Wie Gottes Liebe sichtbar wird

Predigt über 1. Johannes 3,1‑6 zum 1. Weihnachtsfeiertag

Seht: Was für eine Liebe hat uns der Vater gegeben, damit wir Gottes Kinder genannt werden, und wir sind es auch wirklich. (Deswegen versteht uns die Welt nicht, ebensowenig wie sie Christus versteht.) Geliebte, jetzt sind wir also Gottes Kinder, aber es ist noch nicht sichtbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen: Erst wenn Christus sichtbar wieder­kommen wird, werden wir ihm so gleichen, wie wir ihn dann seinerseits mit seiner wahren Gestalt sehen werden. Jeder, der in dieser Weise auf ihn hofft, heiligt sich, denn auch Christus ist ja heilig. Wer aber sündigt, der handelt unrecht, denn Sünde ist und bleibt Unrecht. Denkt daran: Christus kam sichtbar in die Welt, um die Sünden weg­zunehmen. Er selbst war dabei völlig frei von Sünde. Auch jeder, der zu ihm gehört, hat keine Sünde. Wenn jemand sündigt, hat er ihn noch nicht richtig kennen­gelernt und verstanden.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Weihnachten lässt sich nicht übersehen: Weihnachts­bäume, Weihnachts­männer, Weihnachts­sterne, Weihnachts­märkte, Weihnachts­feiern, Weihnachts­dekoratio­nen… Keiner schafft es, das zu ignorieren. Wir wollen Weihnachten aber auch gar nicht übersehen. Die Frage ist nur, worauf wir uns dabei konzen­trieren. Das ist ja eine Kunst, die man heutzutage beherrschen sollte: Sich auf das Wesentliche konzen­trieren. Wer zum Beispiel eine Zeitung anschaut, der wird kaum jedes Wort von Anfang bis Ende lesen, sondern er wird mit den Augen die Seiten überfliegen und nur den Artikeln seine volle Auf­merksam­keit widmen, die für ihn wichtig sind. So macht man es am besten auch mit Weih­nachten: Man überfliegt alles Weihnacht­liche mit den Augen und schaut dann intensiv auf das, was wirklich wichtig ist. Als kleine Hilfe gibt es da eine sprachliche Markierung, die lautet: „Seht!“ Sie begegnet uns im Weihnachts­lied „Ihr Kinderlein kommet“ in der zweiten Strophe: „O seht in der Krippe im nächtlichen Stall, / seht hier bei des Lichtleins hell­glänzendem Strahl / in reinlichen Windeln das himmlische Kind, / viel schöner und holder, als Engel es sind.“ Das ist wirklich wichtig: Das Kind in der Krippe verdient unsere größte Auf­merksam­keit zum Weihnachts­fest. Dieselbe sprachliche Markierung finden wir in unserem heutigen Predigttext aus dem 1. Jo­hannes­brief: „Seht: Was für eine Liebe hat uns der Vater gegeben!“ Mit dem Kind in der Krippe ist Gottes Liebe sichtbar geworden – allerdings in einer ganz besonderen Weise. Wie sie ist, wollen wir nun in diesen drei Schritten bedenken: 1. Gottes Liebe ist schon sichtbar, 2. Gottes Liebe ist noch nicht ganz sichtbar, 3. Gottes Liebe wird einmal völlig sichtbar sein.

Erstens: Gottes Liebe ist schon sichtbar. „Seht: Was für eine Liebe hat uns der Vater gegeben!“ Was für eine Liebe – auf Lateinisch „qualis charitas“. Beim Wort „qualis“ (“was für eine“) kann uns das deutsche Wort „Qualität“ einfallen, und es fällt uns mit Recht ein. Gott hat uns mit Jesus eine Liebe von außer­ordent­licher Qualität geschenkt, von un­ermess­licher Größe und Glut. Gott hat uns mit Jesus erst­klassige Qualitäts-Liebe geschenkt. Seht das Kind in der Krippe! Er ist Gottes Sohn, geboren von der Jungfrau Maria. Gott hat nicht irgendein Menschen­geschöpf zum Erlöser ausersehen und auch keinen Engel, sondern seinen ein­geborenen Sohn, „viel schöner und holder, als Engel es sind“. Mit ihm ist Gott selbst zu uns in die Welt gekommen. „Uns ist ein Kind geboren“, prophezeite Jesaja, und fuhr dann fort: „Er heißt Ewig-Vater“. Seht an diesem Kind Gottes Qualitäts-Liebe! Und seht euch auch seinen Namen genau an, den ihm Maria und Josef in Gottes Auftrag gaben: Jesus heißt er, das bedeutet „Erlöser“, „Retter“ und „Heiland“. An diesem Namen sehen wir, wozu er auf die Welt gekommen ist: Um uns Menschen zu erlösen, zu retten und zu heilen – und zwar von der schlimmsten Krankheit, die es gibt, von der Sünden­krankheit nämlich. Auch daran erinnert uns der Apostel Johannes mit den Worten unseres Predigt­textes. Er schrieb: „Denkt daran: Christus kam sichtbar in die Welt, um die Sünden weg­zunehmen. Er selbst war dabei völlig frei von Sünde. Auch jeder, der zu ihm gehört, hat keine Sünde.“ Mit der Weihnachts­geschichte sehen wir vor unserem geistigen Auge auch den Ver­kündigungs­engel, der mit einem hellen Licht den Hirten auf den Feldern von Bethlehem erschien, und wir vernehmen seine Botschaft, die besagt: Große Freude und Friede auf Erden! Ja, achtet besonders darauf, richtet euer Augenmerk auf diese Hauptsache von Weih­nachten, auf Gottes erst­klassige Qualitäts-Liebe zu uns!

