Darf man Bücher verbrennen?

Predigt über Apostelgeschichte 19,18‑19 zum Reformationstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Darf man Bücher verbrennen? Und wofür soll das gut sein? Hätte es nicht gereicht, wenn die durch Paulus frisch bekehrten Christen in Ephesus ihre eso­terischen Schriften einfach nicht mehr benutzt hätten? Immerhin richteten sie mit ihrem Feuer einen großen wirtschaft­lichen Schaden an: 50.000 Denare, Münzen aus reinem Silber! Die hatten ein Gesamt­gewicht von etwa 170 Kilogramm, beim heutigen Silberpreis ein Wert von rund 70.000 Euro. Wären diese Zauber­bücher nicht verbrannt, dann würden sie heute das Tausend­fache wert sein. Jedes antike Museum würde sich um sie reißen. Warum hat man denn bloß diese Zeugen einer alten Kultur vernichtet!

Darf man Bücher verbrennen? Und was soll das bringen? So können wir auch im Blick auf Martin Luther fragen. Der hat das nämlich ebenfalls getan: Er hat die Bücher des päpstlichen Kirchen­rechts zusammen mit der Bannbulle öffentlich verbrannt. Lasst uns nach seinen Gründen forschen und dann die Frage be­antworten: Darf man Bücher verbrennen?

Die Reformation begann damit, dass Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen gegen den Ablass­handel ver­öffent­lichte. Er hatte dazu übrigens die aus­drückliche Erlaubnis seines Bischofs Hieronymus Schulze von Branden­burg. Zu diesem Zeitpunkt war Luther noch ein treuer Unter­gebener der mittelalterlichen Papst­kirche. Was den Missstand mit dem Ablass anbetraf, hielt er den Papst nur für ein schlecht informiertes Kirchen­oberhaupt. Luther war damals noch überzeugt, dass der Papst und alle Bischöfe seinen theolo­gischen Argumenten zustimmen würden.

Das änderte sich innerhalb von drei Jahren. Luther musste erleben, wie die Kirchen­oberen verständnis­los und sogar feindselig auf seine Einsichten reagierten. In kurzer Zeit wurde dem Reformator klar, dass die damalige Papstkirche nur ein theologisch hohler Macht­apparat war. Diese bittere Erkenntnis brachte er 1520 in einer Reihe von Re­formations­schriften zu Ausdruck, die sich in Windeseile über halb Europa ver­breiteten. In diesen Schriften machte Luther keinen Hehl daraus, dass er den Papst nun nicht mehr für ein schlecht in­formiertes Kirchen­oberhaupt hielt, sondern für den „Anti­christen“, für einen Wolf im Schafspelz, für einen christlich getarnten Götzen. Das verschärfte natürlich die Spannungen zwischen Rom und Wittenberg, wo Luther als Theologie­professor lebte.

So kam es dazu, dass Papst Leo X. Luther androhte, ihn aus der Kirche aus­zuschließen. Eine solche Ex­kommuni­kation ging damals zugleich mit dem Verlust aller bürger­lichen Rechte einher; es war also ein schwer­wiegender Vorgang. Die Bann-Androhung geschah durch ein amtliches Schreiben des Papstes, wie damals üblich versiegelt und durch Boten zugestellt. Vom la­teinischen Wort „bulla“ für Siegel nannte man so ein Dokument „Bulle“, und weil der Papst damit Luther den Kirchenbann androhte, ist dieses Schreiben unter dem Begriff „Bannbulle“ in die Kirchen­geschichte ein­gegangen. Leo X. teilte dem Witten­berger Mönch und Theologie­professor darin mit, dass er sechzig Tage lang Zeit habe, seine Schriften zu widerrufen, andernfalls werde er aus der Kirche aus­geschlos­sen. Zugleich wurde die Bulle ver­öffent­licht, und daraufhin verbrannten papsttreue Kirchen­männer an einigen Orten Luthers Schriften. Für sie war der Fall klar: Luther ist ein Ab­trünniger, ein Irrlehrer, ein Ketzer.

Die Bannbulle hat Luther nicht wirklich überrascht, und er fühlte sich auch nicht persönlich verletzt. Er verspürte sogar eine gewisse Er­leichte­rung, denn nun war klar: Er hatte sich in seinem Urteil über den Papst und die römische Kirche nicht getäuscht; sie waren tatsächlich nicht bereit, mit ihm auf der Grundlage der Heiligen Schrift nach der Wahrheit zu suchen, sie wollten nur ihre Macht­position behaupten. Jedoch war Luther überzeugt davon, dass diese Bannbulle den Herrn Jesus selbst und sein Evangelium angriff. Als Luther von der Verbrennung seiner Re­formations­schriften erfuhr, entschloss er sich, das nicht einfach hin­zunehmen. So kam es zur öffent­lichen Verbrennung der Bannbulle.

