Abschied unter Hirten

Predigt über Apostelgeschichte 20,17‑38 zum Sonntag Misericordias Domini

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Unter allen Feiern haben Abschieds­feiern eine besondere Stellung. Da geht ein lang­jähriger An­gestell­ter in den Ruhestand und wird von seiner Firma feierlich ver­abschiedet. Da zieht ein Vereins­mitglied fort, und seine Vereins­freunde bereiten ihm eine Abschieds­party. Da hat ein Pastor eine Berufung in einen neue Gemeinde angenommen, und seine bisherige Gemeinde nimmt Abschied von ihm. Fröhlich sind solche Abschieds­feiern meistens nicht; die Stimmung ist eher gerührt bis bedrückt. Da werden Dankesreden gehalten und Abschieds­geschenke überreicht, und da können auch schon mal Tränen fließen.

Von so einem tränen­reichen Abschied berichtet unser Predigt­text. Es handelt sich um einen Abschied unter Hirten; genauer: unter Seelen­hirten; auf Lateinisch: Pastoren. Der Pastor Paulus hatte die Gemeinde in Ephesus in ihrer Anfangszeit begleitet und dafür gesorgt, dass ein­heimische Pastoren beziehungs­weise „Älteste“ sie leiten. Am Ende seiner dritten Missions­reise trifft sich Paulus noch einmal mit diesen Ältesten aus Ephesus und nimmt von ihnen Abschied. Paulus wusste, dass es ein Abschied für immer ist, und das sagte er ihnen auch ganz offen. Ent­sprechend bewegend gestaltete sich diese Begegnung. Am Ende heißt es: „Da begannen alle laut zu weinen, und sie fielen Paulus um den Hals und küssten ihn, am aller­meisten betrübt über das Wort, das er gesagt hatte, sie würden sein Angesicht nicht mehr sehen.“ Nun ist allerdings die Rührung gar nicht das Ent­scheidende an diesem Abschied unter Hirten. Von Dankesreden und Abschieds­geschenken wird ohnehin nichts berichtet. Das Wichtige an diesem Abschied ist vielmehr die Predigt, die Paulus gehalten hat; sie steht im Mittelpunkt des Berichts. Aus dieser Predigt können wir viel lernen über das Wesen einer christ­lichen Gemeinde und über das Wesen des Hirtenamts, das Christus eingesetzt hat.

Die Predigt des Paulus besteht aus zwei Teilen; wir können sie mit den Begriffen „Zeugnis“ und „Mahnung“ kennzeichnen. Im ersten Teil gibt der Apostel Zeugnis über sein eigenes Hirtenamt und im zweiten Teil ermahnt die Ältesten von Ephesus für ihr Hirtenamt.

Kommen wir zum ersten Teil, zum Zeugnis des Paulus. Er sagte: „Ich habe dem Herrn gedient in aller Demut.“ Ein Gemeindehirte ist kein Chef, sondern ein Diener; er soll nicht herrschen, sondern dienen. Nur der eine gute Hirte ist zugleich auch der Herr, der jedoch selbst in aller Demut dient, sich erniedrigte und sein Leben für die Schafe ließ. Pastor sein bedeutet, sich diesem einen Herrn in aller Demut unter­zuordnen und für seinen Dienst zur Verfügung zu stehen. Das ist nicht immer angenehm, sondern manchmal sehr belastend und sogar schmerz­haft. Paulus bezeugte, dass er diesen Dienst „mit Tränen und unter An­fechtungen“ ausgeübt hat, oft genug angefeindet und verfolgt von Jesu Feinden. Das hat Jesus ja all seinen Nachfolgern vorher­gesagt, vor allem aber den berufenen Dienern des Wortes. Wer als Pastor berufen ist, der ist nicht zuletzt auch zum Leiden berufen. Paulus sah voraus, dass ihn in naher Zukunft noch mehr Verfolgung und sogar Gefangen­schaft erwartete.

