Neugeborene

Predigt über 2. Mose 1,6‑21 zum Sonntag Quasimodogeniti

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Das Thema des heutigen Sonntags sind Neu­geborene. Der Name „Quasimodo­geniti“ bedeutet „wie neu geborene Kinder“. Darum lasst uns jetzt eine biblische Geschichte über Neugeborene betrachten: die Geschichte, wie sich das Volk Israel in Ägypten rasant vermehrte und wie der Pharao dieses Wachstum zu stoppen versuchte. Er versuchte es, indem er die Schwächsten verfolgte: die Neu­geborenen.

Man kann diese biblische Geschichte wie jede biblische Geschichte durch ver­schiedene Brillen betrachten; dann sieht sie jedesmal etwas anders aus. Wir kennen das: Die Welt um uns herum sieht jedesmal anders aus, wenn wir sie durch eine Sonnen­brille oder durch eine Lesebrille oder durch eine rosarote Brille oder durch gar keine Brille betrachten.

Schauen wir auf unsere Geschichte zunächst durch die politische Brille. Da sticht uns ein mächtiger Pharao ins Auge. Er war damals, im zweiten Jahrtausend vor Christus, einer der mächtigsten Leute der antiken Welt. Man könnte ihn heute mit Putin vergleichen oder mit Obama oder mit Merkel. Nur dass er seine Macht, wie damals üblich, ziemlich absolut ausüben konnte, ohne Rücksicht auf Wähler, Parlamente oder eine unabhängige Justiz. Auch wenn heute manchmal das Gegenteil behauptet wird, muss man von Gottes Wort her sagen: Macht an sich ist nichts Schlechtes. In der Bibel steht sogar, dass alle politische Macht von Gott ausgeht. Das bedeutet keineswegs, dass Gott alles gutheißt, was Machthaber tun; es bedeutet vielmehr, dass sie vor Gott ver­antwort­lich sind und sich tatsächlich auch einmal vor ihm für ihr Regieren ver­antworten müssen. Der Pharao hatte also große Macht, aber er hatte auch große Angst. Vielleicht so wie Putin vor der Nato und wie Obama vor dem ameri­kanischen Kongress und wie Merkel vor der nächsten Koalitions­krise. Der Pharao hatte Angst vor den Hebräern, jenem fremden Volk, das da in seiner Mitte wohnte und immer zahlreicher wurde. Er be­fürchtete, dass sie sich einmal gegen ihn wenden würden. So griff er zu Mitteln, die man keinesfalls vor Gott ver­antworten kann: Erst unter­drückte er die Hebräer mit Zwangs­arbeit, dann wollte er zusätzlich noch die Ermordung aller neu­geborenen Jungs durch­setzen. Es ist ein Jammer, dass schon damals Kinder politischen Macht­spielen geopfert werden sollten, die Aller­schwächsten der Gesell­schaft. Herodes der Große hat es dann ebenso gemacht beim Kindermord in Bethlehem. Fanatische Diktatoren setzen Kinder im Krieg als lebendige Schutz­schilde ein. Und unsere Regierung lässt es geschehen, dass in Deutschland Jahr für Jahr hundert­tausend Kinder getötet werden, noch ehe sie überhaupt geboren sind. Macht an sich ist nicht schlecht, aber niemand sollte sie miss­brauchen. Und niemand sollte sich ängstlich an sie klammern, denn Gott verleiht sie sowieso immer nur auf Zeit.

