Verlass dich nicht auf deinen Verstand

Predigt über Sprüche 3,5‑6 zu einer Beerdigung

Liebe Trauergemeinde!

Ich habe den Ver­storbenen zwar erst vor ein paar Jahren kennen­gelernt, aber ich kann mir vorstellen, wie er als Kind war: aufgeweckt, wiss­begierig, praktisch und auch ein bisschen kritisch. Das wird seinem damaligen Pfarrer im Konfir­manden­unterricht nicht verborgen geblieben sein. Der Pfarrer hat ihm wohl aus diesem Grund folgenden Vers aus den Sprüchen Salomos als passenden Konfir­mations­spruch heraus­gesucht: „Verlass dich auf den Herrn von ganzem Herzen, und verlass dich nicht auf deinen Verstand, sondern gedenke an ihn in allen deinen Wegen, so wird er dich recht führen.“

Nicht dass ein heller Verstand schlecht wäre. Im Gegenteil: Er ist eine gute Schöpfer­gabe Gottes. Der Verstorbene war mit dieser Gabe gesegnet, auch wenn er keine höhere Bildung erworben hatte. Sein konstruk­tive praktische Intelligenz kam ihm sowohl beruflich als auch in seinem Privatleben als Heimwerker und Bastler zugute. Außerdem nehme ich an, dass seine gutmütige, etwas zurück­haltende Art von seinem Verstand geprägt war: Er war wohl zu klug, um sich mit anderen anzulegen.

Aber der Verstorbene hat auch die Grenzen des mensch­lichen Verstandes kennen­gelernt. Er hat erfahren: Selbst wenn man sich das Leben schön einrichtet, ist das keine Garantie zum Glücklich­sein. Die Gespräche, die ich mit ihm immer wieder mal führte, berührten ebenfalls die Grenzen der Vernunft. Wir sprachen über die Schöpfung, die Entstehung der Welt. Wir stellten fest: Es ist viel ver­nünftiger, hinter der genialen Ordnung der Natur­gesetze einen göttlichen Schöpfer­geist anzunehmen als zu behaupten, es sei alles durch Zufall von selbst entstanden. Wir kamen aber auch an jene Vernunft-Grenze, die für die meisten Menschen schwer erträglich ist: die Frage nämlich, warum es soviel Bosheit und Leid in der Welt gibt. Auf diese Frage wussten wir beide keine vernünftige Antwort.

„Verlass dich auf den Herrn von ganzem Herzen, und verlass dich nicht auf deinen Verstand“, so hat es der Verstorbene bei seiner Konfir­mation mit auf den Lebensweg bekommen. Ehrlich gesagt: Er hat sich schwer damit getan, das Gott­vertrauen über die Vernunft zu setzen. Er war kein Kirch­gänger, er war eher ein Skeptiker. Jedenfalls bis kurz vor dem Ende seines Lebens. Denn da sieht ja alles noch einmal ganz anders aus: Es ist eine Sache einzusehen, dass jeder Mensch einmal sterben muss, und eine andere Sache, selbst unmittelbar vor dieser Schwelle zu stehen. Denn was kann der Verstand über den Verbleib der Seele sagen, wenn sichtbar nur der seelenlose Körper übrig bleibt? Nichts. Für diesen letzten Weg des Menschen gilt noch mehr als für den ganzen Lebensweg davor: „Verlass dich auf den Herrn von ganzem Herzen, und verlass dich nicht auf deinen Verstand, sondern gedenke an ihn in allen deinen Wegen, so wird er dich recht führen.“ Der Verstand sagt: Mit dem Tod ist alles aus. Der Teufel sagt: Dann ist die Seele in Ewigkeit verloren, weil sie vor Gottes letztem Gericht nicht bestehen kann. Jesus aber sagt: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden“ (Markus 16,16), der hat das ewige Leben.

Ich habe den Ver­storbenen auf dem Sterbebett daran erinnert, dass er getauft ist und dass Jesus ihn seit dem Tag seiner Taufe gesucht hat – gesucht, um ihn für das ewige Leben zu gewinnen. Auf seinem Sterbebett war er so weit, dass er von Jesus gefunden werden wollte. Da warf er schließlich die Zweifel des Verstandes über Bord und empfing die heilige Absolution, den Zuspruch der Sünden­vergebung im Namen Jesu. Halleluja, was für eine Freude bei den Engeln im Himmel! So betten wir heute seinen Leib in die Erde mit der Zuversicht, dass er zum ewigen Leben im Himmel auferstehen wird. Dazu hat Jesus ihn erlöst, dazu ist er getauft worden, und darauf hat er sich bei seinem letzten schweren Weg verlassen – bei dem Weg, wo der Verstand nicht helfen kann, sondern nur das Vertrauen in den all­mächtigen Gott und seinen Sohn Jesus Christus, unsern Heiland.

Liebe Trauer­gemeinde, lasst uns darum heute dies zu Herzen nehmen und für unsere eigenen Lebenswege mitnehmen, was dem Ver­storbenen damals bei seiner Kon­firmation auf den Weg gegeben wurde und was stärker ist als der Tod: „Verlass dich auf den Herrn von ganzem Herzen, und verlass dich nicht auf deinen Verstand, sondern gedenke an ihn in allen deinen Wegen, so wird er dich recht führen.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2014.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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