Drei Kreuze

Predigt über Psalm 89,2 zu einer Beerdigung

Liebe Trauergemeinde!

Unter dem schrift­lichen Nachlass der Ver­storbenen befand sich ein Zettel, auf dem sie sich diesen Bibelvers auf­geschrieben hat: „Ich will singen von der Gnade des Herrn ewiglich und seine Treue verkünden mit meinem Munde für und für.“ Dieses Schriftwort muss ihr besonders wichtig gewesen sein. Und es passt auch zu ihr, denn sie hat oft und gern geistliche Lieder gesungen. Noch vor vier Monaten, an ihrem hundertsten Geburtstag, sang sie bei der Andacht die Choräle fröhlich mit. Wenn wir den Lebensweg der Ver­storbenen betrachten, wird das manchen wundern, denn sie hat kein leichtes Leben gehabt. Schon ihre Kindheit war von Arbeit und Ver­antwortung belastet, und die Schule machte ihr Angst. Auch ihr späteres Leben war geprägt von An­forde­rungen und Ansprüchen anderer an sie; es blieb ihr wenig Raum, eigenen Interessen nach­zugehen. Mehr als einmal musste sie erleben, dass sie nicht dort bleiben konnte, wo sie gern geblieben wäre. Vor allem ist hier die trau­matische Erfahrung von Vertreibung und Flucht im Februar 1945 zu nennen. Auch das hohe Alter, das sie erreichte, war nicht nur ein Segen, sondern auch eine Last, denn es war von chronischen Schmerzen und Krankheit geprägt. Mancher wird meinen, dass Eine, die am Ende eines solchen Lebens immer noch singt, bestenfalls ein Klagelied in Moll anstimmen kann. Tatsache ist aber: Die Verstorbene hat fröhlich in Dur gesungen – nicht nur mit fröhlichem Mund, sondern auch mit fröhlichem Herzen. Wie kommt das? Die Antwort steckt in diesem Psalmwort, das ihr so wichtig war: „Ich will singen von der Gnade des Herrn ewiglich und seine Treue verkünden mit meinem Munde für und für.“ Wer etwas von Musik versteht, der weiß: Wenn ich ein Lied in A-Moll nehme und drei Kreuze davor setze, dann wird ein Lied in A-Dur daraus. In dem Psalmwort finden wir gewisser­maßen die drei Kreuze, die aus dem Klagelied eines schweren Lebens in Moll ein fröhliches Loblieb in Dur machen. Lasst micht diese drei „Kreuze“ jetzt benennen.

Das erste Kreuz ist der Empfang von Gottes Gnade. Es heißt ja: „Ich will singen von der Gnade des Herrn.“ Von Anfang an stand diese Gnade über dem Leben der Ver­storbenen: Sie wurde als Säugling getauft. Mit der Taufe zeigt Gott: Ich nehme dich an als mein Kind durch den Heiland Jesus Christus; ich bin dir gnädig; ich schenke dir ein neues Leben, das niemand zerstören kann, auch der Tod nicht. Das ist, wie gesagt, ein Gnaden­geschenk Gottes, und nichts, was sich ein Mensch mit seiner Frömmigkeit verdienen kann. Von Natur aus sind wir fern von Gott, verstrickt in ein Geflecht von bösem Tun und bösem Ergehen, das die ganze Welt durchzieht. Das Schwere, das die Verstorbene im Leben erleiden musste, hat ja teilweise ganz offen­sichtlich mit dem abgrundtief Bösen zu tun, das in zwei Weltkriegen offenbar geworden ist. Die Bibel sagt nüchtern, dass das menschliche Herz von Grund auf böse ist und dass es nur besser werden kann, wenn Gottes Gnade es erlöst. Genau dazu ist Jesus Christus in die Welt gekommen, am Kreuz gestorben und nach drei Tagen wieder auf­erstanden von den Toten. Diese Erlösung ist das erste Kreuz, das aus dem Klagelied einer sünden­verdorbenen Welt das fröhliche Loblied macht, in das auch unsere Verstorbene stets einstimmte: „Ich will singen von der Gnade des Herrn.“

