Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Vor einigen Wochen fand in Berlin wieder der alljährliche „Marsch für das Leben“ statt. Mehrere tausend Menschen protestierten mit einem Schweigemarsch dagegen, dass man in Europa ungeborene Kinder mit Behinderungen sowie auch andere wehrlose Menschen ungestraft einfach töten kann. Viele der Demonstranten trugen Holzkreuze oder mahnende Transparente. Dieser Marsch war kein Erholungsspaziergang, und von allen Seiten gab es Pfiffe, Schmährufe und Störungen durch Gegendemonstranten.
„Lasst uns laufen“ heißt die zentrale Aufforderung in dem Abschnitt aus Gottes Wort, den wir jetzt betrachten. Es geht dabei um unseren christlichen Lebensweg, unser Verhalten, unsern „Wandel“ (wie man früher sagte), unsere Nachfolge. Zu diesem Lebensmarsch sind wir seit unserer Taufe gerufen, denn da hat uns Gott zu Jüngern und Nachfolgern des Herrn Jesus Christus gemacht. Ebensowenig wie der „Marsch für das Leben“ ist der christliche Lebenswandel ein Erholungsspaziergang. Unser Lauf hat eine klare Bestimmung: Mit allem, was wir tun, sollen wir Gott ehren und unseren Mitmenschen dienen.
Die Bibel vergleicht Jünger öfters mit Soldaten, die in einer bestimmten Mission auf dem Weg sind. In unserem Predigttext werden wir mit diesem Bild aufgefordert, zu laufen „in dem Kampf, der uns bestimmt ist.“ Bei diesem Kampf geht es freilich nicht um militärische oder politische Macht, sondern es geht darum, den Sieg des Herrn Jesus Christus in der Welt zu verbreiten. Es handelt sich also um den „guten Kampf des Glaubens“, wie Paulus ihn seinem Mitarbeiter Timotheus ans Herz legte (1. Tim. 6,12). Wem das sprachliche Bild aus dem Soldatenleben nicht behagt, mag sich stattdessen einen Katastrophenhelfer vorstellen, der nach dem verhehrenden Taifun auf den Philippinen im Einsatz ist. Auch das ist kein Erholungsspaziergang, sondern ein harter Kampf für das Überleben vieler Menschen. Wenn ich mein Christenleben im scheinbar so friedlichen Mitteleuropa bedenke, dann kommt es mir tatsächlich manchmal so vor, als wäre ich nach einem geistlichen Taifun in einem Katastrophengebiet unterwegs: Überall sehe ich Trümmer von zebrochenem Gottvertrauen, zerbrochenen ethischen Maßstäben und zerbrochenen Hoffnungen. Sogar viele Kirchen sind durch diesen geistlichen Taifun zerstört oder stark beschädigt.
Gott gibt uns mit diesen Versen des Hebräerbriefs ein paar wertvolle Hinweise für unser Verhalten beim Glaubenskampf. Da lesen wir: „Lasst uns ablegen alles, was uns beschwert.“ Wer als Soldat oder Katastrophenhelfer bei einem Einsatz unterwegs ist, der darf sich nicht mit übermäßigem Marschgepäck beschweren; allen unnötigen Ballast lässt er besser weg. Das bedeutet nicht, dass wir asketisch wie Bettelmönche leben sollen. Wenn es unsere Aufgabe ist, zu Gottes Ehre zu leben, dann gehört dazu auch, dass wir uns an den schönen Dingen des Lebens freuen und uns das Maß an Ruhe und Muße gönnen, das Leib und Seele nötig haben. Das beschwert uns nicht, sondern das hilft uns im Gegenteil zu einem guten christlichen Wandel. Beschweren tut uns aber ein Übermaß an Gepäck, an Krempel, an Statussymbolen, an Geräten, an Spielzeug, an Essen, an Alkohol, an Suchtmitteln, an aufwändigen Hobbys oder an ständiger Zerstreuung. Die Bibel fasst solchen Ballast unter dem Begriff Fleisch zusammen. Weg damit! Wir belasten uns nur unnötig mit überflüssigem Gepäck, und es hindert uns an der Christus-Nachfolge.
