Das Bleiben der Gerechten

Predigt über Sprüche 10,25 zum 16. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Dieser Weisheits­spruch des Königs Salomo gehört nicht gerade zu den bekannten Bibel­versen. Unter­schätzen wir ihn aber nicht: Er enthält die Hauptlehre der ganzen Heiligen Schrift in wenigen Worten zusammen­gefasst.

„Wenn das Wetter daherfährt, ist der Gottlose nicht mehr; der Gerechte aber besteht ewiglich.“ Das „Wetter“, von dem hier die Rede ist, ist ein Unwetter, ein Sturmwind, ein Gewitter­sturm. Es meint Gottes Zorn und Straf­gericht über die Sünde. Täuschen wir uns nicht: Gott kann wirklich zornig sein. Das wird heute zwar oft ver­schwiegen, aber die Bibel lehrt es klar und deutlich. Nun heißt es also: Der Gottlose vergeht im Unwetter von Gottes Gericht. Er wird sozusagen weggepustet wie ein Haufen trockener Blätter im Herbst­sturm. Der Regensturm der Sintflut vertilgte einst viele gottlose Menschen, und der Feuersturm über Sodom und Gomorra vertilgte die gottlosen Bürger dieser Städte. Die Gottlosen ernten dabei, was sie selbst gesät haben: Sie haben sich vom lebendigen Gott gelöst, nun trennt Gott sich seinerseits von ihnen. Es ist so, wie der Prophet Hosea ankündigte: „Sie säen Wind und werden Sturm ernten“ (Hosea 8,7). Wer gottlos lebt, der wird Gott los; er wird weggepustet aus Gottes Nähe und damit vertrieben von der Quelle des Lebens.

Umgekehrt gilt: Wer es Gott recht macht, der darf in seiner Nähe bleiben. „Der Gerechte besteht ewiglich.“ Das ist die Verheißung von Gottes Gesetz; wir finden sie zum Beispiel auch im 4. Gebot: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass es dir wohl gehe und du lange lebest auf Erden.“ Wer fromm ist und nach Gottes Geboten lebt, der bleibt am Leben. Das bedeutet allerdings nicht, dass er immer nur schönes Wetter erlebt. Auch der Gerechte ist den Stürmen ausgesetzt, die die Sünde über die Erde gebracht hat; auch der Fromme bekommt einen Eindruck von Gottes Zorn und Straf­gericht im Leid der Welt, aber das pustet ihn nicht weg aus Gottes Nähe. Auch Noah erlebte die Sintflut, aber er ging darin nicht unter; auch Lot erlebte den Feuersturm über Sodom und Gomorra, aber er kam darin nicht um. Der Gerechte kann sich darauf verlassen, dass Gott ihn nie verlässt. Der Fromme kann so auf Gott vertrauen, wie David es in seinem berühmten Hirtenpsalm ausgedrückt hat. Was Salomos Weisheits­spruch „Wetter“ nennt, wird im 23. Psalm als „Tal der Finsternis“ bezeichnet: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir…“ Ja, der allmächtige Vater ist und bleibt bei mir, und ich darf bei ihm bleiben. Am Ende des Psalms heißt es darum: „Ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.“ – „Immerdar“, also über den letzten großen Wettersturm hinaus, den auch der Frömmste in dieser Welt erleben muss: den Tod. Ja, „der Gerechte besteht ewiglich.“

So fasst dieser Weisheits­spruch kurz und knapp Gottes Gesetz zusammen: Der Gottlose wird aus Gottes lebensspendender Gegenwart entfernt, der Gerechte aber darf immer in Gottes Nähe bleiben.

„Wenn das Wetter daherfährt, ist der Gottlose nicht mehr; der Gerechte aber besteht ewiglich.“ Was hier so klar ausgesagt ist, kann uns unsicher machen. Der Weisheits­spruch geht nämlich wie selbst­verständ­lich davon aus, dass die Menschheit sich in diese beiden Gruppen einteilen lässt: einerseits die Gottlosen, anderer­seits die Gerechten. Ist das aber überhaupt möglich? Kann man die beiden Menschen­gruppen so deutlich voneinander unter­scheiden wie die Farben schwarz und weiß? Gibt es wirklich nur entweder solche, die sich von Gott losgerissen haben, oder solche, die es ihm stets recht machen? Und wo sollen wir selbst uns dann einordnen?

