Ora et labora

Predigt über 2. Samuel 15,30‑37 zum Sonntag Rogate

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Zwei Schüler haben eine wichtige Prüfungs­arbeit vor sich. Der eine ist fleißig und paukt stundenlang den erwarteten Wissens­stoff. Der andere ist fromm und betet, dass Gott ihm zu einem guten Ergebnis verhilft. Wer macht es richtig – der Fleißige oder der Fromme? Zwei ältere Damen haben seit ein paar Tagen Schmerzen. Die eine betet, dass Gott ihr hilft. Die andere geht zum Arzt und erwartet von diesem Hilfe. Wer von den beiden macht es richtig? Zwei Eigenheim-Besitzer haben Streit mit ihrem Nachbarn. Der eine bittet Gott, dass das Verhältnis sich bessert, der andere lädt den unbequemen Nachbarn zum Grillen ein. Noch einmal die Frage: Wer von den beiden macht es richtig?

Eine Geschichte aus der Bibel kann uns bei dieser Frage weiter­helfen. Ich habe eben einen Abschnitt daraus verlesen, aber ich muss zunächst etwas weiter ausholen, damit der Zusammen­hang klar wird. Wir erleben König David hier in einer der schwär­zesten Stunden seines Lebens. Er ist schon älter, seine Kinder sind schon erwachsen. Sein dritt­ältester Sohn macht ihm viel Kummer. Er heißt Absalom. Absalom hat sich hinter Davids Rücken beim Volk beliebt gemacht und viele einfluss­reiche Leute für sich gewonnen. Unter ihnen befindet sich der weise Ahitofel, bei dem sich David in allen schwierigen Fragen Rat holt. Auch hat sich Absalom eine eigene Leibwache an­geschafft. Eines Tages erfährt David zu seiner Bestürzung: Absalom hat eine Putsch angezettelt – gegen ihn, seinen eigenen Vater! Absalom hat sich in Hebron zum König krönen lassen und zieht nun in böser Absicht nach Jerusalem, um David zu stürzen und sich selbst in der königlichen Residenz nieder­zulassen. Was soll David nun machen – beten oder kämpfen?

Zunächst tut David nichts von beidem, sondern er flieht. Er verlässt Jerusalem nach Osten hin ins Kidrontal. Alle, die noch zu ihm halten, begleiten ihn. Getreue Bürger am Wegesrand weinen und klagen. Wie schmachvoll muss der König nun die Stadt verlassen, die er einst so trium­phierend eingenommen hat! David fragt bei diesem schweren Gang nach seinem weisen Berater Ahitofel. Da erfährt er, dass auch Ahitofel ihn im Stich gelassen und sich auf Absaloms Seite geschlagen hat.

David zieht diesen Weg als Trauernder und Büßer. Er ist nicht nur traurig über Absaloms Bosheit, sondern auch über seine eigene Sünde. Manches hat er falsch gemacht, sowohl bei Absaloms Erziehung als auch sonst. Er geht barfuß wie ein Bettler. Seinen Kopf hat er in einer weiten Kapuze versteckt. Sein Herz ist zu Tode betrübt – ganz in der Nähe jener Stelle, wo tausend Jahre später das Herz des Davids­sohnes Jesus Christus zu Tode betrübt sein wird: Im Kidrontal, beim Garten Gethsemane, am Fuß des Ölbergs.

Jetzt steigt David den Hang des Ölbergs hinauf und findet zwischen den Oliven­bäumen einen Platz zum Beten. Ja, David klagt dem Herrn seine Not und bittet ihn um Hilfe. In unserem Predigttext finden wir nur diese eine Bitte überliefert: „Herr, mache den Rat Ahitofels zur Torheit!“ David weiß: Wenn der kluge Ahitofel Absalom gut berät, dann ist er, David, endgültig erledigt. David weiß genau, dass er selbst keinen Einfluss mehr auf Ahitofels Rat hat; so bittet er Gott um Hilfe. David betet aber noch mehr bei seiner Flucht. Der dritte Psalm gehört in diesem Zusammen­hang. Da klagt David: „Ach Herr, wie sind meine Feinde so viel und erheben sich so viele gegen mich!“ Er blickt vom Ölberg hinüber zum Berg Zion, zum heiligen Ort der Bundeslade, und betet: „Ich rufe mit meiner Stimme zum Herrn, so erhört er mich von seinem heiligen Berge.“ Er gibt seinem Gott­vertrauen Ausdruck: „Ich fürchte mich nicht vor vielen Tausenden, die sich ringsum wider mich legen.“ Er bittet: „Auf, Herr, hilf mir, mein Gott!“ Und er bekennt: „Bei dem Herrn findet man Hilfe.“ Ja, so erweist sich David in der Not als Beter.