Noch etwas kann uns gefährlich werden: „die Sünde, die uns ständig umstrickt“. Wer als Katastrophenhelfer in einem Trümmerfeld unterwegs ist, muss aufpassen, dass er nicht an Stolperfallen hängenbleibt und stürzt. Allerlei Sündenfallen lauern auf dem christlichen Lebensweg, allerlei Fangstricke liegen da aus. Noch einmal: Der Marsch des Christen ist kein Erholungsspaziergang. So dürfen wir nicht die Gefahr unterschätzen, die von verirrten Mehrheiten ausgeht – von der Welt, wie die Bibel sagt. Zu alttestamentlichen Zeiten glaubte die Mehrheit der Völker, dass es viele Götter gibt und dass man sich zweckmäßigerweise mit allen von ihnen gut stellen sollte. Das wurde dem einen Volk, das Gott sich auserwählt hatte, zum Fallstrick und Verhängnis: Immer wieder dienten die Israeliten auch Götzen, obwohl der Herr ihnen das mit dem 1. Gebot ausdrücklich untersagt hatte. Im Mittelalter war eine Mehrheit davon überzeugt, dass man sich Gottes Wohlgefallen mit schmerzhaften Bußübungen und Ablasszahlungen verdienen könne; auch das wurde vielen zum Verhängnis, bis Martin Luther mutig dagegen anpredigte. Im Dritten Reich schwieg die Mehrheit der Deutschen dazu, dass man die Juden systematisch verfolgte und ganz ausrotten wollte, obwohl es ein himmelschreiendes Unrecht war. Heute schweigen viele dazu, dass in unserem Land jährlich 100.000 ungeborene Kinder getötet werden, nur weil sie uns nicht genehm sind. Wer beim „Marsch für das Leben“ dabei war, konnte an den Pfiffen und Schmährufen der Gegendemonstranten spüren, woher der Zeitgeist weht. Auch auf anderen Gebieten lauern fallstrickartig ungöttliche Überzeugungen von Mehrheiten, über die selbst hohe kirchliche Würdenträger stolpern. Also aufgepasst! Lassen wir uns nicht durch falsche Mehrheitsmeinungen an der heilsamen Lehre von Gottes Wort irremachen.
Fleisch und Welt, also zuviel Gepäck und Fallstricke, können unsern christlichen Lauf behindern oder im schlimmsten Fall sogar ganz vereiteln. Daran ist einer ganz besonders interessiert: Gottes Feind nämlich, der Teufel. Darum hat Martin Luther immer wieder vor der sogenannten „unheiligen Dreifaltigkeit“ gewarnt, vor Teufel, Fleisch und Welt. Sehen wir zu, dass wir auf dem richtigen Weg bleiben! Jesus und auch seine Apostel sind nicht müde geworden zu betonen, dass nur der an Gottes Ziel gelangt, der beharrlich dranbleibt am Glauben. Unser Predigttext fordert uns deswegen auf, dass wir „mit Geduld“ laufen sollen in dem Kampf Glaubens.
Das Schöne ist, dass wir nicht allein laufen. Viele laufen neben uns; es ist gut, das wahrzunehmen. Und viele sind auch schon vor uns gelaufen. Der Hebräerbrief nennt sie die „Wolke der Zeugen“. An sie können wir denken, wenn die Wolke der Verführer uns irremachen will. Das vorausgehende Kapitel nennt einige der ganz alten Glaubenszeugen beim Namen: Abel, Henoch, Noah, Abraham, Isaak, Jakob, Josef, Mose und Rahab. Auch Gideon gehört zu ihnen. Der Autor des Hebräerbriefs merkte, dass es unmöglich ist, auch nur die wichtigsten angemessen zu würdigen, und schreibt deshalb zusammenfassend: „Was soll ich noch kurz mehr sagen? Die Zeit würde mir zu kurz, wenn ich erzählen sollte von Gideon und Barak und Simson und Jeftah und David und Samuel und den Propheten…“ (Hebr. 11,32). Wie gesagt, das steht in dem Kapitel vor unserem Predigttext.