Um diese Fragen zu be­antworten, dürfen wir nicht bei Gottes Gesetz stehen­bleiben, sondern wir müssen einen Schritt weiter gehen. Diesen Schritt machen wir am besten zusammen mit unserm Herrn Jesus Christus. Jesus hat in seinen Predigten gezeigt, dass er die Weisheits­sprüche Salomos gut kennt. Er hat sie aufgenommen und weiter entfaltet. Auch mit unserem Weisheits­spruch hat er das getan und ihn dabei zu einem kleinen Gleichnis ausgebaut. Weil er die Sprüche auf Hebräisch kannte, wusste er, dass hier eigentlich von einem Fundament die Rede ist. Luther übersetzte: „Der Gerechte besteht ewiglich“, aber man kann auch so übersetzen: „Der Gerechte hat ein ewiges Fundament.“ Das hat Jesus, wie gesagt, zu einem kleinen Gleichnis ausgebaut. Am Ende seiner Bergpredigt lehrte er nämlich: „Wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet. Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein, und sein Fall war groß.“ (Matth. 7,24‑27) Wir erkennen unsern Weisheits­spruch wieder: Beide Bauherren erleben den Gewitter­sturm von Gottes Gericht. Aber während der Wind dem einen Bauherren das Haus wegpustet und die Sturzbäche des Regens den Rest erledigen, bleibt das Haus des anderen Bauherren auf festem Felsengrund bestehen. Jesus hat nun auch genauer be­schrieben, wer die beiden Bauherren sind. Vom Alten Testament und von Gottes Gesetz her müssen wir sie einfach als „der Gottlose“ und „der Gerechte“ bezeichnen, aber vom Neuen Testament und von Jesus her können wir sie so unter­scheiden: Da ist einerseits der, der zwar Jesu Worte hört, aber sich nicht danach richtet, und da ist anderer­seits der, der auf Jesus hört und sich dann auch nach seinen Worten richtet.

Was sind das für Worte Jesu? Es ist zunächst einmal eine ganz scharfe Auslegung von Gottes Gesetz, die Jesus in der Bergpredigt bietet. Die Pharisäer nahmen es zur Zeit Jesu sehr genau mit der Gesetzes­frömmigkeit, aber Jesus sagte seinen Jüngern in der Berg­predigt: „Wenn eure Gerechtig­keit nicht besser ist als die der Schrift­gelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen“ (Matth. 5,20). Jesus forderte sogar: „Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist“ (Matth. 5,48). Seien wir ehrlich: Diese „bessere Gerechtig­keit“, diese „Vollkommen­heit“ schafft kein Mensch. Nur der Eine hat sie geschafft, der Gott ist und Mensch wurde: Jesus selbst. Ja, er ist der eine Fromme, der es seinem himmlischen Vater vollkommen recht gemacht hat. Aber er verschenkt diese Gerechtig­keit an alle, die Hunger und Durst nach ihr haben. So hat Jesus es gleich am Anfang der Bergpredigt verheißen: „Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtig­keit; denn sie sollen satt werden“ (Matth. 5,6). Sünder, die gern gerecht werden wollen, hören hier eine gute Nachricht – die beste, die es gibt: Sie können ihren Hunger und Durst nach Gerechtig­keit am Lebensbrot Jesus Christus stillen, denn er speist sie mit der Gerechtig­keit, die er für sie erworben hat. Wer diese gute Nachricht hört und dem vertraut, der sie geschaffen und verkündigt hat, der gleicht einem klugen Bauherren, der sein Haus auf einem festen Fundament errichtet. Und den nennt die Bibel dann selbst einen Gerechten – nicht wegen seiner frommen Werke, sondern wegen seiner Glaubens­gerechtig­keit. Wer auf Jesus vertraut und dessen Heil annimmt, der ist in Gottes Augen gerecht. Der Apostel Paulus hat von diesem Fundament der Glaubens­gerechtig­keit gelehrt: „Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus“ (1. Kor. 3,11).

So vom Herrn selbst ausgelegt, fasst dieser Weisheits­spruch nicht nur das Gesetz, sondern auch das Evangelium zusammen, die guten Nachricht Gottes in Jesus Christus: Wer dem Heiland vertraut, der hat das ewige Leben.

