Jesus begleiten

Predigt über Epheser 6,18‑20 zum Sonntag Estomihi

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wir wissen, dass Jesus uns durchs Leben begleitet, und wir freuen uns darüber. Wir sind nie allein; Jesus ist immer an unserer Seite. Er ja ver­sprochen: „Ich bin bei euch alle Tage“ (Matth. 28,20). Am Tag deiner Taufe ist er in dein Leben getreten und geht seitdem jeden Tag mit dir mit. Er beschützt uns, er tröstet uns, er hilft uns. Für viele Menschen ist dies das Wichtigste am Glauben: dass Jesus uns durchs Leben begleitet. Aber andersherum gilt auch: Wir begleiten Jesus, wir gehen an seiner Seite. So, wie Jesus für uns da ist, sind auch wir für ihn da. Vielleicht überrascht euch dieser Gedanke. Vielleicht meint ihr, Jesus hätte das gar nicht nötig. Und doch: Wenn wir Gemein­schaft mit Jesus haben und wenn er unser Freund ist, dann sind auch wir für ihn da, nicht nur er für uns. Wenn wir Jesus unsern Herrn nennen und dabei nicht heucheln, dann bedeutet das doch: Wir wollen ihm dienen, wir wollen für ihn da sein. Jesus will das aus­drücklich. Er ist für alle da, die ihm nachfolgen, aber er möchte auch, dass seine Jünger für ihn da sind.

Erinnern wir uns an seine schlimme Nach im Garten Gethsemane. Da forderte er seine Jünger auf, ihn nicht ihm Stich zu lassen, sondern ihm in dieser dunklen Stunde bei­zustehen. Er sagte zu ihnen: „Wacht mit mir; wacht und betet!“ (Matth. 26,38.41). Das galt nicht nur den Jüngern damals in dieser einmaligen Situation, sondern das gilt für alle Jünger aller Zeiten, das gilt auch dir und mir. Der Apostel Paulus hat diese Auf­forderung des Herrn auf­gegriffen und am Ende des Epheser­briefs wiederholt: „Betet allezeit mit Bitten und Flehen im Geist und wacht dazu mit aller Beharrlich­keit im Gebet…“ Also: Betet und wacht! Wenn wir beten, dann tun wir damit nicht nur uns selbst etwas Gutes, sondern dann ehren wir damit zugleich den himmlischen Vater und tun etwas für sein Reich, dass es komme und sein Wille geschehe. Wenn wir beten, dann begleiten wir Jesus und sein Heilswerk auf dem kleinen Abschnitt der Welt­geschichte, in dem wir leben. Beten ist nicht nur unser Bedürfnis und Vorrecht, sondern es ist zugleich auch Aufgabe und Dienst: „Betet allezeit! Wacht mit aller Beharrlich­keit!“ Nur nicht müde und lau werden, nur keine halben Sachen machen! Allezeit, mit aller Beharrlich­keit!

Wie wir beten sollen, das wissen wir, und wir wissen auch, dass wir es regelmäßig und oft tun sollen. Aber in der Aufforderung „Wacht!“ steckt noch mehr drin. Es geht dabei nicht darum, dass wir uns vor dem Beten den Schlaf aus den Augen reiben; Gott erwartet auch nicht von uns, dass wir ganze Nächte lang betend verbringen. „Wachen“ meint vielmehr „wachsam sein“, „aufmerksam sein“, so wie ein Wächter. Jesus und Paulus meinen Glaubens-Wachsam­keit, also das nie ermüdende Vertrauen in Gott und in sein Heil. „Wacht mit aller Beharrlich­keit“ bedeutet: Bleibt dran am Glauben, beharrt darin bis ans Ende, bis Jesus sichtbar wieder­kommt. In Gethsemane hat Jesus an das „Wacht“ deshalb noch angefügt: „… damit ihr nicht in Anfechtung fallt.“ Jesus möchte, dass wir vertrauens­voll an seiner Seite bleiben und uns nicht beirren lassen von all den vielen Dingen um uns herum, die uns den Glauben kaputt machen wollen. Jesus möchte, dass wir beharrlich bei ihm bleiben, un­erschütter­lich, geradezu stur. „Betet – allezeit! Wacht – mit aller Beharrlich­keit!“

Aber was sollen wir beten – außer, dass wir nicht in Anfechtung fallen, sondern im Glauben bewahrt bleiben? Paulus schrieb den Ephesern in seiner aktuellen Situation: „für alle Heiligen und für mich.“ Jesus mit Beten und Wachen zur Seite stehen, das ist jetzt, nach seiner Himmel­fahrt, gleich­bedeutend mit der Fürbitte für Mit­christen. Denn alles, was wir den Brüdern und Schwestern im Glauben zuliebe tun, das tun wir ja zugleich Jesus zuliebe.

