Diagnose und Heilung durch Gottes Licht

Predigt über Psalm 139,11‑12 zum 3. Advent

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Normaler­weise ziehen wir das Licht der Finsternis vor. Besonders in der dunklen Jahreszeit freuen wir uns über jede Kerze und jedes Licht. Aber es gibt Situ­ationen, in denen ist Licht nicht beliebt, ja, in denen scheuen Menschen geradezu das Licht. Wenn man sehr früh morgens im Bett liegt und noch halb schläft, und dann kommt jemand und knipst das große Licht an, empfinden wir das zunächst als unangenehm. Wir blinzeln dann, oder wir verkriechen uns unter der dunklen Bettdecke. Aus Spielfilmen kennen wir auch folgende Situation (hoffent­lich nur aus Spiel­filmen): Da wird ein Be­schuldig­ter von der Polizei verhört, und zu diesem Zweck strahlt man ihn mit einer Schreib­tisch­lampe an. Das ist unangenehm, nicht nur für die Augen. Der Verhörende will damit zum Ausdruck bringen: Jetzt wird das Verhalten des Ver­dächtigen genau durch­leuchtet; nichts wird mir verborgen bleiben, kein noch so kleiner dunkler Fleck auf der weißen Weste. Oder denken wir an das grelle Neonlicht über dem Behandlungs­stuhl eines Zahnarztes ober über einem Operationstisch: Das alles sind Lichter, die uns eher unangenehm sind.

Wenn in der Bibel von Gottes Licht inmitten der Finsternis unserer Welt die Rede ist, dann empfinden wir das normalerweise als erfreulich und tröstlich. Aber manchmal kann auch Gottes Licht so unangenehm werden wie das Lichtanschalten beim morgend­lichen Aufwachen, die Schreib­tisch­lampe beim Verhör oder die grelle Operations­leuchte. Das ist immer dann der Fall, wenn wir ein schlechtes Gewissen haben und uns schämen. Manche Taten, Worte und Gedanken möchten wir am liebsten nicht nur vor unseren Mitmenschen verstecken, sondern auch vor Gott. Keiner möchte gern von ihm ertappt werden; keiner möchte gern an Gottes Gegenwart denken, wenn er merkt, dass sein Verhalten nicht in Ordnung ist. Keiner – auch nicht der an sich so fromme David, der den 139. Psalm gedichtet hat. Am Anfang bezeugt er, dass Gott ihn völlig durch­schaut; Gott kennt alle seine Gedanken, Wege und Worte. Diese Erkenntnis wird David zu schwer, er kann sie nicht ertragen. Darum möchte er am liebsten weglaufen; er möchte vor Gottes All­gegen­wart und All­wissen­heit fliehen. Aber wohin? Am besten dahin, wo es dunkel ist und Gott ihn nicht sehen kann. Er möchte gewisser­maßen vor Gottes Schreib­tisch­lampe fliehen, die ihm anklagend ins Gesicht scheint und sagt: Bin ich dir wirklich wichtiger als alles andere im Leben? Und ist dir das Wohlergehen deiner Mitmenschen wirklich ebenso wichtig wie dein eigenes Wohl­ergehen? Liebst du den Herrn von ganzem Herzen, und deinen Nächsten wie dich selbst? Ja, vor diesem Licht von Gottes anklagender Schreib­tisch­lampe möchte David fliehen, und wir wollen das manchmal auch. Es ist so, wie wenn man sich am frühen Morgen vor dem hellen Zimmerlicht unter der Bettdecke verkriechen will. Aber geht das überhaupt: Sich vor Gott und dem Licht seines Angesichts zu verstecken, wenn es einem unangenehm wird?

David bekennt weiter: „Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein, so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht.“ Das bedeutet: Verstecken ist zwecklos. Wo wir meinen, dass wir in der Finsternis unter­tauchen können, da kann Gott immer noch sehen. Gott hat sozusagen ein Nachtsicht­gerät. So ein Nachtsicht­gerät ist eine beachtliche Erfindung: Auch wenn es nachts so dunkel ist, dass man die Hand nicht vor Augen sieht, kann man durch dieses Gerät wie durch ein Fernglas plötzlich alles ganz klar erkennen, als wäre es in helles Mondlicht getaucht. Eigentlich ist es dunkel, aber das Nachtsicht­gerät macht unsichtbare Strahlen sichtbar. So ist das auch bei Gott: „Finsternis ist wie das Licht.“ Wer meint, dass er sich mit seinen bösen Gedanken, Worten und Taten vor Gott verstecken kann wie im Dunkeln, der soll wissen: Für Gott ist es gar nicht dunkel, sondern Gottes Licht erreicht ihn auch in der vermeint­lichen Finsternis.