Wenn wir nun aber genau hinsehen, dann fällt uns auf: Gottes Macht und Herrlich­keit sind beim Kind in der Krippe äußerlich verborgen. Gottes Macht und Herrlich­keit erscheinen bei diesem Kind unter dem Anschein des Gegenteils. Die Armut der Krippe und des Stalls verrät nicht, dass hier der Herr aller Herren zur Welt gekommen ist. Dem Säugling sieht man nicht an, dass wir es hier mit Gott persönlich zu tun haben. Not­unterkunft und baldige Flucht legen nicht die Erwartung nahe, dass hier der lang erwartete Held kommt, der sein Volk erretten wird. Und so, wie es zu Weihnachten anfing, so ging es dann auch weiter mit Jesus. Sein großer Sieg über Sünde, Tod und Teufel geschah ebenfalls unter dem Anschein des Gegenteils, unter dem Anschein einer Niederlage: Seine Feinde nagelten ihn ans Kreuz. Aber gerade hier am Kreuz sehen wir Gottes Qualitäts-Liebe: „Seht: Was für eine Liebe hat uns der Vater gegeben!“

Diese Erkenntnis führt uns direkt zum zweiten Schritt unserer Be­trachtung: Gottes Liebe ist noch nicht ganz sichtbar. Sie ist zwar mit Jesus in dieser Welt erschienen, aber wer Jesus wirklich ist, das ist unter dem Anschein des Gegenteils verborgen. Wer Gott und seiner guten Botschaft nicht traut, der erkennt im Jesuskind nicht den Gottessohn, den Heiland und den Herrn aller Herren. Er hört zwar vom Heiland, aber er sieht noch viel Unheil und Krankheit in der Welt. Er hört zwar vom Frieden auf Erden, aber er sieht brutale Kriege sowie auch persönliche Klein­kriege. Er hört vom Herrn aller Herren, aber er nimmt die Kirche dieses Herrn als eine kopflos auf­gescheuchte und zerstreute Herde wahr. Wer heute Christus und sein Reich nach sichtbaren Tatsachen und beweisbaren Fakten beurteilt, wird nicht viel von ihm sehen. Nur wer sich von Gott Augen des Glaubens schenken lässt, wird als ein Gotteskind hinter allem Gottes große Qualitäts-Liebe erkennen. Johannes schrieb: „Deswegen versteht uns die Welt nicht, ebensowenig wie sie Christus versteht.“

Wie gesagt, Gottes Liebe ist noch nicht ganz sichtbar. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Liebe nicht vollkommen wäre oder dass sie noch klein und schwach wäre. Nein, mit dem Jesuskind ist Gottes Liebe ganz zu uns gekommen, zu hundert Prozent; nur ist sie eben noch nicht völlig sichtbar. Es ist so wie mit der Sonne an einem trüben Tag: Sie strahlt so stark wie sonst immer, aber weil dunkle Wolken zwischen ihr und uns stehen, sehen wir nur einen kleinen Bruchteil ihrer Strahl­kraft. Es kann nicht anders sein; Jesus selbst hat es voraus­gesagt: Wer Gottes Kind geworden ist, muss in dieser Welt noch unter dem Kreuz leben; Sünde und Leid machen ihm zu schaffen und können das Licht der göttlichen Liebe manchmal verdunkeln. Dass Gottes Liebe aber nach wie vor da ist, das zeigt Gott uns auch heute noch, wenngleich verborgen unter un­scheinbaren und armen Zeichen – wie damals in Bethlehem. So geschieht die neue Geburt eines Gottes­kindes in der Taufe mit schlichtem Wasser und Gottes Wort; beim Abendmahl wird etwas Brot und Wein zum Träger von Christi Leib und Blut; in der Wort­verkündi­gung geben schwache und fehlerhafte Zeugen das Evangelium weiter. Doch erweist sich Gottes Liebe gerade unter dem Anschein der Schwachheit als mächtig: Durch Wort und Sakrament breitet sich die Kirche seit zwei Jahr­tausenden in der Welt aus, sodass sich heute Gottes­kinder unter allen Völkern finden. Dass wir hier versammelt sind und Gottes­dienst feiern, ist nichts anderes als eine Auswirkung von Gottes erstaun­licher Qualitäts-Liebe, auch wenn sie noch nicht ganz sichtbar ist.

