Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Unter allen Feiern haben Abschiedsfeiern eine besondere Stellung. Da geht ein langjähriger Angestellter in den Ruhestand und wird von seiner Firma feierlich verabschiedet. Da zieht ein Vereinsmitglied fort, und seine Vereinsfreunde bereiten ihm eine Abschiedsparty. Da hat ein Pastor eine Berufung in einen neue Gemeinde angenommen, und seine bisherige Gemeinde nimmt Abschied von ihm. Fröhlich sind solche Abschiedsfeiern meistens nicht; die Stimmung ist eher gerührt bis bedrückt. Da werden Dankesreden gehalten und Abschiedsgeschenke überreicht, und da können auch schon mal Tränen fließen.
Von so einem tränenreichen Abschied berichtet unser Predigttext. Es handelt sich um einen Abschied unter Hirten; genauer: unter Seelenhirten; auf Lateinisch: Pastoren. Der Pastor Paulus hatte die Gemeinde in Ephesus in ihrer Anfangszeit begleitet und dafür gesorgt, dass einheimische Pastoren beziehungsweise „Älteste“ sie leiten. Am Ende seiner dritten Missionsreise trifft sich Paulus noch einmal mit diesen Ältesten aus Ephesus und nimmt von ihnen Abschied. Paulus wusste, dass es ein Abschied für immer ist, und das sagte er ihnen auch ganz offen. Entsprechend bewegend gestaltete sich diese Begegnung. Am Ende heißt es: „Da begannen alle laut zu weinen, und sie fielen Paulus um den Hals und küssten ihn, am allermeisten betrübt über das Wort, das er gesagt hatte, sie würden sein Angesicht nicht mehr sehen.“ Nun ist allerdings die Rührung gar nicht das Entscheidende an diesem Abschied unter Hirten. Von Dankesreden und Abschiedsgeschenken wird ohnehin nichts berichtet. Das Wichtige an diesem Abschied ist vielmehr die Predigt, die Paulus gehalten hat; sie steht im Mittelpunkt des Berichts. Aus dieser Predigt können wir viel lernen über das Wesen einer christlichen Gemeinde und über das Wesen des Hirtenamts, das Christus eingesetzt hat.
Die Predigt des Paulus besteht aus zwei Teilen; wir können sie mit den Begriffen „Zeugnis“ und „Mahnung“ kennzeichnen. Im ersten Teil gibt der Apostel Zeugnis über sein eigenes Hirtenamt und im zweiten Teil ermahnt die Ältesten von Ephesus für ihr Hirtenamt.
Kommen wir zum ersten Teil, zum Zeugnis des Paulus. Er sagte: „Ich habe dem Herrn gedient in aller Demut.“ Ein Gemeindehirte ist kein Chef, sondern ein Diener; er soll nicht herrschen, sondern dienen. Nur der eine gute Hirte ist zugleich auch der Herr, der jedoch selbst in aller Demut dient, sich erniedrigte und sein Leben für die Schafe ließ. Pastor sein bedeutet, sich diesem einen Herrn in aller Demut unterzuordnen und für seinen Dienst zur Verfügung zu stehen. Das ist nicht immer angenehm, sondern manchmal sehr belastend und sogar schmerzhaft. Paulus bezeugte, dass er diesen Dienst „mit Tränen und unter Anfechtungen“ ausgeübt hat, oft genug angefeindet und verfolgt von Jesu Feinden. Das hat Jesus ja all seinen Nachfolgern vorhergesagt, vor allem aber den berufenen Dienern des Wortes. Wer als Pastor berufen ist, der ist nicht zuletzt auch zum Leiden berufen. Paulus sah voraus, dass ihn in naher Zukunft noch mehr Verfolgung und sogar Gefangenschaft erwartete.