Aber er erweist sich nicht nur als Beter. David bleibt zugleich der kluge Staatsmann, der auch in schwierig­sten Situationen einen klaren Kopf behält und Ent­scheidun­gen trifft. An der Stelle, wo er gerade gebetet hat, begegnet ihm ein Mann, der ebenso büßermäßig aussieht wie David selbst. Sein Gewand ist zerrissen, und er hat Erde auf dem Kopf. David kennt diesen Mann: Es ist sein Freund Huschai. Auch Huschai gehört zu Davids Beratern. Er ist zwar nicht so klug wie Ahitofel, aber er erweist sich in der Zeit der Not als der treuere Freund. Huschai möchte David auf seiner Flucht begleiten, aber David hat eine bessere Idee. Er schickt Huschai nach Jerusalem zurück und trägt ihm auf, sich Absalom als Berater zur Verfügung zu stellen. Dabei soll er mit seinen Ratschlägen dafür sorgen, dass David einen sicheren Vorsprung bekommt bei seiner Flucht. Außerdem macht David Huschai zu seinem Spion: Er beauftragt ihn, über zwei junge Männer Nachrichten für David heraus­zuschmug­geln und ihn so über die Ent­wicklungen in Jerusalem auf dem Laufenden zu halten. Wir sehen: David betet nicht nur, er handelt auch. Er setzt sein politisches Geschick ein, um die Situation so weit wie möglich zu kon­trollieren. Wie die Geschichte dann ausgeht, kann man im 2. Samuel-Buch nachlesen, in den Kapiteln 16 bis 19. Es sei hier nur so viel verraten, dass sie für David gut ausgeht, für Absalom dagegen übel.

Wir kehren zu unserer Ausgangs­frage zurück: Wer macht es besser, der Betende oder der Handelnde? An Davids Vorbild lernen wir, dass sich beides keineswegs aus­schließt. David war ein Betender und Handelnder. Alle Gottes­kinder sind gut beraten, wenn sie sowohl beten als auch handeln nach der lateini­schen Lebens­weisheit „ora et labora“. Auf branden­burgisch übersetzt heißt das ungefähr: „Bete und abete!“ Mit Davids Beispiel im Hintergrund wollen wir diese Lebensregel mitnehmen und beherzigen. Dabei möchte ich zum Schluss auf drei Besonder­heiten hinweisen.

Erstens: Das „Und“ ist wichtig in „Bete und arbeite“. Es bedeutet, dass es geradezu ein Fehler wäre, aus beiden Aufforderungen eine Alternative zu machen. Nehmen wir zum Beispiel anhaltende Schmerzen: Es wäre falsch, nur zu beten und jede medi­zinische Hilfe auszu­schlagen. Vielleicht will Gott ja gerade durch die ärztliche Kunst und Medizin helfen; oft genug tut er das. Ebenso falsch wäre es aber, ohne Gebet einfach nur zum Arzt zu gehen, denn dabei würde man übersehen, dass unser Schöpfer zugleich auch unser Arzt sein will. Dieses „Und“ ist übrigens kein Pluszeichen wie in der Mathematik. Es ist nicht so, dass Gottes Hilfe und der Menschen Arbeit addiert werden und zusammen­wirken müssen, damit etwas Gutes entsteht. Vielmehr ist Gott auf mensch­liches Tun grund­sätzlich nicht angewiesen, aber es entspricht seinem Willen, dass wir uns anstrengen; und oftmals hilft er durch Menschen­werke. Auf diesem Hintergrund ist das Sprichwort zu verstehen: „Bete, als hülfe kein Arbeiten! Arbeite, als hülfe kein Beten!“

Zweitens: Die Reihenfolge ist wichtig in dem Satz „Bete und arbeite“. Weil alles an Gottes Tun und Segen gelegen ist, ist das Beten wichtiger als das Handeln. Es ist auch deshalb wichtiger, weil mensch­liches Handeln oft genug fehlerhaft ist, Gottes Tun aber vollkommen. David hat es uns vorgemacht: Zuerst hat er gebetet, danach hat er seine politische Strategie entwickelt. Wie wichtig David das Beten war, erkennen wir an seiner Haltung: Er kommt als Büßer, also im Bewusstsein eigener Schuld. Er weiß, dass er Gottes Hilfe nicht verdient hat, sondern auf Gottes Gnade angewiesen ist. Und er betet im getrosten Vertrauen darauf, dass Gott ihn nicht im Stich lassen wird.

Drittens: Es gibt einen Lebens­bereich, wo aus­schließ­lich Beten angesagt ist und keinerlei Handeln. Das ist die Not und bange Frage, die Martin Luther so formuliert hat: Wie kriege ich einen gnädigen Gott? Weit verbreitet ist der Irrtum, dass uns Gott einerseits mit seiner Gnade und Vergebung behilflich sein muss, dass wir aber anderer­seits auch mit unserem guten Willen dazu beitragen müssen, dass wir zu ihm finden. Das Evangelium von Jesus Christus lehrt etwas anderes. Wenn Gott uns gnädig ist, dann ist er es aus­schließlich und zu hundert Prozent aus Gnade wegen der Gerechtig­keit, die Jesus am Kreuz für uns erworben hat. Was also unsere Erlösung und das ewige Leben anbetrifft, da gilt nur „bete“, nicht „arbeite“. Was aber unser Leben in dieser Welt anbetrifft, da gilt nach Davids Vobild: „Bete und arbeite!“ Lassen wir es uns gesagt sein. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2014.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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