Um des Reiches Gottes willen

Predigt über Lukas 18,28‑30 zum 15. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Da verlässt ein Mann seine Ehefrau, und Jesus findet das gut. Da verlässt eine Mutter ihre Kinder, und Jesus stellt eine Belohnung in Aussicht. Da verlässt jemand seine alten Eltern, und Jesus verspricht ihm den Himmel dafür. Ist das nicht merkwürdig? Jesus gab diese Verheißung nicht nur dem Petrus und seinen damaligen Jüngern, sondern er sagte ausdrücklich: „Es ist niemand, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verlässt um des Reiches Gottes willen, der es nicht vielfach wieder empfange in dieser Zeit und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.“ Und er hat das nicht nur so dahin­gesagt, sondern er hat es feierlich gelobt: „Wahrlich, ich sage euch…“ Wirklich, sehr merkwürdig!

Es hat in der Kirchen­geschichte Leute gegeben, die tatsächlich ihre Familien verlassen haben und ins Kloster gegangen sind, oder in die Ein­siedelei. Sie kamen sich dabei besonders fromm vor, und viele ihrer Mitmenschen bewunderten sie dafür. Wir sind uns aber wahr­schein­lich darüber einig, dass Jesus es irgendwie anders gemeint haben muss. Aber wie? Bei dieser wie auch bei allen anderen Fragen der Bibel­auslegung empfiehlt es sich, auf den Zusammen­hang zu achten.

Es begann mit einer Fest­stellung, die Petrus machte (wahr­schein­lich im Namen aller Jünger): „Wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nach­gefolgt.“ Ein Vergleich mit den anderen Evangelien zeigt, dass Petrus diese Fest­stellung mit einem fragenden Unterton gemacht hat; er stellte eigentlich die Frage: „… und was haben wir davon?“ Jesu Wort ist die Antwort auf diese Frage. Da merken wir schon: Der Schwerpunkt liegt nicht auf dem Verlassen, sondern auf dem großen Lohn, den Jesus verheißt.

Weiter ist zu bedenken: Warum hat denn Petrus sein früheres Leben als Fischer in Kapernaum verlassen, und wie hat er es verlassen? Petrus verließ seine Familie und seinen Fischerei-Betrieb nicht deshalb, weil er die Schnauze voll hatte; es war keineswegs eine Flucht. Er verließ seine bürger­liche Existenz überhaupt nicht aus eigenem Antrieb, sondern nur deswegen, weil Jesus ihn auf­gefordert hatte: „Folge mir nach!“ Nur weil Jesus ihn rief, ließ er alles stehen und liegen. Und wie hat er seine Familie verlassen? Er hat sie keineswegs im Stich gelassen. Vielmehr hinterließ er ihnen einen großen Haufen Fische, die er mit Jesu Hilfe gefangen hatte. Seine Familie wird den Super-Fang verkauft und mit dem Geld eine ganze Weile gut gelebt haben. Petrus ist auch nicht auf Nimmer­wiedersehen ver­schwunden. Immer wenn er mit Jesus wieder nach Kapernaum kam, suchte er seine Angehörigen auf. Einmal hat Jesus bei so einer Gelegenheit die Schwieger­mutter des Petrus geheilt.

Wir sehen: Petrus hat die Seinen keineswegs im Stich gelassen, sondern er ist nur mit Jesus auf Wander­schaft gegangen – und zwar deshalb, weil Jesus ihn dazu berufen hatte. Er sollte mit Jesus „Menschen fangen“, wie Jesus damals sagte; er sollte also zusammen mit Jesus Menschen für Gottes Reich gewinnen. Petrus und die anderen Jünger haben niemanden und nichts im Stich gelassen; sie haben aber, als Jesus sie rief, eine weniger wichtige Tätigkeit und Existenz aufgegeben für eine wichtigere Sache, nämlich für Gottes Reich. Und genau darauf hat Jesus hin­gewiesen, als er die Frage des Petrus und der anderen Jünger be­antwortete: „Es ist niemand, der Haus oder Frau oder Eltern oder Kinder verlässt um des Reiches Gottes willen…“ Nicht das Verlassen hat er in diesem Satz betont, sondern den Zusatz „um des Reiches Gottes willen.“ Jesus sprach also von Leuten, denen das Reich Gottes wichtiger ist als ihre bürgerliche Existenz, wichtiger als ihr Broterwerb, wichtiger sogar als das, was uns Menschen natürlicher­weise oft das Aller­wichtigste ist: Eltern, Ehepartner und Kinder. Jesus sprach hier von Leuten, die ihn nicht nur ihren Herren nennen, sondern die Ernst damit machen, dass er der oberste Herr in ihrem Leben ist. Wenn er ruft und gebietet, dann sind sie sogar bereit, das Wertvollste und Liebste hintenan zu stellen, was sie haben.