Der Apostel hat seinen Dienst aus­schließ­lich als Wort-Dienst be­schrieben, als Ver­kündigungs-Dienst. Ein Seelenhirte ist kein Gemeinde-Manager und kein Religions-Dienst­leister, sondern ein Botschafter seines Herrn Jesus. Paulus sagte: „Ich habe euch nichts vor­enthalten, was nützlich ist, dass ich‘s euch nicht verkündigt und gelehrt hätte.“ Er hat in der Öffentlich­keit gepredigt und in Privat­häusern Menschen unter­richtet sowie mit ihnen seel­sorger­liche Gespräche geführt. Dies sind noch heute die ent­scheidenden Tätigkeiten eines Pastors: Predigt, Unterricht und Seelsorge. Der Inhalt ist dabei nicht irgendein mehr oder weniger interes­santer Wissens­stoff über Gott, sondern der Inhalt ist das, „was nützlich ist“, wie Paulus es formulierte – nämlich nützlich dafür, dass Menschen zum Glauben kommen, aus dem Glauben leben, im Glauben bleiben und mit dem Glauben selig werden. Solche Ver­kündigung beginnt mit dem Aufruf zur Änderung, zur Buße. Paulus sagte, er habe „die Umkehr zu Gott und den Glauben an unsern Herrn Jesus“ bezeugt. Wer mit Gott leben will, muss umkehren – weg von seinen alten aus­getretenen Sünden­wegen, hin zum lebendigen Gott. Das geschieht im ersten Teil der Beichte, wenn wir unsere Sünden bereuen und vor Gott bringen. Der zweite Teil der Beichte ist dann das Wichtigste: dass Gott uns um Jesu willen die Sünde vergibt und wir das vertrauens­voll annehmen. Die Begriffe „Umkehr zu Gott“ und „Glaube an unsern Herrn Jesus Christus“ umreißen nicht nur das Geschehen in der Beichte, sondern damit zugleich den Kern des christ­lichen Lebens. Nichts kann einem Menschen mehr nützen, als seine Sünden zu bekennen und die Vergebung von Jesus anzunehmen. Darum steht diese Ver­kündi­gung damals wie heute im Mittelpunkt jedes christ­lichen Gottes­dienstes und jeder christ­lichen Predigt. Kommentare zum Welt­geschehen und Tipps zur Lebens­bewältigung kann man auch anderswo bekommen; Gottes Hirten jedenfalls haben den Auftrag, die Herde mit diesem selig­machenden Evangelium zu weiden. So kommt es auch in der Abschieds­predigt des Paulus immer wieder durch: Er redet vo seinem „Amt…, zu bezeugen das Evangelium von der Gnade Gottes.“

Der Zeugnis-Teil der Predigt endet mit den Worten: „Darum bezeuge ich euch am heutigen Tage, dass ich rein bin vom Blut aller; denn ich habe nicht unter­lassen, euch den ganzen Ratschluss Gottes zu ver­kündigen.“ Paulus wusste, dass er vor Gott ver­antwort­lich ist für alle Seelen, die ihm anvertraut sind. Ein Gemeinde­hirte muss dem Oberhirten Rechen­schaft geben über jedes einzelne Schaf. Zwar kann und darf er niemanden zur Seligkeit zwingen, aber er soll jeden wissen lassen, worum es geht und was auf dem Spiel steht. Dabei ist sich der Gemeinde­hirte bewusst, dass es auch für ihn selbst um diese Seligkeit geht. Er selbst muss mit ständiger Buße und Glauben auf dem Weg des Evangeliums bleiben und ihn bis ans Ende gehen – wie ein Lang­strecken­läufer, der am Ziel ankommen will. Das Ziel der ewigen Seligkeit ist für uns wichtiger als die Bewahrung des irdischen Lebens, denn das verlieren wir ja früher oder später sowieso. Darum bezeugte Paulus auch: „Ich achte mein Leben nicht der Rede wert, wenn ich nur meinen Lauf voll­ende…“

Soweit der Zeugnis-Teil; nun zum Ermahnungs-Teil der Abschieds­predigt des Paulus. Natürlich konnten die Ältesten aus Ephesus schon am Beispiel des Paulus eine ganze Menge lernen, wie ein Gemeinde­hirte sein soll. Aber in diesem zweiten Teil legte er ihnen die Ver­antwortung für sich selbst und für die Christen in Ephesus noch einmal besonders ans Herz. Er sagte: „So habt nun acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, in der euch der heilige Geist eingesetzt hat zu Bischöfen, zu weiden die Gemeinde Gottes, die er durch sein eigenes Blut erworben hat.“ Es fällt uns auf, dass er diese Leute „Bischöfe“ nennt. Wir müssen dabei beachten, dass das Neue Testament etwas andere Begriffe für Gemeinde­hirten verwendet und dass es damals noch nicht den Beruf des Pfarrers in unserem Sinne gab. Für das neu­testament­liche Hirtenamt ist es nicht ent­scheidend, ob jemand Theologie studiert hat und ob jemand damit seinen Lebens­unterhalt verdient. Paulus weist ja am Ende seiner Predigt darauf hin, dass er seinen Lebens­unterhalt mit einem Handwerk verdient, um den Gemeinden nicht zur Last zu fallen. Er wollte damit ein Zeichen dafür setzen, dass Geben seliger als Nehmen ist. Ent­scheidend ist beim Hirtenamt, dass jemand vom Heiligen Geist in dieses Amt eingesetzt wurde – nach welchen Ordnungen und Ritualen auch immer. Das war bei den Ältesten von Ephesus aus­drücklich der Fall. Für „Älteste“ steht da im grie­chischen Urtext übrigens das Wort „pres­byteroi“, daraus ist das deutsche Wort „Priester“ entstanden. Das Neue Testament nennt sie an anderer Stelle auch „Hirten“ und „Lehrer“: Sie sollen Gottes Wort „lehren“ beziehungs­weise ver­kündigen, und indem sie das tun, sollen sie die Gemeinde „weiden“, also ver­antwort­lich versorgen und leiten. Das Wort „Bischof“ bezeichnete ur­sprüng­lich kein anderes Amt; erst später hat man es auf Ober-Pastoren beschränkt. Es leitet sich vom grie­chischen Wort „episkopos“ her, was man mit „Über­wacher“ oder „Aufseher“ übersetzen kann. Gemeinde­hirten sollen also nicht nur einfach ver­kündigen, sondern sie sollen auch darauf achthaben, dass die rechte Ver­kündigung in ihrer Gemeinde gewähr­leistet bleibt und dass falsche Lehren abgewehrt werden.