Der Apostel hat seinen Dienst ausschließlich als Wort-Dienst beschrieben, als Verkündigungs-Dienst. Ein Seelenhirte ist kein Gemeinde-Manager und kein Religions-Dienstleister, sondern ein Botschafter seines Herrn Jesus. Paulus sagte: „Ich habe euch nichts vorenthalten, was nützlich ist, dass ich‘s euch nicht verkündigt und gelehrt hätte.“ Er hat in der Öffentlichkeit gepredigt und in Privathäusern Menschen unterrichtet sowie mit ihnen seelsorgerliche Gespräche geführt. Dies sind noch heute die entscheidenden Tätigkeiten eines Pastors: Predigt, Unterricht und Seelsorge. Der Inhalt ist dabei nicht irgendein mehr oder weniger interessanter Wissensstoff über Gott, sondern der Inhalt ist das, „was nützlich ist“, wie Paulus es formulierte – nämlich nützlich dafür, dass Menschen zum Glauben kommen, aus dem Glauben leben, im Glauben bleiben und mit dem Glauben selig werden. Solche Verkündigung beginnt mit dem Aufruf zur Änderung, zur Buße. Paulus sagte, er habe „die Umkehr zu Gott und den Glauben an unsern Herrn Jesus“ bezeugt. Wer mit Gott leben will, muss umkehren – weg von seinen alten ausgetretenen Sündenwegen, hin zum lebendigen Gott. Das geschieht im ersten Teil der Beichte, wenn wir unsere Sünden bereuen und vor Gott bringen. Der zweite Teil der Beichte ist dann das Wichtigste: dass Gott uns um Jesu willen die Sünde vergibt und wir das vertrauensvoll annehmen. Die Begriffe „Umkehr zu Gott“ und „Glaube an unsern Herrn Jesus Christus“ umreißen nicht nur das Geschehen in der Beichte, sondern damit zugleich den Kern des christlichen Lebens. Nichts kann einem Menschen mehr nützen, als seine Sünden zu bekennen und die Vergebung von Jesus anzunehmen. Darum steht diese Verkündigung damals wie heute im Mittelpunkt jedes christlichen Gottesdienstes und jeder christlichen Predigt. Kommentare zum Weltgeschehen und Tipps zur Lebensbewältigung kann man auch anderswo bekommen; Gottes Hirten jedenfalls haben den Auftrag, die Herde mit diesem seligmachenden Evangelium zu weiden. So kommt es auch in der Abschiedspredigt des Paulus immer wieder durch: Er redet vo seinem „Amt…, zu bezeugen das Evangelium von der Gnade Gottes.“
Der Zeugnis-Teil der Predigt endet mit den Worten: „Darum bezeuge ich euch am heutigen Tage, dass ich rein bin vom Blut aller; denn ich habe nicht unterlassen, euch den ganzen Ratschluss Gottes zu verkündigen.“ Paulus wusste, dass er vor Gott verantwortlich ist für alle Seelen, die ihm anvertraut sind. Ein Gemeindehirte muss dem Oberhirten Rechenschaft geben über jedes einzelne Schaf. Zwar kann und darf er niemanden zur Seligkeit zwingen, aber er soll jeden wissen lassen, worum es geht und was auf dem Spiel steht. Dabei ist sich der Gemeindehirte bewusst, dass es auch für ihn selbst um diese Seligkeit geht. Er selbst muss mit ständiger Buße und Glauben auf dem Weg des Evangeliums bleiben und ihn bis ans Ende gehen – wie ein Langstreckenläufer, der am Ziel ankommen will. Das Ziel der ewigen Seligkeit ist für uns wichtiger als die Bewahrung des irdischen Lebens, denn das verlieren wir ja früher oder später sowieso. Darum bezeugte Paulus auch: „Ich achte mein Leben nicht der Rede wert, wenn ich nur meinen Lauf vollende…“
Soweit der Zeugnis-Teil; nun zum Ermahnungs-Teil der Abschiedspredigt des Paulus. Natürlich konnten die Ältesten aus Ephesus schon am Beispiel des Paulus eine ganze Menge lernen, wie ein Gemeindehirte sein soll. Aber in diesem zweiten Teil legte er ihnen die Verantwortung für sich selbst und für die Christen in Ephesus noch einmal besonders ans Herz. Er sagte: „So habt nun acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, in der euch der heilige Geist eingesetzt hat zu Bischöfen, zu weiden die Gemeinde Gottes, die er durch sein eigenes Blut erworben hat.“ Es fällt uns auf, dass er diese Leute „Bischöfe“ nennt. Wir müssen dabei beachten, dass das Neue Testament etwas andere Begriffe für Gemeindehirten verwendet und dass es damals noch nicht den Beruf des Pfarrers in unserem Sinne gab. Für das neutestamentliche Hirtenamt ist es nicht entscheidend, ob jemand Theologie studiert hat und ob jemand damit seinen Lebensunterhalt verdient. Paulus weist ja am Ende seiner Predigt darauf hin, dass er seinen Lebensunterhalt mit einem Handwerk verdient, um den Gemeinden nicht zur Last zu fallen. Er wollte damit ein Zeichen dafür setzen, dass Geben seliger als Nehmen ist. Entscheidend ist beim Hirtenamt, dass jemand vom Heiligen Geist in dieses Amt eingesetzt wurde – nach welchen Ordnungen und Ritualen auch immer. Das war bei den Ältesten von Ephesus ausdrücklich der Fall. Für „Älteste“ steht da im griechischen Urtext übrigens das Wort „presbyteroi“, daraus ist das deutsche Wort „Priester“ entstanden. Das Neue Testament nennt sie an anderer Stelle auch „Hirten“ und „Lehrer“: Sie sollen Gottes Wort „lehren“ beziehungsweise verkündigen, und indem sie das tun, sollen sie die Gemeinde „weiden“, also verantwortlich versorgen und leiten. Das Wort „Bischof“ bezeichnete ursprünglich kein anderes Amt; erst später hat man es auf Ober-Pastoren beschränkt. Es leitet sich vom griechischen Wort „episkopos“ her, was man mit „Überwacher“ oder „Aufseher“ übersetzen kann. Gemeindehirten sollen also nicht nur einfach verkündigen, sondern sie sollen auch darauf achthaben, dass die rechte Verkündigung in ihrer Gemeinde gewährleistet bleibt und dass falsche Lehren abgewehrt werden.
