt hat, macht uns nicht gerechter vor Gott als andere. Es gibt nur einen Weg, um vor Gott gerecht zu werden, und gibt letztlich auch nur einen Ausweg aus Kriegen, Seuchen und aller Not: Buße tun und beten – also angesichts der eigenen Hilf­losigkeit Gott um Hilfe bitten und darauf vertrauen, dass er sie uns dann auch un­verdienter­maßen zuteil lassen wird, wie er es durch seinen Sohn versprochen hat. Danach wollen wir uns richten – heute am Buß‑ und Bettag sowie auch in Zukunft. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2014.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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