„Wenn das Wetter daherfährt, ist der Gottlose nicht mehr; der Gerechte aber besteht ewiglich.“ Wohl­bemerkt: Er bleibt bestehen, aber nicht stehen! Zwar bleibt der Gerechte in Gottes Nähe und damit an der Quelle des Lebens, aber solange er dieses Leben hier in unserer materiellen Welt verbringt, bewegt er sich doch zwangs­läufig fort: Er treibt dahin im Strom der Zeit. Sein „Fundament“ ist also eher ein Floß oder auch ein Wagen; „aber der Wagen, der rollt“. Darin unter­scheidet sich der Gerechte kein bisschen vom Gottlosen: Solange beide in dieser Welt leben, bewegen sie sich gleichmäßig fort vom Zeitpunkt ihrer Geburt bis hin zum Zeitpunkt ihres Todes. Alles verändert sich, alles fließt. Was die beiden unter­scheidet, das wird letztlich erst am Tag des „Wetters“ offenkundig werden: Dieses letzte göttliche Gewitter wird die Zeit, so wie wir sie jetzt kennen, beenden. Dieser Jüngste Tag wird der letzte sein in einer langen Reihe von Tagen der Welt – die letzte Perle, die Gott auf die Schnur der Zeit fädelt. Dieser Tag wird offenbar machen, wer die Gottlosen sind und wer die Gerechten. Wir können ihr Leben auch mit zwei Eisenbahn­zügen ver­gleichen, die beide zunächst auf derselben Strecke verkehren, schließlich aber an ver­schiedenen Ziel­bahnhöfen enden. Der eine Bahnhof heißt „ewig bei Gott“, der andere „ewig fern von Gott“.

Die Ewigkeit ist etwas, das sich kein Mensch vorstellen kann. Sämtliche mensch­lichen Erfahrungen und unser gesamtes Denken sind ja an die Zeit gebunden, also an den gleich­mäßigen Fluss von Tagen und Jahren. Erst wenn unser Leben und die Welt an ihr Ende kommen, werden wir erfahren, was Ewigkeit bedeutet. Das muss uns jetzt aber nicht bekümmern. Wir wissen genug: Gottes Wort sagt uns ja klar, worauf es jetzt in unseren Erdentagen ankommt. Es kommt sozusagen darauf an, dass wir im richtigen Zug sitzen, nämlich im Zug der Gerechten, im Zug mit dem Zielbahnhof „ewig bei Gott“. Es gibt auch den falschen Zug, den Zug der Gottlosen, und sein Zielbahnof heißt „ewig fern von Gott“. Andere Namen für diese Ziel­bahnhöfe sind Himmel und Hölle oder ewige Seligkeit und ewige Verdammnis. Jesus und die ganze Bibel zeigen uns ohne jeden Zweifel, dass es diese beiden Ziele wirklich gibt. Auch wenn uns der Gedanke an eine ewige Verdammnis erschreckt oder gar un­erträg­lich erscheint: Wir dürfen das nicht verdrängen, denn wir müssen Gottes Wort unverkürzt bezeugen und bekennen. Wie gesagt: Wir können uns weder das Eine noch das Andere vorstellen, weder die ewige Verdammnis noch die ewige Seligkeit, denn alle unsere Vor­stellungen sind zeitlich begrenzt. Es kann daher auch keinen Himmel auf Erden geben, aber eine Hölle auf Erden auch nicht, weil es selbst in den schlimmsten Situationen noch Hoffnung gibt. Und solange wir auf dieser Erde leben, können wir umkehren beziehungs­weise umsteigen: Wenn wir merken, dass wir im Zug der Gottlosen sitzen, dann können wir unsere Sünden bekennen und Jesus um Vergebung bitten; so wechseln wir in den Zug der Gerechten.

Wir finden am Schluss bestätigt, dass unser Weisheits­spruch mit wenigen Worten die wichtigsten Lehren der Bibel zusammen­fasst. Er lehrt uns das Gesetz und Gottes Zorn über die Sünde, er lehrt uns das Evangelium von der Glaubens­gerechtig­keit und er lehrt uns den wichtigen Blick in die Zukunft auf Gottes Endgericht und die Ewigkeit: „Wenn das Wetter daherfährt, ist der Gottlose nicht mehr; der Gerechte aber besteht ewiglich.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2013.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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