Dass sie noch nicht ganz sichtbar ist, zeigt sich auch an unserem eigenen Leben. Der Apostel Johannes schrieb: „Geliebte, jetzt sind wir also Gottes Kinder, aber es ist noch nicht sichtbar geworden, was wir sein werden.“ Gottes Liebe hat unsere Sünden­krankheit zwar schon in der Weise geheilt, dass wir vor ihm gerecht und heilig dastehen; Johannes schrieb: „Jeder, der zu ihm gehört, hat keine Sünde.“ Aber trotzdem sündigen wir immer noch – wir leben noch nicht im Himmel. Gottes Liebe füllt unser Herz zwar mit Glaube, Freude und Dank­barkeit, aber trotzdem sind wir noch nicht frei von Leid und Schmerzen. Christus ist zwar unser Herr und unser ganzes Leben gehört ihm, aber trotzdem müssen wir, menschlich gesehen, manche Niederlage einstecken und manchen Misserfolg hinnehmen. Es ist eben „noch nicht sichtbar geworden, was wir sein werden“.

Diese Erkenntnis kann zu einem ge­fährlichen Miss­verständnis führen. Es ist ein Miss­verständ­nis, das hierzulande in der Christen­heit weit verbreitet ist, auch unter evangelisch-luthe­rischen Christen. Dieses Miss­verständnis sagt so: Ich bin und bleibe nun mal ein Sünder, sodass Gottes Liebe in meinem Leben nicht ganz erkennbar ist; das macht aber nichts, weil ja alle Schuld durch Jesus bereits vergeben ist. Macht das wirklich nichts? O doch, es macht sehr wohl etwas! Denn je weniger von Gottes Liebe in deinem Leben erkennbar ist, desto mehr fügst du dir damit selbst und auch anderen Leid zu. Wenn du gar mutwillig sündigst und denkst, das sei doch egal, dann trittst du dadurch Gottes Gnade mit Füßen. Es darf uns nicht egal sein, wie teuer Jesus für die Tilgung unserer Schuld bezahlt hat! Nein, wer Gottes Kind und durch die Vergebung der Sünden heilig geworden ist, der wird aus Liebe zum Herrn, zum Mitmenschen und letztlich auch zu sich selbst alles daran setzen, nun auch heilig zu leben. Darum schrieb Johannes: „Jeder, der in dieser Weise auf ihn hofft, heiligt sich, denn auch Christus ist ja heilig. Wer aber sündigt, der handelt unrecht, denn Sünde ist und bleibt Unrecht.“ Und er bekräftigte noch einmal: „Wenn jemand sündigt, hat er ihn noch nicht richtig kennen­gelernt und ver­standen.“