Ein Zeuge aus der „Wolke der Zeugen“ wird hier im Predigttext jedoch besonders hervorgehoben. Es ist der, den Johannes im Buch der Offenbarung so nennt: „der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes“ (Offenbarung 3,14). Unser Predigttext fordert uns auf: Lasst uns „aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. Gedenkt an den, der soviel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.“ Er war schon da am Anfang der Welt; er hat mit seinem Leiden und Sterben den neuen Bund des ewigen Lebens gestiftet; mit ihm sind wir in der Taufe verbunden worden am Anfang unseres Christenlebens. Er geht an der Spitze der Wolke der Zeugen; sie alle folgen ihm nach; auch wir reihen uns ein. Zugleich ist er der, der als letzter kommen wird, wiederkommen am letzten Tag der Welt in großer Herrlichkeit, um uns in seines Vaters Reich zu holen. Ja, Christus, der treue und wahrhaftige Zeuge, ist der Anfänger und Vollender des Glaubens. Er ist dabei nicht nur unser Erlöser, sondern auch unser Vorbild im christlichen Lauf. Von ihm heißt es: Er hätte Freude haben können, aber er hat Anfeindung und Kreuz nicht gescheut im Kampf gegen seine Widersacher und gegen alle finsteren Mächte. Natürlich müssen wir auch bei seinem Vorbild bedenken, dass er keineswegs freudlos und verbissen auf Erden gelebt hat. Er hat die Menschen geliebt und war daher gern mit ihnen zusammen; er hat gefeiert, gegessen, getrunken, gesungen und bestimmt auch gelacht. Aber als dann die schweren Stunden kamen, da ist er nicht geflohen, sondern hat den bitteren Kelch getrunken, den ihm sein Vater zumutete.
Liebe Brüder und Schwestern in Christus, wir wissen nicht, was der himmlische Vater uns noch alles zumuten wird in unserem Christenleben. Noch ist es ja eigentlich nicht viel: Ein bisschen Unverständnis, ein bisschen Spott, ein bisschen Feindschaft vielleicht – damit ist zu rechnen. Paulus schrieb an Timotheus: „alle, die fromm leben wollen in Christus Jesus, müssen Verfolgung leiden“ (2. Tim. 3,12). Keiner von uns braucht um Leib oder Leben zu fürchten wegen seines Glaubens. Es trifft auch auf uns zu, was hier im Hebräerbrief steht: „Ihr habt noch nicht bis aufs Blut widerstanden im Kampf gegen die Sünde…“ Wie ernst ist denn unser Kampf, unser Einsatz für Gott und sein Reich in dieser Welt? Wie gewissenhaft und zielstrebig marschieren wir denn für unsern Herrn Jesus Christus? Hadern wir mit Gott, wenn er uns fast Unerträgliches zumutet? Oder sagen wir wie Jesus: Ja, Vater; „nicht, wie ich will, sondern wie du willst“ (Matth. 26,39)?
Unser Textwort leitet uns an, auch in schweren und schwersten Belastungen des Glaubenskampfes Gottes liebevolle Führung zu sehen. Es ist zwar eine harte Schule, aber es ist eine Erziehung zum Guten. Wir lesen: „Habt ihr schon den Trost vergessen, der zu euch redet wie zu seinen Kindern: Mein Sohn, achte nicht gering die Erziehung des Herrn und verzage nicht, wenn du von ihm gestraft wirst. Denn wen der Herr liebhabt, den züchtig er, und schlägt jeden Sohn, den er annimmt.“
Lasst uns also laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist! Lasst uns unnötiges Marschgepäck ablegen und auf Fallstricke achthaben! Lasst uns dem Vorbild derer folgen, die vor uns den guten Kampf des Glaubens gekämpft haben! Lasst uns vor allem auf Jesus schauen, der allen vorangegangen ist und für alle den Sieg errungen hat! Ja, das lasst uns am allermeisten tun: auf ihn schauen und bei ihm auch Trost und Hilfe finden in diesem Kampf. Denn es kommt darin nicht auf Heldentum an, nicht auf Kraft und große Taten. Es kommt letztlich nur auf eines an: auf den Glauben – das unerschütterliche Vertrauen, dass uns der, der uns auf diesen Weg geschickt hat, nicht im Stich lassen, sondern an das verheißene Ziel bringen wird. Solches Vertrauen hatten auch Gideon, Mose, Abraham und die ganze Wolke der Zeugen, und solches Vertrauen hatte auch unser Herr selbst. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.
PREDIGTKASTEN |