Wenn man heute von Osten her die Witten­berger Altstadt betritt, dann kommt man an der sogenannten Luther-Eiche vorbei. Hier befand sich damals das Elstertor und davor der „Schind­anger“, wo man die Leichen Gehenkter sowie Tierkadaver ver­scharrte. Dort versammelte sich am Vormittag des 10. Dezember 1520 eine große Schar von Studenten, Professoren und Witten­berger Bürgern an einer Feuer­stelle. Sie waren einem Aufruf gefolgt, den Philipp Melanchthon an der Stadtkirche angebracht hatte. Dort stand: „Jeder, der von Eifer für die evan­gelische Wahrheit ergriffen ist, der sei um neun Uhr vor dem Elstertore; nach altem aposto­lischem Brauch soll die gottlose Bulle des Papstes verbrannt werden; so weit ist die Ver­wegenheit der Feinde des Evangeliums fort­geschritten, dass sie die frommen und evan­gelischen Bücher Luthers verbrannt haben.“ Mit dem „alten aposto­lischen Brauch“ meinte Melanchthon nichts anderes als das, was unser Predigttext berichtet: die Verbrennung gottloser Schriften unter dem Apostel Paulus in Ephesus. Die vielen Anwesenden warteten nun gespannt darauf, was geschehen würde. Martin Luther trat mit ernstem Gesicht an das Feuer heran, warf die päpstliche Bulle hinein und rief: „Weil du den Heiligen des Herrn betrübt hast, so betrübe und verzehre dich das ewige Feuer!“ An­schließend verbrannte er noch Bücher mit den Gesetzen, die die absolute Macht­position des Papstes stützten und das Christen­volk unter­drückten. Dann ging Luther ebenso ernst, wie er gekommen war, fort; viele Kollegen und auch einige Studenten begleiteten ihn. Der Volksmenge war das aber nicht genug. So schaffte man noch einen ganzen Leiterwagen voll päpstlicher Schriften heran, um sie unter großem Gejohle ins Feuer zu werfen. Allerdings war auch für Luther die Sache noch nicht erledigt. Am nächsten Tag ging er in seiner Vorlesung auf die Aktion ein und warnte seine Studenten, sich vor den Büchern und Über­zeugungen des römisch-katholischen Macht­apparats zu hüten. Dabei ermahnte er sie, mit treuem Glauben bei Jesus Christus und dem Evangelium zu bleiben.

Außerdem verfasste Luther eine Schrift, in der er die Bücher­verbrennung begründete. Darin heißt es: „Zum ersten, ists ein alt her­kommender Gebrauch, vergiftige, böse Bücher zu verbrennen, wie wir lesen in den Geschichten der Apostel, Kapitel 19, da sie für fünftausend Pfennig Bücher ver­brannten, nach der Lehre St. Pauli.“ Luther meinte damit: Ja, man darf schädliche Bücher verbrennen, denn wir haben dafür ein biblisches Vorbild – nämlich eben jene Bücher­verbrennung in Ephesus unter dem Apostel Paulus, von der unser Predigttext berichtet. Ferner führte Luther aus, dass er bereits vielfach versucht hat, mit den Vertretern der Papstkirche ins Gespräch zu kommen, dass sie sich aber beharrlich nicht auf seine Gedanken einlassen wollten. Wegen dieser „Ver­härtung“ sieht er die Bücher­verbrennung sozusagen als letztes Mittel, ein Zeichen für die rechte Evan­geliums­lehre zu setzen. Danach führt Luther dreißig inhaltliche Gründe an, warum er die Bannbulle und das ganze Gesetzes­werk der Papstkirche verwirft. Der zehnte Punkt ist ihm am wich­tigsten; er nennt ihn den „Haupt­artikel“. Da heißt es: „Den Papst mag niemand urteilen auf Erden, auch niemand sein Urteil richten, sondern er soll alle Menschen richten auf Erden.“ Mit anderen Worten: Niemand darf den Papst zur Rechen­schaft ziehen, wenn er etwas Falsches lehrt oder die Haupt­botschaft der Bibel ver­schweigt, nämlich die Erlösung des Sünders allein aus Gnade, allein durch den Glauben, allein durch Jesus. Dagegen maßt der Papst sich an, selbst alle Menschen richten zu dürfen. Er beansprucht die Macht, über Vergebung und Kirchen­ausschluss zu ent­scheiden, und behauptet, damit Gottes endgültiges Urteil über einen Menschen zu sprechen.

