Gießen und wachsen lassen

Predigt über Epheser 4,11‑16 zum Pfingstmontag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wer einen Garten hat, der weiß, dass man seinen Pflanzen gute Gaben geben muss: Man muss sie gießen und düngen. Gott gibt noch Sonnen­schein dazu, und dann wachsen die Pflanzen, dann gedeihen sie. Wir Christen­menschen sind Pflanzen in Gottes Garten. Da brauchen auch wir gute Gaben, und Gott gibt sie uns. Wie er damals beim Pfingstfest seinen Geist ausgegossen hat, so begießt er auch heute noch den Garten seiner Gemeinde mit dem Heiligen Geist, düngt ihn mit seinem Wort und lässt die Gnadensonne über ihm scheinen. Vom Gießen und Wachsen-Lassen der christ­lichen Gemeinde handelt der Abschnitt aus dem Brief des Apostels Paulus an die Epheser, den wir eben gehört haben. Lasst ihn uns Schritt für Schritt betrachten.

Im vierten Kapitel des Epheser­briefes erinnert Paulus daran, dass wir reich Beschenkte sind. Das ist das Ent­scheidende und grundlegend Wichtige an unserem Christsein: nicht dass wir etwas für Gott tun oder für unsere Mitmenschen oder für die Umwelt, sondern dass Gott etwas für uns getan hat durch seinen Sohn Jesus Christus und dass er uns nun damit beschenkt. Er schüttete den Gewinn über uns aus, den Christus erworben hat. Nichts anderes bedeutet die Ausgießung des Heiligen Geistes. Wie aber kommt der Geist? Wir haben in der Pfingst­geschichte von einem brausenden Wind gehört und von Feuer­flammen, die über den Köpfen der Apostel erschienen. Das waren allerdings besondere Zeichen, mit denen sich der Heilige Geist bemerkbar machte. Viel größeren Raum nimmt in der Pfingst­geschichte das Wort ein – nämlich das Zeugnis der Apostel vom auf­erstandenen Herrn, die Ver­kündigung seiner frohen Botschaft. Dabei wurde den Aposteln gegeben, sich über Sprach­barrieren hinweg ver­ständlich zu machen. Die Pfingst­predigt des Petrus ist uns im Wortlaut über­liefert, wo er ein mächtiges Zeugnis von Jesus ablegte und zum Glauben an ihn einlud. Paulus nennt unter Gottes Gaben zuerst die Apostel, denn diese Wort-Zeugen sind die Ur-Zeugen sowie Augen-Zeugen von Jesus und seiner Erlösungs­tat. Und dann fährt Paulus fort: „Er hat einige als Apostel eingesetzt, einige als Propheten, einige als Evange­listen, einige als Hirten und Lehrer.“ Das sind allesamt Ämter, die den Auftrag haben, Gottes Gaben weiter­zugeben und auszuteilen. Wir können auch sagen: Diese Leute sind allesamt Gärtner für Gottes Reich; sie sollen überall gießen und düngen. Gott hat ja nicht einfach ein heiliges Buch vom Himmel fallen lassen, aus dem sich jeder die rechte Lebens­weisheit heraus­picken kann, sondern er hat Zeugen aus Fleisch und Blut ausgesandt, Menschen wie du und ich, die in der Kraft des Heiligen Geistes Gottes Gaben austeilen sollen. Das ist bis heute so geblieben, auch wenn wir den Ämtern in unserer Zeit andere Namen geben als damals. Heute würden wir vielleicht sagen: Er hat einige als Bischöfe eingesetzt, einige als Pröpste, einige als Missionare, einige als Pfarrer und Seelsorger. Es kommt nicht auf die Amtstitel an und auch nicht auf die Rang­ordnung, sondern allein darauf: Christus hat der Kirche ein Ver­kündigungs­amt gestiftet, das in Gottes Auftrag und mit Gottes Vollmacht Gottes Gnaden­geschenk unter die Leuten bringen soll, nämlich das Evangelium von Jesus Christus. Dies geschieht nicht nur in der Predigt hier von der Kanzel, sondern auf vielerlei Weise. Auch wenn der Pastor aus der Bibel vorliest, Kinder unter­richtet, seel­sorger­liche Ratschläge gibt oder geistliche Worte für den Gemeinde­brief verfasst, übt er dieses Hirtenamt aus und gibt Gottes Gnaden­geschenk mit dem Evangelium weiter.