Letzteres lag Paulus besonders am Herzen, denn er sah Gefahren kommen. Darum sagte er: „Das weiß ich, dass nach meinem Abschied reißende Wölfe zu euch kommen, die die Herde nicht verschonen werden. Auch aus eurer Mitte werden Männer aufstehen, die Verkehrtes lehren, um die Jünger an sich zu ziehen. Darum seid wachsam…“ Auch Jesus selbst hatte ja schon vor falschen Propheten und „Wölfen im Schafspelz“ gewarnt. Die Gefahr für das Evangelium kommt dabei nicht nur von außen, von den erklärten Feinden Christi, sondern auch von innen, aus der Kirche und Gemeinde selbst. Darum ist es noch heute ganz wichtig, dass Pastoren nicht nur Gottes Wort getreu nach der Bibel lehren, sondern auch falsche Lehren beim Namen nennen und zurückweisen. Leider geschieht das heute in der Christenheit viel zu wenig, und dann meistens noch halbherzig. Dabei wird gerade heute unter Christen viel dummes Zeug gelehrt und noch mehr heilsame Lehre einfach verschwiegen. Da verleugnet man unter anderem die Gottheit Christi, seine Geburt durch die Jungfrau Maria, sein Sühnopfer am Kreuz und seine leibliche Auferstehung. Da wird überhaupt Jesus als der einzige Weg zum himmlischen Vater verschwiegen und stattdessen nur ein allgemeiner Gottesglaube gepredigt. Und da wird die Geltung von Gottes Geboten in Frage gestellt. Ein rechter Gemeindehirte muss solche Missstände als „Bischof“ im Sinne von „Überwacher“ beim Namen nennen und davor warnen.
Liebe Brüder und Schwestern, es sind hohe Anforderungen, die Gott ans Hirtenamt stellt. Es ist ein schweres und verantwortungsvolles Amt. Es ist in besonderem Maß mit dem Kreuz der Nachfolge belastet. Es ist eigentlich ein Amt, das sich kein Mensch zutrauen kann, wenn er es denn ernst nimmt. Ich selbst frage mich immer wieder, ob ich diesem Amt gewachsen bin. Und dann stelle ich fest: eigentlich bin ich das nicht. Aber da ist auf der anderen Seite Gottes Ruf und Auftrag – wer könnte dem ausweichen? So diene ich in diesem Amt mit Zittern und Zagen und so gut es eben geht. Da ist es wichtig, dass andere Christen für mich beten, nicht zuletzt auch ihr, die mir anvertraute Gemeinde. Denn das Hirtenamt kann niemand ausüben ohne die Hilfe des Oberhirten, und die will erbeten sein. Das Schöne ist aber nun, dass Gott diese Hilfe auch versprochen hat und dass wir uns auf sie verlassen können. Das gilt übrigens nicht nur für das Hirtenamt, sondern für jedes Christenleben. Gerade in schwierigen Herausforderungen sollten wir nie vergessen, dass Gott uns beisteht und hilft. So braucht es uns nicht zu wundern, dass der Hirte Paulus den Hirten von Ephesern mitten im Ermahungsteil seiner Abschiedspredigt diese ermunternden Worte sagt, mit denen ich jetzt meine Predigt beschließe: „Nun befehle ich euch Gott und dem Wort seiner Gnade, der da mächtig ist, euch zu erbauen und euch das Erbe zu geben mit allen, die geheiligt sind.“ Amen.
PREDIGTKASTEN |