Das zweite Kreuz ist ein Leben zu Gottes Ehre. Es heißt in dem Psalmwort: „Ich will seine Treue ver­kündigen.“ Gott ist in der Tat treu; er steht zu dem Ver­sprechen, das er durch seinen Sohn Jesus Christus gegeben und mit der heiligen Taufe verknüpft hat. Wir können uns auf ihn verlassen und deshalb angstfrei leben. Nun war unsere Verstorbene ja keine Frau der großen Reden; man kann nicht unbedingt sagen, dass sie mit vielen Worten Gottes Treue verkündigt hat. Aber sie hat es mit ihrem Lebens­wandel getan. Indem sie treu diente und liebevoll die Menschen versorgte, die ihr anvertraut waren, hat sie ohne Worte ein Zeugnis gegeben für Gottes Treue. Durch Martin Luther wissen wir, dass ein gott­gefälliges Leben nicht aus be­eindrucken­den Taten der Frömmigkeit bestehen muss, sondern dass die ganz normalen und all­täglichen Arbeiten, in Liebe und Treue zu Gottes Ehre getan, ein rechtes Zeugnis christ­lichen Lebens darstellen. So war es bei unserer Ver­storbenen, und hinzu kam das gesungene Zeugnis eines fröhlichen Lobliedes: „Ich will seine Treue ver­kündigen.“ Das ist das zweite Kreuz, das aus dem A-Moll des Lebens ein A-Dur des Gotteslobs macht.

Das dritte Kreuz ist die Aussicht der ewigen Heimat. Der Psalm spricht davon, dass Loblieb und Zeugnis „ewiglich“ geschehen, beziehungs­weise „für und für“. Das bedeutet: Auch nach hundert Jahren hört ein Christen­mensch nicht auf, Gott zu loben. Nach unseren mensch­lichen Maßstäben bedeuten hundert Jahre zwar ein langes Leben, aber nach göttlichen Maßstäben geht das Leben nun erst richtig los. Das ist ja die wunderbare Gnade Gottes, dass alle, die durch Jesus erlöst sind und an ihn glauben, das ewige Leben haben. So tragen wir auch unsere Verstorbene heute zu Grabe mit der Hoffnung, dass sie auferstehen und mit einem neuen gesunden Leib in Gottes ewiges Reich eingehen wird. Ja, so schenkt es Gott in seiner Gnade, so hat er es allen Gläubigen ver­sprochen, und weil er ein treuer Gott ist, können wir uns darauf verlassen. Jesus selbst hat dieses Versprechen besiegelt, indem er am dritten Tag nach seinen Tod am Kreuz wieder auf­erstanden ist. Jesus lebt, und weil er lebt, wird auch die Verstorbene weiterleben – nicht nur in unserer Erinnerung, sondern leibhaftig in Gottes himmlischem Reich. Da wird sie ihre endgültige Heimat finden und Ruhe von alledem, was ihr das Erdenleben unruhig und schwer gemacht hat. Sie hat es Zeit ihres Lebens gewusst und geglaubt: Das Beste liegt noch vor mir, die ewige Heimat, die himmlische Ruhe. Diese Aussicht ist das dritte Kreuz, das ihr aus dem Klagelied in Moll ein Loblied in Dur gemacht hat.

Der Empfang von Gottes Gnade, die Ver­kündigung von Gottes Treue und die Aussicht der ewigen Heimat sind die drei Kreuze, die für jeden von uns das Klagelied eines nicht leichten Lebens in ein fröhliches Loblied verwandeln können. Der Schlüssel dazu ist der Glaube an Gottes Sohn Jesus Christ, seinen Tod am Kreuz und seine Auf­erstehung. Darum lasst uns einstimmen in dieses wunderbare Psalmwort, das unserer Ver­storbenen so wichtig geworden ist: „Ich will singen von der Gnade des Herrn ewiglich und seine Treue verkünden mit meinem Munde für und für.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2013.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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