Schauen wir nun durch die Migranten-Brille auf unsere Geschichte. Die Hebräer waren als Migranten nach Ägypten gekommen. Man würde sie heute Wirtschafts-Flüchtlinge nennen: Sie waren vor einer Hungersnot in Kanaan geflohen und hatten in Ägypten eine neue Heimat gefunden. Solange sie nur eine kleine Nomaden-Sippe waren und solange Josef aus ihren Reihen in der Gunst des Pharao stand, war das nicht proble­matisch. Die Probleme eskalierten erst gut dreihundert Jahre später: Der Pharao, der dann an der Macht war, wusste nichts von Josef, und aus der harmlosen Nomaden-Sippe war ein großes und schnell wachsendes Volk geworden. Es ist so ähnlich wie mit den Türken in Deutsch­land, nur dass es da nicht dreihundert Jahre, sondern nur drei Gene­rationen gedauert hat. Der Mensch hat ein natürliches Misstrauen gegen alles Fremde; so war es damals bei den Ägpytern hinsicht­lich der Hebräer, und so ist es heute bei vielen Deutschen hinsicht­lich der Mitbürger mit Mitgrations­hinter­grund. Aber wir sollten uns ihretwegen weder ängstigen noch ärgern, sondern wir sollten dankbar für sie sein. Sie bereichern unsere Gesell­schaft in vielfacher Hinsicht. Damals haben die Hebräer den ent­scheidenden Beitrag dazu geleistet, dass berühmte Städte entstanden; die Ruinen kann man noch heute bestaunen. Und wir würden wir es schmerzlich merken, wenn plötzlich alle Be­schäftigten mit Migrations­hintergrund ausfallen würden. Für uns Christen ist die Zu­gehörig­keit zum Reich Gottes ohnehin wichtiger als die Herkunft oder die Natio­nalität. Und wo die Migranten keine Christen sind, sollten wir die Chance wahrnehmen und ihnen unsern Glauben vorleben.

Drittens betrachten wir die Geschichte durch die moralische Brille. Über die ver­werflichen Mord­absichten des Pharao habe ich bereits gesprochen, da erübrigt sich jeder weitere Kommentar. Aber werfen wir jetzt mal einen Blick auf die Hebammen. Der Pharao hatte ihnen den Befehl gegeben, alle hebräischen Jungs gleich nach der Geburt heimlich ver­schwinden zu lassen. Er dachte so: Wenn eine Hebamme einen neu­geborenen Knaben sofort tötet und dann der Familie weismacht, es wäre eine Totgeburt, dann ließe sich der Plan ohne großes Aufsehen ver­wirklichen. Die Hebammen aber, heißt es, fürchteten Gott. Zwar war das fünfte Gebot „Du sollst nicht töten“ noch nicht verkündet (das geschah erst ein paar Jahre später am Berg Sinai), aber doch wussten die Hebammen in ihrem Gewissen, dass man keinen Menschen töten darf. So ent­schlossen sie sich, den Befehl des Pharao nicht auszuführen – allerdings heimlich und mit List. Das geschah nicht aus über­triebener Ängstlich­keit, sondern das war vernünftig: Wenn sie dem Pharao offenen Widerstand geleiset hätten, dann hätten sie wahr­scheinlich selbst nicht mehr lange gelebt. So machten sie dem Pharao weis, dass sie bei vielen Geburten zu spät kämen, weil die hebräischen Frauen in Rekordzeit gebärten. Wer jetzt durch eine super­scharfe moralische Brille schaut, stellt fest: Die Hebammen haben gelogen. War das denn nicht böse? Natürlich gab es damals auch das achte Gebot noch nicht: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“, aber in ihrem Gewissen hätten die Hebammen spüren müssen, dass man stets die Wahrheit sagen soll. Was wir hier vorliegen haben, ist nun aber ein ethischer Konflikt, eine Zwickmühle: Entweder die Hebammen sagen die Wahrheit, und viele Neugeborene müssen sterben, oder sie lügen, und die Neu­geborenen bleiben am Leben. Die Hebammen haben sich für das kleinere Übel ent­schieden, das Lügen nämlich, und das war richtig so. Die Bibel berichtet aus­drücklich, dass Gott ihr Tun belohnte und ihre Familien segnete. Natürlich gelten Gottes Gebote immer und überall, aber dass heißt nicht, dass sie immer und überall stur und buch­stäblich eingehalten werden müssen. Wo Gebot gegen Gebot steht, da sollte man sich mutig für das kleinere Übel ent­scheiden. Allerdings muss man dann schon sehr sicher sein, dass es wirklich das kleinere Übel ist.

