Gehorsam ist besser als Opfer

Predigt über 1. Samuel 15,22 zum 18. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

„Der Pflaumen­kuchen ist besser als der Apfel­kuchen“, sagte sich der Gast an der Kaffeetafel und griff zum Pflaumen­kuchen. Das ist allerdings eine Geschmacks­frage – im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn aber Gott durch den Propheten Samuel verkündigt: „Gehorsam ist besser als Opfer“, dann ist das keine göttliche Geschmacks­frage, sondern dann steckt viel mehr dahinter.

„Acht Zylinder sind besser als sechs Zylinder“, pflegten wir als Kinder zu sagen, wenn wir Auto­quartett spielten. Mancher von euch wird sich daran erinnern, es war damals ein sehr beliebtes Spiel für zwei Personen. Jeder bekam die Hälfte des gut gemischten Karten­stapels, und dann wurde eine Eigenschaft der jeweils zuoberst liegenden Autokarte verglichen, zum Beispiel die Zahl der Zylinder. Wer das größere oder stärkere Auto hatte, der gewann die Karte des schwächeren hinzu. Beim Auto­quartett geht es also nicht um eine Geschmacks­frage, sondern es geht darum, dass das Bessere das Schlechtere schlägt. Damit kommen wir dem göttlichen Wort unseres Predigt­textes schon näher.

„Gehorsam ist besser als Opfer“, sagte Gott durch den Propheten Samuel dem König Saul. Gott hatte diesem ersten König in Israel zuvor aus­drück­lich auf­getragen, die Viehherden der feindlichen Amalekiter zu vernichten. Saul aber gehorchte nicht, sondern nahm das Vieh für sich in Besitz. Als der Prophet Samuel ihn darauf ansprach, fiel Saul keine bessere Ausrede ein als zu sagen: „Wir wollen mit diesen Tieren ein Opferfest für Gott ver­anstalten.“ Samuel lässt sich gar nicht erst auf eine Diskussion über die Glaub­würdig­keit dieser Recht­fertigung ein, sondern verkündet im Namen Gottes: „Gehorsam ist besser als Opfer.“ Er meint es nicht im Sinne von „Pflaumen­kuchen ist besser als Apfel­kuchen“, sondern im Sinne von „Acht Zylinder sind besser als sechs Zylinder.“ Also: Der Gehorsam gegenüber Gottes Wort und Willen ist viel wichtiger als alle selbst aus­gedachten Werke der Gottes­verehrung; er hat Vorrang; er „schlägt“ sozusagen das freiwillige Opfer. Niemand, der Gott ungehorsam ist, soll meinen, er könne ihn dann noch mit einer Opfergabe erfreuen. Kein Sünder kann Gott gnädig stimmen, indem er etwa eine Kerz für ihn anzündet oder einen großen Geldbetrag spendet.

Eine Mutter trägt ihrer acht­jährigen Tochter auf: Jetzt mach erst mal deine Haus­aufgaben für morgen. Die Tochter setzt sich an ihren Schreib­tisch und füllt eifrig ein Blatt Papier. Sie malt ein schönes buntes Bild mit Blumen für ihre Mutter. Als sie fertig ist, überreicht sie es ihr mit den Worten: Da, Mutter, das schenke ich dir! Wir können uns vorstellen, dass die Mutter nicht gerade begeistert ist. Sie wird der Tochter bestimmt klarmachen: Es wäre besser gewesen, wenn du mir gehorcht und die Haus­aufgaben gemacht hättest! „Gehorsam ist besser als Opfer.“

Wenn man so leben will, wie es sich gehört und wie es Gott erwartet, dann muss man zuerst darauf achten, was er uns aufträgt. „Gehorsam“ hängt mit „hören“ zusammen; in unserem Bibelwort und überhaupt in der hebräischen Sprache ist es ein und dasselbe Wort. Gottes Gebote hören, lernen und befolgen, das ist das Wichtigste beim mensch­lichen Verhalten. Der Pharisäer, der uns in der heutigen Evangeliums-Lesung begegnet ist, hat das begriffen. Als Jesus ihn an Gottes wichtigstes Gebot erinnerte, nämlich an das Doppelgebot der Liebe, da bestätigte der Pharisäer das und zitierte dabei unser Textwort: „Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und von allen Kräften, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlacht­opfer“ (Markus 12,33). Auch an anderen Stellen in der Bibel finden wir die grund­legende Erkenntnis: „Gehorsam ist besser als Opfer.“ Schon im ersten Buch Mose begegnet uns das ab­schreckende Beispiel von Kain: Ebenso wie sein Bruder Abel hat er ein Opfer dar­gebracht, aber er hat es nicht im Gehorsam getan, sondern er hat in seinem Herzen Gott verachtet. Das führte sogar dazu, das er dem Gebot „Du sollst nicht töten“ ungehorsam wurde und Abel erschlug.