Darf man Bücher verbrennen? Und wenn ja, ist es sinnvoll? Die Beispiele aus Ephesus und Wittenberg zeigen uns, dass es unter bestimmten Umständen durchaus erlaubt und sinnvoll sein kann, Bücher mit schädlichem Inhalt zu verbrennen. Man sollte allerdings nicht meinen, man könne auf diese Weise böse und schädliche Gedanken ganz aus der Welt schaffen, und manchmal muss man sich mit ihnen auch auseinander­setzen. Luther hat die Kirchen­gesetze und auch die Bannbulle vorher genau gelesen und bedacht, ehe er sie verbrannte. Und auch die Christen in Ephesus wussten genau, was in ihren Zauber­schriften stand. Nein, man kann böse und schädliche Gedanken nicht aus der Welt schaffen, indem man Bücher verbrennt – schon gar nicht heute, im Zeitalter der Massen­medien und des Internets. Aber man kann ein Zeichen setzen: Man kann öffentlich deutlich machen, dass man sich von diesen bösen und schädlichen Inhalten distanziert, und man kann andere davor warnen. Die Christen in Ephesus verbrannten ihre Zauberbücher, weil sie als neu Getaufte damit zeichenhaft deutlich machen wollten: Wir entsagen dem Teufel und all seinem Werk und Wesen; wir sagen uns los von unserer bösen Vergangen­heit. Es heißt ja in diesem Zusammenhang: „Sie bekannten und ver­kündeten, was sie getan hatten.“ Luther aber warnte mit seiner Ver­brennungs­aktion seine Studenten und Zeit­genossen vor den kirchlichen Verirrungen seiner Zeit, die ihnen den Herrn Jesus Christus zu entfremden drohten und den mit der Taufe empfangenen Segen ge­fährdeten. Er tat es, weil er sich seiner Verant­wortung bewusst war – als Theologie­professor, als ordinierter Geistlicher und überhaupt als Christ.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus: Ja, man darf Bücher verbrennen – aber man muss es nicht. Es ist ja nur eine Zeichen­handlung, eine von vielen möglichen. Es kommt nicht darauf an, dass wir bestimmte Zeichen­handlungen wieder­holen. Es kommt allerdings darauf an, dass wir unseren Glauben ebenso ent­schlossen leben wie die jungen Christen in Ephesus und wie der erfahrene Christ Martin Luther. Wenn wir in unserem eigenen Leben Dinge entdecken, die böse oder schädlich sind, dann sollten wir uns ebenso ent­schlossen davon lossagen, wie sich die Epheser von ihren Zauber­büchern getrennt haben. Das ist dann eine rechte persönliche „Re­formation“, ganz im Sinne von Luthers These: „Wenn unser Herr und Meister Jesus Christus sagt: Tut Buße!, so möchte er, dass unser ganzes Leben eine tägliche Buße ist.“ Und wenn wir in der heutigen Christen­heit oder Gesell­schaft Strömungen erleben, die böse und schädliche Meinungen verbreiten, dann sollten wir ebenso nach­drücklich davor warnen, wie Luther es mit der Verbrennung der Bannbulle getan hat. Luther war damals nicht feige; er wusste, die Aktion konnte ihn Kopf und Kragen kosten. Seien wir heute nicht gleich­gültig und nicht im falschen Sinne tolerant! Wir sollten nicht meinen, dass es egal ist, was einer glaubt, solange er nur wenigstens ein bisschen religiös ist. Es gibt nur einen Weg zum himmlischen Vater und zum ewigen Leben: den Glauben an unsern Herrn und Heiland Jesus Christus. Wir sind heute sehr besorgt darum, dass wir nichts Giftiges oder Schädliches mit unserer Nahrung zu uns nehmen – seien wir doch ebenso kritisch in Bezug auf unsere Seelen­nahrung, also auf die geistigen Inhalte, die uns angeboten werden! Wir brauchen keine Bücher zu verbrennen, auch keine Fernseh­apparate und keine DVDs – aber wir sollten uns nicht den rechten Glauben kaputt machen lassen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2014.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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