Letzteres lag Paulus besonders am Herzen, denn er sah Gefahren kommen. Darum sagte er: „Das weiß ich, dass nach meinem Abschied reißende Wölfe zu euch kommen, die die Herde nicht verschonen werden. Auch aus eurer Mitte werden Männer aufstehen, die Verkehrtes lehren, um die Jünger an sich zu ziehen. Darum seid wachsam…“ Auch Jesus selbst hatte ja schon vor falschen Propheten und „Wölfen im Schafspelz“ gewarnt. Die Gefahr für das Evangelium kommt dabei nicht nur von außen, von den erklärten Feinden Christi, sondern auch von innen, aus der Kirche und Gemeinde selbst. Darum ist es noch heute ganz wichtig, dass Pastoren nicht nur Gottes Wort getreu nach der Bibel lehren, sondern auch falsche Lehren beim Namen nennen und zurück­weisen. Leider geschieht das heute in der Christen­heit viel zu wenig, und dann meistens noch halbherzig. Dabei wird gerade heute unter Christen viel dummes Zeug gelehrt und noch mehr heilsame Lehre einfach ver­schwiegen. Da verleugnet man unter anderem die Gottheit Christi, seine Geburt durch die Jungfrau Maria, sein Sühnopfer am Kreuz und seine leibliche Auf­erstehung. Da wird überhaupt Jesus als der einzige Weg zum himmlischen Vater ver­schwiegen und stattdessen nur ein allgemeiner Gottes­glaube gepredigt. Und da wird die Geltung von Gottes Geboten in Frage gestellt. Ein rechter Gemeinde­hirte muss solche Missstände als „Bischof“ im Sinne von „Über­wacher“ beim Namen nennen und davor warnen.

Liebe Brüder und Schwestern, es sind hohe An­forderun­gen, die Gott ans Hirtenamt stellt. Es ist ein schweres und ver­antwortungs­volles Amt. Es ist in besonderem Maß mit dem Kreuz der Nachfolge belastet. Es ist eigentlich ein Amt, das sich kein Mensch zutrauen kann, wenn er es denn ernst nimmt. Ich selbst frage mich immer wieder, ob ich diesem Amt gewachsen bin. Und dann stelle ich fest: eigentlich bin ich das nicht. Aber da ist auf der anderen Seite Gottes Ruf und Auftrag – wer könnte dem ausweichen? So diene ich in diesem Amt mit Zittern und Zagen und so gut es eben geht. Da ist es wichtig, dass andere Christen für mich beten, nicht zuletzt auch ihr, die mir anvertraute Gemeinde. Denn das Hirtenamt kann niemand ausüben ohne die Hilfe des Oberhirten, und die will erbeten sein. Das Schöne ist aber nun, dass Gott diese Hilfe auch versprochen hat und dass wir uns auf sie verlassen können. Das gilt übrigens nicht nur für das Hirtenamt, sondern für jedes Christen­leben. Gerade in schwierigen Heraus­forderungen sollten wir nie vergessen, dass Gott uns beisteht und hilft. So braucht es uns nicht zu wundern, dass der Hirte Paulus den Hirten von Ephesern mitten im Ermahungs­teil seiner Abschieds­predigt diese er­muntern­den Worte sagt, mit denen ich jetzt meine Predigt beschließe: „Nun befehle ich euch Gott und dem Wort seiner Gnade, der da mächtig ist, euch zu erbauen und euch das Erbe zu geben mit allen, die geheiligt sind.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2014.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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