Martin Luther und die lutherische Reformation haben ebenfalls diese Wahrheit erkannt und die mittel­alterliche Kirche daran erinnert. Es war damals nämlich die Unsitte ein­gerissen, dass man den Leuten allerlei Riten und religiöse Pflichten auferlegte, die gar nicht in der Bibel stehen, sondern die sich Menschen selbst­ständig als Opfer­leistung ausgedacht hatten. In der wichtigsten luthe­rischen Bekenntnis­schrift, der Augsburger Konfession von 1530, heißt es zum Beispiel bei der Beurteilung von Kloster­gelübden: „Dabei erkannten sie nicht, dass man Gott nach den von ihm selbst gegebenen Geboten dienen muss, nicht nach von Menschen erdachten Geboten.“ (Art. 27,57) Und bei der Behandlung von Fasten­geboten und Ähnlichem urteilt das Augsburger Bekenntnis: „Diese Traditionen haben Gottes Gebote verdunkelt, weil sie weit wichtiger genommen wurden. Man glaubte, das ganze Christsein bestünde aus der Einhaltung bestimmter Feiertage, heiliger Handlungen, Fasten­zeiten und Be­kleidung… Aber Gottes Gebote wurden nicht gerühmt.“ (Art. 26,8.10)

Damit erhalten wir auch heute die allerbeste Empfehlung für gutes Leben. Wer zu Gottes Ehre leben möchte, der handele nach der Devise: „Gehorsam ist besser als Opfer.“ Am Anfang steht das Hören und Fragen nach Gottes Willen, so wie er uns in seinem Wort und seinen Geboten offenbart ist. Da denken wir natürlich gleich an die Zehn Gebote. Aber wir sollten nicht übersehen, wie Jesus selbst die Zehn Gebote und das ganze göttliche Gesetz zusammen­gefasst hat. Er tat es mit dem sogenannten Doppelgebot der Liebe: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften… Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Markus 12,30-31) Die Liebe ist unsere oberste christliche Gehorsams­pflicht; ohne Liebe kann niemand Gott gefallen. Was es heißt, Liebe zu üben und Gottes Geboten treu zu sein, können wir auch vom Vorbild unsers Herrn Jesus Christus ablesen, wie er gelebt hat und mit anderen Menschen umgegangen ist. Zum Gehorsam gehört aber auch dazu, dass wir Gottes Wort und Gebot in unseren jeweiligen Lebens­zusammen­hang stellen. Gehorsam gegen Gott bedeutet nämlich nicht für alle Menschen zu allen Zeiten und an allen Orten dasselbe. Für Abraham beispiels­weise bedeutete Gehorsam, sein Vaterland zu verlassen und in ein unbekanntes Land zu ziehen. Für Saul bedeutete Gehorsam, die Viehherden eines gottlosen Volkes zu vernichten. Für Eltern bedeutet Gehorsam, ihre Kinder liebevoll zu erziehen und ihnen dabei auch den Glauben ans Herz zu legen. Für einen Pastor bedeutet Gehorsam, seine Gemeinde treu mit Gottes Wort und Sakrament zu versorgen sowie für alle Gemeinde­glieder zu beten. Für einen An­gestellten bedeutet Gehorsam, sorgfältig und zuverlässig alle ver­einbarten Aufgaben zu erledigen. Für einen Regierenden bedeutet Gehorsam, sich ohne Ansehen der Person für Frieden und für das Wohlergehen aller ihm An­vertrauten einzu­setzen. Niemals darf es darum gehen, eigen­mächtig mit selbst aus­gedachten Tätigkeiten Gott dienen zu wollen; das Hören auf sein Wort und das Ernstnehmen seines Willens hat immer Vorrrang.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, wenn wir uns das klar machen, dann werden wir schnell merken, was bei uns nicht in Ordnung ist. Wir werden fest­stellen, dass auch wir immer wieder in die Falle tappen, in die Saul getappt ist und die ihm schließlich sein königliches Amt gekostet hat: Wir erliegen der Versuchung, selbst zu bestimmen, was Gott gefallen muss, und verfehlen dabei das, was er tatsächlich geboten hat. „Gehorsam ist besser als Opfer“ – aber genau daran mangelt es bei uns: am bedingungs­losen Gehorsam dem all­mächtigen Gott gegenüber. Was können wir da tun?

Wir können den Satz auf den Kopf stellen beziehungs­weise ihn umdrehen: „Opfer ist besser als Gehorsam.“ Dann wird aus dem frei­willigen Dankopfer ein Sündopfer – also ein Opfer, mit dem mangelnder Gehorsam wieder­gut­gemacht werden soll. Aber sind wir zu so einem Wieder­gutmachungs-Opfer wirklich in der Lage? Gibt es so ein Opfer überhaupt, das über den mangelnden Gehorsam trium­phiert?

Als der Pharisäer im Gespräch mit Jesus über Gottes größtes Gebot urteilte, dass es beser als Brandopfer und Schlachtopfer ist, da erwiderte Jesus: „Du bist nicht fern vom Reich Gottes“ (Markus 12,34). Nicht fern, also ganz nah dran – aber eben noch nicht drin. Hinein kommt man in Gottes Reich nämlich nur, wenn man diesen Satz tatsächlich umdreht, und zwar in dieser Weise: Christi Opfer ist besser als jeder menschliche Gehorsam. Denn wie sehr wir uns auch abmühen, unser Gehorsam wird nie vollkommen sein, sondern er ist immer von Ungehorsam und Eigen­mächtig­keit ver­unreinigt. Christi Sühnopfer am Kreuz aber ist vollkommen und besiegt alle Sünde der Welt. Ja, es gibt also dieses Opfer, das über den Ungehorsam triumphiert – ein einziges nur, das Opfer, das Gott selbst uns mit seinem ein­geborenen Sohn gestiftet hat. Das ist die gute Nachricht des Evan­geliums. Während Gottes Gesetz zu recht sagt: „Gehorsam ist besser als Opfer“, so verkündigt Gottes Evangelium das Einzige, was uns wirklich vor Gott gerecht machen kann: Opfer ist besser als Gehorsam. Ja, Christi Sühnopfer am Kreuz ist besser und größer und heilsamer als die besten und größten Werke der Liebe und Gottes­furcht, zu denen Menschen fähig sind. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2014.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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