An dieser Stelle sollten wir uns die besondere Situation des Paulus vor Augen führen. Was hat ihn veranlasst, um Fürbitte für sich selbst zu bitten? Er schreibt es ganz offen: „Ich bin in Ketten.“ Paulus sitzt im Gefängnis. Natürlich unschuldig. Da ist es nahe­liegend, dass seine Mitchristen für ihn beten. Und worum sollen sie Gott bitten? Man könnte denken: darum, dass Paulus bald wieder frei kommt. Aber gerade das erwartet Paulus nicht von der Fürbitte. Es geht ihm nicht um seine persön­liches Wohlergehen oder um seine Selbst­entfaltung; auch hält er sich durchaus nicht für un­entbehr­lich im missio­narischen Reise­dienst. Nein, Paulus bittet vielmehr um Folgendes: „Betet für mich, dass mir das Wort gegeben werde, wenn ich meinen Mund auftue, freimütig das Geheimnis des Evangeliums zu ver­kündigen, dessen Bote ich bin in Ketten, dass ich mit Freimut davon rede, wie ich es muss.“ Das merken wir: Es geht Paulus vorrangig um das Evangelium von Jesus Christus. Er will auch im Gefängnis ein guter Botschafter des Herrn sein. Das Wort „Bote“ bedeutet tatsächlich „Bot­schafter“ im politischen Sinn; es bezeichnet den offiziellen Abgesandten eines Königs. Paulus sagt sich also: Wenn Gott es so gefügt hat, dass ich im Gefängnis gelandet bin, dann wird er sich dabei etwas gedacht haben; ich soll offenbar auch hier sein Bote sein. Nun kommt es darauf an, dass Paulus auch im Gefängnis seinen Apostel-Auftrag ausführt und als Christi Botschafter spricht. Paulus weiß, dass Christus ihm in dieser misslichen Situation beisteht; nun ist ihm vor allem wichtig, dass er seinerseits auch Christus beisteht und das Heilswerk des Herrn unter den Mit­gefangenen und Wärtern verkündigt. Paulus will nicht schläfrig und träge sein, er will sich nicht mit Zweifeln zergrübeln, warum aus­gerechnet er im Gefängnis gelandet sein. Paulus wacht mit seinem Herrn und betet; er hält mit wachem Glauben an ihm fest und bekennt diesen Glauben un­erschrocken vor Freund und Feind.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, da können wir uns eine dicke Scheibe ab­schneiden. Denn wie leicht haben wir nur unser eigenes Wohl im Blick, wenn wir beten oder andere um Fürbitte bitten. Und wie schwer besinnen wir uns darauf, dass wir in allen Lebenslagen Jünger Jesu sind und bleiben – aufgerufen, seine Liebe mit Wort und Tat zu bezeugen. Zwar befinden wir uns nicht im Gefängnis wie Paulus, und die Wahr­scheinlich­keit ist auch relativ gering, dass demnächst einer von uns ins Gefängnis kommt. Aber die Haltung des Paulus lässt sich durchaus auf andere Situationen übertragen: aufs Kranken­haus, auf den Arbeits­platz, auf die Arbeits­losigkeit oder auf ein un­erfreu­liches Zusammen­treffen mit anderen Menschen. Wir dürfen sicher sein, dass Jesus da in jedem Fall bei uns ist; er lässt uns nicht im Stich. Aber wir sollen auch bedenken: Jesus möchte, dass wir ihm beistehen und uns auch in un­angenehmen oder schwierigen Situationen als seine Jünger bewähren. Es sollte nicht unser vorrangiges Gebets­anliegen sein, dass wir aus einer solchen Situation möglichst schnell und bequem wieder heraus­kommen, sondern es sollte unser vorrangiges Gebets­anliegen sein, dass wir uns in einer solchen Situation so verhalten, wie es unserm Herrn gefällt und wie es seinem Evangelium dient. Obwohl wir keine Apostel sind, sind auch wir auf­gefordert, unsern Glauben zu bezeugen.

Damit haben wir nun im Wesent­lichen erfasst, was Gott uns durch dieses Wort aus dem Epheser­brief sagen will. Aber auf Eines möchte ich zum Schluss noch hinweisen. Paulus wollte fähig werden, „freimütig das Geheimnis des Evangeliums zu ver­kündigen“, so schrieb er. Dieser Begriff taucht nicht nur hier auf, sondern auch an mehreren anderen Bibel­stellen. Wenn wir heute das Wort „Geheimnis“ hören, dann denken wir an eine Botschaft, die nicht weiter­gesagt werden darf; wer sie dennoch weitersagt, der begeht Geheimnis-Verrat. Wenn wir die frohe Botschaft von Jesus Christus in dieser Weise als Geheimnis ansehen würden, dann würden wir etwas gründlich miss­verstehen. Manche Christen verhalten sich ja wirklich so: Sie behandeln ihren Glauben als absolute Privat­sache, die niemanden etwas angeht. Aber wir haben ja bereits fest­gestellt, dass das nicht im Sinne des Herrn ist. Er möchte vielmehr, dass wir ihm zur Seite stehen bei seinem Heilswerk und jede Gelegenheit nutzen, sein Evangelium zu bezeugen. Ein „Geheimnis“ ist die frohe Botschaft von seiner Erlösung nur in der Hinsicht, dass kein Mensch von allein darauf kommen kann; sie ist der natürlichen mensch­lichen Vernunft verborgen. Vielleicht hast auch schon mal Äußerungen gehört wie diese: Dass durch den Kreuzestod Jesu die Sünden der ganzen Welt gesühnt sind, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen; wie soll das denn funktio­nieren? Andere verstehen nicht, wie denn im Abendmahl Leib und Blut Christi mit Brot und Wein zusammen­kommen können. Sie haben Recht: Da gibt es tatsächlich nichts zu verstehen; für die menschliche Vernunft ist und bleibt es ein Geheimnis. Gott erwartet auch gar nicht von uns, dass wir das Evangelium verstehen, aber er erwartet von uns, dass wir es glauben. Gott selbst hat uns dieses „Geheimnis“ kundgemacht und offenbart; wir sollen es einfach hören, annehmen und kindlich glauben. Dass es für unsere Vernunft ein Geheimnis bleibt, zeigt ja gerade, das es nicht von mensch­licher Weisheit herkommt, sondern von Gott.

Liebe Brüder und Schwestern: Betet und wacht! Haltet fest am Glauben, haltet fest am Geheimnis des Evan­geliums! Aber behaltet es nicht wie ein Geheimnis für euch, sondern bezeugt es, wann immer ihr Gelegenheit dazu habt! Wenn ihr das tut, dann steht ihr Jesus so zur Seite, wie er es möchte. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2014.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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