Gott sei Lob und Dank, dass er uns auch heute noch mit dieser Gabe beschenkt. Aber wir wollen nicht beim Geschenk stehen bleiben, sondern uns auch bewusst machen, zu welchem Zweck Gott uns so beschenkt. Gottes Gabe ist nämlich zugleich eine Aufgabe. Die gottes­dienst­liche Gemeinde ist nicht einfach nur Publikum, und es geht hier nicht einfach um passives Hören und persönliche Erbauung, sondern Gott will an uns arbeiten, uns verändern, uns zurüsten. Paulus fährt darum fort: „… damit die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes. Dadurch soll der Leib Christi erbaut werden.“ Es ist doch so: Wenn eine Pflanze mit Wasser, Dünger und Sonnen­schein beschenkt wird, dann geschieht das in der Erwartung, dass sie wächst und gedeiht. Und wenn ein Mensch mit Gottes Gnade, dem Heiligen Geist und dem Evangelium beschenkt wird, dann geschieht das ebenfalls in der Erwartung, dass der Mensch geistlich wächst. Er wird „zugerüstet zum Werk des Dienstes“, wie Paulus es formuliert hat. Für „Dienst“ finden wir da übrigens im griechi­schen Urtext das Wort „diakonia“. Aus der Gabe des Evangeliums erwächst die Aufgabe, diakonisch tätig zu werden – diakonisch im weitesten Sinn: Es sind damit nicht nur Liebes­dienste an bedürftigen Menschen gemeint, sondern alle Tätig­keiten, die in der Absicht geschehen, anderen damit zu helfen und zu dienen. Geduldiges Zuhören zählt ebenso dazu wie das sorgfältige Führen einer Gemeinde­kasse, das Vorlesen aus einer Kinderbibel ebenso wie Kochen. Wer von Gott beschenkt wird, der wird also zugleich von ihm berufen. Paulus hat das im Epheser­brief bereits vor unserem Predigttext betont und ge­schrieben: „So ermahne ich euch nun…, dass ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid.“

Wenn eine Pflanze Wasser, Dünger und Sonnen­schein empfängt, dann schießt sie nicht sofort in die Höhe; vielmehr wächst sie mehr oder weniger langsam. Auch braucht sie ihre Zeit, um Früchte zu bringen. Gärtnern ist darum nichts für Un­geduldige, und der Heilige Geist ist es auch nicht. Wenn wir ihn empfangen, dann werden wir dadurch Jünger des Herrn – und das heißt: Lernende, Übende, Wachsende. Deshalb soll niemand meinen, wenn er ein bisschen vom Evangelium gehört und und den Geist empfangen hat, dann reicht das schon. Kein Konfirmand soll sich am Ende der Kon­firmanden­zeit einbilden, er sei nun ein fertiger Christ; selbst der erfahrenste Pastor und der klügste Theologie­professor dürfen sich das nicht einbilden. Wir alle sind vielmehr aufgerufen, uns im Hinblick auf unsere Glaubens­erkenntnis und unsere Heiligung weiter­zuent­wickeln. Diesen Gedanken hat Paulus ausführlich in den folgenden Sätzen entfaltet: „… bis wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zum vollendeten Mann, zum vollendeten Maß der Fülle Christi, damit wir nicht mehr unmündig seien und uns von jedem Wind einer Lehre bewegen und umher­treiben lassen durch trüge­risches Spiel der Menschen, mit dem sie uns arglistig verführen. Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Chris­tus…“ Zweierlei fällt dabei auf. Erstens betont Paulus die christliche Lehre; wir sollen in der Erkenntnis zunehmen, sollen als geistliche Pflanze gleichsam einen starken Stamm entwickeln, damit uns die Stürme mensch­licher Gegen­meinungen nicht umpusten können. Diese Gegen­meinungen begegnen uns heute überall: in den Massen­medien, im Bekannten­kreis und sogar in unserem eigenen sogenannten „gesunden Menschen­verstand“. Wenn es nach dem ginge, würden wir manches aus Gottes Wort am liebsten ausklammern oder verdrängen. Geistlich reifen und wachsen können wir jedoch nur dann, wenn wir uns der christliche Lehre auch in ihrer Tiefe stellen und bereit sind, uns davon korrigieren und umgestalten zu lassen. Zweitens fällt uns auf, dass Christus im Mittelpunkt steht. Er ist nicht nur der Ausgangs­punkt für unsere Erlösung, sondern zugleich auch der Zielpunkt für unsere Heiligung, für unser geistliches Wachstum. Unser Ziel soll es sein, so liebevoll und wahrhaftig zu leben, wie er es uns vorgelebt hat. Sein Jünger zu sein bedeutet ja letztlich nichts anderes, als seinem Vorbild zu folgen.