Es ist doch so bei uns Gottes­kindern: Unser Glaube ist nicht nur eine Sehnsucht nach Gott und ein dankbares Empfangen seiner Qualitäts-Liebe in Christus, sondern unser Glaube ist auch eine Sehnsucht danach, dass wir ihm nun unserer­seits in Liebe danken. Wer Christus als seinen Herrn und Heiland angenommen hat, der will ihm nachfolgen und dienen. Er weiß: Christus hat mich heilig gemacht, darum möchte ich nun auch heilig leben. Noch einmal Johannes: „Jeder, der in dieser Weise auf ihn hofft, heiligt sich, denn auch Christus ist ja heilig.“ Wie aber machen wir das? Es kann nur so gehen, dass wir bei unserem Herrn und Meister in die Schule gehen. Da lernen wir dann, auf eigene An­nehmlich­keiten zugunsten anderer zu verzichten, so wie er die Herrlich­keit des Himmels verließ und auf unsere arme Erde kam. Da lernen wir, kindlich zu werden: demütig, klein und voller Vertrauen zum Vater, so wie Jesus sich zum kleinen Kind machte. Da lernen wir mithilfe der Gebote, Sünde zu erkennen, und dann arbeiten wir mit Gottes Hilfe daran, sie in Zukunft zu meiden. Da lesen wir in der Bibel und hören aufmerksam zu, wenn uns im Gottes­dienst daraus vorgelesen wird; so erfahren wir, wie Jesus selbst gelebt hat und was ihm gefällt. Wir lernen dabei: Jesus hat sich offen und liebevoll auf alle Menschen ein­gelassen, die zu ihm kamen. Er hatte keine Vorurteile hin­sicht­lich ihrer Herkunft, ihres Berufs, ihrer Überzeugung und ihres un­moralischen Verhaltens. Auf jeden hat er sich ein­gestellt; jedem ist er mit Liebe begegnet. Dabei hat er nicht nur immer gedient und gegeben, sondern er hat sich auch Auszeiten genommen zum Beten und zur Gemeinschaft mit seinen Freunden. Er hat regelmäßig die Synagogen­gottes­dienste und den Tempel besucht, so wie er es von seinen frommen Vorfahren gelernt hat. Er hat sich um seine Mutter gekümmert, sogar als er selbst schon dem Tod nahe war. Er war stets wahrhaftig, hat nicht geheuchelt oder angegeben, hat aber auch niemandem ge­schmei­chelt, niemanden zu überreden versucht. Ja, der Gottessohn ist ganz und gar Mensch geworden – aber so ein Mensch, wie Gott ihn sich bei der Schöpfung gedacht hat, also ohne Sünde. Wenn wir uns heiligen und als Gottes­kinder leben wollen, dann können wir das am besten lernen, wenn wir darauf achten, wie Jesus gelebt hat. Sich heiligen heißt eigentlich: Jesus immer ähnlicher werden. Ja, das sollte unser wichtigstes Anliegen sein. In Jesus wurde Gottes Qualitäts-Liebe sichtbar, und auch in unserem Leben soll sie sichtbar werden. Wenn uns das im Ansatz gelingt, wird es unseren Mitmenschen nicht verborgen bleiben, und sie können dann an uns etwas von Gottes Liebe ablesen. Auch auf diese Weise können wir Christi Gebot erfüllen: „Ihr sollte meine Zeugen sein“ (Apostel­gesch. 1,8). Wenn uns das im Ansatz gelingt – viel bessser wird es uns in dieser Welt wohl kaum gelingen, denn Gottes Liebe ist, wie gesagt, auch bei uns noch nicht ganz sichtbar.

Aber drittens gilt: Gottes Liebe wird einmal völlig sichtbar sein. Zu Weihnachten ist er zum ersten Mal gekommen, am Jüngsten Tag wird er wieder­kommen. Zu Weihnachten waren Gottes Reichtum und Macht verhüllt in der Schwachheit eines Neu­geborenen, der unter armseligen Umständen zur Welt kam. Am Jüngsten Tag aber wird er mit Kraft und Herrlich­keit wieder­kommen, sodass nicht nur die Gottes­kinder, sondern alle Welt erkennen wird: Er ist wahrhaftig der Herr! Er wird dann mit seinem siegreich verklärten Auf­erstehungs­leib erscheinen und alle, die zu ihm gehören, mit sich nehmen in die ewige Seligkeit. Zu Weihnachten hat er die Tür zum Paradies auf­geschlos­sen, die uns um unserer Sünde willen versperrt war, und am Jüngsten Tag wird er uns an die Hand nehmen und durch diese offene Tür hindurch­führen. Ja, dann wird Gottes Liebe völlig sichtbar werden. Wir werden sie dann auch am eigenen Leib sehen können: Alle Krankheiten und Be­hinderun­gen werden dann geheilt sein, und alle Tränen wird Gott dann abwischen. Es wird so sein, wie Johannes verhieß: „Wenn Christus sichtbar wieder­kommen wird, werden wir ihm so gleichen, wie wir ihn dann seinerseits mit seiner wahren Gestalt sehen werden.“ Auch wir werden dann einen siegreich verklärten Auf­erstehungs­leib haben, wie er. Und was unsere Heiligung anbetrifft, so wird sie dann kein Problem mehr darstellen: Im Himmel werden wir so sündlos leben, wie Jesus immer gelebt hat und wie es seiner voll­kommenen Vergebung entspricht. Eia, wärn wir da! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2013.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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