Verstecken ist zwecklos, Gott sieht alles! So kann man die Wahrheit dieses Schrift­worts zusammen­fassen. Was aber hilft uns diese Wahrheit? Sie hilft uns nicht, das beklemmende Gefühl los­zuwerden, dass Gott mit seiner Verhör-Schreib­tisch­lampe unser Leben durch­leuchtet. Diese Wahrheit sagt nur: Du kannst dich dem nicht entziehen, so sehr du es auch versuchst. Aber nun wechseln wir das Bild und denken an die OP-Lampe. Auch sie kann Be­klemmun­gen auslösen, und auch sie deckt alles schonungs­los auf. Aber wir wissen: Das schadet uns letztlich nicht, sondern im Gegenteil: Das hilft uns. Unter dem hellen Schein der OP-Leuchte kann der Chirurg genau sehen, was bei uns nicht in Ordnung ist, um es dann in Ordnung zu bringen. Mit diesem Bildwechsel wird klar, was Gottes eigentliche Absicht ist: Er will uns nicht mit dem Licht seiner Gebote grell anleuchten wie mit der Schreib­tisch­lampe des Verhörers, um uns dann der gerechten Strafe zuzuführen. Vielmehr will er uns mit dem Licht seiner Gebote grell anleuchten wie mit der OP-Lampe eines Chirurgen, um eine genaue Diagnose zu stellen und um dann seine Therapie zu beginnen.

Was das praktisch bedeutet, sehen wir an Johannes dem Täufer. Ihm, dem Wegbereiter beim Kommen des Herrn, ist ja der heutige dritte Advents­sonntag besonders gewidment. Johannes der Täufer war ein kräftiger Buß­prediger. Johannes war gewisser­maßen Gottes Nachtsicht­gerät, mit dem auch die dunkelsten Seelen­winkel der Menschen schonungs­los ans Licht kamen. Im Namen Gottes diagnosti­zierte Johannes die tödliche Sünden­krankheit seiner Zeit­genossen. Er tat es aber nicht, um ihnen vor Augen zu führen: Ihr seid hoffnungs­lose Fälle. Nein, im Gegenteil, er tat es, um ihnen vor Augen zu führen: Es besteht Hoffnung für euch. Die Hilfe steht schon vor der Tür. Es ist Jesus, das Gotteslamm, das der Welt Sünde trägt. Bereitet euch auf sein Kommen vor und nehmt seine Hilfe an! Macht nicht immer so weiter wie bisher, sondern ändert euch, tut Buße und lasst diesen großen Arzt an euch heran, damit er euch heilen kann! Bereitet dem Herrn den Weg! Zum Zeichen dafür, dass dieses grelle Diagnose-Licht von Gottes Gesetz nicht ärgern, sondern helfen will, taufte Jesu Wegbereiter alle Menschen, die zur Umkehr bereit waren. Man nannte ihn darum bald Johannes den Täufer. Seine Taufe war ein Zeichen für das unmittelbar bevor­stehende Kommen des Heilands.

„Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein, so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht.“ Das helle Licht der Gegenwart Gottes scheint auch in unserem Leben. Wenn wir es uns mit unseren kleinen oder auch großen Sünden bequem gemacht haben, dann stört dieses Licht die Bequemlich­keit, und wir sind versucht, uns wie unter einer Bettdecke zu verstecken. Das ist aber ein hoffnungs­loser Versuch, denn Gott sieht uns mit seinem Licht immer noch sehr gut – auch dann, wenn wir meinen, die Finsternis würde uns vor ihm verbergen. Darum ist es besser, wenn wir diese Tatsache einfach anerkennen – aber nicht zähne­knirschend wie ein notwendiges Übel, sondern freudig wie eine hilfreiche Diagnose. Wir sollen denen gleichen, die sich von Johannes dem Täufer gern die Leviten lesen ließen. Wir sollen denen gleichen, die gern dem Herrn Jesus Christus den Weg bereiten, damit er bei uns einzieht und uns von unserer Sünden­krankheit heilt. Dann wird das helle Licht seines Wortes zum Heils­bringer – gewisser­maßen zur OP-Leuchte, unter der der große Chirurg unsere Sünden­schuld erkennt, sie wegoperiert und uns so das Leben rettet. Ja, er rettet uns zum ewigen Leben; das Licht steht als Zeichen dafür. Wenn wir das bedenken, wie könnten wir dann noch meinen, Gottes Licht sie etwas unangenehm Störendes? Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2013.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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