Schon in den bisherigen Worten unseres Predigt­textes ist an­geklungen, dass Jüngersein keine einsame An­gelegen­heit ist. Ein Garten ist ja mehr als eine Ansammlung einzelner Pflanzen, die da zufällig neben­einander stehen. So ist auch die Kirche und Gemeinde mehr als eine Ansammlung einzelner Christen, die da zufällig neben­einander in der Kirchenbank sitzen. Der Apostel Paulus hat das immer wieder sehr schön mit einem weiteren Gleichnis ver­deutlicht: dem Gleichnis vom Leib Christi. So auch in unserem Predigt­text. Er hat davon ge­schrieben, dass der „Leib Christi erbaut werden“ soll durch die Predigt des Evan­geliums. Er hat darauf hin­gewiesen, dass das Wachsen in der rechten christ­lichen Lehre zur „Einheit des Glaubens“ führt. Und am Ende unseres Abschnitts schreibt er aus­führlich: „Von Christus, dem Haupt, ist der ganze Leib zusammen­gefügt, und ein Glied hängt am anderen durch alle Gelenke, wodurch jedes Glied das andere unterstützt nach dem Maß seiner Kraft und macht, dass der Leib wächst und sich selbst auferbaut in der Liebe.“ Wenn ein Mensch wächst, dann wachsen nicht nur einzelne Körperteile je für sich, sondern dann wächst und reift auch der Mensch insgesamt. Ebenso ist es im Reich Gottes, und so soll es in jeder christ­lichen Gemeinde sein. Der Heilige Geist hat mit uns als Gemein­schaft etwas vor, und wir sollten gemeinsam danach fragen, was es ist. Der Garten von Gottes Volk ist gewisser­maßen eine Symbiose: Da geben einige Pflanzen anderen Halt, dass sie ranken können, oder da spenden einige Pflanzen anderen Schatten, dass sie besser gedeihen können. Macht euch das klar, liebe Brüder und Schwestern in Christus, dann werdet ihr erkennen, dass in unserer Gemeinde noch sehr viel Wachstums- und Entwicklungs­potential vorhanden ist!

Einmal wird der Tag kommen, wo Gottes Garten fertig und ausgereift ist, so wie auch jede einzelne Pflanze in ihm. Es ist der Tag, auf den wir hinleben und auf den wir uns jetzt schon sehr freuen können. Das Werk des Heilige Geistes und Gottes Gaben unter uns zielen auf diesen Tag hin. Im Hinblick auf unser geistliches Wachstum und auf diesen Tag können wir mit Paul Gerhardt bitten: „Mach in mir deinem Geiste Raum, / dass ich dir werd ein guter Baum, / und lass mich Wurzel treiben. / Verleihe, dass zu deinem Ruhm / ich deines Gartens schöne Blum / und Pflanze möge bleiben.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2014.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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