Viertens betrachten wir die Geschichte durch die alt­testament­liche Brille. Gott hatte Abraham, Isaak und Jakob beziehungs­weise Israel feierlich geschworen, dass ihre Nachkommen ein großes Volk werden würden. Unser Bibeltext bezeugt, dass Gott Wort gehalten hat: „Die Nachkommen Israels zeugten Kinder und wurden überaus stark, sodass von ihnen das Land voll ward.“ Wir können Gott voll vertrauen, dass er seine Zusagen wahrmacht. Auch was er uns versprochen hat, wird er treulich halten. Vor allem denke ich da an sein Ver­sprechen, dass alle, die an Jesus glauben, das ewige Leben haben. Das gehört zwar eigentlich mehr zur neu­testament­lichen Brille, hat aber auch mit der alt­testament­lichen zu tun. Denn die ganze Geschichte des Volkes Israel ein­schließlich ihrer Vor­geschichte ist kein Selbst­zweck, sondern Gottes Weg­bereitung für den Heiland Jesus Christus. Gott hat den Erzvätern ja nicht nur ver­sprochen, dass sie zahlreiche Nachkommen haben werden, sondern auch, dass auf diesem Wege einmal Segen für alle Völker kommen wird. So hat Gott Abraham berufen, damit durch ihn der Heiland kommt. So hat Gott Israels Sippe vor dem Hungertod bewahrt und nach Ägypten geführt, damit durch sie der Heiland kommt. So hat Gott die Hebräer in Ägypten vor den Mordplänen des Pharao beschützt, damit durch dieses Volk der Heiland kommt. So hat Gott dieses Volk befreit, im verheißenen Land an­gesiedelt, gesegnet und trotz grober Gott­losig­keit nicht ausgerottet – alles, damit durch dieses Volk der Heiland der Welt kommen kann. Wenn wir als Christen durch die alt­testament­liche Brille sehen, dann sehen wir dabei stets auch die Vor­bereitung des neuen Bundes.

Und schließlich betrachten wir die Geschichte durch die Christus-Brille, das ist die neu­testament­liche Brille. Da ist dann das Volk Israel ein Urbild für die Christen­heit. Auch die Christen­heit ist ja aus kleinsten Anfängen zu einem riesigen Volk heran­gewachsen. Dem bösen Feind gefällt das freilich nicht; er hätte gern so viel Macht wie Gott, und darum versucht er wie der Pharao damals mit fiesen Tricks, Gottes Volk aus­zurotten. Er mag zwar hier und da jemanden vom Glauben abbringen, aber er kann trotzdem nicht verhindern, dass Gottes Volk wächst. Dabei müssen wir bedenken, dass im Reich Gottes andere Gesetze des Be­völkerungs­wachstums herrschen als in der Welt. In der Welt schrumpft die Bevölkerung immer dann, wenn die Sterberate höher ist als die Geburten­rate. Aber in Gottes Volk gibt es eigentlich keine Sterberate, denn wer zum ewigen Leben wieder­geboren ist, der lebt ja ewig. Die vielen Christen, die bereits gestorben sind, sind eigentlich nicht gestorben, sondern nur heim­gegangen, eingegangen in das verheißene Land der ewigen Seligkeit. So wächst die Zahl der Aus­erwählten in einem Fort – solange, bis ihre Zahl erfüllt ist. Auf Erden mag sich zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten die Zahl der Christen zwar kümmerlich ausnehmen, und wir blicken auch sorgenvoll auf die sogenannten „über­alterten“ Gemeinden. Aus himmlischer Perspektive aber ist Gottes Volk gesund und stark wie die Hebräer damals in Ägypten. Das kann uns trösten, wenn uns die Kleinheit manchmal zur Anfechtung wird.

Durch fünf Brillen haben wir die Geschichte von den neu­geborenen Hebräern betrachtet. Die letzte Brille, die Christus-Brille, ist die wichtigste: Wenn wir die Bibel lesen oder aus ihr vorgelesen bekommen, sollten wir es nie versäumen, diese Christus-Brille auf­zusetzen. Die Heilige Schrift selbst bezeugt, dass Jesus die Mitte der Schrift ist, der eine Schlüssel zu ihrem rechten Verständ­nis. Die Christus-Brille ist es auch, die uns nun wieder zum Thema des Sonntags Quasimodo­geniti zurück­führt. Denn die Neu­geborenen, die im Sonntags­namen genannt sind, das sind keine anderen als die Neu­geborenen in Gottes Volk der Christen­heit: die Wieder­geborenen, die Getauften. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2014.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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