Wovon Jesus hier spricht, das ist eigentlich nichts anderes als unser christ­licher Glaube. Wir bekennen ja mit der ganzen Christen­heit: „Ich glaube an Jesus Christus, Gottes ein­geborenen Sohn, unsern Herrn.“ Dieser Herr hat sich mit seinem Leben für uns eingesetzt, um uns zu erlösen; das nehmen wir mit dankbarem Vertrauen an. Und dieses dankbare Vertrauen macht uns bereit, auf ihn zu hören und ihm nach­zufolgen. Jesus sitzt auf dem Chefsessel unseres Lebens; einen besseren Chef kann es nicht geben. Er verspricht allen Leuten, die ihm als Chef vertrauen: „Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verlässt um des Reiches Gottes willen, der es nicht vielfach wieder empfange in dieser Zeit und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.“ In dieser Welt haben wir mit Jesus bereits das Beste und Wert­vollste, was ein Mensch haben kann: nämlich die Nähe und den Beistand Gottes in allen Lebens­lagen; und in der zukünftigen Welt wartet die ewige Seligkeit auf uns. Was für eine gewaltige Verheißung! Ja, das alles verspricht und schenkt Jesus denen, die an ihn glauben.

Wer aber kann so glauben? Wer kann schon von sich sagen: Mir ist nichts so wichtig wie Jesus, weder mein Besitz noch mein Beruf noch meine bürgerliche Existenz noch meine Eltern noch mein Ehepartner noch meine Kinder? Niemand kann das von sich sagen – jedenfalls nicht aus eigener Vernunft und Kraft. Auch Martin Luther konnte das nicht. Er hat von sich bekannt und es im Kleinen Katechismus allen Christen in den Mund gelegt: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft und Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann.“ Kurz: Ich glaube, dass ich nicht glauben kann – jedenfalls nicht aus eigener Vernunft und Kraft. Aber Gott sei Lob und Dank, der Heilige Geist schenkt uns solchen Glauben. Der Heilige Geist macht, dass wir auf Jesus als unseren Erlöser vertrauen und ihn unseren Herrn nennen können. Der Heilige Geist macht, dass wir ihn dann auch den Herrn unseres Lebens sein lassen, den obersten Chef. Der Heilige Geist macht, dass uns Jesus wichtiger wird als unser Besitz und unser Beruf und unsere bürger­liche Existenz und unsere Familie.

Der Heilige Geist hat auch damals gemacht, dass Petrus und die anderen Apostel dem Ruf des Herrn gefolgt sind: „Folgt mir nach, ich will euch zu Menschen­fischern machen“ (Matth. 4,19). Sie sollten mit Jesus mitgehen und zusammen mit ihm Gottes Reich ver­kündigen. Nun war es damals ja so, dass Jesus in leiblicher Gestalt immer nur an einem bestimmten Ort war. Wer ihm nachfolgen wollte, musste seine Beine in Bewegung setzen und hinter ihm hergehen. Nach der Himmelfahrt ist der Herr nicht mehr nur an jeweils einem bestimmten Ort, sondern er ist überall gleich­zeitig. Darum kann man heute Jesus auch am Arbeits­platz nachfolgen und zu Hause und im Kreis der Familie. Natürlich wird man ihn auch regelmäßig da aufsuchen, wo er seine Gegenwart in besonderer Weise verheißen hat: nämlich da, wo Menschen in seinem Name versammelt sind, in der christ­lichen Gemeinde also. Und man wird ihm auch da dienen, wo man den Geringsten unter seinen Brüdern Gutes tun kann.

Wir sehen: „Verlassen“ heißt bei Jesus nicht unbedingt weggehen; „verlassen“ heißt aber „hinter dem Reich Gottes zurück­stellen“. So betrachtet, kann „verlassen“ sogar „dableiben“ bedeuten, wenn der Herr dazu beruft und es mit dem Reich Gottes im Einklang steht. Auch Petrus ist mit seinem Herzen „da­geblieben“ in Kapernaum; er hat die Seinen weiterhin lieb gehabt und sich um sie gekümmert, auch wenn er die meiste Zeit über nicht zu Hause war. Der christliche Ehemann wird seine Frau gerade nicht verlassen, sondern ihr auch ihn schwierigen Zeiten und Ehekrisen die Treue halten um des Reiches Gottes willen; auch das ist ja ein Gebot des Herrn: „Was Gott zusammen­gefügt, das soll der Mensch nicht scheiden“ (Matth. 19,6). Eine christliche Mutter wird die Fürsorge und Erziehung ihrer Kinder als heilige Aufgabe von Gott ansehen und unter Umständen bereit sein, die volle Entfaltung ihrer per­sönlichen Lebens­träume dahinter zurück­zustellen. Martin Luther hat zu Recht darauf hin­gewiesen: Eine Mutter, die ihrem Baby die Windeln wechselt, dient Gott besser als eine Nonne, die sich für ein üppiges Andachts­leben hinter Kloster­mauern zurück­zieht. Und erwachsene christliche Kinder werden es als heilige Pflicht ansehen, für ihre alten Eltern zu sorgen und häufig bei ihnen zu sein. Jesus hat jene scharf verurteilt, die sich mit scheinbar frommen Ausreden um die Versorgung ihrer Eltern drücken.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, wir sehen: Der Zusammen­hang rückt unser Jesus-Wort ins rechte Licht. Nun wissen wir, wie er es gemeint hat. Er verheißt allen, die an ihn glauben, in dieser Welt ein erfülltes Leben an Gottes Seite und in der zukünftigen Welt ewige Seligkeit. An Jesus glauben aber bedeutet, dass uns nichts wichtiger ist als der Herr, sein Ruf und sein Reich. Amen.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum